Nr. 19 Die Gleichheit 301 Regelung der Löhn« und der Arbeitszeil örtlichen Abmachungen vorbehalten; das Ringen zwischen Arbeitern und Unternehmern darum bildet gleichsam die zweit« Phase des Kampfes. Sie wird sicher noch zu vielen örtlichen Differenzen führen, die aber in ihrer Wirkung nicht so einschneidend sein können wie der Kampf um den Zentraltarif. Die organisierten Arbeiter konnten wie die Dinge liegen daher die Vorschläge der Unparteiische» mit gutem Gewissen annehmen. Es waren auch nur sehr geringe Minoritäten, die auf den Generalversammlungen gegen die Einigungsvorschläge stimmten. Den Unternehmern wurde sicher die Zustimmung dazu weit schwerer. Von ihren hochfliegenden scharfmacherischen Forde- rungen wurde bei Lichte betrachtet keine erfüllt. Der Vertrags- abschluß stellt sich für die Arbeiterorganisationen unzweifelhaft als ein nicht geringer Erfolg dar. Die Absichten der Unternehmer wurden nicht allein abgewehrt, sondern es konnten noch einige Ver- besserunge» vertraglich festgelegt werden. Zwar sind künstig den Arbeitern Sympathiestreiks nicht mehr gestattet, den Unternehmern aber sind Sympathieaussperrungen ebenfalls verboten, eine be- deutungsvolle Bestimmung, deren tarifliche Festlegung bisher noch keine Gewerkschaft erreicht hat. Dem Wunsch« der Unternehmer entsprechend kann allerdings der zentrale Tarif abgeschlossen wer- den, die örtlichen Organisationen gelten jedoch nach wie vor als Hauptträger des Vertrags. Es wurden keine Konzessionen an die weitere Einführung der Akkordarbeit gemacht, welche von den Unternehmern so heiß begehrt worden war. Und die Bestim- mung, daß der tarifliche Lohn nur fürtüchtige" gelernte Arbeiter gelte, siel ebenfalls. Verkürzung der Zlrbeitszeit unter zehn Stunden soll für Orte zulässig sein, die mit besonderen Verhältnissen zu rechnen haben. Selbst wenn man einige kleine Zugeständnisse nicht übersieht, die den Unternehmern gemacht wurden, kann der Aus- gang der Bewegung als eine Errungenschaft der Arbeiter ange- sprochen werden. Das Erreichte verdanken sie nicht zuletzt ihrem mannhaften, zielsicheren und ruhigen Verhalten im Kampfe, vor allem aber auch ihrer starken Organisation, die sie noch lange mit sinanzieller Munition hätte versorgen können. Die anderen Verbände standen zu tatkräftiger Unterstützung gerüstet in sicherer Reserve, und die öffentlichen Sammlungen hätten auch nicht versagt, wie der Anfang zeigte. Der Kampf im Baugewerbe ist ein beweis- kräftiges Beispiel für den Wert und die Macht der Organisation, für die Bedeutung der proletarischen Solidarität. Lohndifferenzen in der Zigarettenfabrik von Hanne mann in Dortmund führten durch das provokatorische Vorgehen der Polizei zu förmlichen Straßenschlachten. Die Firma wollte den Arbeitern und Arbeiterinnen den Lohn kürzen, und als diese sich das nicht gefallen ließen, schritt sie zur Aussperrung. Das Publikum ergriff für die Ausgesperrten Partei und boykot- tierte die Firma. Die Polizei ließ die ausgestellten Streikposten zunächst unbehelligt, später aber setzte sie ihre Force und Ehre darein, sie zu vertreiben. Dadurch kain es in den Abendstunden zu Ansammlungen von Tausenden, die in weiterer Folge zu Kra- wallen mit der Poliz« führten. Die Polizei zog blank, Berittene jagten in die Menschenhaufen, auf die auch noch Polizeihunde ge- hetzt wurden. Die Menge antwortete mit einem Hagel von Steinen und Konservenbüchsen; Fensterscheiben wurden zertrümmert. Das ging so einige Abende weiter. Die Polizei nahm viele Verhaftungen vor, und es gab so schwer Verletzte, daß sie vom Platze getragen werden mußten. Endlich verstand sich die Firma zu Vergleichs- Verhandlungen; damit waren die Tumulte zu Ende. Proletarier mußten ihre Knochen zu Markte tragen, weil sie sich die Nieder- knüttelung durch den Unternehmer und die hohe Obrigkeit nicht demütig gefallen lassen wollten!# Genossenschaftliche Rundschau. Der Konsum-, Bau- und Sparverein Produktion in Hamburg , eine Genossenschaft der organisierten Arbeiter Hamburgs , hat auch im Krisenjahr 1903 gute Fortschritte zu ver- zeichnen. Die Zahl der Mitglieder stieg von 35098 auf 4187S und der Umsatz von reichlich 8 Millionen auf beinahe 10'/, Millionen Mark. Der erzielte Reingewinn betrug im Berichtsjahr S9-181S Mark gegen 390594 Mk. im Jahre 1908. Die Zahl der Genossen- schaftsläden wuchs von 71 am Ansang auf 73 am Schlüsse des Geschäftsjahres. Davon waren 30 allgemeine Verkaufsstellen, 12 Schlächter-, 3 Brot- und 1 Grünwarenladen. Bekanntlich betreibt die Produktion eine große Bäckerei und eine vorzüglich gehende Schlächterei. Die Bäckerei halte im Berichtsjahr einen Umsatz von 1330099 Mk.; es wurden in ihr 13 340 Sack Weizen- und 18449 Sack Roggenmehl verbacken. Außer Schwarz- und Weißbrot werden auch Konditorwaren hergestellt. Die Schlächterei setzte sogar für 2 334149 Mk. Waren um. Sie verarbeitete 12 087 Schweine, 903 Ochsen und 493 Kälber eigener Schlachtung, dazu noch für fast eine halbe Million zugekauftes Fleisch, Därme usw. Die Genossen­schaft betreibt eine Tischlerei, eine Klempnerei und Schlosserei und hat im vergangenen Jahre eine eigene Anlage für Herstellung von Mineralwässern und anderen alkoholfreien Getränken errichtet. Die Schlächterei erfuhr eine Erweiterung; ferner wurde ein großes Stall-, Automobil- und Werkstellengebäude sowie ein neues Wohn- gebäude errichtet, und aus dem Zentralgrundstück der Genossen- schaft der Bau eines neuen, siebe» Stockwerke hohen Speichers be- gönnen. Die Produktion besitzt nunmehr 13 Grundstücke mit 33 Gebäuden, zum größten Teil Wohngebäuden, deren Wohnungen an die Mitglieder zu erheblich billigeren als den sonst in Hamburg üblichen Preisen vermietet sind. Alles in allem beschäftigt die Hamburger Genossenschaft ein Personal von 733 Köpfen, davon 51 in der Verwaltung, 211 in der Warenproduktion, 424 in. der Waren- Verteilung und 80 für die Reinigung der Läden usw. Der Not- fonds der Genossenschaft, der durch Aufsammlung der Rückver« gütung jedes Mitglieds bis zur Höhe von 100 Mk. gebildet wird, hatte End« 1909 die Gesamthöhe von 514178 Mk. bei 15453 be- teiligten Mitgliedern erreicht. Das letzte Jahr brachte eine starke Inanspruchnahme des Notfonds: während 1903 nur 4338 Mit- glieder insgesamt 112704 Mk. erhoben, entnahmen im letzten Jahr« 3342 Mitglieder insgesamt 173943 Mk. Besonders beachtenswert ist die Tatsache, daß in der Zeit der großen Bauarbeiteraussperrung vom 5. Juli bis 21. August rund doppelt so viel Notsondssummen und etwa anderthalb so viel Spargelder insgesamt 222 283 Mk. mehr zurückgezahlt wurden wie in der gleichen Zeit des Vor- jahres. Von Leipzig wurde vor kurzem ein starkes Stück Terra- rismus gegen Konsumvereinsmitglieder berichtet, die vom Staat angestellt sind. Ein Beamter der in Leipzig einmünden« den preußischen Linien, die dem EisenbahndirektionsbezirkHalle unter« stehe», fühlt sich berufen, Unterbeamte und Arbeiter zu zwingen, aus dem Konsumverein auszutreten. Seit Ansang April ist«in Zirkular im Umlauf, in dem die Angestellten aufgefordert werden, sofern sie oder ihre Ehefrauen oder Familienangehörigen Mitglied eines Konsumvereins sind, dort ihren Austritt zu erklären, da widrigenfalls ihre Entlassung erfolgen soll. Unter dem Wirtschaft- lichen Zwange erklären nun begreiflicherweise diese Leute ihren Austritt aus dem Konsumverein Leipzig -Plagwitz , denn dieser kommt hierbei fast ausschließlich in Betracht. Offenbar ist der übereifrig« Beamte von konsumvereinsfeindlichen Mittelständlern aufgehetzt worden. Sein Vorgehen paßt schlecht zu der Erklärung, die der preußische Eisenbahnminister gelegentlich eines analogen Verlangens im preußischen Landtag abgegeben hat. Der Minister erklärt« wörtlich:Was die Betätigung der Beamtenschaft in den Konsum« vereinen betrifft, so muß ich mich grundsätzlich auf den Standpunkt stellen, daß wir die Freiheit der Bewegung unserer Beamten aus diesem Gebiet nicht einschränken dürfen. Auf der anderen Seit« stehe ich auf dem Standpunkt, daß der Beamte seine Kräfte sür die Leitung eines Konsumvereins nur dann hergeben darf, wenn«in wirkliches Bedürfnis zur Begründung solcher Veranstaltungen vor- liegt, ferner daß die mir unterstehenden staatlichen Verwaltungen die Konsumvereine nicht etwa durch unentgeltlich« Hergabe von Räumen oder Lagerplätzen begünstigen. Darüber hinauszugehen, habe ich Bedenken." Hoffentlich sorgt der Minister dafür, daß auch nach diesem Grundsatz gehandelt wird! Nachdem die Hamburger Tabakarbeitergenossen- schast von der Großeinlaufsgesellschaft deutscher Konsumverein» in eigene Regie übernommen worden ist, wurde ein neuer Tarif- vertrag mit den in der Genossenschaft beschäftigten Arbeitern ab- geschlossen, der für drei Jahre Gültigkeit besitzt. Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt 55'/, Stunden. Die Akkordlöhne pro Mille sind um 20 Pf. bis 2,25 Mk. erhöht mit Anerkennung eine? Minimal- lohnes von 8,30 Mk. für die Fabriken Frankenberg und Hocken- heim und 12 Mk. für die in Hamburg , über 18 Jahre alte Hilfs- arbeiter erhalten in den Betrieben Frankenberg und Hockenheim Wochenlöhne von 18 bis 23 Mk. und Stundenlöhne für Überstunden von 50 Pf., in Hamburg Wochenlöhne von 22 bis 23 Mk. und Stundenlöhne für Überstunden von 70 Pf. Die Löhne der Zu- richterinnen im Hamburger Betrieb betragen nunmehr 12 bis 15,50 Mark pro Woche. Von der Großeinkaufsgesellschaft werden die Beträge sür Allers- und Invalidenversicherung ganz gezahlt. Außer- dem wurde die Einrichtung getroffen, daß alle Arbeiter, die länger als zwei Jahre in diesen Genossenschaftsfabriken arbeiten, unter Zahlung ihres im Vorjahr durchschnittlich verdienten Wochenlohnes in der Zeit vom 1. Mai bis 30. September eine Woche Sommer-