304
"
-
Die Gleichheit
werde und fand für die Ausdehnung der Rechte der reichen Bodeneigentümerinnen sehr viele und warme Worte. Um so fürzer und unentschlossener aber war er bei der Vertretung der Forderung auf Einführung des fommunalen Stimmrechts für die Frauen. Zwar stehe die Fortschrittliche Volkspartei , so führte er aus, den berech tigten Ansprüchen der Frauen sehr wohlwollend gegenüber, doch sei die Frage der Zuerkennung des kommunalen Wahlrechts an das weibliche Geschlecht noch zu wenig geklärt. Daher beantrage seine Partei, diese Forderung der Regierung als Material zur ferneren Beratung zu überweisen. Mit anderen Worten sie zu begraben! Den Gegensatz zwischen uns und dem Freisinn in bezug auf die politischen Rechte der Frauen brachte Genosse Leinert mit erfreu licher Schärfe zum Ausdruck. Er verlangte grundsäglich eine vollständige Anderung der Landgemeindeordnung, die, noch weit schlimmer wie in den Städten, nur auf eine Bevorrechtigung der Besitzenden hinauslaufe. Angesichts dieses ihres Wesens stimme unsere Partei auch gegen die Petition des Schlesischen Vereins für Frauenstimmrecht", die nichts weiter bezwecke, als die bereits vorhandene Privilegierung der Wohlhabenden noch weiter zu be festigen. Anders lägen die Dinge bei der Verleihung des kommunalen Stimmrechts an die Frauen. Die Petition, welche diese Forderung erhebt, möchte die sozialdemokratische Partei der Staatsregierung zur Berücksichtigung überwiesen haben. Schließlich zeigte sich die Mehrheit des Abgeordnetenhauses liberaler wie die Forts schrittliche Volkspartei und stimmte für überweisung beider Petis tionen zur Berücksichtigung. Die hoffnungsseligen liberalen Frauenrechtlerinnen hatten wieder einmal Gelegenheit, zu erkennen, wie es mit dem Eintreten ihrer Partei, dem geeinigten Freisinn, für die Gleichberechtigung der Frauen in Wirklichkeit bestellt ist. m. w. Die Einführung des allgemeinen kommunalen Frauen wahlrechts in Norwegen ist durch die gesetzgebenden Gewalten nun endgültig beschlossen worden. Der Lagthing hat den Beschluß des Odelsthings einstimmig angenommen, über den wir schon kürz lich berichteten. Wie schon im Odelsthing, suchte der Staatsrat Arctander auch im Lagthing durch Heraufbeschwören des sozia listischen Gespenstes die Demokratisierung des Wahlrechts zu vers hindern. Die bürgerliche Gesellschaft müsse alles aufbieten zur Ab. wehr der Sozialistenherrschaft, die nach der Meinung des Herrn Staatsrats die Folge der Einführung des allgemeinen Frauenwahlrechts sein müsse. Seine Warnungsrufe verhallten jedoch ungehört. Die tönigliche Bestätigung des Gesetzes ist nur eine reine Formsache.
Keine Verböserung des kommunalen Frauenwahlrechts in Schweden . Die Erste Kammer des schwedischen Reichstags hatte einen Antrag angenommen, der den Ehefrauen mit weniger als 100 Kronen eigenem Einkommen das Gemeindewahlrecht rauben sollte. Bei der gemeinsamen Abstimmung beider Kammern des Reichstags ist der reaktionäre Vorstoß mit 104 gegen 91 Stimmen abgewehrt worden. Troy aller Anstrengungen der Reaktion ist somit einem großen Teil Proletarierfrauen das Wahlrecht gesichert.
Weibliche Kandidaturen bei den letzten Wahlen in Frank reich. Die volle Gleichberechtigung der Frauen innerhalb der sozia listischen Partei hat bei den letzten Wahlen in Frankreich einen neuen Ausdruck gefunden, der manchem Spießbürgergemüt Schrecken einjagen dürfte. Zum erstenmal wurden von der sozialistischen Partei, allerdings nicht ohne Widerstreben im eigenen Lager, weibliche Kandidaten aufgestellt. Für Genossin Renard, Kandidatin im Departement Isère , wurden 2000 Stimmen abgegeben, die Genossinnen Kaufmann und Dr. Pelletier erhielten einige Hundert. Das französische Gesetz anerkennt keine weiblichen Kandidaten, troß dem hatten die Behörden jedoch ohne weiteres den Bewerberinnen um ein Mandat wie üblich die Schulfäle zu ihren Wahlversamm lungen zur Verfügung gestellt. Dagegen wurden in manchen Fällen die für die Frauen abgegebenen Stimmen nicht gezählt, beziehungs weise als weiße Stimmzettel behandelt. Verschiedene bürgerliche Frauenrechtlerinnen hatten ihre eigene Kandidatur aufgestellt, darunter Frau Durand, die bekannte Gründerin und Heraus geberin der„ Fronde", des eingegangenen Pariser Blattes, das ausschließlich von Frauen hergestellt wurde. Da die kandidierenden Frauenrechtlerinnen jeden Zusammenhaltes mit irgend einer Partei und untereinander entbehrten, so hatten fie fast keinen Erfolg. Frau Durand gedachte, die Ungerechtigkeit und Unlogik der französischen Gesetzgebung, die die Frauen mit Idioten auf eine Stufe stellt, recht drastisch vor Augen zu führen. Sie hatte daher einen Jdioten als ihren Kandidaten aufgestellt. Da der Mann nicht entmündigt war, wurde seine Kandidatur als„ legal" angenommen. Eine andere Frauenrechtlerin deckte ihre Kandidatur durch einen völlig unbedeutenden Wähler und ließ Stimmzettel folgenden Inhalts verteilen: „ Joseph Wilhelm, Kandidat des Programms der Frau Maguerie."
Nr. 19
Die Wählerversammlungen der Frauenrechtlerinnen in Paris verliefen zum Teil sehr stürmisch und gaben einer radaulustigen Jugend Anlaß zu allerhand oft recht plumpen und geistlosen Allotria.
Stellungnahme der Sozialistischen Partei in den Vereinigten Staaten zum Franenwahlrecht. Der letzte Jahreskongreß der genannten Partei, der Mitte Mai in Chicago getagt hat, brachte eine Klärung der grundsätzlichen Stellung zum Frauenstimmrecht, drängte aber auch gleichzeitig zu kräftigem praktischen Eintreten dafür. Genossin Simons hatte dem Rongreß eine Resolution vor gelegt, die sich indirekt mit der Stellung der sozialistischen Frauenbewegung zur bürgerlichen Frauenstimmrechtsbewegung befaßte, indem sie den Klassentampfcharakter der ersteren auch im Ringen um die politische Gleichberechtigung betont wissen wollte. Diese Auffassung wurde von Genossin Maltiel- New York bekämpft. Sie forderte die Unterstüßung einer allgemeinen, parteilosen Frauen stimmrechtsbewegung, da eine solche sich außerhalb der Parteien politisch neutral halte und die Interessen aller Frauen wahre. Dieser frauenrechtlerisch angekränkelte Standpunkt wurde von den Genossinnen Lewis, Maynard und Cory wie den Genossen Merrick und Morgan zurückgewiesen. Der Kongreß stellte sich in der Frauenstimmrechtsfrage auf den Boden des Klassenkampfes. Er nahm folgenden Antrag an:" Da die politische Entrechtung der Frau ihre wirtschaftliche Abhängigkeit verstärkt und fühlbar macht, ersuchen wir die Partei aufs dringendste, für das Frauens stimmrecht eine größere Attivität als bisher zu entfalten, und zwar soll das Eintreten dafür unter der Kontrolle der Sozialistischen Partei und entsprechend ihrem Programm geschehen." Der Bes schluß ist in jeder Hinsicht zu begrüßen und wird sicherlich zur Klärung und Stärkung der sozialistischen Frauenbewegung der Vers einigten Staaten und ihres Kampfes für die volle politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts beitragen.
Verschiedenes.
Einfluß der Wirtschaftsverhältnisse auf die Bevölkerungs. bewegung. In Westfalen übersteigt die Zahl der männlichen Bevölkerung die der weiblichen, während in Deutschland im allgemeinen das Gegenteil der Fall ist. Das ziffernmäßige Übergewicht der männlichen Bevölkerung tritt am meisten im Regierungs. bezirk Arnsberg zutage, wo diese mit einem überschuß von 109 731 Personen 73 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht. In diesen auffallend abnormen Zahlen kommt die große Zuwande rung von Arbeitern zum Ausdruck, wie auch die erbärmliche Lage, welche die kapitalistische Ausbeutung ihnen schafft. Durch die niedrigen Löhne werden die zuwandernden Männer gezwungen, ledig zu bleiben, weil sie einen Hausstand nicht erhalten können. So steht dem Strome männlicher Einwanderer kein Zuzug von Frauen ausgleichend zur Seite. Innerhalb der letzten 35 Jahre hat sich Westfalen zu einem der bedeutendsten Industriezentren bes Deutschen Reiches entwickelt. Die Einwohnerzahl nahm während dieser Zeit um 105 Prozent zu, während in den ebenfalls industriell entwickelten Provinzen Brandenburg , Sachsen und in den Rheinlanden nur ein 75 prozentiges Steigen stattfand. Das Wachstum der jungen westfälischen Großstädte ist enorm, und alle Anzeichen deuten darauf hin, daß die wirtschaftliche Entwicklung der Provinz noch nicht beendet ist. Die Zunahme der industriellen Bevölkerung geht Hand in Hand mit Rückgang und Degeneration der ländlichen Schichten. Die letztere Erscheinung tritt so scharf zutage, daß sie die Aufmerksamkeit der Regierung auf sich gelenkt hat. Der Oberpräsident der Provinz ließ an die Arztekammer ein Preisausschreiben gelangen. Es soll festgestellt werden, ob die übergroße Abfuhr von Milch an die Molfereien einen solchen Mangel daran erzeugt hat, daß eine Herabseßung der körperlichen Entwicklung der Landbevölkerung beobachtet worden ist. Ferner ist zu untersuchen, ob das Stillen der Mütter zurückgeht. Es handelt sich also um den Nachweis von Vorgängen, die schon in anderen Teilen Deutschlands beziehungsweise der Schweiz beobachtet wor den sind. Die kapitalistische Produktion mit ihrer Geldwirtschaft richtet den kleinbäuerlichen Betrieb mit seiner Naturalwirtschaft zugrunde. Um Geld zum Bezahlen der Steuern usw. ins Haus zu bringen, sieht sich der Bauer gezwungen, einen immer größeren Teil seiner Erzeugnisse auf den Markt zu führen. Dadurch wird die Ernährung verschlechtert. Die Folge davon ist ein Steigen der Kränklichkeit und der körperlichen Entartung der kleinbäuerlichen Bevölkerung, andererseits aber ihre wachsende Auswanderung. B. K. Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmhöhe, Post Degerloch bet Stuttgart .