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Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen.
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Die Gleichheit
Elend in der sächsischen Heimindustrie. Die Bevölkerung der Gegend des Vogtlandes und sächsischen Erzgebirges, deren Mittelpunkte die Orte Olsnig, Lichtenstein- Calnberg und Lugau sind, leidet furchtbar unter der kapitalistischen Ausbeutung, die nicht nur Männer und Frauen, sondern auch die Kinder in frühester Jugend sich dienstbar macht. In manchen der in Betracht kommenden Orte müht sich der Mann in den Kohlenbergwerken 1000 Meter unter dem Boden; in anderen sitzt er tagaus tagein am Webstuhl. Es gibt in jenen Landstrichen noch viele Hunderte von Hauswebern, die hauptsächlich Bettdecken, Kaffee und Teedecken herstellen. Ihr Einkommen ist der bekannte Hungerlohn. Da der Verdienst der Männer ganz gleich, was ihr Beruf ist- für den Unterhalt der Familie nicht ausreicht, müssen Frauen und Kinder zum Erwerb heran, und das meist in der Form der Heimarbeit. Die Frauen holen beim Fabrikanten die Decken, um im Verein mit ihren Kindern die Fransen daran zu knüpfen oder die Ränder zu langettieren. Für das Knüpfen der Fransen an einer großen Bettdecke werden 4 Pf. bezahlt. Dabei müssen die Fransen noch gerade geschnitten und gekämmt werden. Für 100 Knoten zahlt der Fabrikant 1 Pf. Eine Frau, die tüchtig eingearbeitet ist, verdient bei angestrengtestem Schaffen und ausgedehnter Arbeitszeit 2 Mk. in der Woche. Die Unterzeichnete sprach mit einer Heimarbeiterin, die Fransen knüpft. Sie erzählte ihr von ihrem Leben, während die fleißigen Hände raftlos weiterarbeiteten. Die Frau ist Mutter von acht Kindern, ihr Mann arbeitet in einer Brauerei und verdient täglich 2,70 Mt. Dieser Lohn reicht mit dem Verdienst der Frau zusammen nicht aus zum Unterhalt der Familie. Die Kinder sind von frühester Jugend an gezwungen, durch ihre Arbeit Brot ins Haus schaffen zu helfen. Ein Knabe von acht Jahren muß täglich die Fransen von sechs Decken knüpfen, ein sechsjähriges Kind hatte im Tag deren vier fertigzustellen. So verdienen die Kinder im Tag 24 beziehungsweise 16 Pf. Auf meinen Einwand, daß nach dem Kinderschutzgesetz Kinder unter 12 Jahren nicht zur Erwerbsarbeit herangezogen werden dürfen, entgegnete mir die Frau:„ Ja, was soll ich denn machen, wir wollen doch essen. Ich muß meine Kinder sogar noch schlagen, wenn sie ihre Decken nicht fertig triegen." Der Lohn für das Langettieren einer Bettdecke beträgt 60 bis 85 Pf. Im Durchschnitt langettieren die Frauen vier bis fünf Decken in der Woche. Die kleinen Kinderhände müssen die Fäden abschneiden, bis sie selbst die Nähnadel führen und langettieren können. Wieder andere Frauen sticken Blumen und Figuren auf feine Strümpfe oder stricken Finger in Handschuhe. Es gibt in jenen Gegenden keine Proletarierfamilie, in der nicht Weib und Kind zum färglichen Lebensunterhalt beitragen müssen. Dabei kommt oft die ganze Woche kein Bissen Fleisch auf den Tisch. Sind doch die Lebensmittelpreise höher als selbst in den Großstädten. Das Pfund Butter fostet 1,60 Mt., auch Fleisch und Gemüse sind teurer als in anderen Gegenden Deutschlands . Aus dem Elend ihrer Lage reift für die Frauen des Vogtlandes und fächfischen Erzgebirges die Erkenntnis heran, wie notwendig es ist, daß auch sie sich mit dem öffentlichen Leben beschäftigen und an den wirtschaftlichen und politischen Kämpfen ihrer Klasse teilnehmen. A. Fahrenwald.
Ein neuer Vers zum alten Lied vom Arbeiterinnenelend. Wir haben vor einiger Zeit über die elenden Arbeits- und Lohnverhältnisse der Hausangestellten in Kreuznach berichtet. Nicht besser sind die gewerblichen Arbeiterinnen am Orte daran, und zwar sind es ganz besonders die jungen Lohnstlavinnen, die eine harte Ausbeutung erfahren, die rückwirkend auch die Lage der übrigen Arbeitskräfte verschlechtert. In den Schokolade- und Zuderwarenfabriken, die vorwiegend junge Mädchen beschäftigen, sind Löhne von 60 bis 80 Pf. pro Tag die Regel. Nur wenige Arbeiterinnen bringen es zu einem Tagesverdienst von 1,50 Mt. Die elenden Löhne werden zum Teil noch erheblich durch sehr hohe Strafen gekürzt. Um die Arbeiterinnen trotz der miserablen Arbeitsbedingungen an die Betriebe zu fesseln, werden seitens der Unternehmer zwei Tagelöhne zurückbehalten. In den Bigarrenfabriken herrschen ebenfalls traurige Lohnverhältnisse, außerdem leiden die Arbeiterinnen unter allerlei übelständen, wie der Lieferung von schlechtem Material und dergleichen. Da vorwiegend im Afford gearbeitet wird, muß die Arbeiterin ihre Kräfte unmenschlich anstrengen, wenn sie einigermaßen etwas verdienen will. Das alte Elend der Zigarrenarbeiterinnen ist durch die neue Tabaksteuererhöhung noch bedeutend verschärft worden. Das Gesagte gilt auch von der Lage der Arbeiterinnen in der Zigarettenfabritation. Die Ausbeutung der weiblichen Lehrlinge bildet hier ein Kapitel für sich. Diese werden geradezu
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im großen gezüchtet. Das Streben des Unternehmers geht danach, möglichst billige und fügsame Arbeitskräfte zu haben, um dadurch die älteren, besser entlohnten Arbeiterinnen überflüssig zu machen. Die Lehrmädchen erhalten um 75 bis 100 Prozent niedrigeren Afford- oder Tagelohn als die eigentlichen Arbeiter und Arbeiterinnen. Zur schamlosen Auswucherung ihrer Arbeitskraft gesellt sich noch eine empörende Behandlung von seiten der Vorgesetzten. Bedauerlicherweise fehlt es den Mädchen an der Einsicht und dem Mut, sich dem Deutschen Tabakarbeiterverband anzuschließen. Auch in den Kammfabriken werden den jungen Mädchen Löhne gezahlt, die zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben sind. Dabei ist hier die Arbeit noch obendrein infolge der ungeheuren Staub entwicklung sehr gesundheitschädlich. Wohl ließe sich in dieser Hinsicht durch entsprechende Einrichtungen vieles bessern, doch den Unternehmern fommt es vor allem darauf an, möglichst großen Profit einzufäckeln. Vor diesem Bedürfnis macht die Rücksicht auf die Gesundheit wie auf das Menschentum der Arbeiterinnen Halt. Die Herren erleichtern dann hin und wieder ihr Gewissen durch eine Stiftung. So hat ein Kammfabrikant dem Katholischen Gefellenverein 1000 Mt. geschenkt, die besser zur Hebung der Arbeitsbedingungen seiner Lohnsflaven verwendet worden wären. In den Waschanstalten haben sich die Lohn- und Arbeitsbedingungen seit der Verdrängung der Kleinbetriebe verschlechtert. Auch hier werden vorzugsweise jugendliche Arbeiterinnen beschäftigt. An den Maschinen arbeiten 15 bis 16 jährige Mädchen nicht selten für einen Stundenlohn von 10 Pf. In der Hochsaison wird die Arbeitszeit in einzelnen Abteilungen bis 9 und 10 Uhr abends aus. gedehnt. Infolge der angestrengten Tätigkeit unter gesundheits. schädlichen Bedingungen, wie schneller Temperaturwechsel, Stehen in der Nässe, Einatmung von Gafen beim Bügeln usw. holen fich viele der Mädchen schon früh den Keim zur verheerenden Proletarierkrankheit, der Tuberkulose. Die Bemühungen der Gewerkschaften, die jugendlichen Arbeiterinnen aufzuklären und ihren Reihen zuzuführen, waren, bedauerlich genug, bis jetzt fast ganz erfolglos. Pflicht der Eltern wäre es, ihre Töchter zum Anschluß an die Drganiſation zu veranlassen. Nur die Macht der Gewerkschaft wird schließlich auch in Kreuznach der schier grenzenlosen Ausbeutung der weiblichen Arbeitskräfte einen Damm entgegensetzen. Aber dieser Erfolg ist nur möglich, wenn die ausgebeuteten Arbeiterinnen selbst sich der Organisation anschließen und deren Macht stärken helfen. Einmütiges Zusammenhalten hat den werktätigen Massen schon manche Verbesserung ihres dunklen Loses gebracht. Möchten auch die Kreuznacher Arbeiterinnen bald zu der Erkenntnis kommen, was ihnen not tut, und was ihnen zu helfen vermag. H. R.
Arbeiterversicherung.
Die Schädlichkeit der Zersplitterung der Krankenkaffen wird durch die Verhältnisse in der westfälischen Industriestadt Lüdenscheid erwiesen. Es bestehen dort nicht weniger als sieben Kassen. Folgende Tabelle für 1908 gibt einen Einblick in ihren Stand:
Name der Krankenkasse
Fabrifarb.- Ortstr.- R. HandwerkerBauhandw.
Mitglteber
Einnahme Ausgabe
Reserve Ertrant.. fonds fälle
7723 2695 227623 201028 120312 1205 41536 38710 28091 425 524 46683 33609 32792
492
Betriebskrankenkasse
Krantentasse f. Raufl.
496 448
Gemeindefrankenkasse Betriebs- Kr.- K. der Schmalspur- Eisenb.
888
12360 9095 18019
11563 27756 8629 12000 17750 7598
148
91
166
128
2557
48
Mölle
Summa 10912
6322 6322 361638 317611 231106 4065
Die Verwaltung dieser Kassen kommt nicht nur teurer zu stehen, dank der Zersplitterung, die für jede einen besonderen Verwaltungsapparat erforderlich macht, die Kassen selbst sind auch viel weniger leistungsfähig als eine einzige große Kasse sein würde, der be deutende Mittel zur Verfügung stünden. Weil die Kassen nur wenig bieten, so üben sie auch nur geringe Anziehungskraft aus. Die Beteiligung der Mitglieder an den Generalversammlungen läßt alles zu wünschen übrig. Die bevorstehende Reform der Reichsversicherungsordnung sollte der jetzigen schädigenden Zersplitterung der Kassen ein Ende machen. Die Vereinheitlichung müßte energisch von allen gefordert werden, die in der Versicherung ein ernstes Mittel der Fürsorge für die breitesten Schichten des Volkes erblicken. Die Stadtverordneten der ersten Klasse von Lüdenscheid werden von anderer Sorge gequält. Müssen im Falle einer Ver