Nr. 20
Die Gleichheit
schmelzung aller Krankenkassen des Ortes die in der Gemeindefrankentasse durch" Eparsamkeit" angesammelten 10000 Mt.„ einfach ausgeliefert werden"? Einer der Herren gedenkt durch ein Ersuchen an das Ministerium Entschädigung für die Gemeinde zu erlangen. Der Entwurf zur Reichsversicherungsordnung sieht leider eine Vereinheitlichung der Krankenkassen nicht vor. Statt dessen bringt er eine Verschlechterung: die Beseitigung des Selbstverwaltungsrechtes des Proletariats. Sache der Arbeiter selbst ist es, in fraftvoller Weise ihren Willen betreffs einer gründlichen Reform der Versicherungsgesetzgebung zum Ausdruck zu bringen. Die Bes fundung dieses Willens wird dem Auftreten der sozialdemokratischen Abgeordneten im Reichstag erhöhten Nachdruck verleihen. Die angeführten Einzelheiten beweisen, welches Interesse die Lüden scheider Arbeiterschaft daran hat, sich mit aller Kraft an der Agis tation für die Forderungen zu beteiligen, welche die sozialdemokratische Partei im Bunde mit den Gewerkschaften zu einer wirks lichen Reform der sozialen Gesetzgebung erhebt.
B. K.
Arbeiterinnen, lernt enre Rechte kennen! Wie wichtig es ist, daß die Arbeiterinnen mit den Rechtsansprüchen vertraut sind, die ihnen die Versicherungsgeseze geben, zeigt folgender Fall. Eine Arbeiterin trug Klee von dem Felde nach der Tenne. Auf dem Wege flog ihr eine Mücke ins Auge. Es trat dadurch eine Entzündung und nach mehrmaliger Operation eine Erblindung des Auges ein. Die Berufsgenossenschaft und auch das Schiedsgericht für Arbeiterversicherung wiesen die Rentenansprüche der Frau ab, weil sie von keiner Betriebsgefahr, sondern von einer Gefahr des gewöhnlichen Lebens betroffen worden sei. Den Mückenstich hätte sie auch anderswo erhalten können. Mücken tämen namentlich auf dem Lande überall vor, und jeder, sowohl im Freien wie auch im Hause, sei der Gefahr ihres gelegentlichen Eindringens ins Auge in gleichem Maße ausgesetzt. Das Reichsversicherungsamt sprach dagegen der Frau eine Unfallrente mit folgender Begründung zu: „ Erfahrungsgemäß werden gerade auf Kleefeldern Mückenschwärme häufig beobachtet. Die Verletzte ist außerdem dadurch, daß sie den Klee zu tragen hatte, behindert gewesen, die Mücken mit den Hän den abzuwehren. Sie ist mithin nicht nur an der Örtlichkeit, an der sie gearbeitet hat, der Gefahr einer Verletzung durch herumschwärs mende Mücken in erhöhtem Maße ausgesetzt gewesen, sondern es spricht auch die Wahrscheinlichkeit dafür, daß sie gerade durch die Art ihrer Arbeit an der Abwehr dieser Gefahr gehindert worden ist. Unter diesen Umständen war ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Unfall und Betrieb und demgemäß das Vorliegen eines entschädigungspflichtigen Betriebsunfalls anzuerkennen." k.
Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.
I. K. Größere politische Bewegungsfreiheit für die öfter reichischen Genosfinnen steht in Aussicht. Das Recht, polis tischen Vereinen als Mitglieder anzugehören, soll nach dem Beschluß des Verfassungsausschusses im österreichischen Abgeord netenhaus den Frauen eingeräumt werden. Zum Referenten für das Haus wurde Genosse Pernerstorfer bestimmt. Da die Vers treter aller Parteien dem Beschluß zugestimmt haben, so ist zu er warten, daß auch das Parlament ihm beitreten wird. Es ist zwar noch nicht lange her, da wurde im österreichischen Abgeordneten haus von einem deutschnationalen Abgeordneten der Ausspruch ge tan: Als die verabscheuungswürdigste aller Bewegungen er scheint mir die Frauenrechtsbewegung." Das war, als die große Demonstration der Wiener Genossinnen für das politische Vereins recht der Frauen stattfand. Heute aber sind wir so weit, daß wenigstens der Verfassungsausschuß das Recht der Frauen ein stimmig anerkannt hat, Mitglieder politischer Vereine zu sein. Man hofft, daß Genosse Pernerstorfer noch in dieser Session sein Referat wird erstatten können. Da aber im österreichischen Parlament nie etwas mit Bestimmtheit vorhergesagt werden fann, sind auch in diesem Falle Verzögerungen nicht ganz ausgeschlossen.
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a. p.
I, K. Heimarbeiterinnenorganisation in Desterreich. Der Zentralverein der Heimarbeiterinnen Osterreichs hat Ende Mai seine sechste Hauptversammlung abgehalten. Wenn wir hier darüber berichten, so tun wir es, um diese Organisation dem Verein der christlichen Heimarbeiterinnen in Deutschland gegen überzustellen. Wir wollen nicht von dem Unterschied reden, der zwischen der Vorsitzenden der österreichischen Heimarbeiterinnen organisation, unserer Genoffin Boschek, und dem Fräulein Behm besteht, das sich nicht scheut, die von ihr einberufenen Arbeiterinnen zur Demut anzueifern, und die vor„ hohen" Damen auf den Knien rutscht. Unsere Heimarbeiterinnenorganisation ist sozialdemokratisch; nicht nur die Leitung, auch die Mitglieder fühlen sich als Ges nossinnen. Ende 1907 hatte der Verein 1490 Mitglieder, um 993
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mehr als im Vorjahr. Die Mitglieder verteilen sich auf 10 Ortsgruppen in Wien und 18 in der Provinz. Die Mitglieder bezahlen einen Beitrag von 20 Heller in der Woche und haben Anspruch auf Arbeitsvermittlung, Krantenunterstüßung, Entbindungskostenzuschuß und Leichenkostenbeitrag. Die Wiener Mitglieder haben außerdem das Recht, eine Ärztin unentgeltlich zu konsultieren. Der Verein hat für diese Zwecke ausgegeben: Krankenunterstützung für 1908 und 1909 2937 Kronen, Entbindungskosten 552 Kronen, Leichentoften 570 Kronen, für außerordentliche Unterftützungen 437 Kronen, Ärztinnenhonorar 400 Kronen. Für die obligatorisch eingeführte ,, Arbeiterinnenzeitung" wurden 4697 Kronen ausgegeben, für die Versammlungsagitation 1312 Kronen, für die Bibliothek 530 Kronen. Zur Belehrung der Mitglieder fanden 220 Vereinsversammlungen, 534 Vereinsabende mit Vorträgen und 91 öffentliche Versammlungen statt. Aus der aus 1630 Bänden bestehenden Bibliothek wurden 2391 Entleihungen gemacht. Die Arbeitsvermittlung hat 798 Posten vermittelt, obwohl 1608 angemeldet waren. Leider konnte der Verein nicht alle Stellen besetzen, weil die Arbeitsvermittlung, die sich hauptsächlich auf Wien beschränkt, nicht für alle erledigten Pläge Arbeitsfräfte hatte. Das übel liegt darin, daß die Masse der Heimarbeiterinnen der Organi sation trotz ihres jahrelangen Wirkens noch fern steht. Die Mitglieder refrutieren sich zum großen Teile aus den Frauen und Töchtern solcher Arbeiter, die selbst in der Arbeiterbewegung stehen. Dant der Organisation fallen wohl ab und zu Streiflichter auf das nichtswürdige Ausbeutungssystem der Heimarbeit, da sie aber nur einzelne Frauen erfaßt, ist leider kein erfolgreicher Widerstand da gegen möglich. Das Groß der organisierten Heimarbeiterinnen Wiens besteht aus Frauen, die häusliche Dienste verrichten. Für sie hat der Verein schon manchen Vorteil erreicht. Die Arbeitsvermittlung übt Einfluß auf die Herabsetzung der Arbeitszeit und auf die Erhöhung der Löhne jener Frauen, denen sie Posten verschafft. Getragen ist der Verein von echt sozialdemokratischem Geiste, und man kann ihm das Zeugnis nicht versagen, daß er während der ganzen Dauer seines Bestandes merkliche Aufklärungsarbeit in den Schichten der arbeitenden Frauen vollbracht hat. a. p.
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Frauenstimmrecht.
Das kommunale Frauenwahlrecht vor dem brandenburgischen Städtetag. Vor kurzem wurde in Landsberg an der Warthe der brandenburgische Städtetag abgehalten, der sich auch mit der Reform des kommunalen Wahlrechts zu beschäftigen hatte. In seinem Referat zu dieser Frage forderte der liberale Stadtverordnete Gottschalt- Schöneberg, daß auch den Frauen das allgemeine, gleiche Wahlrecht zuerkannt werden solle. Dieses Verlangen wurde von Genossen Bernstein energisch unterstützt. Er wies darauf hin, daß sich die Entwicklung nicht aufhalten lasse. Diese aber dränge auf eine immer größere Beteiligung der Frau an den öffentlichen Angelegenheiten hin. Auch habe man überall, wo man den Frauen bisher das Wahlrecht gewährt habe, gute Er fahrungen damit gemacht. Zum Schlusse betonte Genosse Berns stein, daß sich der Verein für Frauenstimmrecht" an ihn mit dem Ersuchen gewandt habe, die Forderung zu unterstützen. Diese Ausführungen riefen den lebhaftesten Widerspruch der Versammlung hervor. Ein Sturm der Entrüstung brach gegen die ungeheuerliche Zumutung" los, das kommunale Frauenwahlrecht einzuführen. Eine Reihe bürgerlicher Vertreter polemisierte wegen seiner„ weit gehenden Forderungen" scharf gegen den Stadtverordneten Gottschalt. Noch größer war selbstverständlich die Empörung gegen Genossen Bernstein . Der Bürgermeister Werner- Kottbus suchte mittels einiger schlechter Wige der Versammlung möglichst rasch über die störende Angelegenheit hinwegzuhelfen. Einen besonderen Trumpf glaubte er mit der Befürchtung auszuspielen, daß durch die Einführung des Frauenwahlrechts eine Entmannung eintreten werde. Er schloß mit dem üblichen Rate, die Frauen sollten heiraten. Herr Werner macht es sich sehr bequem mit der Lösung sozialer Fragen von so tiefgreifender Bedeutung wie die Frauens frage. Aber gerade deswegen war sein bierbankmäßiges Wigeln nach dem Herzen der großen Mehrzahl der bürgerlichen Kommunal politiker, die am brandenburgischen Städtetag teilnahmen. Die Episode bestätigt wieder einmal, auf welch verbohrten Widerstand die Forderung der Frauenrechte in Deutschland noch stößt. Der liberale Herr Gottschalt ist im Lager seiner Parteifreunde bis sehr weit links hinüber ein weißer Rabe. Außer der Sozialdemokratie tritt nur das fleine Häuslein der Demokratischen Vereinigung ge schlossen für volle Bürgerrechte aller Frauen ein.
Ein parlamentarischer Erfolg des beschränkten Frauen. wahlrechts in England ist zu verzeichnen. Entgegen wieder