320
Die Gleichheit
-
holten Rongreßbeschlüssen der Arbeiterpartei" brachte der Arbeiter abgeordnete Shackleton eine Bill im englischen Unterhaus ein, die lediglich einer sehr beschränkten Zahl von Frauen das aktive Wahlrecht zum Parlament zugesteht. Die Bill besteht nur aus zwei Paragraphen, die folgendes bestimmen: Jede Frau, die einen eigenen Haushalt besitzt oder 200 Schilling Jahresmiete bezahlt, kann als Wählerin in die Wählerlisten eingetragen werden. Die Frau verliert durch ihre Verheiratung nicht ihr Wahlrecht, vorausgesetzt, daß sie nicht in Gütergemeinschaft mit dem Manne lebt und daß ihr eigener Besitzstand den Vorschriften des Wahlgesetzes entspricht. Wahlberechtigte Männer, die selten ihr Wahlrecht ausüben wie Matrosen und Soldaten, können es ihrer Frau übertragen. Die Bill fand bei der ersten Lesung eine Mehrheit, die sich weniger aus der Anhängerschaft für das Frauenwahlrecht erklärt, als aus den reaktionären Wirkungen, die eintreten müssen, wenn der Antrag Gesetzestraft erlangt. Der liberale Premierminister Asquith erflärte, die Regierung werde dem Unterhaus Gelegenheit geben, in zweiter Lesung über die Bill zu beraten und abzustimmen, jedoch werde sie auf die weiteren Beratungsstadien verzichten. Früher hat der Minister wiederholt versichert, daß der Regierung das beschränkte Frauenwahlrecht nicht demokratisch genug sei und daß sie eine demokratische Wahlrechtsreform plane. Es wäre an der Zeit, durch ihr Einbringen im Parlament den reaktionären Humbug des Damenwahlrechts endlich von der Bildfläche zu fegen.
Für die Verallgemeinerung des politischen Frauenwahlrechts in Norwegen hat sich das Konstitutionskomitee des Storthings mit 4 gegen 3 Stimmen entschieden. Die fonservativen Mit glieder dieses Ausschusses haben sämtlich dagegen gestimmt, so daß es noch sehr zweifelhaft ist, ob der betreffende Antrag im Storthing selbst eine Majorität findet.
Frauenbewegung.
Auguste Fickert+. Die österreichische Frauenbewegung hat eine ihrer hervorragendsten und verdienstvollsten Führerinnen ver loren. Auguste Fickert ist in Wien , 55 Jahre alt, am 9. Juni geforben. Mit jenem stacken, reinen Befeunermut, der sie zu allen Zeiten und in allen Verhältnissen ausgezeichnet hat, trat sie für tas Recht der Frau auf Bildung und Erwerbstätigkeit wie ihre volle staatsbürgerliche Gleichberechtigung ein, noch ehe daß es in Österreich eine organisierte Frauenbewegung gab. Sie trug ein gut Teil zur Zusammenfassung der zersplitterten Kräfte bei und wurde die Gründerin und Vorsitzende des„ Allgemeinen österreichischen Frauenvereins ", dessen Biele sie in einem fleinen, fast vergessenen Blättchen, Frauenrecht", vertrat. Mit Marie Lang und Rosa Mayreder zusammen rief sie dann die ,, Dokumente der Frauen" ins Leben und wurde Redakteurin dieser Zeitschrift, die sich literarisch wie sozialpolitisch von den meisten frauenrechtlerischen Publikationen vorteilhaft abhob und heute als Organ des„ Allgemeinen öster reichischen Frauenvereins " unter dem Titel erscheint:„ Neues Frauenleben". Bereits mit dem Tode ringend, hat Auguste Fickert noch die letzte Nummer des Blattes redigiert und ihr eine Erinnerung an Björnson beigesteuert. Die bürgerliche Frauenbewegung Öster reichs verdankt der Verstorbenen viele und wertvolle Anregungen; das frühe und energische Eintreten für das allgemeine Frauenwahlrecht ist nicht zum wenigsten ihr Verdienst. Das letzte größere praktische Werk, dem Auguste Fickerts Sorgen und Mühen galten, war die Gründung des Heimhofs", eines genossenschaftlichen Einküchenhauses, das erwerbende alleinstehende Frauen der häuslichen Lasten entheben und ihnen eine Stätte behaglichen Friedens bieten sollte. Innerhalb des frauenrechtlerischen Lagers stand sie stets auf der äußersten Linken, eine enthusiastische Kämpferin für geistige Freiheit und weiteste Demokratie, eine warmherzige Verfechterin aller Reformen, welche die Ausgebeuteten und Ünfreien heben und zu Schmieden ihres eigenen Geschickes machen können. Dem Jdeal nach, das ihre Seele mit Jnbrunst umfaßte, gehörte sie als Sozia listin zu uns. Trotzdem stand fie abseits von unseren Reihen, weil ihr Wesen sich der Erkenntnis von der schöpferischen, befreienden Rolle des Klassenkampfes verschloß. Wo dessen Stärke war, da war auch seine Schwäche. Auguste Fickerts Jdealismus konnte die Hoffnung nicht lassen, daß die Befreiung der Menschheit ohne Stlassentampf als Werk aller freiheitlich Gesinnten möglich sei. Nie hat sie sich gescheut, ihre Sympathien für die sozialistische Bewegung offen zu bekennen und in die Tat umzusetzen, der österreichischen Arbeiterinnenbewegung insbesondere ist sie stets eine herzliche Freundin gewesen. Als 1890 in Wien der Arbeiterinnenverein gegründet wurde, hat sie manchen Abend ihr bedeutendes Talent als Lehrerin und Erzieherin den jungen Genossinnen gewidmet, die sie in den Elementarfächern und in Literatur unter
Nr. 20
richtete. Vor einigen Jahren noch unternahm fie es, im Volfsheim zur Bildung der jugendlichen Arbeiterinnen Zusammenfünfte zu veranstalten, die von ihren geistigen Fähigkeiten belebt, von ihrer Herzensgüte erwärmt wurden. Wir müssen darauf verzichten, an dieser Stelle furz zusammenzufassen, was alles diese seltene Frau gewirkt hat, die, ein erhebendes Beispiel echter, aufrechter Menschs lichkeit, durch das Leben geschritten ist, mit vollen Händen spendend, was sie zu geben, zu sein vermochte. Stark im Geiste und rein im Charakter hat sie sich nie dem Unrecht, der Lüge gebeugt, auch dann nicht, wenn sie dabei alles aufs Spiel setzte. Als das christlich soziale Antisemitenregiment im Wiener Gemeinderat vorschrieb, daß alle Lehrer und Lehrerinnen ihre Schüler bei der Fronleichnamsprozession begleiten müßten, als um der Sicherung der Brotstelle willen dem Utas sich Männer fügten, die sich laut als Freidenfer bekannt hatten, trat Auguste Fickert aus der Kirche aus und erklärte sich als konfessionslos. An ihrem Grabe sprach kein Pfaff den Segen", aber trauernde Liebe umdrängte es in dichten Reihen. Die Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung riefen ihr Worte überquellender Dankbarkeit nach, Genosse Seit gedachte rühmend ihres Wirkens als Lehrerin, Genosse Pernerstorfer feierte ergreifend ihre mütterliche Persönlichkeit, und Genossin Popp dankte der großherzigen Förderin der Arbeiterinnenbewegung. So viel Gutes der Toten nachgesagt wurde, es war nicht zu viel gesagt. Auch wir grüßen in aufrichtiger Sympathie und Wertschätzung das Grab dieser Tapferen, Edlen und fügen den reichen Palmen, die es schmücken, diesen bescheidenen Immortellenkranz hinzu.
-
Verschiedenes.
Etwas Heiteres vou ochfenfröschlicher ,, Kultur" in Mecklen burg. Die Mütter der höheren Töchter" in Schwerin sind in großer Aufregung, weil die höchste der höheren Töchterschulen", ein Privatunternehmen, infolge finanzieller Schwäche eingehen soll. Für ihr Fortbestehen wirft sich ein bürgerlicher Zeitungsschreiber mächtig ins Beug. Er führt aus, daß das betreffende Institut mit allen Einrichtungen der Neuzeit ausgestattet sei und den Ansprüchen der Schülerinnen in jeder Weise genüge. Gespart werde einzig und allein am Gehalt der Lehrerinnen, doch diese entbehrten dies gern in dem erhebenden Gefühl, an einer mustergültigen Anstalt zu wirken". Die bescheinigte, vornehme und würdige Art der Sparsamkeit reicht offenbar nicht hin, um die Anstalt über Wasser zu halten. Ihr Eingehen möchten die Damen der besten Kreise verhüten, sie fürchten für die Bildung" ihrer Töchter, wenn diese eine der anderen höheren Töchterschulen besuchen sollten, wo sie übrigens genau dasselbe lernen wie in dem betreffenden Institut. Aber freilich, da wären sie mit jungen Mädchen zusammen, die nicht den allervornehmsten Kreisen Schwerins angehören. Diese Sachlage und den Aufruhr unter den höheren Töchtern kennzeichnet in geradezu tindisch- naiver Form ein Gedicht, das in einer bürgerlichen Zeitung veröffentlicht wurde. Drei junge Mädchen erlassen einen Aufruf an die Stadt. Sie entrüsten sich, daß man immerzu Geld in Fülle „ hat", um Straßen aufzureißen, während man eine Stätte folch blühender Kultur", wie eine höchste Töchterschule, mir nichts dir nichts ausschalte und nicht das Beste tue, um den Geist der Jugend zu bilden". Mit der letzteren Aufgabe hat es freilich seine Richtig teit. Doch müßte die Stadt dabei an ganz anderer Stelle an fangen: bei den Proletarierkindern, denen man nur die sehr dürftige, mit möglichst viel Religion und byzantinischer Fürstenverehrung durchseuchte Volksschulbildung angedeihen läßt. Da die jungen Damen ihren Notschrei" an die Stadt richten, scheinen sie der Ansicht zu sein, daß die kommunalen Gelder, die auch aus den Taschen der Arbeiter fließen, dazu da sind, um den Dünkel einer Kaste noch mehr zu fördern. Will die Stadt Gelder für Schul. zwecke bewilligen, so hätten in erster Linie solche Kinder Anspruch auf Berücksichtigung, denen die Eltern den Besuch einer Bürgeroder höheren Schule nicht ermöglichen können. Ihnen müßte vor allem Gelegenheit gegeben werden, sich Wissen und Bildung anzueignen. Im übrigen gestattet das Geschreibsel der Mädchen einen Schluß auf ihren Bildungsgrad. Es ist wirklich höchste Zeit, daß sich das Los des Schönen auf der Erde erfüllt" und solche Bildung einer wahrhaft edlen und sittlich höherstehenden Platz macht. Aus diesen höheren Töchtern gehen, wenn sie die Schule der Wohltätigkeitsfeste absolviert haben, unsere hiesigen bürgerlichen Frauenrechtlerinnen hervor. Kann man sich da noch über die geistigen Leistungen dieser Kämpferinnen" wundern, die sich schon in der Schule so glorreich mit Kommunalpolitik und Bildungsfragen beschäftigt haben. a. r. Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Betfin( Bundel), Wilhelmhöhe, Poft Degerloch bet Stuttgart .