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Die Gleichheit

und Lohnbewegungen. Die jungen Kollegen erhalten bis zum Ein­tritt der Vollberechtigung die Arbeiter- Jugend" und auf Wunsch auch den Textilarbeiter" gratis geliefert. Weibliche Jugendliche erhalten vom 16. Lebensjahre ab neben der Arbeiter- Jugend" die Gleichheit" an Stelle des Textilarbeiters", wenn der letztere bereits von einem Mitglied der Familie gelesen wird. Zu den von den Kartellen oder Bildungsausschüssen für die Jugend arrangierten Veranstaltungen sind die jungen Kollegen mit heranzuziehen. In den Verbandsbibliotheken ist nach Möglichkeit die Beschaffung einer besonderen Abteilung für Jugendschriften zu erstreben.

Die Arbeiterinnenfrage* wurde auch diesmal in einem be sonderen Referat behandelt. Dabei wurden Ratschläge und Finger­zeige zur Agitation und Organisation der Arbeiterinnen gegeben. Die großen und zahlreichen gesundheitlichen Schädigungen der Arbeiter in vielen Branchen der Industrie sollen, so wurde be­schlossen, durch die sozialpolitische Abteilung im Zentralvorstand fest­gestellt werden. Die in Frage kommenden Kollegen im Lande find entsprechend zu belehren, und es wäre dann später in geeigneter Weise mit Forderungen an die Gesetzgebung heranzutreten. Der weitgehende Schuh der englischen Textilarbeiter fann hierbei vor­bildlich wirken. Eine Fülle schreiender Mißstände in den Textil­fabriken brachte die Behandlung des letzten Punktes der Tages­ordnung zur Kenntnis der Versammlung. Das Strafsystem in Fabriken" ist eines der schmachvollsten Kapitel in der Geschichte des deutschen Textilkapitalismus. Da werden Arbeiterinnen mit 50 Pf. bestraft wegen Nießens, mit 90 Pf. wegen Lachens, mit 1 Wif. wegen Plauderns, mit 2 Mt. wegen Verbreitung eines Lauf­zeitels usw. Da werden Männer und Frauen gestoßen, geohrfeigt, mit Füßen getreten. Es wurden Lohnzettel vorgelegt, laut welchen in 11 Tagen 23,88 Mt. verdient wurden, aber 14,43 Mt. wurden nur ausgezahlt. Die Differenz entfällt auf Strafabzüge. Ein­stimmig wurde beschlossen, den Zentralvorstand zu beauftragen, das einschlägige Material dauernd zu sammeln und nach entsprechender Bearbeitung der Reichstagsfraktion und dem sozialpolitischen Aus­schuß der Generalfommission zuzustellen. Die Generalversammlung hat mit ihren Beschlüssen gute Arbeit geleistet. Sie stand durchaus auf der Höhe der Zeit. Mit sichtlichem Ernst und sachlicher Schärfe vertraten die Redner zu den einzelnen Fragen leidenschaftlich ihre Meinung, wissend, daß nur aus dem Kampfe der Meinungen die bessere Einheit geboren wird. Möge das immer so bleiben! H. Jäckel, Berlin .

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Die Mutterschaftsversicherung."

Referat, erstattet auf dem Außerordentlichen Gewerkschafts­fongreß zu Berlin von Gertrud Hanna .

Werte Genossen und Genossinnen! Wenn bei der Besprechung der Reichsversicherungsordnung auch die Frage der Mutterschafts­versicherung in einem besonderen Referat behandelt werden soll, so nicht etwa deswegen, weil der Entwurf hierüber umfangreiche Be­stimmungen enthält. Von den 383 Paragraphen, die die Kranken­versicherung regeln, behandeln nur ganze vier, die§§ 210 bis 213, die sogenannte Wochenhilfe, die man nicht etwa als Mutterschafts­versicherung bezeichnen kann, die man aber doch als Ansah dazu betrachten muß. Wenn trotzdem die Mutterschaftsversicherung einen besonderen Punlt der Tagesordnung bilden soll, so aus dem Grunde, weil wir gerade dieser Frage besondere Bedeutung beimessen, und weil es sich ja auf unserer Tagung nicht nur darum handeln soll, an dem Entwurf Kritit zu üben, sondern weil wir auch praktische Vorschläge machen, wie der Entwurf geändert werden müßte, um die Arbeiterversicherung wirklich nuhbringend für die Arbeiter­schaft zu gestalten, und weil wir diese Vorschläge eingehend be= gründen wollen,

* Wir werden in einer folgenden Nummer einen Auszug aus dem anregenden Referat dazu bringen, sowie einen Ueberblick über die Debatte, die sich daran knüpfte.

** Der Entwurf zum Reichsversicherungsgesetz hat die Arbeiterklasse zum Kampfe für ihre Interessen auf den Plan gerufen. Die Mutterschaftsver ficherung nimmt unter den zu erhebenden Forderungen einen wichtigen Platz ein. Es ist vor allem Aufgabe der Genossinnen, die Massen des weiblichen Proletariats über die Interessen aufzuklären, die in dieser Hin­ficht auf dem Spiele stehen, und über ihre Pflicht, die Forderungen nach­drücklichst zu unterstützen, welche die Sozialdemokratie und die Gewert schaften zum Schutze von Mutter und Kind vertreten. Das Referat der Genossin Hanna wird ihnen bei ihrer Aufklärungsarbeit gute Dienste leisten. 28ir empfehlen den Genoffinnen außerdem, zur Frage der Reichsversiche rung folgende Protokolle nachzulesen: Parteitag und Frauenkonferenz zu Wiünchen, Frauenkonferenz zu Mannheim , Parteitag zu Leipzig , Außer ordentlicher Gewerkschaftstongreß zu Berlin .

Nr. 21

Daß eine Mutterschaftsversicherung notwendig ist, darüber herrscht in den Reihen der Sozialpolitiker und Hygieniker nur noch eine Meinung. Die Gesundheitsverhältnisse in der Arbeiterschaft, die schweren Frauenkrankheiten und namentlich die folossal hohe Säuglingssterblichkeit machen die Frage einer Mutterschaftsversiche rung geradezu zu einer brennenden. Nach dem Statistischen Jahr­buch von 1908 famen in Deutschland auf 100 Lebendgeborene im ersten Jahre 18,5 Sterbefälle. Deutschland steht mit dieser Zahl unter den europäischen Ländern nahezu an erster Stelle, es wird nur von Österreich und Rußland übertroffen. In Österreich be­trägt die Zahl 21, in Rußland sogar 27; in den übrigen euro­ päischen Ländern stellt sich die Sterblichkeit der Säuglinge wie folgt: Luxemburg weist pro 100 Lebendgeborene im ersten Jahre 16,7 Sterbefälle auf, Italien 16,6, Belgien 14,6, Frankreich 14,3, die Schweiz 12,7, Dänemark 12,1, England und Wales 11,8, Jr­land 9,5, Schweden 8,4 und Norwegen 8,1. Diese hohe Sterblich­feit in Deutschland gegenüber den anderen Staaten ist nun nicht etwa eine Folge der besonderen klimatischen Verhältnisse, sondern sie ist zurückzuführen auf die wirtschaftlichen Verhältnisse. Das wird vor allem dadurch bewiesen, daß der Grad der Sterblichkeit in den einzelnen Bezirken Deutschlands verschieden ist. Er ist in den Gegenden mit vorwiegender Arbeiterbevölkerung am höchsten. So beträgt zum Beispiel die Sterblichkeit in den Weberdistrikten Schlesiens, in Hirschberg, Landshut , Waldenburg bis zu 40 auf je 100 Lebendgeborene im ersten Jahre, und in den Industriebezirken Sachsens , in Glauchau , Annaberg , Zwickau , Chemnitz 30 bis 37 Prozent. Dieselbe Beobachtung können wir auch innerhalb der ein­zelnen Städte machen. So ist zum Beispiel festgestellt, daß in Berlin und seinen Vororten, je nachdem die Arbeiterbevölkerung vorwiegt oder nicht, die Säuglingssterblichkeit höher oder geringer ist. Sie betrug in Weißensee 31,90, in Britz 29,34, in Lichtenberg 25,11, in Lichterfelde 16,42, in Charlottenburg 14,5, in Dahlem , einem westlichen Billenort, 6,67 auf je 100 Lebendgeborene. Gegen­über der Sterblichkeitsziffer dieses Ortes ist die in den Arbeiter­distrikten vier bis fünfmal so hoch. Diese hohe Sterblichkeit gerade in den Arbeiterbezirken ist in der Hauptsache zurückzuführen auf die Erwerbsarbeit der Frauen, namentlich auf die Tatsache, daß die Frauen im schwangeren Zustand gezwungen find, bis zur letzten Minute vor der Niederkunft erwerbstätig zu sein und außer­dem selbstverständlich die Hausarbeit zu verrichten, die ja den meisten erwerbstätigen Frauen neben ihrer Erwerbsarbeit ebenfalls obliegt. Diese Beschäftigung bis zum letzten Augenblick vor der Niederkunst bildet eine Gefahr sowohl für die Frau selbst als auch für das werdende Kind. Die Tatsache ferner, daß die Frau durch die Verhältnisse gezwungen wird, sobald es nur irgend möglich ist, nach der Entbindung wieder die Erwerbsarbeit aufzunehmen, ist darum so besonders schädigend für das Kind, weil der Mutter dann die Möglichkeit genommen ist, die für das Kind, wenigstens für die ersten Monate, wichtigste Nahrung, die Muttermilch, ihm zu geben. Es ist von Arzten festgestellt, daß für Kinder im zarte­sten Alter wichtiger als Pflege die natürliche Nahrung, die Mutter­brust ist.

Die Todesursachen bei Kindern im ersten Jahre sind vorwiegend Magen- und Darmkrankheiten, und zwar sind diese Krankheiten namentlich zu konstatieren in den Monaten Juli, August und Sep­tember. Die Sterblichkeit ist in diesen Monaten doppelt so hoch bei Kindern, die im April, Mai und Juni geboren sind, als bei den in anderen Monaten geborenen. Die Sterblichkeit bei Kindern, die die natürliche Nahrung genießen, ist, wie statistisch festgestellt, nur halb so hoch als bei Kindern, die künstliche Nahrung erhalten. Seit der Zeit, bis zu welcher Aufzeichnungen über die Säuglingssterb­lichkeit überhaupt zurückreichen, feit ungefähr 100 Jahren, sind auf hygienischem Gebiet große Fortschritte zu verzeichnen, und diese Fortschritte haben erfreulicherweise auf die Gesundheitsverhältnisse und die Sterblichkeitsziffer im allgemeinen günstig eingewirkt. Früher starben im Alter von 1 bis 5 Jahren genau soviel Kinder, ja es war sogar die Sterblichkeit in diesem Alter höher als bei Kindern im ersten Jahre. Die Fortschritte auf hygienischem Ge biet haben es nun dahin gebracht, daß die Sterblichkeit bei Kin­dern im Alter von 1 bis 5 Jahren auf die Hälfte zurückgegangen ist. Troß dieses Fortschritts ist aber die Säuglingssterblichkeit die­selbe geblieben. Bei der ständig steigenden Zahl erwerbstätiger Frauen, über die uns die Berufs- und Gewerbezählungen Aufschluß geben, schwindet für die Mütter immer mehr die Möglichkeit, den Kindern die wichtigste Nahrung zuzuführen, und deshalb ist es un bedingt notwendig, dieser Gefahr, die darin für die allgemeine Voltsgesundheit liegt, durch einen ausreichenden Mutterschutz ent­gegenzuwirken. Die Säuglingssterblichkeit ist in den Ländern am geringsten, wo die Mütter in der Lage sind, die Kinder in der