Nr. 21

Die Gleichheit

ersten Zeit selbst zu säugen. Nur Rußland   macht hierbei eine Aus­nahme. Es steht, was die Säuglingssterblichkeit anbetrifft, an erster Stelle. Aber während in anderen europäischen   Ländern diese Sterblichkeit in den Sommermonaten am höchsten ist, ist dies in Rußland umgefehrt in den Wintermonaten der Fall, und zwar gerade in den ländlichen Bezirken, trotzdem überall dort die Mütter noch am ehesten Gelegenheit haben, ihre Kinder selbst zu stillen. Daß in Rußland   ein solches Resultat fonstatiert werden muß, liegt einmal an den Klimatischen Verhältnissen und zweitens daran, daß dort in den Wintermonaten der Hungertyphus eine periodische Erscheinung ist. Ich weise hierauf besonders hin, weil die Ver­hältnisse Rußlands   bei der Beurteilung der Gesamtverhältnisse ausscheiden, da hier andere Ursachen den Grad der Säuglingssterb lichkeit bestimmen.

Was nun der Entwurf der Reichsversicherungsordnung bringt, fann als ein ausreichender Mutterschutz nicht bezeichnet werden. Die Bestimmungen, die darüber enthalten sind, sind nicht imstande, einen nennenswerten Einfluß auf die Gesundheitsverhältnisse der Bevölkerung auszuüben. Ich sagte schon, nur vier Paragraphen beschäftigen sich mit der Mutterschaftsversicherung, und wenn wir den§ 218, der die Familienhilfe behandelt, mit hinzurechnen, so find es ganze fünf. Das wäre an sich kein Fehler, wenn nur die Bestimmungen dieser fünf Paragraphen derart wären, daß sie uns genügen tönnten. Aber was die Paragraphen bringen, ist eben feineswegs geeignet, einen Einfluß auf die Gesundheisverhältnisse auszuüben. Der§ 210 sieht zum Beispiel vor, daß an Wöchne­rinnen, die innerhalb eines Jahres, vom Tage der Niederkunst an gerechnet, sechs Monate hindurch einer auf Grund des Gesetzes er­richteten Kasse angehört haben, eine Unterstügung in Höhe des Krankengeldes auf die Dauer von acht Wochen bezahlt werden muß. Zwei Wochen von dieser Unterstützung können auf die Zeit vor der Entbindung fallen, so daß also eine wirkliche Wöchnerinnen­unterstützung nur auf die Dauer von sechs Wochen in Frage kom men würde. Diese Bestimmung des§ 210 entspricht nun dem § 137 der Gewerbeordnung, der ja ein Beschäftigungsverbot für Wöchnerinnen auf die Dauer von acht Wochen enthält, von denen mindestens sechs Wochen auf die Zeit nach der Niederkunst ent­fallen müssen. Der§ 212 gibt den Kassen das Recht, für die durch Schwangerschaft verursachte Erwerbsunfähigkeit eine Unterstützung in Höhe des Krankengeldes auf die Dauer von sechs Wochen zu gewähren. In diese sechs Wochen können die zwei Wochen von der Wöchnerinnenunterstüßung eingerechnet werden, die für die Zeit vor der Niederkunft gezahlt worden sind. Die Kassen können ferner ein Stillgeld auf die Dauer von zwölf Wochen nach der Entbindung gewähren, und zwar in Höhe der Hälfte des Kranken­geldes.

Einen wirklichen Mutterschutz bedeuten diese Bestimmungen nicht. Vor allem müssen wir verurteilen, daß den weiblichen Kassenmit­gliedern kein Recht auf Schwangerschaftsunterstützung gegeben ist. Es heißt in den Bestimmungen, die Krankenkassen können gewähren, und es wird jedesmal von der Einsicht der Krankenkassenvorstände abhängen, inwieweit sie diese Bestimmungen in das Statut hinein bringen. Wir konnten die Erfahrung machen, daß, troßdem auch nach dem jetzt geltenden Krankenversicherungsgesetz die Kranken­faffen die Möglichkeit haben, Schwangerenunterstützung zu zahlen, verhältnismäßig wenig Kaffen von diesem Recht Gebrauch gemacht haben. Deshalb müssen wir verlangen, daß die Reichsversicherungs­ordnung es nicht in das Belieben der Krankenkassenvorstände stellt, derartige Unterstützungen zu gewähren, sondern daß den Mitgliedern Der Krankenkassen ein Rechtsanspruch darauf gegeben wird.

Ferner ist nicht einzusehen, warum nicht allen weiblichen Kranken­faffenmitgliedern eine Wöchnerinnenunterstützung zuteil werden soll. Der Entwurf sieht ebenso wie das bestehende Gesez vor, daß nur solche ein Recht darauf haben, die innerhalb eines Jahres vom Tage der Niederkunft an gerechnet sechs Monate hindurch einer Krankenkasse angehört haben. Daß derartige Bestimmungen auch in den Entwurf der Reichsversicherungsordnung hineingekommen sind, liegt daran, daß zum großen Teile noch die Ansicht verbreitet ift, ein normal verlaufendes Wochenbett und die Erwerbsstörungen, die durch Schwangerschaft hervorgerufen sind, gelten nicht als Krank­heiten im Sinne des Gesetzes. Nun macht aber auch ein normal verlaufendes Wochenbett für einige Zeit erwerbsunfähig, und es fann nach meiner Meinung eigentlich nur eins geben: entweder ein normal verlaufendes Wochenbett und die durch Schwangerschaft hervorgerufenen Erwerbsstörungen sind keine Krankheit, und dann dürfen die Krankenkassen überhaupt nicht zur Unterstüßung heran­gezogen werden, oder aber sie gelten als Krankheit, und dann müßten die Krankenkassen auch verpflichtet werden, Unterstüßungen zu leisten, und zwar ohne irgendwelche Einschränkung. Diese Unterstützungs­

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verpflichtung wird nun aber schon nach den gegenwärtig geltenden Bestimmungen des Krankenversicherungsgesetzes anerkannt, denn die Gewährung einer Wöchnerinnenunterstüßung gehörte ja bisher schon zu den Mindestleistungen der Krankenkassen, wenigstens der organi­fierten Krankenkassen. Dadurch ist festgestellt, daß derartige Erwerbs­störungen zu den unterstützungsverpflichteten Krankheitserscheinungen gehören, und darum müssen wir auf Beseitigung der beschränken­den Vorschriften dringen und müssen verlangen, daß die weiblichen Krantenfassenmitglieder einen Rechtsanspruch auf diese Unterstützung ( Schluß folgt.)

haben.

Von der sozialdemokratischen Frauen­bewegung in der Schweiz  .

I. K. Der Schweizerische Arbeiterinnenverband hat in Zürich   eine Delegiertenversammlung abgehalten, zu der 11 Sek­tionen 24 Vertreterinnen entsandt hatten, und die außerdem von Mitgliedern der Verbandsleitung und verschiedenen Gästen besucht war. Der Verband zählt gegenwärtig in 13 Sektionen rund 850 Mitglieder und macht leider nur langsame Fortschritte.

Der Schweizerische Arbeiterinnenverband ist eine eigenartige Organisation. Er ist zu gleicher Zeit politischer, gewerkschaftlicher und genossenschaftlicher Natur. Da nun unter seinen Mitgliedern nicht nur jede Art von Fabrik- und Heimarbeiterinnen, sondern auch Arbeiterfrauen, Dienstmädchen und Kellnerinnen vertreten find, so hält es natürlich schwer, allen Interessen gerecht zu werden. Diesen eigentümlichen Verhältnissen, die Berücksichtigung heischen, trägt das Verbandsstatut Rechnung, das folgendermaßen formuliert ist:§ 1. Zweck des Arbeiterinnenverbandes ist, die in der Schweiz   bestehenden Arbeiterinnenvereine zusammenzufassen und an den Aufgaben der gewerkschaftlichen, genossenschaftlichen und politischen Arbeiterbewegung mitzuwirken. Dieser Zweck soll erreicht werden: a. durch rege Agitation an den Orten, wo Sektionen bereits bestehen, und zwar durch das Mittel der Presse, durch Vorträge und durch persönliche Agitation; b. durch Gründung neuer Set­tionen an den Orten, wo sich noch keine solchen vorfinden."

Ende 1908 waren von 203559 organisationsfähigen Frauen, welche die amtliche Betriebszählung feststellt, nur 5772 Mitglieder der freien Gewerkschaften, die nicht mitgerechnet, welche dem Arbeite rinnenverband angehören, also keine 3 Prozent. Heute dürfte der Prozentsatz allerdings etwas höher sein. Bis vor wenigen Jahren gehörte der Arbeiterinnenverband dem Schweizerischen Gewerk­ schaftsbund   an. Als jedoch dieser bei seiner letzten Reorgani sation den reinen Gewerkschaftscharakter einer Organisation als erste Vorbedingung der Zugehörigkeit aufstellte, mußte der Arbeiterinnen­verband ausscheiden. Er wurde dadurch des Rückhaltes an einer stärkeren Organisation beraubt, dessen er sehr bedurfte. Seit jener Zeit steht der Arbeiterinnenverband mit dem Gewerkschaftsbund nur durch das Arbeiterinnensekretariat in Verbindung, das eine Ein­richtung des Bundes ist. Der Arbeiterinnenverband leistet einen jährlichen Beitrag zur Deckung der Kosten des Sekretariats und ist in der Aufsichtskommission vertreten. Der Arbeitersekretärin, Genossin Walter, liegt neben der Agitations- und Organisations­arbeit für die Gewerkschaft auch die Redaktion der Vorkämpferin" ob, sowie die Agitation zugunsten des Arbeiterinnenverbandes.

Das Streben der organisierten Genossinnen ist darauf gerichtet, die materielle Möglichkeit für die Anstellung einer eigenen Sekretärin zu beschaffen, die ihre ganze Kraft dem Arbeiterinnenverband und der Redaktion der Vorkämpferin" widmen soll. Die hierfür nötigen finanziellen Mittel hätte die Vorkämpferin" zu liefern. Die Zahl ihrer Abonnenten beträgt allerdings heute nicht mehr als 1700, allein es besteht die Hoffnung, daß ihr fester Leserkreis sich auf 10000 erweitern könne. Würde die Redakteurin der Vorkämpferin" von ihrer gewerkschaftlichen Tätigkeit entbunden, so könnte die Zeitung statt wie bisher alle Monate, alle vierzehn Tage erscheinen. Dies wäre wiederum für die weitere Entwicklung des Verbandes von Vorteil.

Der sozialdemokratischen Partei gehört der Arbeiterinnenverband insofern mittelbar an, als seine Sektionen Glieder der lokalen Arbeiterunionen( Gewerkschaftskartelle) sind, die ihrerseits der nach Kantonen organisierten sozialdemokratischen Partei angeschlossen sind. In Form von Beiträgen an die Arbeiterunionen zahlen die Genoffinnen gleich den Genossen ihre Beiträge an die Partei. Sie beteiligen sich an allen Aktionen der Arbeiterunionen, zum Beispiel an der Maifeier. Doch es muß gesagt werden, daß leider gleichen Pflichten keineswegs gleiche Rechte entsprechen. Nur wenige Ar­beiterunionen wählen weibliche Vorstandsmitglieder, wie auch wenige Gewerkschaften, die eine größere Anzahl weiblicher Mitglieder haben,