Nr. 21
Die Gleichheit
Eine Dienstbotenorganisation ist vor kurzem in Halle a. S. gegründet worden. Die erste Versammlung, in der Genossin Baar= Berlin sprach, war leider nur schwach besucht, weil widrige Umstände die Vorbereitungsarbeiten ungünstig beeinflußt hatten. Für die zweite Versammlung wurde eine lebhafte Agitation entfaltet. Der Besuch war infolgedessen ein sehr guter. Arbeitersekretär Kleeis beleuchtete die rechtliche und soziale Stellung der Dienst Loten und betonte die Notwendigkeit ihrer Organisierung. Zu einer dritten Versammlung, die wiederum gut besucht war, hatten sich auch Vertreterinnen des bürgerlichen Hausfrauenbundes eingefunden. Eie verschwanden jedoch, als sie in der Diskussion ihre Sache verloren geben mußten. Das Referat hatte die Unterzeichnete übernommen. Bald darauf bot ein Kränzchen Gelegenheit zu lebhafter Agitation unter den Hausangestellten, die sich in größerer Anzahl freudig dem Verband anschlossen. So zählt die Ortsgruppe nach faum fünfwöchigem Bestehen bereits 45 Mitglieder. Mit ihrer Leitung wurde die Unterzeichnete betraut, der einige rührige Ge nossinnen zur Seite stehen. Wir hoffen, daß sich noch mehr organi fierte Frauen und Mädchen für die Mitarbeit zur Verfügung stellen werden. Joh. Rühle.
Frauenstimmrecht.
Ter Wahlrechtskampf in Dänemark . Nach der dänischen Verfassung steht allein den Männern, die das 30. Lebensjahr überschritten haben, das Wahlrecht zu den gesetzgebenden Körperschaften zu. Wie die Frauen, so sind auch die Männer unter 30 Jahren davon ausgeschlossen. Eine Wahlrechtsreform wird durch die Ver fassung äußerst erschwert. Diese bestimmt nämlich, daß Abänderungen des Grundgesetzes nur dann Gültigkeit erlangen, wenn sie sowohl vom Folksthing( Unterhaus) als vom Landsthing( Oberhaus) in zwei Eessionen beschlossen worden sind, von denen die zweite nach der Neuwahl zu der betreffenden Kammer liegen muß. Die sogenannte Reformpartei, die einige Jahre am Ruder war, hatte sich, als sie sich noch in der Opposition befand, für das allgemeine und da mit auch das Wahlrecht der Frauen erklärt. Sie scheint jedoch nichts mehr von diesen Forderungen wissen zu wollen, seit sie in der Hauptsache mit dem Flügel des Landsthings zusammengeht, der seine Machtstellung dem bestehenden Wahlrecht dazu verdankt, das ein Vorrecht für den Besitz schafft. Im Oftober 1909 gelangte infolge der Zersplitterung der übrigen bürgerlichen Fraktionen die radikale Linke zur Regierung. Zusammen mit dieser Partei brachte die Sozialdemokratie in der letzten Reichstagssession, die mit den Neuwahlen im Mai des laufenden Jahres ihren Abschluß fand, den Entwurf einer Wahlrechtsreform ein. Diese Vorlage sieht die Ausdehnung des Wahlrechts auf alle Volljährigen vor, also auch auf die Frauen und die Dienstboten. Die Volljährigkeit tritt jetzt mit dem 25. Lebensjahr ein. Durch die Herabsetzung des Mündigdes feitsalters könnte also das Wahlrecht ohne Verfassungsänderung weiter ausgedehnt werden. Ferner forderte der Entwurf die Aufhebung aller Vorrechte, mit denen das Wahlrecht zum Folksthing noch verknüpft ist, und die Einführung der direkten Wahl und des Proporzes zum Landsthing. Der Entwurf gelangte zur parla mentarischen Behandlung, und in der ersten Lesung wurder vers schiedene Zugeständnisse an die geforderten Neuerungen in Aussicht gestellt. Aber schließlich verbündeten sich die Konservativen und die Delegationsparteien( ein Block der Reformpartei und der beiden gemäßigten Gruppen der Linken), um zusammen jede wesentliche Abänderung des Grundgesetzes abzuwehren. Der Krebsschaden der dänischen Verfassung ist selbstverständlich der Landsthing, der auf einem Privilegienwahlrecht beruht. Diese Körperschaft erweist sich als Hemmschuh jeden Fortschritts. Gegen sie müßten alle politisch fortschrittlichen Elemente sich zum Kampfe zusammenschließen, einen Kampf, den die Sozialdemokratie begrüßen würde. Trotzdem gingen die Delegationsparteien mit den Konservativen. Die Volksmassen suchten sie durch einen schon oft angewandten Kunstgriff zu betrügen: sie stellten ein Schaugericht von Reformen auf. Für den Folksthing forderten sie die Herabsetzung des Wahlrechtsalters auf 25 Jahre und die Einführung des Frauenwahlrechts. Dagegen sollte der Landsthing unangetastet bestehen bleiben. Sie formulierten ihren Antrag jedoch nur in dem sicheren Bewußtsein, daß er vom Landsthing ebenso abgelehnt werden würde wie der viel weitergehende der Cozialdemokraten und Radikalen. So erwarben sie sich den Heiligenschein des Radikalismus, ohne sich in den Augen ihrer reattionären Verbündeten im Landsthing zu kompromittieren. Die Delegationsparteien möchten nicht gegen den Landsthing fämpfen, obgleich ein solcher Kampf unvermeidlich ist. Der Landsthing wird jede Erweiterung des bestehenden Wahlrechts verwerfen. Die Folge davon müßte die Auflösung des Landsthings
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selbst sein, auch die 12 Mandate sollten dann erlöschen, deren Träger vom König ernannt werden und die sich meist in den Händen von Konservativen befinden. Den Weg der Auflösung wollen jedoch die Delegationsparteien nicht beschreiten, während die Sozialdemokraten und die Radikalen ihn zu gehen entschlossen find. Möglicherweise würde eine einmalige Auflösung des Landsthings nicht genügen, um eine Majorität für eine ernste Wahlrechtsreform zu schaffen. Die Auflösung müßte eventuell so lange wiederholt werden, bis es gelänge, der Forderung zum Siege zu verhelfen. Will man jedoch einen solchen Kampf aufnehmen, so wäre es ganz verkehrt, ihn auf die Erweiterung des Wahlrechts zum Folksthing allein zu beschränken und den Landsthing bestehen zu lassen. Dant der gekennzeichneten Situation nahm der Foltsthing nur den bedeutungslosen Antrag der Delegationsparteien an. Der einzige Fortschritt dabei liegt in der prinzipiellen Anerkennung des Frauenwahlrechts; das ist festzuhalten, wenngleich man nicht ohne weiteres annehmen darf, daß für das Frauenwahlrecht auch fünftig alle stimmen werden, die jetzt dafür eingetreten sind. Es kam ja den Delegationsparteien durchaus nicht darauf an, die Erweiterung des Wahlrechts zu sichern, für sie handelte es sich vor allem darum, den Sieg des allgemeinen Wahlrechts für Reiche und Arme, für Frauen und Männer zu verhindern. Nach der Abstimmung über diese Anträge wurde der Folksthing aufgelöst. Die Frage der Verfassungsänderung stand bei den Neuwahlen im Mai mit im Mittelpunkt des Kampfes. Die Parole der Sozialdemokraten und Radifalen war das gleiche und allgemeine Wahlrecht, das bei den anderen Parteien nur offene oder versteckte Feinde und laue Freunde hat. Die Komödie im Parlament hat vielen Wählern die Augen geöffnet über die wahren Gefühle der Delegationsparteien für das Frauenstimmrecht und jeglichen politischen Fortschritt. Die Wahlen ergaben trotzdem noch keine absolute Mehrheit für das allgemeine Wahlrecht. Die Delegationsparteien erhielten mehr als die Hälfte aller Mandate und werden deshalb voraussichtlich wieder zur Regierung gelangen. Den Kampf gegen die Konservativen, ihre Blockbrüder bei den Wahlen, werden sie jedenfalls nicht aufnehmen. Das bedeutet, daß sie auch nicht ernstlich für eine weitgehende Demokratisierung des Wahlrechts eintreten werden. Im Gegenteil: es wird ihr Bestreben sein, die nötige Wahlrechtsreform möglichst zu verschleppen und damit auch den Zeitpunkt hinauszuschieben, wo das Unrecht gegen die Frauen fällt. Die Sozialdemokratie wird ihre Forderungen aufrechterhalten und das Verständnis dafür unter den breitesten Wählermassen zu wecken suchen. In drei Jahren ist wieder Wahltag. Die Sozialdemokratie hofft, daß dann die Verfechter des allgemeinen Wahlrechts die Majorität erhalten werden. Ist das der Fall, so hebt der entscheidende Kampf mit dem Lands= thing an. Sein Ausgang muß früher oder später der Sieg des allgemeinen Wahlrechts für alle Großjährigen sein.
Ueber die Einführung des beschränkten Frauenwahlrechts in England wird das Parlament in zweiter Lesung verhandelt haben, wenn diese Nummer erscheint. Die neuerliche Erörterung des betreffenden Antrags Shackleton ist durch zwei Vor= besprechungen vorbereitet worden, die von Freunden der undemokratischen Neuerung im Unterhaus abgehalten worden sind: die eine von Angehörigen aller politischen Parteien, die andere nur von liberalen Abgeordneten. Das Ergebnis der Aussprachen war, daß alles aufgeboten werden müsse, damit die zweite parlamentarische Beratung des Antrags Shackleton zu Ende geführt und dieser einer besonderen Kommission überwiesen werde, statt dem gesamten Hause, das sich für den Zweck als Kommission konstituieren würde. Die frauenrechtlerischen Organisationen, die für das Damenwahlrecht fämpfen darunter auch die Vereinigung männlicher Vorkämpfer für das Frauenstimmrecht, entfalten im Lande eine sehr rührige Agitation zur Unterstützung des Antrags. Die letztgenannte Organis sation hat den Ministerpräsidenten in einem Brief aufgefordert, dafür einzutreten, daß die Regierung der Einführung des beschränkten Frauenwahlrechts teine Schwierigkeiten entgegensetzen möge, falls der Antrag Shackleton eine Mehrheit finden werde.
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