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Die Gleichheit

Kämpfen entgegengeht; das alles aber am Vorabend des Auf marsches zu Reichstagswahlen, die mehr als jede anderen vor ihnen im Zeichen der Sammlungspolitik der bürgerlichen Parteien stehen werden; furz, in einer Situation, wo es just im höchsten Maße jener Einheitlichkeit und Geschlossenheit des Willens zum Handeln, zur Machtentfaltung bedarf, der die reiffte Frucht der Einheitlichkeit der Erkenntnis, der grundsätz­lichen Stellung zur kapitalistischen Gesellschaft ist.

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Mit dem Hinweis auf die besonderen politischen Verhält niffe" in Baden haben die meuternden Genossen ihr Verhalten zu rechtfertigen gesucht. Wir kennen die Weise, wir kennen den Text!" Es sind die Worte, die sich immer zur rechten Zeit einstellen, wenn die scharfen, unbeugsamen sozialdemokras tischen Begriffe fehlen. Welches sind denn die politischen, die sozialen Wirklichkeiten, die hinter den vielberufenen besonderen" politischen Verhältnissen stehen? Ist es etwa ein Zuschnitt des Budgets in seiner Gesamtheit oder in seinen wesentlichen, be­stimmenden Teilen, der dem badischen Staat auch nur den Schein des Odiums als kapitalistischer Klassenstaat abnehmen würde? Oder die Freudigkeit zu großzügiger Reformarbeit, die Regierung und Nationalliberale im Bunde bekundet hätten? Nichts von alledem! Die sozialdemokratischen Budgetbewilliger fönnen sich nicht einmal auf die Ausnahmesituation berufen, die ihnen durch die Notwendigkeit bereitet worden wäre, durch ihre Zustimmung ein für die Arbeiterklasse ungünstigeres Budget" abzuwehren. In seiner ganz nackten, abschreckenden Häßlichkeit tritt der kapitalistische Klassenstaat auch in dem badischen Budget und in der Politik der Regierung und der Liberalen in Erscheinung.

Als die besonderen" politischen Verhältnisse entpuppen sich zunächst die Ängste unserer Genossen um die gesicherte Minister existenz des Herrn v. Bodman , ausgerechnet des nämlichen Herrn, der fast in einem Atemzug den Sozialdemokraten zuerst die staatsbürgerliche Gleichberechtigung absprach und ihnen dann im Kampfe um eine reaktionär verschandelte Gemeinde ordnungsreform und sein Amtsportefeuille einige banale Worte über den berechtigten Kern" ihrer Bewegung zuwarf, unter ausdrücklicher schärfster Verwahrung gegen das, was die Sozialdemokratie erst zur Sozialdemokratie macht. Diesen Worten scheinen nichtsdestoweniger die sozialdemokratischen Landtags abgeordneten mehr Bedeutung beizumessen als den tatsächlichen politischen Zuständen, welche auch in Baden von der indu­striellen Entwicklung geschaffen und beherrscht werden, Zustände, deren Wellen Herrn v. Bodman als Minister heben und ver schlingen, ohne daß er ihrem ewigen Strom Halt zu gebieten vermöchte. Aus diesen Worten schöpfen sie die Hoffnung auf eine Regierung, die sich welch himmlische Gnade!- wahrschein lich mit dem Großblock abfinden" würde. Kann man bes fcheidener sein, als es diese Realpolitiker" sind, denen angebs lich der Sperling des politischen Einflusses, den ihnen bürger liche Bundesgenossenschaft in die Hand drückt, lieber ist, als die grundsätzliche Taube schärfster Opposition gegen den Kapita­lismus auf dem Dache, als jene Opposition, welche die Massen als Macht zusammenschweißt und schult. Unsere Realpolitiker" begnügen sich ja hier in Wirklichkeit mit ein paar Sperlings federn von gläubigen Erwartungen, von frommen Wenn und Aber!

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Denn gesetzt sogar den Fall, dieses ersehnte Abfinden" würde Ereignis, was wäre für die Sozialdemokratie, was für das Proletariat damit gewonnen? Der vielbesungene badische Groß­block" hat die parlamentarische Zentrumsherrschaft gebrochen, er hat jedoch dem Proletariat auch nicht eine große entscheis dende Reform gebracht. Ob Zentrümler oder Nationalliberale am Staatsruder und an der Staatskrippe fizen, ist für die Arbeiter­tlaffe gehupft wie gesprungen. Die sozialdemokratische Hilfe, die sie an die Macht getragen hat, scheint den bürgerlichen Herren vom ,, Großblock" für die Umstürzler mit der Ehre des Mittundürfens mehr als genügend belohnt. Wir sind gewiß nicht so töricht, von den Nationalliberalen zu fordern, daß sie über den eigenen Schatten springen und in edler Selbstverleugnung ihrer Klassenzugehörig. feit sozialdemokratische Reformpolitik treiben. Allein das Werk

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des badischen Großblocks"- für das die Nationalliberalen ausschlaggebend waren- charakterisiert sich in seinem bedeut samsten Teil nicht einmal als ernste bürgerliche Reformarbeit. Die neue Kommunalordnung bedeutet kaum eine bettelhafte Abschlagszahlung an die Forderungen der Demokratie, denn sie sorgt nach wie vor dafür um mit dem Oberbürgermeister Wilckens zu reden, daß der Besitz in den Gemeinden zur überwiegenden Geltung kommt". Die gewährten Verbesserungen treten bei weitem hinter das fortbestehende große Unrecht der Dreiklassenwahl zurück. Das Schulgesetz erfüllt nicht einmal die Ansprüche der Lehrerschaft, die Ideale bürgerlicher Auf­klärung früherer Zeiten, geschweige denn, daß es sich den Forde­rungen der Arbeiterklasse wesentlich annäherte. Die Erhaltung der Simultanschule entspricht nur zu sehr dem Bedürfnis der besitzenden Klassen, ihr Ausbeutungsgeschäft nicht durch kon­fessionellen Hader stören zu lassen, bei dem das gottlose, be­gehrliche" Proletariat der lachende Dritte sein würde; entspricht vor allem ihrem Sehnen, dem Volfe die Religion zu erhalten". Sie ist Talmi statt des Goldes der weltlichen Schule, die den Religionsunterricht zur Privatsache werden läßt und damit erst die Freiheit des Bekenntnisses für Eltern und Kinder schafft. Noch andere Einzelheiten des Schulgesetzes beweisen wie an anderer Stelle zu lesen ist, daß mit ihm wahrlich nicht viel Staat gemacht werden kann.

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Wohin man greifen mag: der Wert des Großblocks" sinkt bedenklich, wenn man ihn an seinen Taten und nicht an den revisionistischen Illusionen mißt. Die badische Sozialdemokratie hat aber die paar sauren Reformtrauben, die sie in positiver" Zusammenarbeit mit den Nationalliberalen gepflückt hat, teuer bezahlt, viel zu teuer für eine Partei, deren Forderungen nur durch die Massen im Gegensatz zu den besitzenden Klassen und ihren politischen Vertretern zum Siege geführt werden können. Sie hat darauf verzichtet, den Kampf für eine wirklich demo­kratische Gemeindeordnung, für eine durchgreifende Volksschul­reform aus dem Landtag unter die Massen zu tragen, diese für ihre eigenen Forderungen zu mobilisieren und mittels ihrer die bürgerlichen Parlamentarier vorwärts zu peitschen. Sie hat mehr von der Kunstfertigkeit des parlamentarischen Schacherns im bürgerlichen Sinne, als von der Macht des politischen Kampfes nach sozialdemokratischer Auffassung erwartet. Der politische Klassenfampf des Proletariats hat sich unter der Füh rung ihrer superflug tüftelnden Rechenmeister im Landtag zum bloßen parlamentarischen Geplänkel ohne scharfe Markierung der Klassenstellung verengt. Damit hat die badische Sozial demokratie für den Augenblick die Quelle ihrer stärksten Macht unerschlossen und ungenutzt gelassen, damit hat sie eine wichtige Gelegenheit versäumt, künftige größere Siege vorzu­bereiten, als sie die Großblockspolitik" je zu sichern vermöchte. Für die Sozialdemokratie ist die Politik der bescheidenen, kampf­losen Erfolge immer furzlebig, denn sie schaltet die bedeutendste Kraft dauernden Fortschreitens aus: die unbezwingliche, leiden­schaftliche Kampfesbegier der Massen.

Darin offenbart sich die, Großblockpolitik" unserer badischen Genossen als bürgerlichen Wesens. Bürgerlichen Wesens ist auch die höchst sonderbare Auffassung, es sei die Aufgabe der Sozialdemokratie im Parlament, dem Liberalismus den ihm gebührenden Einfluß zu verschaffen". Jede Partei hat so viel Einfluß, als ihr gebührt, als sie mittels der hinter ihr stehenden gesellschaftlichen Schichten erkämpft. Die parlamentarische, poli­tische Schwäche des Liberalismus ist nur die Frucht seines eigenen Verzichts auf den ernsten Kampf gegen die konservativ­flerifale Reaktion. Ein Liberalismus, der sich in einem indu­ftriell hochentwickelten Lande wie Baden an die Wand drücken läßt, ist geschichtlich gerichtet. Es kann nicht die Aufgabe der Sozialdemokratie sein, seinen Leichnam zu galvanisieren; ihr fommt es zu, mit aller Energie sein Erbe auszunuzen und ihre eigene Macht zu stärken. Nicht durch das Verwischen der Grenz­linien zwischen der Sozialdemokratie und der bürgerlichen Linken geschieht das jedoch am wirksamsten, vielmehr durch die schärfste Betonung dieser Grenzlinien. Aber unsere badischen Genossen konnten nicht Schritt für Schritt sich einer bürgerlichen Auf­