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Die Gleichheit

Herrn v. Gruber zu denken. Solange die bürgerlichen Parteien am Ruder sind, werden sie sich stets einer großzügigen, von Staat und Kommunen ausgehenden Wohnungsreform wider­setzen, weil eine solche den Interessen des von ihnen vertretenen Grund- und Hausbesizerklüngels zuwiderlaufen würde. Der Sozialdemokratie wird es vorbehalten sein, wie auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens, so auch hier von Grund auf Wandel zu schaffen.

Die Mutterschaftsversicherung.

F. H.

Referat, erstattet auf dem Außerordentlichen Gewerkschafts. fongreß zu Berlin von Gertrud Hanna. ( Schluß.) Es sind nun verschiedentlich Stimmen laut geworden, die für eine Mutterschaftsversicherung eine besondere Rasseneinrichtung fordern. Das würde sich aber aus praktischen Gründen nicht emp­fehlen. Zu derartigen besonderen Mutterschaftstassen gehörten wieder besondere Gesetzesvorschriften, und ich glaube, wir haben an der vorhandenen Zersplitterung in der Arbeiterversicherung gerade genug. ( Sehr richtig!) Es gehörte auch ein besonderer Verwaltungsapparat dazu, wodurch nur neue Kosten entstehen würden.

Auch die freiwillige Mutterschaftsversicherung, wie sie in ein­zelnen Ländern zum Teil mit Staatshilfe eingeführt ist, kann uns nicht veranlassen, bei uns dasselbe einzuführen. Bei einer solchen freiwilligen Versicherung würde nur immer ein Teil der Bevölke rung und nicht die am Schlechtestgestellten geschützt sein. Uns muß aber daran liegen, die Gesamtheit der besiglosen weiblichen Be­völkerung unter Ausschaltung der privaten Wohltätigkeit gegen die durch die Mutterschaft hervorgerufenen Erwerbsstörungen zu schützen und dafür zu sorgen, daß möglichst weite Kreise in den Genuß der Bestimmungen der Arbeiterversicherung und einer Mutterschafts­versicherung kommen. Aus diesem Grunde müssen wir die schon jetzt bestehenden Anfäße zu einer Mutterschaftsversicherung, die in der Krankenversicherung vorhanden und auch in der Reichsversiche­rungsordnung vorgesehen sind, entsprechend auszubauen versuchen, so daß diese Bestimmungen wirklich imstande sind, einen Einfluß auf die Gesundheitsverhältnisse der Arbeiterschaft und dadurch auf die Gestaltung der allgemeinen Volksgesundheit auszuüben. Daher müssen wir erstens Aufhebung der Vorschriften verlangen, die irgend­welche Beschränkungen in der Gewährung von Unterstützung vor­sehen, ferner die Gewährung einer Wöchnerinnenunterstützung auf die Dauer von acht Wochen nach der Niederkunft, eine obligatorische Schwangerschaftsunterstützung auf die Dauer von acht Wochen vor der Entbindung, und zwar beide Unterstützungen in Höhe des vollen Tagesverdienstes. Ferner müssen die Krankenkassen verpflichtet werden, ein Stillgeld auf die Dauer von dreizehn Wochen in voller Höhe des Krankengeldes an die weiblichen Mitglieder zu zahlen, die fähig und willens sind, ihre Kinder wenigstens in der ersten Zeit selbst au nähren.

Wenn es uns gelingt, diese Bestimmungen in die Reichsver­ficherungsordnung hineinzubringen, dann glaube ich, find Vorschläge, wie sie Professor Mayet bringt, daß staatliche Stillprämien an die Mütter gegeben werden sollen, die während einer gewissen Dauer ihr Kind stillen, Prämien, die sich je nach der Dauer der Stillzeit erhöhen, überflüssig. Wenn wir die Mütter davon überzeugen, daß es in ihrem eigenen sowie im Interesse des Kindes liegt, ihr Kind selbst zu stillen, und wenn wir ferner den Müttern und das ist die Hauptsache die Möglichkeit dazu geben, durch eine aus reichende Unterstüßung, dann sind Stillprämien nicht mehr not­wendig, dann wird jede Mutter, die irgendwie dazu in der Lage ist, ihr Kind wenigstens in der ersten Beit selbst nähren.

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Ferner müssen wir freie ärztliche Behandlung bei Schwanger schaftsbeschwerden und die Gewährung freier Hebammendienste fordern und die Ausdehnung der Gesamtleistungen auf die nicht versicherungspflichtigen Ehefrauen der versicherten Kaffenmitglieder. Hier können wir aber nicht die Gewährung der Unterstützung in der Höhe des vollen Tagesverdienstes fordern, sondern müssen, so sehr wir uns sonst gegen die Festsetzung nach dem ortsüblichen Tagelohn wenden, in diesem Falle es doch tun, weil ja die nicht versicherungspflichtige Ehefrau eines versicherten Kassenmitgliedes in der Regel kein Einkommen hat.

Ferner wäre den Kassen die Herausgabe von Merkblättern dringend zu empfehlen, in denen den weiblichen Kassenmitgliedern vor Augen geführt wird, wie sie sich im Falle der Schwangerschaft zu verhalten haben, und welche Schädigungen beim unrichtigen Verhalten vor und nach der Niederkunst ihnen sowohl wie dem Kinde erwachsen können. Wohl nirgends entstehen mehr Schädi­

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gungen durch falsches Verhalten und durch Großmutterweisheiten, als gerade auf diesem Gebiet.

Ich kann davon absehen, besonders zu begründen, daß die Gehalts­grenze für die Aufnahme in die Versicherung ausgedehnt werden muß. Das ist bereits von seiten des Referenten Bauer geschehen. Ich brauche aus demselben Grunde auch nicht auf die einschränkenden Bestimmungen der§§ 448 bis 451 des Entwurfes einzugehen, die die Möglichkeit geben, den in Landkrankenkassen versicherten Mitgliedern die Unterstützung ganz oder teilweise zu entziehen, wenn gewisse langfristige Verträge vorliegen. Was wir in dieser Hinsicht für die Kranken fordern, fordern wir selbstverständlich auch für die Wöchne­rinnen und Schwangeren.

Wenn wir überzeugt sind, daß es im Interesse der Volksgesund­heit liegt, den Müttern eine Ruhezeit vor der Entbindung zu ge währleisten und ihnen zu ermöglichen, ihr Kind zu stillen, dann müssen wir den Müttern aber auch die Mittel dazu bewilligen. Was nützen alle Beschäftigungsverbote, wenn die Verhältnisse die Mütter zwingen, bis zum letzten Augenblick tätig zu sein und sogar häufig noch angestrengter zu arbeiten als vorher, um die erhöhten Ausgaben und den Verdienstausfall während der Zeit der Schwanger­schaft und Niederkunft einigermaßen zu überwinden. In den meisten Fällen werden die Verbote der Gewerbeordnung, Schwangere nicht bis zum Augenblick der Entbindung, Wöchnerinnen nicht gleich nach der Niederkunft zu beschäftigen, nicht gehalten, weil eben die Ver hältnisse stärker sind als die gesetzlichen Vorschriften. Hinzu kommt, daß für einen großen Teil weiblicher Arbeiter die Vorschriften der Gewerbeordnung nicht in Frage kommen. Die Einbeziehung größerer Kreise Befißloser in die Versicherungspflicht ist darum so dringend notwendig, weil der geringe, bisher bestehende Mutterschuß, wie wir nun einmal die Vorschriften im Krankenversicherungsgesetz be­zeichnen wollen, doch nur einem verhältnismäßig fleinen Teile zu gute gekommen sind. Wir hatten nach der Berufs- und Gewerbe­zählung von 1907 rund 9 Millionen erwerbstätige Frauen, gegen Krankheit versichert waren aber im Jahre 1908 nur 3 Millionen, also nur der dritte Teil der durch die Statistik erfaßten Erwerbs­tätigen. Auf dem Krankenkassentag im vorigen Jahre, der sich auch mit der Reichsversicherungsordnung beschäftigte, nannte der Referent über die Krankenversicherung, Rechtsanwalt Meyer, die Einführung einer Mutterschaftsversicherung die fast wichtigste Reform der Kranten­versicherung, und wenn wir die Zahlen, die ich Ihnen vorgeführt habe, uns vergegenwärtigen, müssen wir in der Tat die Einführung und Ausgestaltung der Mutterschaftsversicherung als die wichtigste Reform der Krantenversicherung bezeichnen.

Zu einer wirklichen Mutterschaftsversicherung gehört nun aber, nebenbei erwähnt, noch mehr. Wir können uns jedoch heute nur mit den Sachen beschäftigen, die zu den Pflichtaufgaben der Kranten versicherung gehören.

Die Einführung einer Mutterschaftsversicherung würde nun die Rassen ohne Zweifel bedeutend belasten. Die Ausgaben für die Mutterschaftsversicherung würden aber nicht allgemeine Mehraus gaben für die Krankenkassen darstellen. Es ist statistisch festgestellt, daß in den Gebieten mit höherer Säuglingssterblichkeit auch sonst die Krankheiten, vor allem die Tuberkulose, besonders start grassieren. Der allgemeine Gesundheitszustand würde sich nun mit Einführung einer Mutterschaftsversicherung ohne Zweifel heben, wodurch die Krankenkassen entlastet würden. Für diese Auffassung bietet uns die Statistik der Leipziger Ortskrankenkasse, der größten des Deutschen Reiches, einen Beweis. Ich möchte vorausschicken, daß die Er­hebungen sich auf eine Zeit beziehen, in der die Kasse Schwangeren­unterstützung nicht gewährte, so daß man also annehmen muß, daß alle diejenigen, die als versicherungspflichtige Mitglieder nieder­famen, auch bis zum letzten Augenblick arbeiten mußten. Immerhin mögen einzelne darunter gewesen sein, die auch als versicherungs­pflichtige Mitglieder, trotzdem die Krankenkasse teine Unterstützung bei Schwangerschaft gewährte, in dieser Zeit sich doch eine gewisse Ruhezeit auferlegen mußten. Also nach der Statistik der Leip­ziger Ortsfrankenkasse tamen auf 10 752 Wochenbetten erwerbs­tätiger, also versicherungspflichtiger Frauen 1666 Fehlgeburten, gleich 15,5 Prozent der Gesamtgeburten. Auf 11018 Wochenbetten freiwillig Versicherter die Krankenkasse hat die Familienversiche rung eingeführt tamen 254 Fehlgeburten, gleich 2,5 Prozent. Die Zahl der Fehlgeburten bei den erwerbstätigen Frauen war also nahezu siebenmal so hoch wie bei den nicht erwerbstätigen. Wir wissen alle, daß die Folgen der Fehlgeburten sehr häufig schwere und langandauernde Frauenkrankheiten sind, die die Kassen in hohem Maße belasten. Auch die Zahl der Frühgeburten ist nach der Statistik der Leipziger Ortsfranfenfasse bei den versicherungs­pflichtigen Frauen viel höher als bei den freiwillig versicherten. Bei den Erwerbstätigen famen 1,7 Prozent Frühgeburten vor, bei

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