Nr. 22
Die Gleichheit
gegen den Antrag eines Jren, von diesem Etat 2 Millionen Pfund Sterling ( 40 Millionen Mark ) zu streichen, der dann auch gegen 70 Stimmen abgelehnt wurde, die von Arbeiterparteilern, Fren und einigen liberalen Radikalen stammten. Asquith erklärte die Streichung für unmöglich, weil England sonst bei den Rüstungen Deutschlands die Vorherrschaft auf der See, die Überlegenheit seiner Flotte nicht behaupten könnte. Dabei gab er zu, daß diese gewal tigen Rüstungen die Sozialreform hemmen, daß jeder neue Dreadnougth irgend ein dringendes Werk der Sozialreform verhindert". Was angesichts der Tatsache, daß jedes dieser Riesenschiffe 50 Millionen Mart tostet, nicht zuviel behauptet ist. Der vernünftigste Ausweg aus diesem Zustand, der die Volkskräfte verzehrt, die Finanzen der Staaten zerrüttet und den Frieden bedroht, wäre eine Vereinbarung zwischen England und Deutschland auf Einstellung der zwecklosen Rüstungen. Der englische Minister erklärte in deutlicher Weise, daß die englische Regierung dazu nicht nur bereit ist, sondern daß sie auch Versuche gemacht hat, solch ein Abkommen zustande zu bringen, daß ihre Bemühungen aber an der strikten Weigerung der deutschen Regierung gescheitert sind. Diese erwiderte, sie sei durch das Flottengesetz gebunden und könne es nicht aufheben, weil sie dabei nicht die Unterstützung der öffent lichen Meinung des Landes haben würde!
Diese Ausrede trifft nun absolut nicht zu. Die furchtbaren Schäden des Wettrüstens, seine Gefahren für die Staatsfinanzen wie für den Frieden liegen heute so offen auf der Hand, daß nicht nur die Sozialdemokratie die Abrüstung fordert, sondern auch ge= wisse Kreise des Bürgertums für ein Abkommen mit England find. Ein Zeichen dafür ist das Resultat einer Umfrage des Berliner Vertreters der Londoner „ Daily Mail" bei deutschen Provinzzeitungen. Die Mehrzahl der befragten Blätter hat sich für das Abkommen ausgesprochen. Das darf natürlich in seiner Bedeutung nicht überschätzt werden, zumal die meisten dieser Blätter solche find, die nicht direkt als Organe einer Partei angesprochen werden können. Aber immerhin zeigt der Fall, daß die Erkenntnis von der Unhaltbarkeit des Wettrüstens ebenfalls im Bürgertum Eingang gefunden hat. Damit ist indes noch lange nicht gesagt, daß auch nur eine bürgerliche Partei, daß auch nur die Fortschrittliche Volkspartei bereit wäre, für ein Abkommen mit England gegen die zum Weiterrüsten treibenden Kreise zu kämpfen, nämlich gegen die Regierung und gegen die Flottenvereinler, hinter denen die imperialistisch gesinnte Großbourgeoisie steht, deren Flottenbegeisterung vor allem durch die Panzerplattenlieferanten und die Indu striellen mit ähnlichen Interessen verstärkt wird. Im Gegenteil ist mehr als wahrscheinlich, daß auch der Linksliberalismus sich diesen Bestrebungen nicht ernsthaft entgegenstemmen wird. Hat er doch im innersten Herzen immer noch nicht die Hoffnung aufgegeben, das Zentrum wieder von der Regierungskrippe verdrängen und fich an seine Stelle sehen zu können, wenn er sich von den Kleritalen nur an Bereitwilligkeit im Bewilligen der nationalen Notwendigkeiten" nicht übertrumpfen läßt, das heißt der Forderungen für Heer und Flotte. Von den bürgerlichen Parteien an sich ist hier nichts zu erwarten- Halt gebieten könnte dem wahnsinnigen Wettrüsten nur eine starke Voltsbewegung, die die bürgerlichen Parlamentarier um ihre Mandate zittern ließe. Ob aber die einem Abkommen mit England geneigten Kreise des Bürgertums zahlreich und entschlossen genug wären, um der Agitation der Flottentreiber, um dem Einfluß der Großindustriellen Herr zu werden, ob sie überhaupt den Mut hätten, eine solche Kampagne an der Seite der Sozialdemokratie zu führen, das ist nach allen bisherigen Erfahrungen mehr als zweifelhaft. Natürlich wird die Sozialdemofratie alles aufzubieten haben, um jene Schichten des Bürgertums mitzureißen. Ist es doch ein öffentliches Geheimnis, daß mit demt Ablauf des Flottengesetzes im Jahre 1912 der„ Höhepunkt der Welle", den der englische Premierminister für diesen Zeitpunkt erhofft, nicht erreicht sein wird, wenn der Wille unserer Flottenpolitiker geschieht. Dann wird eine neue Flottenvorlage tommen, mit derselben Sicherheit, mit der die neue Heeresvermehrung kommt, die noch vor den Wahlen beschlossen werden soll. Dem Zentrum ist diese Tatsache höchst unbequem. Es möchte erst die Wahlen erledigt sehen, ehe dem deutschen Steuerzahler wieder neue Lasten auferlegt werden. Aber die Regierung und die scharfmacherischen Kreise halten die Militärvorlage wohl für eine gute Gelegenheit, die zersprengten bürgerlichen Parteien wieder zu gemeinsamer Arbeit und Front gegen die Sozialdemokratie zusammenzuführen, und wollen deshalb auf die demagogischen Bedürfnisse des Zentrums keine Rücksicht nehmen. Indes will die Regierung ihm das Zugeständnis machen, die Vorlage vorläufig möglichst bescheiden zu gestalten und so einzurichten, daß sich die Mehrausgaben auf die fünf Jahre, für die das neue Gesetz gelten wird, so ver
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teilen, daß nicht schon vor den Wahlen die Notwendigkeit zutage tritt, abermals neue Steuern aufzulegen. Es wird also versucht werden, die Reichstagswähler gründlich einzuseifen.
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Die Nationalliberalen bereiten sich indes eifrig darauf vor, den Anschluß an den schwarz- blauen Block zu gewinnen. Die lokalen Leitungen knüpfen schon offen die Fäden nach rechts. In verschiedenen Wahlkreisen werden schon Bündnisse der Nationalliberalen mit den Konservativen, dem Bund der Landwirte und anderen rechtsstehenden Parteien geschlossen, so in Schleswig- Holstein mit dem Bund der Landwirte, in Hagen selbst mit Christlich- Sozialen und anderen gegen die Fortschrittliche Volkspartei . Ähnliches wird aus Thüringen berichtet. Die Fortschrittliche Volkspartei , die schon an ein großes allgemeines Bündnis des Rechtsliberalismus und Linksliberalismus bei den kommenden Wahlen glaubt, sieht sich arg enttäuscht. In den leitenden Organen der Nationalliberalen mehren sich die höchst überflüssigen Erklärungen, daß die Herren absolut nicht imstande sind, mit der Sozialdemokratie gegen die Konservativen zusammenzuwirken. Und um den Führer Bassermann, der etwa die mittlere Linie in der Partei verkörpert, ist ein heftiger Streit entbrannt. Die Rechtsnationalliberalen möchten diesen Führer absägen, möchten ihn veranlassen, vom politischen Kampfplatz abzutreten. Das würde um so leichter gehen, als Bassermann in dem jetzt von ihm vertretenen brandenburgischen Reichstagswahlkreis Rothenburg- Hoyerswerda nicht wieder gewählt werden wird die Junker haben ihm das Mandat in der Zeit des fonservativ- liberalen Blocks gnädig überlassen und ein anderer sicherer Wahlkreis für ihn offenbar nicht zu finden ist. Die Lintsnationalliberalen, die Herrn Baffermann auffordern, an der Spitze zu bleiben, haben ihm bis jetzt auch noch feinen sicheren Siz anzubieten vermocht. Sie können offenbar gegen den rechten Flügel nicht aufkommen, der schon die Aufstellung Baffermanns in Saarbrücken zu verhindern wußte. Im Ruhrrevier, wo die Scharfmacher den Nationalliberalismus absolut beherrschen, will dieser seine sehr schlechten Chancen bei den kommenden Wahlen durch einen jämmerlichen demagogischen Trick verbessern: er will Arbeiter als Kandidaten aufstellen, und zwar sind bis jetzt die Wahlkreise Bochum und Duisburg dafür in Aussicht genommen. Helfen wird die gefälschte Firma den nationalliberalen Scharfmachern nicht viel. Die Herren haben das Mittel übrigens schon bei den Vorwahlen im Industrierevier vergebens angewandt und werden jetzt erst recht nicht damit der Sozialdemofratie die Mandate abjagen. Von geringer Bedeutung ist es angesichts dieser immer offenbarer werdenden Rechtsschwentung der Nationalliberalen, daß der freikonservative Hospitant Prinz Hohenlohe seinen Posten als Vizepräsident des Reichstags niedergelegt hat. Er war seinerzeit eingesprungen, weil die Nationalliberalen nicht in einem blau- schwarzen Präsidium den dritten Sitz einnehmen wollten, nun hat er auf den Posten verzichtet mit der Begründung, daß er das Amt angenommen habe, um zur Versöhnung unter den staatserhaltenden Parteien beizutragen, daß die Erreichung dieses Zieles ihm indes jetzt aussichtslos erscheine. Der Prinz hat wieder einmal danebengetappt, das Ziel der Angliederung der Nationalliberalen an den blau- schwarzen Block ist nahezu schon erreicht. Es ist gar nicht ausgeschlossen, daß an die Stelle des Prinzen beim Wiederzusammentritt des Reichstags im Herbst ausgerechnet wieder ein Nationalliberaler tritt.
Die konservative Presse legt sich jetzt darauf, der Regierung zu beweisen, daß sie nicht verpflichtet sei, eine neue Wahlrechtsvorlage einzubringen, da das Wort des Königs durch die Vorlage des abgelehnten Entwurfes eingelöst sei. Jedenfalls halte die fonservative Partei das Versprechen der Thronrede für erfüllt und werde daher bei einer neuen Vorlage nicht wieder zu den„ Zugeständnissen" zu haben sein, die sie das erstemal gemacht habe. Da die Sozialdemokratie dabei ein gewichtiges Wort mitzureden hat, so hoffen die Junker wohl selbst nicht, daß die Regierung auf diese Anregung eingehen wird, sie bezwecken aber auf diese Weise, die neue Vorlage von vornherein möglichst reaktionär zu gestalten. Alles deutet darauf hin, daß das Proletariat einem neuen, schweren Abschnitt des Wahlrechtskampfes entgegengeht.
In Frankreich , wo der Rochette- Standal wieder einmal ein duftiges Stück Korruption bloßgelegt hat, zeigte eine Ersazwahl in Paris eine weitere Rechtsschwenkung des Bürgertums. Der Sozialdemokratie ging dort ein Wahlkreis verloren, da die Radifalen in der Stichwahl zu dem reaktionären Kandidaten überliefen, so daß der sozialistische Kandidat, Genosse Pressensé, durchfiel. H. B.
Gewerkschaftliche Rundschau.
Die Unternehmer verstehen sich auf ihr Handwerk bei der Bekämpfung der Arbeiterorganisationen- das muß ihnen