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Die Gleichheit
weiterarbeiteten; es waren aber nur 2,3 Fehlgeburten zu ver zeichnen auf die Wochenbetten der freiwilligen Mitglieder, die sich während der Schwangerschaft schonen fonnten. Früh. geburten famen bei den Pflichtmitgliedern 1,7 Prozent, bei den freiwilligen nur 0,3 Prozent vor. Die hohe Zahl der Fehl geburten bei den Erwerbstätigen ist eine treffliche Beleuchtung der Vernunft einer Gesellschaftsordnung, die den einzelnen Fall der Abtreibung als schweres Verbrechen ahndet, im Interesse des Unternehmergewinns aber den Abortus als ständige und Maffenerscheinung zuläßt. Die schädigende Einwirkung der Erwerbsarbeit bis zum Eintritt der Geburt zeigt sich auch darin, daß die Pflichtmitglieder während des Wochenbettes durch anderweitige Krankheiten viel mehr befallen wur den als die freiwilligen Mitglieder. Die Arbeit während der Schwangerschaft mit ihren Anforderungen an den mütterlichen Organismus hat dessen Widerstandsfähigkeit vermindert.
Die eigentlichen Schwangerschaftskrankheiten zeigen deutlich, wie gefährlich es ist, wenn die Arbeit bis nahe zur Niederkunft fortgesetzt wird. Von den Pflichtmitgliedern wurden 5,5 Prozent, von den freiwilligen Mitgliedern nur 2,1 Prozent von solchen Leiden befallen. Was den besonderen Einfluß der Arbeitsweise auf die Mutterschaft betrifft, so läßt auch ihn die angezogene Statistik in Erscheinung treten. Sie verzeichnet eine sehr hohe Zahl von Fehl- und Frühgeburten bei den in der Heimindustrie tätigen Frauen. Besonders verhängnisvoll wird der Frauengesundheit und der Mutterschaft die Berufsarbeit der Metallpoliererinnen. Die Ursache liegt nach den Berichten der Fabrikinspektoren und anderen Zeugnissen in dem Treten der Poliermaschinen. Auch Tabat- und Fabritarbeiterinnen find als Frauen und Mütter besonders bedroht. Für sie kommt als schädigend nicht nur die schwere Arbeit in Betracht, sondern noch die Einwirkung von Giften, wie Nikotin, Blei usw.
Das vorstehende Ziffernmaterial ließe sich leicht vermehren und nach verschiedenen Richtungen hin ergänzen. Es genügt jedoch zur scharfen Beleuchtung der Tatsache, daß die kapitalistische Profitgier vor der Gesundheit und Mutterschaft der Frau nicht Halt macht. Strupellos tritt sie die Rücksicht darauf unter die Füße. Eine gefahrlose Vereinigung von Berufsarbeit und Mutterschaft ist erst möglich, wenn mit der Aushebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln die Arbeit von der Herrschaft des aussaugenden Kapitals befreit, der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ein Ende gemacht wird. Aber es wäre verhängnisvoll, den profitlüsternen Kapitalismus bis zum Augenblick seiner Überwindung weiter mütterliches und findliches Leben würgen zu lassen. Durchgreifende gesetzliche Vorschriften zum Schuße der Arbeiterinnen müssen ihm Schranken ziehen. Damit ist es aber nicht genug. Es ist vielmehr unab weisbar, daß diese Art gesellschaftlicher Fürsorge für Mutter und Kind ergänzt wird durch soziale Einrichtungen, welche beiden für die in Betracht kommende Zeit günstige Existenzbedingungen verbürgen. Den Proletarierinnen liegt an erster Stelle die Pflicht ob, für wirksamen Schutz der Mütter und Kinder unablässig zu wirken. Es bedeutet dies dem Heer des befreiungssehnsüchtigen Proletariats Kämpferinnen zu erhalten und zuzuführen, ihm ein nachwachsendes starkes Geschlecht von Kämpfern zu sichern.
Der Anteil der Frau an der deutschen Industrie.
Unter diesem Titel liegt ein Heft von 80 Seiten vor, das den Vortrag enthält, den Helene Simon auf der zweiten Konferenz zur Förderung der Arbeiterinneninter essen gehalten hat.* Der Arbeit liegen die Ergebnisse der Berusszählung von 1907 zugrunde. Was erweisen diese Ergeb
nisse unzweideutig?
* Helene Simon , Der Anteil der Frau an der deutschen Industrie nach den Ergebnissen der Berufszählung von 1907. Vortrag, gehalten auf der zweiten Konferenz zur Förderung der Arbeite rinneninteressen. Schriften des ständigen Ausschusses zur Förderung der Arbeiterinnenintereffen, Heft 2. Jena , Gustav Fischer. 80 S. 60 Pf.
Nr. 23
Die Zahl der im Deutschen Reiche erwerbstätigen weiblichen Personen wächst beständig. Ist sie von 1882 bis 1895 von 4,3 auf 5,3 Millionen gestiegen, so hat sie von 1895 bis 1907 einen Riefensprung von 3 Millionen gemacht, indem sie von insgesamt 5264393 auf 8243498 in die Höhe gegangen ist. Helene Simon untersucht, wie sich diese Zunahme auf die einzelnen Berufe verteilt, und kommt dabei zu folgendem Ergebnis: Wo eine Verdrängung der Männerarbeit durch Frauen einges treten ist, hat es sich in den meisten Fällen um ungelernte oder, wie in der Hausindustrie, um schlechtentlohnte Arbeit gehandelt. Von den 582806 Frauen, um die die weiblichen Erwerbs tätigen seit 1895 in der Industrie allein zugenommen haben, entfällt mehr als die Hälfte, nämlich 354124, auf ungelernte Arbeiterinnen. Als Ursache dieser Erscheinung betrachtet Helene Simon : 1. die größere Billigkeit der Frau; 2. die volkswirtschaftliche Notwendigkeit der Frauenarbeit, das heißt der Mangel an ausreichenden männlichen Arbeitskräften; 3. die privatwirtschaftliche Notwendigkeit der Frauenarbeit, das ist der weibliche Erwerbszwang zur Bestreitung des eigenen. Unterhalts und oft genug auch des Unterhalts der Familie; 4. das Angebot an für die Privatwirtschaft überschüssigen Frauen; 5. die besondere Geeignetheit der Frau für gewiffe Tätigkeiten. Von diesen fünf Gründen scheiden die beiden letztgenannten von vornherein aus, da sie eine verhältnismäßig nebensächliche Rolle spielen", wie dies die Verfasserin selbst bemerkt. Es ist vor allem die größere Billigkeit der Frau und in erster Linie die wirtschaftliche Not, die hauptsächlich die Zunahme der Frauenarbeit verursachen. Wenn aber Helene Simon meint, daß dieses Vordringen der Frau in der Industrie hervorgerufen wurde durch einen Mangel an männlichen Arbeitskräften, so können wir ihr darin nicht zustimmen. Es ist nur einer der beliebtesten Vorwände der Unternehmer, daß sie gezwungen seien, Frauen zu beschäftigen, weil es an männlichen Arbeitern fehle. Bei genauerer Prüfung der Sachlage zeigt sich, daß allein fchlechte Arbeitsverhältnisse es sind, welche die männlichen Arbeiter verscheuchen: überlange Arbeit niedriger Lohn- Organisationsverbot usw. Gleichzeitig erhellt die Statistik der Arbeitsnachweise die Tatsache, daß ein ständiges überangebot männlicher Arbeitskräfte vorhanden ist. Leider nimmt hier von Helene Simon gar keine Notiz, obgleich zu dieser Seite der Frage amtliches Material vorliegt, das nicht ignoriert werden darf. So veröffentlichte zum Beispiel der Zentralverein für Arbeitsnachweis zu Berlin folgende Ziffern:
1906
1907
1908
1906
•
•
1907 1908
Arbeitsuchende:
-
männliche 137680 weibliche 19187 134063 125479
Offene Stellen:
M
24035 26481
männliche 109.716 weibliche 24758
94382 75543
25 533 26761
Es verblieb also ein steigendes Plus von männlichem Angebot über die männliche Nachfrage; es betrug 1906: 27964; 1907: 39 681; 1908: 49936. Dieses Plus wäre groß genug, die gesamte Nachfrage nach weiblichen Arbeitskräften zu decken, fogar einschließlich der nach weib lichen Dienstboten und in der Wäschefabrikation beschäftigten
Arbeiterinnen, Berufe, in denen die Frauen überwiegen. Man
mag einwenden, daß die Konjunktur sich besonders in den Jahren 1907 und 1908 in absteigender Linie bewegte, und daß deshalb der Überschuß an männlichen Arbeitskräften besonders groß gewesen sei. Aber das Verhältnis bleibt das gleiche auch bei aufsteigender Konjunktur, in der wir uns zurzeit befinden. Nehmen wir als Beweis den Bericht des Reichsarbeitsblattes
für April 1910 über 668 und Mai 1910 über 681 Arbeitsnachweise. Danach betrug das Angebot männlicher Arbeitsfräfte 281000 bezw. 270000; die Nachfrage nach männlichen Arbeitskräften aber war 172000 bezi. 151 000; die Nachfrage nach weiblichen Arbeitskräften 74000 bezo. 66000. Es ver bleibt also für April ein Mehr von 109 000 männlichen Arbeit