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Die Gleichheit

kürzungen die Steuern auf die Arbeiter und Arbeiterinnen abzu­wälzen suchen, wobei sie leider mit deren Unwissenheit rechnen können. Statt der notwendigen Lohnausbesserungen sollten in sehr vielen Berufen Lohnreduzierungen vorgenommen werden. Dieser Umstand trug viel dazu bei, daß die Arbeiterinnen selbst auf die Bureaus tamen und baten, Fabrikversammlungen abzuhalten, da auch bei ihnen Affordabzüge usw. stattfinden sollten.

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Die Generalfommission der Gewerkschaften Deutschlands   sandte Flugblätter, von denen Nummer 1( Arbeiterinnen) in 30000 Erem­plaren in den Fabriken und Werkstätten usw. an die Frauen und Mädchen verteilt wurde. Des weiteren wurde die Agitation durch Tausende von Handzetteln, Versammlungseinladungen usw. gefördert, die meist für die schwächeren Organisationen zur Verteilung famen. Von einem gewerkschaftlichen Unterrichtskursus für die Arbeiterinnen wurde in diesem Jahre Abstand genommen, damit diese sich mehr an den Kursen beteiligen sollten, die der Bildungsausschuß veran staltet. Auf vielfachen Wunsch wird aber im kommenden Jahre wieder ein Kursus für die Arbeiterinnen abgehalten werden, in dem vor allem die Gewerbeordnung behandelt werden soll. Die Auskunftserteilung des Sekretariats war in diesem Jahre bedeutend höher als in den Vorjahren, sie wurde von 859 Personen in An­spruch genommen, darunter befanden sich nur 45 Arbeiterinnen. Die meisten Auskünfte nämlich 793 wurden in Dienstboten­streitigkeiten eingeholt betreffs Kündigung, Lohnabzug, unwahren Zeugnissen, schlechten Essens, ungenügender Schlafgelegenheit und Züchtigung usw. usw. Auch 21 Herrschaften zogen im Sekretariat Erkundigungen ein. Von den Auskunftsuchenden waren 453 organi fiert; unter den 406 Unorganisierten befanden sich nicht weniger als 374 Hausangestellte, die erst kürzlich vom Lande gekommen waren und angeblich von einer Dienstbotenorganisation keine Ahnung hatten. Die Auskunftserteilung war im März mit 129 und im Juni mit 120 am höchsten, am niedrigsten im November mit 84 und im Dezember mit 35. Jm März wollen die Herrschaften meist die Kündigung nicht annehmen und im Juni schicken sie die Mädchen ohne Kündigung fort, weil sie auf die Sommerreise gehen und für die Dienstboten fein Geld ausgeben wollen. Daß sie verpflichtet find, Kostgeld zu zahlen, wenn sie vier oder sechs Wochen verreisen, scheinen die wenigsten Herrschaften zu wissen. Sie schicken einfach die Mädchen heim zu den Eltern und bestimmen, wann sie wieder fommen sollen. In ihrer Unerfahrenheit lassen sich die Dienstmädchen die dreiste Gesegesverleßuung ruhig gefallen. Der Postverkehr des Sekretariats, die Agitation unter den Arbeiterinnen betreffend, hat ebenfalls zugenommen, es waren 1564 Ein- und Ausgänge zu vers zeichnen. Die Eingänge betrugen 111 Karten, 349 Briefe, 192 Druck­sachen, 39 Pakete und 3 Anweisungen. An Ausgängen waren 47 Karten, 825 Briefe, 5 Drucksachen und 14 Anweisungen. Der Tätig teitsbericht läßt flar erkennen, daß in Nürnberg   mit Eifer und mit Erfolg unter den Arbeiterinnen gewirkt worden ist.

Richtigstellung. In den Jahresbericht der Genossinnen von Leipzig  - Stadt( Nr. 22) hat sich infolge eines Mißverständnisses ein Irrtum eingeschlichen, der hiermit berichtigt sei. In Leipzig   haben im letzten Tätigkeitsjahre nicht regelmäßige Diskussionsabende zur theoretischen Schulung der Genossinnen stattgefunden, sondern nur nach Bedarf zusammenkünfte, die der Erörterung von Fragen praktischer Betätigung in der allgemeinen Bewegung dienten.

Politische Rundschau.

Der fünfzigste sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete ist am 30. Juli gewählt worden. Im ersten Wahlgang hat die Arbeiter­partei den württembergischen Wahlkreis Cannstatt- Ludwigsburg mit einer Majorität von mehr als 4000 Stimmen erobert, indem sie ihre Stimmenzahl um über 3000 gegen die Vorwahl auf 18705 steigerte. Der Nationalliberalismus, der den Wahlkreis bisher be­saß, hat eine schwere Niederlage und starten Stimmenverlust er litten, er erzielte nur 9528 Stimmen, obgleich die einstigen Demo fraten, jezigen Fortschrittler ihn unterstützten. Der Bund der Land­wirte brachte es nur auf 4930 Stimmen. Gegen die Wahl von 1907 haben die gesamten bürgerlichen Parteien über 5000 Stimmen vers loren. Bei der Erfahwahl zum württembergischen Landtag in Welz­ heim  , die auch wegen des Rücktritts des Nationalliberalen stattfand, erzielte die Sozialdemokratie ebenfalls einen starten Stimmengewinn und eroberte den Kreis in der Stichwahl gegen den von den National­liberalen unterstützten Fortschrittler. Das Bündnis der beiden libe­ralen Parteien, deren jede so ein Mandat zu gewinnen beziehungs­weise zu behaupten gedachte, hat also völlig versagt. Auch in Württemberg   zeigt sich die Tatsache, daß die Wähler nicht bloß dem schwarz- blauen Block, sondern auch den Liberalen absagen, denen die Sünden ihrer Blockzeit und die Bereitwilligkeit, die in­

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direkten Steuern der Reichsfinanzreform zu bewilligen, nicht ver­gessen worden sind.

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Auf die Nationalliberalen hat diese Erfahrung bereits die von den Konservativen und dem Zentrum gewünschte Wirkung gehabt der rechte Flügel des Nationalliberalismus tritt immer ener­gischer gegen den Zug nach links" auf und der linke wagt schon gar nicht mehr, ihn noch weiter zu verteidigen. Herr Bassermann, der seine angebliche Absicht, sich vom politischen Leben zurückzuziehen, auf das Drängen seiner Anhänger aufzugeben bereit ist, hat diesem Kräfteverhältnis in der Partei Rechnung getragen. Er hat dem Ham­burger Korrespondent" sein Programm entwickelt, das dahin geht, der Entscheidung zwischen rechts und links auszuweichen. Mit den Konservativen Heydebrandscher Richtung und dem Zentrum fönne der Nationalliberalismus nicht zusammenwirken. Aber ebensowenig werde er seine Selbständigkeit gegen lints aufgeben. Das heißt ein allgemeines Bündnis mit der Fortschrittspartei soll nicht ab­geschlossen werden. Dagegen soll ihr erlaubt werden, die National­liberalen in ländlichen Kreisen gegen die Rechte und das Zentrum herauszuhauen, auf eigene Kandidaturen müsse sie dort meist vers zichten, da solche Kreise nur von Rechtsliberalen gewonnen werden fönnten. Dafür soll dann dort, wo es den Nationalliberalen gerade paßt, der Fortschritt ihre Hilfe haben. Das ist ein etwas mageres Geschäft für den Fortschritt, und aus seinen Reihen wird denn auch schon die Klage laut, daß er düpiert werden solle und dabei nicht einmal sicher sei, ob nach den Wahlen die Nationalliberalen nicht doch noch den Anschluß an die Rechte finden, was allerdings sogar ziemlich wahrscheinlich sind. Jedenfalls zeigt das Programm Bassermanns, wie wesenlos die Träume vom Großblock der Linken von Bassermann bis Bebel   ist. Nicht nur, daß der Führer" der Nationalliberalen den Gedanken eines Kampfes an der Seite der Sozialdemokratie gegen den schwarz- blauen Block abweist, er ist noch nicht einmal für einen Block der Liberalen untereinander zu haben!

Indes läßt der sozialdemokratische Siegeszug die Reaktionäre immer verzweifelter nach einer zugfräftigen nationalen" Parole für die allgemeinen Wahlen suchen. Die scharfmacherische Post" enthüllte die ganze Strupellosigkeit, womit ihre Hintermänner ihre Interessen verfolgen, indem sie der Regierung riet, irgend einen internationalen Konflikt anzuzetteln, eine Verwicklung mit einer auswärtigen Macht, wodurch der nationale" Furor ge weckt werden sollte. Das Blatt empfahl also faltblütig, mit der Gefahr eines Krieges zu spielen, um gute Wahlen" für die Besitzenden zu erzielen. So weit ist noch kein anderes reattio näres Organ gegangen wenigstens ist keines so dumm, der gleichen offen zu sagen. Dafür drängen verschiedene Blätter ber Rechten lebhaft auf Einbringung einer recht großen Militärvorlage in der kommenden Session. Sie soll so groß sein, daß sich keine Mehrheit dafür findet, daß sie ein Teil des Zentrums und der Libera­lismus aus Furcht vor neuen Steuern ablehnt. Dann soll die Regierung auflösen die nationale Begeisterung", so hoffen diese - Blätter, werde dann der Regierung eine Mehrheit verschaffen und die Sozialdemokratie zurückwerfen. Diese phantastische Berechnung ist bezeichnend für die Verlegenheit der Reaktionäre das Wahr scheinliche ist doch für jeden Klarblickenden, daß weder ein nennens werter Teil des Zentrums noch der Liberalismus gegen eine natio nale" Forderung, und sei sie noch so maßlos, eine ernsthafte Oppo­fition wagen wird. Die Regierung würde gar nicht in die Lage tommen, aufzulösen und an den nationalen" Furor zu appellieren. Gewiß ist das Zentrum nichts weniger als entzückt von der Not­wendigkeit, in der jezigen Situation eine Heeresvermehrung be­willigen zu müssen, zumal es bereits jetzt immer offensichtlicher wird, daß die neuen Steuern ohnehin schon nicht zureichen Erz­bergers Schönfärbereien zum Troß. Aber um sich nur nicht vom Liberalismus an ,, nationaler" Zuverlässigkeit übertreffen zu lassen, wird es sicherlich in den sauren Apfel beißen. Angenehm ist die Lage der flerikalen Partei zurzeit nicht- und dabei werden ihr gar noch aus den eigenen Reihen Knüppel zwischen die Beine geworfen. Der Profeffor Spahn, der im Reichstagswahlkreis Warburg als Zentrumskandidat für die Nachwahl aufgestellt ist, erklärt sich in einem längeren Artikel gegen die Übertragung des Reichstagswahl­rechts auf Preußen- bisher wagte nie ein Zentrumspolitiker dies offen auszusprechen.

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Während der schlauere Teil der Zentrumspresse die unbequeme Ehrlichkeit des Straßburger Professors durch eine strupellose Um­deutung seiner Meinung zu vertuschen sucht, war ein anderer Teil so verblüfft, daß er die Aufstellung des Herrn als Kandidaten einen Fauftschlag ins Gesicht der Partei nannte. Nicht weniger Magen­beschwerden macht den Klerikalen ein Ausspruch des Bischofs Henle in der bayerischen Kammer, der durch eine unvollständige Zitierung

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