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Die Gleichheit

sammen für das beschränkte Frauenstimmrecht tatkräftig einzu treten: für den stand es auch von vornherein fest, daß nicht die Frage der Mittel, sondern des Ziels selbst der Drehpunkt der Verhandlungen sein werde. So ist es denn auch gekommen. Die zahlreich vertretenen englischen Genossinnen, welche der ,, Unabhängigen Arbeiterpartei" und der Vereinigung der Fabier" angehören, setzten sich mit Wärme dafür ein, daß aus der Resolution, welche den Kampf für das allgemeine Wahl recht aller Großjährigen proklamiert, die scharfe, grundsäßliche Kennzeichnung des beschränkten Frauenwahlrechts gestrichen werden sollte. Diese Kennzeichnung so machten sie geltend -sei eine indirekte Berurteilung der Haltung der Genossinnen und Genossen, die in England zunächst die Forderung des be­schränkten Frauenwahlrechts unterstützt hatten. Die Genossinnen Murby, Dutcher, Philipps und andere suchten vergeblich, diese Haltung zu rechtfertigen. Ihre Gründe waren die altbekannten: das beschränkte Frauenwahlrecht sei seinem Charakter und seinen Wirkungen nach nicht so schlimm, wie es grundsätzlich erscheine; es könne selbstverständlich nicht das Ziel des Kampfes für die politische Emanzipation des weiblichen Geschlechts in seiner Gesamtheit sein, bedeute aber einen wichtigen Schritt in der Richtung zu diesem Ziele; es müsse in England als das mo­mentan allein Erreichbare genommen werden usw. Die Gründe hatten durch ihre Wiederholung nicht an durchschlagender Be­weiskraft gewonnen. Sie wurden auch dadurch nicht über­zeugender, daß fie mit Lobpreisungen des guten Herzens und Willens bürgerlicher Damen und der Vorteile verquickt wurden, die durch das Hand in Hand gehen mit der Frauenrechtelei er reicht werden könnten, furz mit Ausführungen, die das richtige Erfassen der Bedeutung der Klaffengegensäge vermissen ließ. Es versagte auch völlig die Wirkung der Rede, mit welcher Mrs. Despard, eine der opferfreudigsten, tatkräftigsten Führe rinnen der Suffragettes, das Eintreten für das beschränkte Frauenwahlrecht verteidigte. Gewiß waren alle Delegierten in der hohen Wertschäzung einig, die sie der Person der ehr­würdigen Greifin, ihren in die Tat umgesetzten Bürgertugenden zollen. Jedoch ebenso einig war die erdrückende Mehrzahl von ihnen in dem Bedauern, daß so große, schöne Eigenschaften an eine so kleine und ungute Sache wie das beschränkte Frauen­wahlrecht verschwendet werde. Ein geradezu einstimmiges, un beugfames Nein war die Antwort auf das Anfinnen, das all gemeine Wahlrecht ohne jede Brandmarkung des beschränkten Frauenwahlrechts zu fordern. Die vorliegende Resolution wurde mit allen gegen 10 Stimmen angenommen, die von einem Teil der englischen Delegation fielen, deren Minorität unter Führung von Genossin Montefiore, der verdienstvollen Vorfämpferin für das Wahlrecht aller Großjährigen, die Taktik des Kompromisses scharf bekämpfte. Die Debatte, die der Abstimmung voraus­ging, war ein lebensvoller Beweis dafür, wie befruchtend die Stuttgarter Konferenz gewirkt hat, wieviel Klarheit und Festi­gung die sozialistische Frauenbewegung international ihrer Arbeit verdankt. Es war eine Luft, den Ausführungen zu folgen, mit denen die Genossinnen Twining und May Wood- Simons aus den Vereinigten Staaten für den angefochtenen Bassus der Re­solution eintraten, die Genofsinnen Dahlström und Gustafson aus Schweden , Genossin Gjöstein aus Norwegen , Genossin Kollontay aus Rußland , die Genofsinnen Sieg und Popp aus Deutschland beziehungsweise aus Österreich , die Genoffinnen Montefiore und Grundy sowie Genosse Burrows aus England. In jeder Rede der gleiche volle Grundton und doch keine er­müdende Wiederholung, denn in jeder wurde die klare prin zipielle Erfassung durch wertvolles Tatsachenmaterial gestützt, welches den Charakter, die Wirkungen des beschränkten Frauen­wahlrechts, welches die Rolle der Klaffengegensätze in der Frauen welt fennzeichnete. In diesem Zusammenhang verdienen die Dar legungen unserer amerikanischen Genossinnen besonders hervor gehoben zu werden. Sie brachten eine prächtige Widerlegung des gern erzählten Märchens von der Schwesternschaft des weib­lichen Geschlechts, von dem Verständnis für die proletarischen Interessen, dort wo die bürgerliche Frauenbewegung in Blüte steht und ihre politischen Forderungen erfüllt sind. Verzeichnet

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sei, daß die Resolution der deutschen Genofsinnen zur Frage des Frauenwahlrechts durch zwei Amendements der österreichi­schen Genossinnen verbessert worden ist. Sie beugen jedem Miß­verständnis unserer Forderung dadurch vor, daß sie für die Frauen ausdrücklich das Wahlrecht in den einzelnen Bundes­staaten beziehungsweise Kronländern verlangen, sowie auch das Recht der Wählbarkeit für alle gesetzgebenden und verwaltenden Körperschaften. Die Vorschläge über möglichst einheitliche prat­tische Arbeit für die Einführung des Frauenwahlrechts fanden einstimmige Annahme. Nun gilt es für die Genossinnen aller Länder, hinter die Beschlüsse die Tat zu setzen. Das gilt ins besondere auch von dem Beschluß, in Gestalt des Frauentags " ein neues Agitationsmittel zur Anwendung zu bringen, ohne Illusionen darüber, daß es für die Eroberung des politischen Rechtes der Frau keine Weltwende bedeutet, aber mit dem feften Willen, ihm jene praktische Tragweite zu geben, die ein gut vor­bereiteter Frauentag haben kann und schließlich gewinnen muß. si Das Nachlaffen der gespannten Konzentration und Frische, das erfahrungsgemäß auf allen Tagungen großen prinzipiellen Auseinandersetzungen zu folgen pflegt, blieb auch der Frauen­fonferenz natürlich genug nicht erspart. Wir bedauern lebhaft, daß darunter die Behandlung der Frage des sozialen Mutter­schafts- und Kinderschutzes gelitten hat. Sie wurde außerdem noch durch andere Umstände benachteiligt; so vor allem durch die vorgeschrittene Zeit und das Auftauchen einer Materie, deren Erörterung nicht vorhergesehen war, nämlich das Verbot der Nachtarbeit für Frauen. In der Folge fonnte die Mutter­schafts- und Kinderfürsorge weder mit der Breite noch auch Tiefe behandelt werden, welche der Komplex einschlägiger Ver­hältnisse und Reformforderungen verdient. Dieser war von Genossin Duncker, welche die Resolution der deutschen Ge­nofsinnen begründete, knapp, aber scharf, in vorzüglichen Aus­führungen beleuchtet worden, die zusammen mit der Rede der Genossinnen Nielsen- Dänemark und Pärsinnen- Finnland zeigten, welch reiche sachliche Ausbeute eine weitere Erörterung ergeben haben würde. Außerlich schloß die Debatte mit der Annahme der Resolution der deutschen Genossinnen und eines Antrags aus England, der ganz allgemein den Grundsatz ausspricht, daß die Gesellschaft zur Fürsorge für Mutter und Kind ver­pflichtet sei. Unseres Dafürhaltens ist damit die wichtige Frage nicht ein für allemal für die Genossinnen der verschiedenen Länder abgetan. Einzelne ihrer Seiten werden sich zu neuer licher Behandlung aufdrängen; wir denken dabei besonders an die wichtigen gesellschaftlichen Maßnahmen zugunsten unver­sorgter schulpflichtiger Kinder. Die Konferenz überwies über­dies zwei Anträge unserer finnischen Genossinnen über die Stel lung der unehelichen Mütter und die Strafe für Kindsmord ihrer Nachfolgerin zur eventuellen Erörterung.

Daß eine sozialistische Frauenkonferenz zur Stellungnahme gegen das Verbot der Nachtarbeit der Frauen aufgefordert werden konnte, war für manche Genossinnen eine schmerzliche Überraschung. Dieses Anfinnen wurde leidenschaftlich von der großen Majorität der dänischen und schwedischen Delegierten ver treten und ist charakteristisch dafür, daß die Bewegung der Ge nossinnen jener Länder weder den Einschlag frauenrechtlerischer Auffassung noch die engen Bande einer zünftig- berufsegoistischen Wertung der Dinge abgestreift haben. Es waren die frauen­rechtlerischen Gemeinpläge von dem Recht der Frau auf Ar­beit", von der mechanischen Gleichheit der Geschlechter", es waren Erwägungen, die lediglich die Verhältnisse der kleinen Gruppe von Seherinnen berücksichtigen, welche zu der Forde rung führten: Kein Verbot der Nachtarbeit für Frauen. Die Majorität der schwedischen Genosfinnen hat leider bereits seiner­zeit durch eine entsprechende Protestaktion das Eintreten der sozialdemokratischen Partei für die dringend notwendige Reform erschwert. In Dänemark sieht sich die sozialdemokratische Partei gleicherweise in der peinlichen Lage, daß ein erheblicher Teil der Genossinnen noch gegen das Verbot der Nachtarbeit für Frauen ankämpft. Bei diesem Stande der Dinge war eine Aus­einandersegung über die strittige Frage unvermeidlich, die für die Genossinnen keines anderen Landes überhaupt noch eine