400
Die Gleichheit
Nr. 25
feit aufklärender Agitation und werbender Organisationsarbeit unter diesen Arbeiterschichlen; denn die elenden Lebensbedingungen, das Hemmnis für die Anteilnahme an der Arbeiterbewegung, können nur durch Anschluß der Arbeitsgenossen und Arbeitsgenossinen an den Verband beseitigt werden. Die Arbeitsbedingungen werden stark durch das unaufhaltsame Vordringen der Frauenarbeit beeinflußt. Seitdem auch in den ein- schlägigen Berusszweigen infolge der wirtschastlich-technischen Ent- Wicklung immer mehr die Männerarbeit durch Frauenarbeit ersetzt wird, treten Spezialarbeiterinnen und Hilfsarbeiter an Stelle der gelernten Konditoren. Der anfangs überall zu beobachtende passive Widerstand der Frauen gegen alle organisatorischen Bestrebungen und ihre hiermit in Verbindung stehende Widerstandslosigkeit gegen alle möglichen Ausbeutungsgelüste der Arbeitgeber erschwerten bis jetzt ungeheuer die Organisationsarbeit. Hierauf ist zurückzuführen, daß Anfangslöhne für Arbeiterinnen von 9 Mk., abzüglich der Ver- sicherungsbeiträge nur noch von 8,17 Mk. pro Woche üblich sind. Spezialarbeiterinnen erhalten willkürlich von der Firma festgesetzte Akkordlöhne. Akkordtabellen hängen in den Arbeitsräumen nicht aus. In der flauen Zeit kommt es vor, daß Arbeiterinnen mit einem Wochenverdienst von 6, S und 4 Mk. nach Hause gehen. Garan- tierten Wochenlohn bei den Akkordsätzen kennt man ebensowenig wie einen Zuschlag für Überstunden, die in der Saison, zu den WeihnachtS  - und Osterfesten, viel gemacht werden müssen. Straf- gelder sind in vielen Betrieben üblich. Eine Wandsbeker   Firma läßt für ein Zuspätkommen am Montagmorgen 1 Mk. zahlen. Jedes kleine Versehen im Betrieb wird mit Geldstrafen geahndet. Eine Ottensener   Firma verhängte Geldstrafen bis zu 6 Mk. in der Woche. Zwar sollen diese Strafgelder laut Arbeitsordnung zum Besten der Arbeiter verwendet werden, doch besteht keinerlei Kontrolle darüber. Gelernte Arbeiter erhalten Wochenlöhne von 13 Mk. Der Höchst- lohn von 80 Mk. wird nur in seltenen Fällen erreicht, Hilfsarbeiter schaffen für 10 bis 28 Mk. die Woche, darunter sind Löhne von 21 Mk. für Familienväter keine Seltenheit. Diese horrenden Löhne in Verbindung mit den fast unerschwinglichen Lebensmittelpreisen sind eine treffliche Beleuchtung des Wortes vonder übervollen Kompottschüssel des deutschen Arbeiters". Das Entwürdigendste für die Arbeiter und Arbeiterinnen in diesen Berufen ist neben willkürlicher, schikanöser Behandlung im Betrieb die häufige, geradezu schamlose Leibesvisitation beim Ver- lassen der Arbeitsstätte. Besonders die Frauen und jungen Mädchen leiden unter dieser Maßregel. In flammender Empörung haben sie sich oft über die Beschimpfung beklagt. Bei einer Dresdener   Firma besorgte diese Visitation eine Zeitlang der Portier. Die Fabrik- Herren brandmarken durch Anordnungen solcher Art ihre ausge- beuteten Arbeitssklaven, die ihnen die reichlichen Profite schaffen, noch mit dem Verdacht des Diebstahls. Für sie deckt sich der Be- griff Arbeiter mit Spitzbube! Unter solch unhaltbaren, aufreizenden Arbeitsverhältnissen und bei der regen unermüdlichen Agitation des Verbandes der Bäcker und Konditoren mußten sich schließlich auch die Arbeiter und Ar- beiterinnen dersüßen Industrie" auf sich selbst besinnen. Viel- versprechende Organisationsansätze geben hiervon Zeugnis, und an ihnen haben die weiblichen Mitglieder keinen geringen Anteil. Allwöchentlich tritt in Hamburg   eine ansehnliche Zahl tüchtiger Agitatorinnen unter Leitung ihres Sektionsführers zusammen, um Anleitungen und praktische Winke für die Kleinarbeit unter ihren Kolleginnen zu empfangen und durch gegenseitige Aussprache aus den Ersahrungen jedev einzelnen zu lernen und ihre Anschauungen zu klären. Hier zeigt sich wieder einmal: hat erst die Frau etwas als Notwendigteit ersaßt, eine Idee in sich aufgenommen, so ist sie ganz bei der Sache. Es wird denn auch der Erfolg dieser agitatorischen Kleinarbeit nicht ausbleiben, die mit großer Liebe und zäher Ausdauer betrieben wird. Nur mutig und kampfessreudig vorwärts! e. g.
Fürsorge für Mutter und Kind. Auch eiue Lösung der Mutterschutzfrage. Während die klassenbewußten Arbeiterinnen alle Kräfte anspannen, um bei der neuen Reichsversicherungsordnungdie Gesetzgebung zu zwingen, ihnen während der schweren Zeit der Mutterschaft das dringend erforder- liche Recht auf Hilfe zu bringen, die ihnen die Gesellschaft schuldet, wissen bürgerliche Frauenrechtlerinnen wieder einmal nichts Besseres zu tun, als den Bettelsack zu schwingen, um die soziale Not zu lindern. Wie die Karikatur einer ernsthaften Mutterschaftsversicherung mutet das neueste bürgerliche Projekt an, das Almosen und Profil- macherei in schönem Einklang verbindet. Es ist beabsichtigt,»ine Genossenschaftsbank selbständiger Frauen e. G. m. b. H.
zu gründen. Der Zweck des Unternehmens soll sein, den vielen selbständige» Frauen, die als Leiterinnen von Konfitüren-, Seife»-, Schreibwaren-, Modewaren- usw. Geschäften eine höchst unsichere. aber nach außen hinbessere" Existenz gefunden haben, die Möglich- keit eines Bankkredits zu verschaffen, welches ihnen über die Zeiten schlechten Geschäftsganges hinweghelfen soll! Das hierzu benötigte Kapital soll aufgebracht werden durch die Mitglieder einer Genossenschaftsbank. Die Mitgliedschaft dieser Bank und damit das Recht auf Inanspruchnahme der Bank in Bedarf-- fällen kann erworben werden durch einen einmaligen Beitrag von mindestens 100 Mark. Ein Kapital von 100000 Mark ist das mindeste, was aufgebracht werden muß, um die Gründung dieser Bank überhaupt zu ermöglichen, und da dieses Geld selbstver« ständlich nicht von denen aufgebracht werden kann, zu deren Unter- stützung es verwendet werden soll, wendet sich das Syndikat der Genossenschafsbank selbständiger Frauen und der Mutterschafsversicherung anvermögende Frauen, welche dieses soziale Unternehmen stützen sollen, indem sie mit einigen Anteilen Genossen der Bank werden und serner der Bank ein festes Darlehen in beliebiger Höhe, zu einem zu vereinbarenden Zinsfuß auf Depositenkonto überweisen". Aber die bürgerlichen Gründerinnen ahnen wohl, daß es keiner ihrer wohlhabenden Klassengenossinnen einfallen wird, sich auf ein solch riskantes Geschäft einzulaffen, deshalb hängen sie ihrem Unternehmen noch ein zweites ebenfalls ganz fadenscheiniges soziales Mäntelchen um, nämlich eine Mutterschaftsversicherung. Diese soll in zwei Gruppen zerfallen: a. Versicherung für Kinder, d. Versicherung für Erwachsene. Jedes Mädchen kann sofort nach Geburt, am besten vor dem zehnten Lebensjahr fürVerhältnis- mäßig geringen Beitrag(wie hoch dieser ist, wird nicht gesagt) bei der Mutlerschaftsversicherung die Sicherung eines kleinen 5iapitalS zur Einsegnung und zur Verheiratung erreichen. Höher stellt sich der Beitrag, wenn die Versicherung erst im geschlechtsreifen Alter abgeschlossen wird, weil da von vornherein mit einer baldigen Mutterschaft gerechnet werden muß." Aber auch kinderlos bleibend« Mütter sollen ihr Geld nicht umsonst eingezahlt haben, sondern ein Teil des von ihnen eingezahlten Geldes wird ihnenbei Er- reichung des die Mutterschaft ausschließenden Alters oder bei frühzeitigem Tode in Form eines Sterbegeldes an die Hinter- bliebenen" zurückgezahlt. Di« Gründerinnen der Mutterschafts- Versicherung nehmen an, daß in erster Zeit der Zustrom schwangerer Frauen sehr groß sein wird und die Ausgaben die Einnahmen übersteigen werden. Um diesem sicheren Defizit vorzubeugen, sollen dieetwa" sich ergebenden Fehlbeträge ausgebracht werden durch Ehrenmitglieder, die einen Beitrag von 10 Mk. vierteljährlich leisten, sowie durch Stiftungen, Zuwendungen und Wohltätigkeits- Veranstaltungen, vielleicht auch durch einen alljährlich im Deutschen Reiche zu veranstaltenden Tag der Mütter." Da aber der Appell an das gute Herz der Neichen auch mit einem Defizit enden könnte, heißt es in dem vorliegenden Prospekt weiter:Auch die ganz auf sozialer Basis zu gründende, mit der Mutterschaftsversicherung Hand in Hand arbeitende Genossenschaftsbank selbständiger Frauen, e. G. m. b. H., wird einen erheblichen Teil ihres Reingewinne? dem Reservefonds der Mutterschaftsversicherung überweisen." Wo sind die Proletarier, die überhaupt vermögen in irgend einer Form soviel Beiträge zusparen", wie dies» Mutterschafts- Versicherung erfordert? Und die sogenannten selbständigen Frauen sind meist auch nicht in viel besserer Lag« als die Arbeiterinnen, manchmal in einer noch schlimmeren. Der ganze Plan dieses Syndikats entpuppt sich als ein höchst unzulängliches Surrogat dessen, was wirklich nötig ist; nur die gesetzliche Fürsorge für die Mutterschaft, wie sie die Sozialdemokratie fordert, kann bringen, was jene bürgerlichen Frauen durch ihr« sozialreformerischen Quacksalbereien erreichen wollen:Die Entwick- lung eines starken Geschlechts im Interesse der VolkSgesundheit." Selbstverständlich fordern wir auch für jene angeblich selb- ständigen Proletarierinnen eine ausreichend» Versicherung. DaS beweisen die Anträge zur Reichsversicherungsordnung, welch« die Sozialdemokratie im Namen des politisch und gewerkschaftlich organisierten Proletariats vertritt. Aber wir bekämpfen den Dünkel der Damen, der bei all diesen sozialen Schichten um so größer ist, je mehr ihre Notlage und Abhängigkeit sie den Arbeiterinnen gleichstellt, der Dünkel, daß es sich für sie nicht gezieme, in Reih und Glied mit den anderen Proletarierinnen zu stehen. Der Stroh- Halm bürgerlicher Wohltätigkeit wird auch diese versinkende Schicht nicht vor dem Untergang in der Flut des Elends bewahren, m. w. verantwortllch kür dt» Redaktion: Frau«tara Zetkw(ZmU>«y. WtlhclmhSH«. Post Degerloch bei Stuttgart  . Druck und Verlag von Paul Singer tu Stuttgart  .