Nr. 26 Die Gleichheit 405 bfr Überzahl, und der von ihrem Beruf seit Jahrhunderten unzertrennliche Begriff der klaglosen Ausopferung, der absoluten Unterordnung und Gehorsamspflicht, der Arbeit»um Christi willen-,um sich einen Thron im Jenseits zu erobern-, ist von der verhängnisvollsten Wirkung gewesen für die Frauen, die in unserer Zeit die Krankenpflege als Erwerbsberuf über« nahmen. Mit der Arbeitskraft der freien Psiegerinnen wird der allerschlimmste Raubbau getrieben, ohne daß ausreichende Ernährung, anständige Bezahlung und gesicherte Pensionsverhält« nisse für Alter und Invalidität gewährt werden. Dabei wird kaum für einen anderen Beruf so eifrig die Werbetrommel ge- rührt wie für den der Krankenpflegerin. Der Nimbus, der ihn seit alter Zeit umgibt, die bürgerliche Respektabilität, die ihn vor manchen anderen Berufen besonders auszeichnen soll, die reklamehaften Zusicherungen einer gesicherten Lebensstellung, Altersversorgung usw. werden alS Köder benützt zusammen mit dem Hinweis daraus, daß dieser Beruf der weiblichen Eigen- art entspreche wie wenige andere. Das skrupellose Anwerben und Anlocken mit solchen Mitteln, das nachgerade einer Bor- spiegelung falscher Tatsachen gleichkommt, ist ein Geschäft wie jedes andere. Es wird vorwiegend von Damen mit klangvollen adeligen Namen betrieben, die sich den vertrauenerweckenden Titel»Oberin- eigenmächtig betlegen. ES sind fast durch« weg gescheiterte Existenzen, die sich durch Vermittlung weib« licher Pflegekräste für Kranken- oder Privathäuser ernähren und damit den Betrieb von Pensionen, sogenannten»Schwestern- Heimen- verbinden, in denen die freien Krankenpflegerinnen in Zeiten von Beschästigungslosigkeit und Krankheit aufgenommen werden, natürlich gegen bare Bezahlung. Außer in den schon erwähnten, aus Fachkreisen stammen- den Mitteilungen in der Tagespreffe findet sich reiches Matertal zur Beurteilung der Notlage der Krankenpflegerinnen in zwei zusammenhängenden Darstellungen, in dem kleinen Schriftchen: »Unsere Krankenpflegerinnen- von I. B. v. Zehmen (Verlag Felix Dietrich, Leipzig ) und in dem mehr als»00 Druckseiten umfaffenden Buche»Dornenpfade der Barm« Herzigkeit- aus Schwester Gerdas Tagebuch. Herausgegeben von Schwester Henriette Arendt , der auch unseren Leserinnen nicht unbekannten Verfasserin der vor zwei Jahren erschienenen SchriftMenschen, die den Pfad verloren-, Zu den düsteren Tagebuchblattern aus sechs Jahren der Krankenpflege hat Schwester AgneS Karll , die Vorsitzende der Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands, eine Einführung geschrieben Sie bestätigt, was wir inzwischen noch auS anderen Quellen erfahren haben, daß all die von Schwester Gerda ausführlich mitgeteilten Tatsachen durchaus der Wahr« heit entsprechen. Die Schülerinnen, welche sich, angelockt durch die oben gekennzeichneten gewissenlosen Versprechungen, zur Er- lernung und Ausübung der Krankenpflege auf mehrere Jahre verpflichten, ahnen, wie Schwester Gerda, gewöhnlich nicht, welch schweres Leben ihrer harrt. Sie sind oft sehr jung die untere Altersgrenze ist 18 bis 20 Jahre und meist gar nicht in der Lage, zu beurteilen, ob sie der Krankenpflege, die vor allem vollkommene körperliche und seelische Gesundheit erfordert, gewachsen sind. Wie I. B. v. Zehmen betont, ist der Beruf der Krankenpflegerinnen der einzig» nicht über- füllt» Frauenberuf. Diese Tatsache ist ebenso festgestellt für die auf konfessioneller Grundlage organisierten Diakonissen - vereine wie für die sogenannten freien Vereinigungen. Das fehlende Angebot von Arbeitskräften verhindert eine sachgemäße Auswahl, und so werden zahllose junge Mädchen in wenigen Jahren in einem Berufe hingeopfert, dessen Gefahren, körper- lichen Anstrengungen und seelischen Erschütterungen sie in keiner Weise gewachsen waren. Eine Statistik der»Berufsorganifa- lion der Krankenpflegerinnen Deutschlands - weist nach, daß 05 Prozent der Schwestern nach zehn Dienstjahren bereits über- anstrengt tvaren. Davon waren SS Prozent unter 25 Jahre, 70 Prozent unter 30 Jahre und SS Prozent unter 40 Jahre alt. Von 2500 Schwestem erkrankten während der Pflege- rinnenzeit an: Bleichsucht 326, Nervenerkrankungen 148, In- flnenza 204, Halserkranlungen und Bronchitis 222, Diphtherie 169, Typhus 108, Blinddarmentzündung 175. Es ist klar, daß eine überbürdete Schwester den zahlreichen Ansteckungsmöglich- leiten bei der Pflege viel leichter erliegt als eine Pflegerin, der ausreichende Erholungszeiten sowie alle Erleichterungen zuge- standen werden, die in einem so schweren Beruf als selbstver- ständlich gelten müßten. Die Arbeitszeit der Krankenpflege- rinnen beträgt durchschnittlich 12 bis 15 Stunden, vielfach ohne ausreichende Ruhepausen. Da männliche Krankenpfleger für die Hungerlöhne, welche die Krankenhäuser ihren Angestellten bezahlen, nur in ganz unzureichender Zahl zu haben sind, mutet man den Schwestern die peinlichsten und ekelhaftesten wie auch die schwersten Arbeiten z«. 60 Prozent der Schwestern, heißt es in dem Tagebuch, sind unterleibskrank infolge von Ver- Hebungen beim Umbetten und beim Transport der Patienten zum und vom Operationstisch. Da an Personal für die ge- wöhnlichen Rcinemachearbeiten ebenfalls gespart wird, fällt den Schwestern oft auch das Scheuern der Fußböden, das Fenster- putzen usw. zu. Sehr schwer ist der Dienst auf Stationen mit ansteckenden Krankheiten. So stellt Diphtheriepflege die höchsten Anforderungen an die Kraft, Umsicht und Ausdauer der Pflege- rinnen. Angestrengte Nachtwachen bei großer Patientenzahl und der in den Krankensälen oft herrschenden schlechten Luft sind geeignet, auch die festeste Gesundheit in kurzer Zeit zu zerrütten. Der Frauen-Rundschau desBerliner Tageblatts' schrieb eine Schwester über den Nachtdienst:»Das städtische Klassenkrankenhaus hat drei Etagen, die sämtlich eine Schwester nachts zu besorgen hat. In der mittleren Etage hat sie ihr Quartier aufgeschlagen, und dann geht's hinauf und hinunter. Eine solche Tour dauert mindestens vier Wochen. Es sind dies in der Hauptsache Kranke der wohlhabenderen Stände, und diese sind leider meist noch anspruchsvoller als andere.' Es ist übrigens eine ständig wiederkehrende Klage in den unS vorliegenden Schriften, daß gerade in zahlungsfähigen Kreisen ganz außerordentliche Anforderungen an die Schwestern gestellt werden, und zwar vor allem in der Privatpflege.Man sieht in der Schwesternhaube den Heiligenschein, der unerschöpf- liche Kräfte verleiht und alle irdischen Bedürfnisse beseitigt.' Und nun die materielle Lage der Krankenpflegerinnen. Hier liegt noch alles im argen. Die Diakonissinnen erhalten von den Mutterhäusern ihrer konfessionellen Vereinigungen ein Taschengeld. Nicht viel mehr gewährt man den freien Schwe- stern. Sie erhalten neben freier Station, die im Punkte der Verpflegung sehr viel zu wünschen übrig läßt, ein Anfangs- gehalt von 30 Mk. monatlich, das von drei zu drSi Jahren bis 46 Mk. steigt. Davon geht die Versicherungsprämie für eine ZwangSinvalidenverstcherung beim»Anker- ab sowie die Kosten für Anschaffung der Tracht und die sehr hohen laufenden Bei- träge für die Wäsche von Hauben, Bändern usw. Jede Unter- brechung ihrer Tätigkeit durch Krankheit kann die freie Pflegerin in Schulden stürzen, denn ihre geringen Ersparnisse pflegen in den»Schwesterheimen' schnell aufgezehrt zu werden. In Berücksichtigung aller dieser Umstände ist es kein Wunder, daß die Pflegerinnen ihre Kräfte sehr schnell verzehren. Er- schreckend groß ist die Zahl derer, die schon vor Ablauf der zur Pensionierung berechtigenden zehn Jahre ihre Gesundheit und Arbeitskraft verbrauchen und dann aller Not preis- gegeben sind. Gegen solche Zustände muß bei jeder sich bietenden Gelegenheit Protest erlzoben werden. Nicht nur die freien Pflegerinnen zählen zu den Leidtragenden dieses Ausbeutungssystems, sondern auch das große Publikum, vor allem die unbemittelten Kreise, die ihre Kranken einer so mangelhaft organisierten Pflege über« lassen müssen, die bei aller persönlichen Hingebung und Selbst« aufopferung doch nicht das leisten kann, was geleistet werden muß. Tie Vertreterinnen dieses schweren, verantwortungsreichen und gefahrvollen Berufs, die unentbehrlichen Gehilfinnen deS Arztes müssen durch ausreichende Hilfskräfte von ungeeigneten Arbeiten entlastet werden. Vor allem aber gebührte ihnen eine auskömmliche Besoldung, kurze Arbeitszeit und eine gesicherte Versorgung im Alter und bei Invalidität. Auch unter den heutigen Verhältnissen kann eine derartige Reform der Kranken-