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Die Gleichheit
die Worte weithin hallen, die Aufmerksamkeit der größten Kreise Werktätiger auf die im Proletariat schlummernde Macht ge lenkt ward, die den Massenstreit im Kampfe wirksam werden läßt. Die Verhandlungen haben damit erreicht, was die Resolution im wesentlichen bezweckte: dem Bereitmachen, dem Bereitsein der Massen vorzuarbeiten, die in der umstrittenen Frage das letzte entscheidende Wort haben.
Der frische, kraftgeschwellte Kampfesgeist des revolutionären Proletariats, der heuer stärker als in manchen Vorjahren die Tagung der Sozialdemokratie belebte, kam auch in dem Bericht über den Internationalen Kongreß zum Ausdruck, sprühte aber vor allem in dem Bericht der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion. Die Abrechnung mit der gesamten Politik der ausbeutenden und herrschenden Klassen wie mit dem persön lichen Regiment war von erquickender Schneidigkeit und Wucht. Die Entschiedenheit, mit der Genosse Noske die demokratische Republit als eine der wichtigsten Losungen des nächsten Wahlkampfes proklamierte, hat weit über den Parteitag hinaus ein freudiges Echo bei allen gefunden, die sich klar darüber sind, daß das persönliche Regiment der persönliche Feind des kämpfenden Proletariats ist, daß die Monarchie in Deutschland als stärkste Truzveste die Interessen der besitzenden Minderheit schirmt. Das treff liche Referat über die Reichsversicherungsordnung, die Resolution gegen die Vernichtung der politischen Frei heiten Finnlands und den Besuch des Henkerzaren in Deutschland nebst ihrer prächtigen Begründung, die andere gegen die Fleischteuerung und ihre agitatorisch wirksame Befürwortung: schließen sich den übrigen Rufen zu Rüstung und Kampf würdig an.
Neben den Fanfaren zum Aufmarsch in die Schlachtlinie die eindringlichen Mahnungen zu ruhiger, stiller, aber zielflarer Arbeit. An erster Stelle sei in diesem Zusammenhang der Be handlung der Genossenschaftsfrage gedacht, die durch ein lichtvolles, prinzipiell wohl erwogenes Referat eingeleitet wurde. Nach allem, was wir in den vorausgegangenen Nummern dieses Blattes zur Frage selbst geschrieben haben, brauchen wir heute den Genossinnen nur eines hinzuzufügen:„ Seid Täter des Wortes und nicht Hörer allein!" Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, daß im Anschluß an die Berichte des Parteis vorstandes und der Reichstagsfraktion, sowie an vorliegende Anträge eine Reihe von Beschlüssen gefaßt worden sind, die die Ausgestaltung der Organisation und Presse, die Förderung der Agitation, den Kampf für Reformen usw. betreffen.
Der Parteitag zu Magdeburg hat sein gut Maß fleißiger, einsichtsvoller Kleinarbeit geleistet, er hat darüber hinaus weit tragende Entscheidungen gebracht, die ihn den wichtigsten seiner Vorgänger in der Geschichte der Sozialdemokratie zur Seite stellen. Das klassenbewußte Proletariat Deutschlands kann mit seinem Werke vollauf zufrieden sein.
Das Weib als Kulturträgerin.
Wenn die bürgerliche Frau heute energisch die Zulassung zu den sogenannten liberalen Berufen verlangt, in denen das wirtschaftliche und soziale Schwergewicht mehr in der geistigen als in der körperlichen Arbeit ruht, dann ist es einer der be liebtesten Einwände, der ihr von seiten der die Konkurrenz fürchtenden Männer ihrer Klasse entgegengehalten wird, daß das Weib seiner Natur nach dem Manne geistig nicht eben bürtig sei. Zum Beweis dafür beruft man sich mit Vorliebe darauf, daß es noch keinen weiblichen Philosophen, Dichter, Naturforscher oder Erfinder vom Range eines Kant, Goethe, Newton oder Edison gegeben habe, daß sich vielmehr die Leistungen der Frauen auf all den betreffenden Gebieten noch kaum über das Niveau der Mittelmäßigkeit erhoben hätten. Die Herren haben sofort eine Antwort bereit, wenn ihnen erwidert wird, daß die Frauen bisher eben keine Gelegenheit gehabt hätten, sich auf diesen Gebieten genügend zu betätigen, um die ihnen eigentümlichen Fähigkeiten in solchen Richtungen
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zu entwickeln. Sie verweisen dann darauf, daß die Frau auch auf den Gebieten, die sie seit Jahrhunderten beherrscht, wie das der Kochkunst, der Näherei usw. weder Erfindungen gemacht, noch sie überhaupt in eigenartiger Weise gefördert und bereichert habe. Die ganze bisherige Kulturentwicklung soll ihrer Meinung nach eine spezifisch männliche sein, dem Manne verdanke die Menschheit alles, was sie an Kultur besitzt.
Wir wollen uns hier nicht darauf einlassen, die Schiesheit dieser ganzen Argumentation in allen Punkten nachzuweisen. Aber schon die Behauptung selbst ist falsch, auf die sie sich stützt: die großen Kulturerrungenschaften, die die Menschheit empor geführt haben aus dem Bereich der Tierheit in das der Kultur, sind nicht ausschließlich männlichen Ursprungs. Die ver gleichende Völkerkunde hat heute bereits mit voller Sicherheit den Nachweis erbracht, daß die Menschheit einige gerade ihrer allerwertvollsten Kulturerrungenschaften in hervorragendem Maße auch der Arbeit und dem Geiste des Weibes verdankt. Freilich handelt es sich dabei nicht um einzelne geistige Großtaten, sondern um Entwicklungen, die jedenfalls Jahrtausende in Anspruch genommen haben. Wir kennen nicht die Namen einzelner Frauen, denen wir diese großen Fortschritte und Errungenschaften zuschreiben könnten. Wir wissen nur, daß zu den größten und bedeutungsvollsten Pionieren der Menschheit Frauen gehört haben, und unsere Dankbarkeit muß sich daher nicht an einzelne Personen richten, sondern an das Geschlecht.
Der Ursprung der großen Errungenschaften, von denen hier die Rede ist, liegt viele Jahrtausende hinter uns, und keine geschichtliche überlieferung berichtet von ihm und den nächsten Entwicklungen. Die Tatsachen der vergleichenden Völkerkunde und Sprachforschung sowie eine große Reihe historischer Fakten berechtigen uns jedoch nicht nur, sondern zwingen uns geradezu zu dem Schlusse, daß es Frauen waren, die die ersten Träge rinnen jener Grundlagen des materiellen und geistigen Fort schritts waren.
Um den Gang dieser Beweisführung zu verstehen, müssen wir uns zunächst für einen Augenblick in jene längst vergangene Zeit zurückversetzen, in der der Mensch überhaupt erst zum Menschen wurde, das heißt, in der er sich von seinen affenähnlichen Vorfahren zu unterscheiden und jene Entwicklungs richtung einzuschlagen begann, in der er seither bis zur Höhe des heutigen Europäers oder Ostasiaten fortgeschritten ist. Diese Entwicklung wurde aller Wahrscheinlichkeit nach dadurch herbeigeführt, daß der affenartige Vorfahr des Menschen durch irgend welche Ereignisse veranlaßt oder gezwungen wurde, die bergenden Wipfel der Bäume, in denen er bis dahin gelebt hatte, zu verlassen und sich auf dem flachen Boden weiter zu bewegen. Vielleicht wurde er aus den Baumregionen durch überlegene Feinde verdrängt; wahrscheinlicher ist es, daß in den von ihm bewohnten Gegenden der Baumwuchs aus irgend welchen Gründen zurückging. Dieser Wechsel in der Lebensweise gehört wohl für uns zu den folgenschwersten Ereignissen in der ganzen Erdentwicklung. Die rückwärtigen Gliedmaßen dieser Vorfahren des Menschen wurden nun kräftiger, ihre Greifhand gestaltete sich allmählich zum Fuß um, der Gang und die Körperhaltung wurden aufrecht, und dadurch wurde die Hand frei. Sie hatte bisher nur dazu gedient, Zweige zu ergreifen, um sich an ihnen fortzubewegen, Früchte, um sie zu verzehren, und hie und da wohl auch schon Steine oder Hölzer zum Schlagen und Werfen. Jetzt entfiel die erstere Verwendung wohl fast ganz, und dadurch war die Möglichkeit geboten, die anderen Fähigkeiten dieses Organs immer höher zu entwickeln. Dazu drängte aber die bittere Not. Denn der flache Boden gewährte gegen Feinde lange nicht den Schutz, den die Baumwipfel geboten hatten. An Schnelligkeit konnte es das noch immer affenähnliche Wesen auf flachem Boden gewiß weder mit den Raubtieren aufnehmen, die ihm nachstellten, noch mit den flüchtigen Pflanzenfressern, die es nun jagte. Die bisherige reine Pflanzenkost, vermischt mit Eiern, Vögeln, Käfern, Würmern und anderen derartigen Leckerbissen, reichte nun nicht mehr zur Ernährung aus, da die Baumfrüchte wegfielen. Es war daher gezwungen, sich auch andere Nahrungsquellen zugänglich zu machen.