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Die Gleichheit

So trat der Mensch unter Bedingungen in den Daseins fampf, die in fast jeder Hinsicht ungünstig waren. Ohne natür liche Waffen, wie Klauen und Hörner, auf dem neuen Gebiet verhältnismäßig ungelenk und langsam, dabei ohne genügenden Vorrat der ihm von früher her vertrauten Nahrungsmittel, wäre er dem Untergang geweiht gewesen, wenn er nicht in der Hand das Werkzeug der Werkzeuge, in der wenn auch noch sehr unentwickelten Sprache das beste Mittel des gesellschaft lichen Zusammenhalts, der gegenseitigen Hilfe gehabt hätte, und wenn sich nicht durch den Gebrauch dieser beiden Organe sein Geist in ungeahnter Weise zu entwickeln imftande gewesen wäre. In diesem schweren Kampfe ums Dasein machte sich nun ein Unterschied sehr bemerkbar, der früher in dieser Hinsicht feine so große Rolle gespielt hatte. Bei den gesellig lebenden Affen ist in der Art, wie die Männchen und Weibchen der Nahrungssuche nachgehen, kein wesentlicher Unterschied. Anders ward es jedenfalls beim Urmenschen. Hier begann der Mann sich hauptsächlich der Jagd auf Tiere zuzuwenden. Das Weib stand zwar wahrscheinlich dem Manne an Körperkräften nicht viel nach; aber die Gewandtheit und Gelenkigkeit des weiblichen Körpers waren meist gerade während der Zeit der höchsten förperlichen Entwicklung zeitweilig wesentlich herabgesetzt. Der Geschlechtsverkehr begann jedenfalls schon sehr bald nach der Erlangung der Geschlechtsreife, und von da ab folgten die Schwangerschaften verhältnismäßig rasch aufeinander. Dazu fam noch, daß die Kinder sehr lange gesäugt werden mußten. Tierische Milch konnte damals natürlich als Ersatz der Mutter milch nicht in Frage kommen. So schleppte das Weib stets ein oder mehrere Kinder mit sich, oder wenn es diese in ihrer Be­hausung gelassen hatte, konnte es sich nicht weit davon entfernen. Von einer Jagd auf flüchtiges Wild konnte unter solchen Um ständen natürlich im allgemeinen nicht die Rede sein. Das Weib war daher für sich und seine Kinder auf die Nahrung angewiesen, die von der Jagd unabhängig war, also auf Früchte, Wurzeln und kleine Tiere, wie Eidechsen, Frösche, In­seften, Würmer und ähnliches.

Für diese ganze Entwicklung haben wir allerdings keine direkten Zeugnisse. Schriftliche Urkunden aus jener Zeit gibt es natürlich nicht; wir besitzen selbst von den übergangsformen zwischen Tier und Mensch bisher erst sehr geringe Überreste, von der Lebensweise und Kultur aber jener Geschöpfe fast gar feine. Immerhin wissen wir, daß die Vorfahren des Menschen den Affen sehr ähnlich waren und jedenfalls auch ein Leben geführt haben, das dem der heute noch existierenden Affenarten glich. Ferner fennen wir die wirtschaftlichen Zustände von ganz primitiven Wilden, von Jägern, die in ihrem ganzen geistigen Leben über die tierische Stufe noch nicht sehr weit hinaus gekommen sind. Wir sind daher zu der Annahme gezwungen, daß unsere Vorfahren den Weg vom Leben des Affen bis zu dem des primitiven Jägers in irgend einer Weise zurücklegen mußten. Eine nähere Betrachtung diefer allerzurückgebliebensten Wilden zeigt uns aber, daß bei ihnen die Nahrungsfürsorge zwischen den Geschlechtern in der Weise geteilt ist, daß der Mann für die tierische Nahrung sorgt, für Wild und eventuell auch Menschen, die verzehrt werden, während das Weib die pflanzliche Kost herbeischafft, die allerdings stets durch kleine Tiere ergänzt wird. Je genauer man diese Verhältnisse der zurückgebliebensten Wilden kennen lernt, desto mehr gewinnt die soeben vorgetragene Theorie über die ursprünglichsten Formen des menschlichen Wirtschaftslebens an Wahrscheinlichkeit. Doch find für uns hier weniger diese Theorien von entscheidender Bedeutung als die Tatsachen der vergleichenden Völferkunde selbst. Über das Leben der Naturvölfer ist in den letzten Jahr zehnten eine riesig umfangreiche Literatur entstanden. Eine der merkwürdigsten Tatsachen, die dabei zutage traten, ist die, daß die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zustände bei den primi­tiven Jägervölfern der verschiedensten Länder und Rassen eine außerordentliche Ähnlichkeit aufweisen. In erster Linie ist bei ihnen allen die Arbeitsteilung der Geschlechter auffallend. Aus der großen Fülle der Beispiele können wir hier nur ein paar besonders bezeichnende hervorheben.

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So berichtet zum Beispiel Bonwick von den nun bereits ausgestorbenen Tasmaniern, daß die Männer nur diejenige Nahrung aufbrachten, die die Kängurujagd liefern konnte; die Frauen dagegen hatten auf Bäume zu flettern, um Beutel­ratten zu fangen, Wurzeln mit Stöcken auszugraben, Muscheln zu suchen, nach Austern im Meere zu tauchen und Fische zu fangen und außerdem die kleinen Kinder zu pflegen und aufzu­ziehen. Ahnlich erzählt Lumholtz von den Bewohnern von Nord­queensland:" Bei den Australnegern find es die Frauen, die wesentlich für den täglichen Bedarf an Nahrungsmitteln zu sorgen haben.... Die Frau muß alle grobe Arbeit verrichten, mit ihrem Korb und Stock ausgehen, um Früchte zu sammeln, Wurzeln auszugraben und Larven aus den Bäumen zu hauen. ... Der Beitrag des Mannes besteht gewöhnlich in Honig, manchmal auch in Eiern, Wild, Eidechsen usw. Animalische Speise behält er am liebsten für sich selbst, und die Frau ist meistens auf Pflanzenkost angewiesen, die sie für sich und ihr Kind schafft. Der Mann treibt die Jagd mehr zum Vergnügen als zum Nutzen seiner Familie, um die er sich nicht viel küm­mert.... Er fommt oft mit leeren Händen ins Lager zurück, nachdem er das Erlegte auf der Stelle verzehrt hat." Grosse faßt deshalb alle diese Beobachtungen zusammen: Die niederen Jägervölker," sagt er, leben von den Tieren, welche die Männer erbeuten, und von den Wurzeln und Früchten, welche die Weiber sammeln. Man schäßt überall die animalische Nah­rung am höchsten, aber man kann die vegetabilische fast nir­gends entbehren." Es ist sehr wahrscheinlich, daß diese Not­wendigkeit der gegenseitigen Ergänzung erst zur Ehe als der dauernden Vereinigung von Mann und Weib geführt hat, wie dies Müller- Lyer   in seinem höchst lesenswerten Buche Phasen der Kultur sehr schön darlegt.

Wenn nun der Wildreichtum des Landes abnahm, in dem die unftäten Jäger umherschweiften, mußte das Schwergewicht der Nahrungsfürsorge sich immer mehr auf die Seite der Frau neigen, besonders wenn zugleich die Bevölkerung wuchs. Es hing nun von der Frau, ihrer Geschicklichkeit, ihrem Eifer, nicht zum mindesten aber auch von ihrer Findigkeit ab, ob sie genügend Nahrung herbeischaffte, daß auch der Mann wenigstens zeitweilig davon leben konnte. Das ist der Zeit­punkt der Erfindung des Feldbaus. Die Frau war zum Zwecke des Abschlagens von Früchten, Ausgrabens von Wurzeln, Würmern usw. mit einem Stocke ausgerüstet. Sobald ihre Arbeit zu Ehren kam, wurde diefer Stock zum Abzeichen der Frauenwürde, mit dem zum Beispiel die Australierin Fest und Tanz besucht. So wie sich nun aus dem Stein und Wurf holz, mit dem der Mann seine Jagdbeute erlegte, später die Schleuder, der Speer und Pfeil und Bogen entwickelten, so ist der Grabstock des Weibes der Vorfahre von Spaten und Pflug.

Der Gedanke scheint nahe zu liegen, Pflanzen nicht jedes­mal erst aufzusuchen, sondern sie zu ziehen; und doch liegt darin eine geniale Leistung, die höchstwahrscheinlich, wenigstens in den meisten Fällen, von Frauen ausgegangen ist. Vielleicht hat die Beobachtung, daß in der Nähe der Wohnftätte weg­geworfene oder in der Erde zur Aufbewahrung vergrabene Feldfrüchte neue Pflanzen erstehen ließen, die wieder Früchte trugen, eine vermittelnde Rolle gespielt. Jedoch auch dann noch gehört für einen Menschen auf so niedriger Kulturstufe eine scharfe Beobachtungsgabe und eine schöpferische Einbil dungskraft dazu, um diese gelegentliche Beobachtung den Zwecken der Wirtschaft dienstbar zu machen. Das ist ja gerade für die genialſten Entdeckungen und Erfindungen kennzeichnend, daß das Resultat so verblüffend einfach ist. ( Schluß folgt.)

Scheidung der Ehe.

I.

In der Ordnung der Ehescheidung hat sich das Bürgerliche Gesetzbuch auf den Standpunkt des Berschuldungsprinzips

* München   1908, J. F. Lehmanns Veslag. Seite 142.