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Die Gleichheit

Ein Lohnkampf in der Heimindustrie.

Im Herzen Deutschlands  , am schönen Kyffhäuſergebirge, wo nach der Sage Friedrich Rotbart verzaubert schlummert, tobt gegenwärtig ein Lohnkampf, der weit über die Grenzen des kleinen Sonders­ häuser   Ländchens hinaus Bedeutung hat. Heimarbeiter sind es in der Hauptsache, die dort jetzt um ihre Existenz ringen, Heimarbeiter, in denen noch nicht jede eigene Regung erstorben ist, ihres Glückes Schmied zu sein, wie dies leider bei der Bevölkerung in den meisten Elendsbezirken der Heimindustrie der Fall ist.

Es sind die Perlmutterknopfbrechsler zu Frankenhausen  , die wiederum einen Vorstoß gewagt haben, um ihre äußerst ver­besserungsbedürftige Lage zu heben. Der Zwergstaat Schwarzburg­Sondershausen wäre vielleicht vielen gar nicht einmal bekannt, hätte er sich nicht zu Lebzeiten der 26 deutschen Vereinsgesetze durch die rigorose Auslegung seiner vorsintflutlichen Bestimmungen der Arbeiterschaft gegenüber des öfteren in unliebsame Erinnerung gebracht.

Hier am Kyffhäusergebirge ist der Hauptsitz der deutschen Perl­mutterknopfindustrie. Aus diesem Gebiet fommen wohl die meisten jener schillernden Knöpfe, die in den kleinen und billigen Sorten für unsere Leibwäsche verwendet werden, in den größeren und besseren Formen für Bettwäsche, Damenblusen und zeitweise auch an Kleidern und Damenjacketts modern find.

In der Hauptsache werden die Knöpfe noch immer in der Heim­industrie hergestellt, wenngleich auch in diesem Produktionszweig der fabrikmäßige Betrieb nach und nach an Boden gewinnt. Wohl haben die Knopsdrechsler schon immer ihre Fabrikanten" gehabt, doch waren diese meist nicht viel mehr als die Verleger" im Erz­ gebirge  . In den Fabrifräumen gelangte in der Regel nur das Rohmaterial zur Ausgabe an die Heimarbeiter, die fertige Ware und die Abfälle wurden zurückgenommen. Höchstens das Bohren der Knopflöcher, das Sortieren der Knöpfe nach der Farbe und das Aufnähen auf Kartons erfolgte in diesen Räumen. Die letztere Arbeit wird übrigens häufig auch wieder als Heimarbeit vergeben und herab bis zu 10 Pf. für vier Gros Knöpfe bezahlt.

Das Material bildet die Perlmuttschale, ursprünglich die Schale der Perlmuschel, deren Inneres bunt schillert. Zu Perlmutt werden heute außerdem auch Muscheln aus der Südsee, dem Persischen Golf, und aus Nordaustralien verwandt, die ein ähnliches Farbenspiel zeigen.

In Frankenhausen  , am Südhang des Kyffhäuser  , beschäftigt diese Industrie annähernd 500 Arbeitskräfte, davon ein Viertel weibliche und jugendliche. Am Nordhang des Gebirges liegen die Orte Berga   und Kelbra  , wo etwa weitere 100 Personen in diesem Gewerbe ihr Brot verdienen. Fast in allen Häusern steht die Drehbank in den Wohnungen; meist dient die Wohnstube gleich­zeitig als Arbeitsraum, in dem die ganze Familie lebt und die Kinder tagsüber schlafen. Vereinzelt findet man sogar die Drehbank in der Schlafstube. Mag es das Wohn- oder Schlafzimmer fein, das noch als Arbeitsraum benutzt werden muß: die Verquickung ist außerordentlich ungesund. Denn die Arbeit in den harten Muscheln entwickelt trotz der Wasserberieselung fortwährend einen harten Staub, der sich als weiße Schicht auf Kleider und Möbel niederschlägt und in die Lunge dringt.

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Der Heimarbeiter bekommt die Perlmutterschalen in der Fabrik sackweise zugewogen. Aus den Schalen werden zu Hause zunächst die Stücke in der Größe des fünftigen Knopfes ausgebohrt. Das geschieht, indem der Arbeiter die Schale gegen einen in der Dreh­bank rotierenden zylindrischen Stahl hält, den Bohrer, dessen Stirn­feite Sägezähne hat und sich wie eine Säge in die harte Masse ein­arbeitet. Die weitere Bearbeitung, das Abschrubben"( Fassonieren) der Vorderseite des Knopfes erfolgt mit einem meißelförmigen Stahl ebenfalls auf der Drehbank. Das runde Stück Perlmutt wird zu diesem Zwecke in ein" Futter" gespannt. Das Polieren geschieht bei den billigen Sorten durch ein Abkochen in Säure, bei den besseren durch den Druck eines mit Schwefelsäure befeuchteten Kortens. Das Einbohren der zum Annähen dienenden zwei oder vier Löcher wird auf ähnliche Weise meist durch jugendliche Ar­beiter vorgenommen, während das Sortieren und Aufnähen auf Kartons noch billigerer weiblicher Arbeitskraft vorbehalten ist. Den polierten, zum Teil auch den bereits mit Löchern versehenen Knopf liefert der Heimarbeiter mit den Abfällen der Schalen dem Fabri­kanten zurück. Die zu Knöpfen nicht verwertbaren Knoten der Schalen werden teilweise an anderer Stelle zu Perlen für Rosen fränze und dergleichen verarbeitet.

Die Bezahlung der Knopsdrechsler erfolgt fast ausschließlich im Afford pro Gros Knöpfe. Daher dreht sich der Kampf der Arbeiter in der Hauptsache stets um die Höhe der Akkordsätze. Das gilt auch

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von dem gegenwärtigen Kampfe, in dem außerdem die Festlegung eines Atfordtarifs verlangt wird. Welche Bedeutung ein solcher Tarif hat, kann man verstehen, wenn man sich vergegenwärtigt, daß über tausend Sorten Knöpfe hergestellt werden und daß bei den Grospreisen zum Teil mit Viertelpfennigen gerechnet wird. Dabei macht es für den einzelnen viel aus, wenn der Fabrikant in der flauen Zeit dem Arbeiter nur dann Material mitgibt, wenn dieser einen halben oder ganzen Pfennig billiger liefert als früher. Daher der Wert, den die Arbeiter jetzt auf die tarifliche Bindung der Affordsätze legen.

Dank ihrer guten Organisation im Deutschen   Holzarbeiterverband haben die Knopfdrechsler dieses Gebiets schon mehrfach Lohnbewe­gungen durchgefochten, um sich vor der drohenden Verelendung zu schützen, so erst einen langen Abwehrstreik im Vorjahr. Trotzdem ist ihr Verdienst ein äußerst niedriger. Der Durchschnittssatz beträgt heute in Frankenhausen   für erwachsene Arbeiter etwa 18 Mt., für Arbeiterinnen etwa 7 Mt. pro Woche, das aber nur bei voller Be­schäftigung, die keineswegs immer vorhanden ist. Der farge Ver­dienſt bewirkt es, daß Frau und größere Kinder mitverdienen müssen. Es kommt aber auch vor, daß die Heimarbeiter selbst Arbeits­burschen halten, die sie von ihrem Verdienst entlohnen. Geordnetere Verhältnisse bezüglich Arbeitszeit und Luft herrschen dort, wo die Arbeiter bereits in Fabritbetrieben beschäftigt werden, in diesem Falle ist auch das anstrengende Treten der Drehbank durch Wasser­oder Maschinenkraft abgelöst. Die für die Heimarbeit typischen Spuren von Luftmangel und Unterernährung zeigen sich trotzdem auch äußerst häufig bei den Fabrikarbeitern. Die Lohnverhältnisse sind in der Regel auch für die Fabrikarbeiter keine besseren.

Besonders erschwerend hat sich den Lohnkämpfen der Knopf­drechsler seither die billige österreichische Konkurrenz in den Weg gestellt. Vor allem aus Böhmen   wurden sehr billige Knöpfe geliefert. Nun hat aber dort, wenn auch langfam, die Organisation ebenfalls ihren Einzug gehalten. In Wien   stehen die Perlmutterknopfdrechsler zurzeit auch in einer Lohnbewegung und fordern eine Erhöhung des Lohnes um 6 bis 8 Heller pro Gros. Man hofft, daß bei einem Erfolg auch die Arbeiter in Böhmen   ihrem Beispiel folgen werden. Erfolge der dortigen bisher so anspruchslosen Arbeiterschaft werden indirekt auch den fämpfenden deutschen Brüdern zugute kommen.

In Frankenhausen   haben 400 Arbeiter und etwa 70 Arbeite rinnen zum letzten Mittel im Lohnkampf, zum Ausstand gegriffen. Sie müssen einen Ausgleich herbeiführen für die Verteuerung der Lebenshaltung, an der sie keine Schuld tragen. Mit gutem Recht könnten die Arbeiter ein Mehr verlangen, könnten sie fordern, daß fie für ihr hartes Mühen nicht nur das Allernotwendigste für das Fristen des nackten Lebens erhalten, sondern die Möglichkeit, die Ansprüche auf Freude und Genuß zu befriedigen, die im Einklang mit der heutigen Kultur stehen. Möge darum den Kämpfenden Erfolg beschieden sein. Dann wird ihr Beispiel auch den Heim­arbeitern anderer Berufe zeigen, daß es einen Weg gibt, der aus dem Elend führt, eiserner Wille und Organisation! fk.

Gewerkschaftliche Frauenkonferenzen.

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Der Deutsche Tertilarbeiterverband veranstaltete wie die Gleichheit" bereits berichtet hat im Frühjahr dieses Jahres für - jeden seiner zwölf Gaue eine Arbeiterinnenkonferenz. Zu diefen Tagungen versammelten sich alle diejenigen weiblichen Mit­glieder des Textilarbeiterverbandes, die der Aufforderung des Zentral­vorstandes entsprechend von den Ortsverwaltungen zur Mitarbeit herangezogen worden waren. Diesen neugewonnenen Kräften wurde auf den Konferenzen durch instruktive Referate Agitationsmaterial übermittelt. Des weiteren sollten diese Veranstaltungen dazu dienen, die einzelnen tätigen Mitglieder einander näher zu bringen.

Auf den Konferenzen gelangte eine Resolution folgenden In halts zur Annahme: Die Teilnehmerinnen an der Konferenz sind in Zukunft zu aller agitatorischen Wirksamkeit heranzuziehen. Zu ihrer Weiterbildung ist ihnen Gleichheit"," Korrespondenzblatt" und Arbeiterjugend" zu liefern. Bis zur nächsten Arbeiterinnen­konferenz, die im Herbst dieses Jahres stattfinden soll, sind Bezirks­konferenzen zu veranstalten. Mit Rücksicht auf den Umstand, daß sich die Arbeiterinnen mit den ihnen völlig neuen Aufgaben erst allmählich vertraut machen müssen, wurde die Vorbereitung und Einberufung der Bezirkskonferenzen den einzelnen Gauleitungen überlassen, die die jeweiligen Verhältnisse am besten fennen.

Einige dieser Bezirkskonferenzen haben bereits stattgefunden, andere werden vorbereitet. Im Gau Schlesien   wurden drei Kon ferenzen einberufen. An der Zusammenkunft für das Eulengebirge, die in Freiburg   getagt hat, nahm auf besonderen Wunsch der