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Die Gleichheit
Dienstbotenordnung der Stadt, daß weibliche Dienstboten( welch weise Vorsicht!) im Falle der Schwangerschaft entlassen werden dürfen. Auf diese Weise wird der Kindsmord gezüchtet. Die Forderungen der Referentin seien gerecht und auf Grund einer brauchbaren Krankenversicherung auch durchführbar.
Käte Winklmann.
In Gera und Debschwitz sprach Genossin Selinger in öffentlicher Versammlung über„ Die Pflichten und Rechte der Arbeiterin in Reich, Staat und Gemeinde". Die Versammlungen waren besonders von seiten der Frauen sehr gut besucht, ein Zeichen, daß diese anfangen, sich aus ihrer Gleichgültigkeit aufzuraffen. Die Rednerin schilderte die Lage der proletarischen Frauen, die das „ Recht" haben, vom frühen Morgen bis zum späten Abend dem Kapitalismus fronden zu dürfen, dem Staate das Kanonenfutter zu gebären, Steuern für den unersättlichen Militarismus zu zahlen und sich im übrigen um den Kochtopf zu bekümmern, wenn die Ausbeutung ihn nicht schon zerschlagen hat. Die Frau müsse mit aller Energie öffentliche politische Rechte fordern, vor allem das Wahlrecht. Ihre Gleichberechtigung könne fie jedoch nur im Verein mit ihrer Klasse erkämpfen, als Mitglied der sozialdemokra tischen Parteiorganisation erringen. Rege Agitation muß die Frauen des Proletariats aufklären und zu Kampfesgenossinnen der Männer machen. An das Referat schloß sich in der Versammlung zu Gera eine Diskussion an. Genosse Kahnt ging näher auf die örtlichen Verhältnisse ein. Genoffin Erler forderte die Frauen auf, die von Oktober an stattfindenden Lese- und Diskussionsabende fleißig zu besuchen. Dann nahm die Genossin Selinger nochmals das Wort, um die Errichtung einer Beschwerdestelle und Kinderschuttommission zu befürworten. Diese Einrichtungen, mit denen man überall gute Erfahrungen gemacht habe, seien im Interesse der Arbeiterschaft auch für Gera dringend geboten. Sie haben dort einzugreifen, wo die Gewerbeinspektion und die Polizeibehörde versagt. Pflicht aller Proletarierinnen sei es, auf irgend eine Weise selbst mitzuwirken, daß Arbeiterinnen und Kindern der dürftige gesetzliche Schutz zu Teil werde und ständige Kontrolle darüber zu üben. Verschiedene Frauen traten dem Verein bei. Sie wurden von der Unterzeichneten aufgefordert, treu zum Verein zu halten und die Frauenbewegung zu fördern.
Anna Jähnert. Jm. Kreise Randow Greifenhagen fanden in Altdamm , Podejuch, Unterbredow, 3üllchow und Grabow Volksversammlungen statt, in denen Genoffin Tie- Berlin über„ VolfsInechtung, Frauenfrage und Kaiserreden" referierte. Der durchweg sehr gute Besuch der Versammlungen ließ erkennen, welches Intereffe die Tagesordnung bei der Frauenwelt weckte und wie wenig die Versammlungsbesucherinnen die von höchster Stelle ausgesprochene Meinung teilten, die die Frauen bekanntlich nach alter Schablone auf das„ Haus" verweist. Die Räume erwiesen sich zum Teil als zu klein, um den Strom der Hörerinnen zu fassen. Im Streifgebiet der Werftarbeiter, in Züllchow , fanden sich zirka 1000 Personen ein, und in Grabow stieg die Zahl der Besucher auf 1200. Die Aufmerksamkeit, mit der die Frauen in allen Versammlungen den Ausführungen der Referentin folgten, sowie die treffenden, oft drastischen Zwischenrufe, mit der die Kritik an den Kaiserreden von den Zuhörerinnen ergänzt wurde, bewiesen, daß die proletarischen Frauen keineswegs gewillt sind, den kaiserlichen Rat zu befolgen und auf das endlich erworbene Vereins- und Versamm lungsrecht zu verzichten. Aufgabe der Frauen wird es sein, durch völlige Ausnutzung des politischen Vereinsrechtes zur Stärkung der sozialdemokratischen Partei beizutragen. T.
Für die Frauen der streifenden Werftarbeiter in Stettin waren vom Metallarbeiterverband drei Versammlungen einbe rufen worden, die den Zweck hatten, den Frauen die Notwendig keit und Tragweite des Kampfes flarzumachen, der ihren Männern durch das Vorgehen der Werftbefizer aufgezwungen ist. Referentinnen waren die Genossinnen Wulff, Friedländer und Tieß aus Berlin . Diese legten den zahlreich erschienenen Frauen die Ursachen der modernen wirtschaftlichen Kämpfe dar und ermahnten die Frauen, in diesem Streit um eine Verbesserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen ihren Männern nicht hinderlich zu sein, ihnen vielmehr als tapfere Mitstreiterinnen zur Seite zu stehen. Unter scharfer Kritit der arbeiterfeindlichen Haltung der bürgerlichen Blätter in diesem Kampfe wurde die Bedeutung der Arbeiterpresse und die Notwendigkeit ihrer immer größeren Verbreitung durch die Frauen hervorgehoben. Eine entsprechende Resolution fand begeisterte Zustimmung.
T.
Jahresbericht der Genossinnen in Halberstadt . Die Frauenbewegung in Halberstadt hat eine erfreuliche Entwicklung genom men. Nach Aufhebung der früheren vereinsgesetzlichen Schranken
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schloß sich der einstige Bildungsverein als Sektion dem sozial demokratischen Wahlverein an. Die Sektion wählt aus ihrer Mitte einen Vorstand, der die Geschäfte selbständig, aber im Einverständnis mit den organisierten Genossen führt und mit ihnen in steter Fühlung bleibt. Die Sektion hat sechs Bezirkskassiererinnen und eine Hauptkassiererin, die ihrerseits mit dem Hauptkassierer des Wahlvereins abrechnet. Diese Selbstverwaltung verbunden mit der Arbeitsteilung wird von den Frauen sehr angenehm empfunden. Es besteht ein erfreuliches Hand- in- Hand- Arbeiten zwischen Genossen und Genoffinnen. Für jede Aktion zugunsten der proletarischen Frauenbewegung können wir auf die Unterstützung der männlichen Mitglieder des Vereins rechnen. An den allgemeinen Vorstandssitzungen nimmt eine Vertreterin der organisierten Genofsinnen teil, in den einzelnen Ausschüssen und Kommissionen fizzen weibliche Mitglieder. Es ist eine Kinderschuhkommission gebildet worden, von deren segensreichem Wirken wir hoffentlich im nächsten Jahre Bericht erstatten fönnen. Obgleich infolge eines verunglückten Streiks in der größten Fabrik am Orte der Sektion eine Anzahl guter Genossinnen durch Fortzug verloren gegangen ist, zählte sie im Berichtsjahr 221 Mitglieder gegen 136 im Vorjahr. Die Sektion hat im Berichtsjahr zehn Versammlungen abgehalten, in denen politische, genossenschaftliche und literarische Fragen erörtert wurden. Für die nächste Zeit ist zur Gewinnung weiterer Mitglieder eine Hausagitation geplant, die hoffentlich von gutem Erfolg sein wird, so daß wir im nächsten Jahre von bedeutend größeren Fortschritten melden fönnen. A. Kuppinger.
Die Beteiligung der Genossinnen am Magdeburger Parteitag bekundete wieder, daß die Frauen in der Sozialdemokratie als gleichberechtigte Mitkämpferinnen bei den wichtigsten Entscheidungen mitwirken. Der Parteitag zählte 21 weibliche Teilnehmer, außer 19 Delegierten die Genofsin Ziet als Beisitzerin im Parteivorstand und Genossin Zettin als Mitglied der Kontrollkommission. Als Delegierte waren von ihren Wahlkreisen entsendet die Genossinnen: Arnswald- Oberhausen, Baader- Berlin, Baumann- Hamburg, BlaseMannheim, Böhme- Stuttgart , Fahrenwald- Berlin, Gewehr- Elber feld , Grahn- Hannover , Grünberg- Nürnberg , Kaßner- Magdeburg, Lex- Dortmund, Lutze- Dresden , Luxemburg- Berlin- Friedenau, MilowDüsseldorf, Pötzsch- Leipzig- Connewiß, Roth- Hamburg , SchmidtBerlin, Thiel- Tempelhof, Wiese- Essen.
Der Parteitag wählte Genossin Baader als Schriftführerin in das Bureau, Genossin Baumann in die Mandatsprüfungsfommission, Genossin Pötzsch in die Beschwerdekommission. An den Debatten zu der Budgetfrage und der preußischen Wahlrechtsfrage beteiligten sich die Genossinnen Luxem burg und Zettin; Genossin Ziez sprach im Auftrag des Parteis vorstandes zu der Resolution, die Fleisch teuerung betreffend, und Genossin Baumann begründete einen daran anschließenden Antrag, der dazu auffordert, die Zeit der Fleischteuerung zu einer energischen, wohlvorbereiteten Agitation unter dem weiblichen Proletariat auszunußen. Die Genossinnen Thiel und Bettin ergriffen das Wort zu zwei vorliegenden Anträgen, welche die Gründung einer Modezeitung beziehungsweise die Herausgabe einer entsprechenden Beilage zur„ Gleichheit" forderten. Genossin Thiel begründete warm den ersteren Antrag, Genossin Zetkin empfahl unter Hinweis auf die vorliegenden großen praktischen Schwierigkeiten, ihn dem Parteivorstand zur Prüfung zu überweisen; sie wendete sich gegen die Verquickung der„ Gleichheit" mit einer Modebeilage. Ein Antrag, der gesetzliche Maßnahmen gegen den Verkauf von Alkohol an Jugendliche fordert, wurde von Ge noffin Bettin begründet; der Parteitag überwies ihn der Reichs tagsfrattion.
Eindrücke einer Nichtsozialdemokratin auf dem Parteitag zu Magdeburg . Als ich kurz vor Eröffnung des Magdeburger Parteitags den Entschluß faßte, dem Kongreß beizuwohnen, bes gegnete ich in meinem bürgerlichen Kreise nur mitleidigem Achsel zucken; man hielt mich für überspannt, für sensationslustig und wie alle die Einwände derjenigen lauteten, die immer bereit zur Kritik, felten aber geneigt sind, sich in die Seele anderer zu vertiefen. Tapfer schlug ich alle Vorhaltungen nieder, tapfer nach außen, während mein Inneres eine unbestimmte Bangigkeit nicht unters drücken konnte, eine Bangigkeit, über die ich mir nicht ganz flar war. Was erhoffte ich von dem Parteitag, was fürchtete ich dort, und was fand ich? Diese Fragen möchte ich furz beantworten. Was erhoffte ich? Eine große Müdigkeit war es, die den Ges danken in mir erweckte, nach Magdeburg zu gehen. Müde war ich des täglichen begeisterungslosen Lebens, des Lebens mit den künst lichen Werten, die bei Licht betrachtet in nichts zerflossen. Müde war ich der Rücksicht auf die Gesellschaftsordnung, die wir bürgerlichen Frauen von Mutter und Großmutter nur mit kleinen un