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Die Gleichheit
Nr.l
Polizei um Schutz für ihre lieben Arbeitswilligen an. Bis dahin ist auch nicht einem einzigen Arbeitswilligen ein Haar gekrümmt worden. Wenn jedoch die Berliner   Polizei erst auf den Plan tritt, hat die ruhige und friedliche Abwicklung öffentlicher Geschehnisse ihr Ende. Von sechs bis acht Schutzleuten eskortiert, ziehen die Kohlenwagen der Firma Kupfer St Co. die Straßen entlang. Ein eigen­artiges, geradezu aufreizendes Schauspiel! Große Polizeitrupps patroullieren durch die Straßen und treten in be rühmter Berliner  Schuhmannsmanier brutal gegen jeden friedlichen Passanten auf, dem es einfällt, einmal Halt zu machen. Das muß natürlich die Erbitterung der Bevölkerung verschärfen. Der lebhafte Verkehr der in Betracht kommenden Straßen steigert sich abends nach Schluß der Geschäfte und Arbeitsstätten. Das Straßenbild wird belebter. Arbeitswillige sind nicht mehr zu schützen, die liegen auf dem Kohlenplatz der Firma in sicherer polizeilicher Hut, die Polizei wird aber trotzdem nicht zurückgezogen, sie waltet unter der Menge weiter ihres Amtes in provozierender Weise. Hier und dort mischen sich auch verdächtige Gestalten dazwischen, die skandalieren undStim­mung" bringen. Es kommt zu Ansammlungen, zu Zusammenstößen mit der Polizei. Es ist unseres Erachtens aber unrichtig, die Krawalle nur auf Konto desJanhagel" zu setzen. Zunächst kommt zweifelsohne in den Berliner   Straßenkämpfen die verhaltene Volks­wut elementar zum Ausdruck. Sie bedeuten eine geradezu explo­sive Entladung der Mißstimmung weiter Bevölkerungskreise, eine Mißstimmung, die ständig durch das Auftreten derhohen Löb­lichen" erzeugt wird und sich allmählich wachsend seit langem an­gesammelt hat. Dazu kommt die augenblickliche Provokation der Bevölkerung seitens der Polizeihelden. Man muß diese gesehen, muß gehört haben, wie sie sich mit ihren Ruhmestaten brüsten! Da will jeder Pickelhaubenträgeram gründlichsten zwischengeschlagen" haben. Und wenn noch ein büttelfronimer Bürger im Zweifel wäre, ob die Volksmenge wirklich die Polizei zu ihren Brutalitäten an­reizt, so wird ihn die Attacke auf die ausländischen Journalisten endgültig darüber aufgeklärt habe», wo der schuldigeMob" zu suchen ist. Nichts war geeigneter, das kosakische Wüten der Polizei zu beleuchten, als dieses Heldenstück. Es hat den deutschen Polizei­staat im Ausland bis aus die Knochen blamiert soweit das noch nicht geschehen war. Wir gönnen unverhohlen der Polizei diese Blamage, wenn wir auch tiefe Scham darob empfinden, daß sich die vielgepriesene deutsche Gastfreundschaft Ausländern gegenüber so infam bekundet hat. Wohl haben sich der preußische Minister und der Polizeipräsident bei den mißhandelten englischen und amerika­ nischen   Pressevertretern entschuldigt, diese aber lassen sich mit Recht nicht daran genügen, sondern richten eine Protestnote an das aus­wärtige Amt. Wären zufällig statt Journalisten vier Arbeiter oder gar Streikende in dem von der Polizei Überfallenen Auto gewesen, es hätte keine Entschuldigung gegeben, selbst wenn sinnlose Polizei­wut die ohne Anlaß Überfallenen in Stücke gehauen hätte. Was will angesichts der Tatsachen das heiße Bemühen der Scharfmacher­schmierfinken sagen, die Berliner   Vorgänge dem Transportarbeiter­verband und der Partei anzukreiden? Es ist bezeichnend, daß diese edlen Herren sich im Verlangen nach nochschärferen Maßnahmen" überschreien und so tun, als ob die erstarkte Partei- und Gewerk­schaftsbewegung die Zusammenstöße verschuldet habe. Schon an­fangs der achtziger Jahre, als Partei und Gewerkschaften noch schwach waren, haben ähnliche Straßenschlachten in Berlin   statt­gefunden, und zwar anläßlich des Streiks in der großen Näh- Maschinenfabrik von Trister«c Roßmann. Allerdings mit dem Unter­schied, daß die Polizei damals nicht entfernt so brutal auftrat wie heute. Diese scheint es darauf anzulegen, durch ein russisches Knutenregiment der deutschen   und insbesondere der Berliner   Ar­beiterschaft Respekt vor der Staatsgewalt einbläuen zu wollen. An 300 Blessierte zählt man bis jetzt. Wegen des Schutzes von etwa L0 Arbeitswilligen ist ein volksreicher Stadtteil in einen Belage­rungsbezirk, in ein Schlachtfeld verwandelt worden, über mehr als eine Familie ist schweres Leid hereingebrochen. Aus der Saat der Drachenzähne aber, die von der Polizei in Moabit   ausgestreut worden ist, werden mit der Zeit geharnischte Kämpfer aus dem Boden wachsen. Am letzten Ende haben unsere Gegner wieder einmal für uns gearbeitet. Neben diesen aufregenden Ereigniffen in Berlin   treten andere Vorgänge des gewerkschaftlichen Lebens zeitweilig in den Hinter­grund. Und doch erheischen die Differenzen in der Metallindustrie das größte Interesse. Wenn der Werftarbeiterausstand nicht beendet wird, so sollen am 8. Oktober KV Prozent aller in der Metallindustrie Beschäftigten   mehr als svvlXIl) ausgesperrt werden. Also haben die Metallindustriellen beschloffen. Die Ar­beiter würden natürlich nicht so gutmütig sein, die Ausführung dieses Beschlusses ohne weiteres geschehen zu laffen. Viele Ver­
sammlungen haben schon beschlossen, die angedrohte Maßnahme damit zu beantworten, daß alle Arbeiter der Nietallindustrie so­fort die Arbeit niederlegen. Inzwischen haben wiederholt Verhand­lungen stattgefunden, über deren Ergebnis jedoch nichts in die Öffentlichkeit dringt. Am 3. Oktober traten die Veauslragten von beiden Seiten zur letzten Verhandlung in Hamburg   zusammen, dort sollte endgültig über das Weitere entschieden werden. Nach den letzten Depeschen sind die Verhandlungen gescheitert. Ein Kampf von gewaltigem Umfang, von größter Tragweite würde anheben, wenn diese Nachricht sich bewahrheitete. Aus Anlaß eines Streiks bei einigen Firmen in Forst bereitet sich in der Lausitzer Textilindustrie eine große Aussperrung vor. Wird sie Wirklichkeit, so fliegen 18000 Textilarbeiter und -arbeiterinnen aufs Pflaster. Der Kampf in der Nürnberger   Bleistiftindustrie, der mit einem Streik bei der Firma Faber begann und eine große Sym­pathieaussperrung zeitigte, konnte dank des standhasten Ausharrens der Kämpfenden, besonders der Arbeiterinnen, mit gutem Erfolg für die Proletarier beendet werden. Die Arbeitszeit wurde von 56 Stunden pro Woche auf 55'/, Stunden herabgesetzt; Männer bekommen künstig 35 und 36 Pf., Frauen 21 und 22 Pf. Stunden­lohn. Für Akkordarbeiten gibt es sogleich 5 Prozent, Anfang 1912 weitere 5 Prozent Zuschlag. Die Akkordlöhne dürften damit für Arbeiter auf 26 bis 33 Mk. pro Woche steigen, die für Arbeite­rinnen auf 15 bis 18 Mk. Der abgeschloffen» Tarifvertrag gilt bis 1914. Wie viel die gewerkschaftliche Organisation der Bleistist- arbeiter, der Holzarbeiterverband, dazu getan hat, damit der Erfolg gesichert wurde, braucht kaum besonders erwähnt zu werden. Die Errungenschaften müssen eine Mahnung zur Stärkung der Organisation sein._ G
Aus der Textilarbeiterbewegung. Die Durchführung der neuen, am 1. Januar in Kraft getretenen Gewerbeordnungsnovelle stößt beim Unternehmertum noch immer auf Widerstand. Sehr zu­statten kommt diesem dabei die wirtschaftliche Krise, welche die Kraft der Arbeiterinnen im Kampfe schwächt. Die Nichtachtung der ge­setzlichen Bestimmungen ist deshalb dort am meisten bemerkbar, wo das Geschäft seit langem schwer daniederliegt und die Eigenart des Betriebs unregelmäßige Arbeitszeiten und llberarbeit einzelner ohne besondere Schwierigkeiten gestattet. In besonders hohem Maße ist das letztere in dem großen Wirkereigebiet des säch­sischen Erzgebirges der Fall. Hier wechselt Überarbeitszeit mit stark verkürzter Arbeitszeit ab. Der Textilarbeiterverband hat in dem Gau Erzgebirge   eine Umfrage veranstaltet über die Dauer der täglichen Arbeitszeit vor dem 1. Januar I9l0 und nach dem 1. Januar 1910. Bei der Umfrage kommen 440 Betriebe in Frage. Hiervon beschäftigten 3 Betriebe ausschließlich nur Arbeiterinnen, 25 Betriebe nur männliche Personen. Von der Gesamtheit dieser Betriebe arbeiteten 249 pro Woche 60 Stunden und darunter. Den Inhabern der übrigen Betriebe gab der von der Krise ver­ursachte koloffale Druck, welcher auf den Arbeitern lastet, den Mut, den vordem errungenen Zehnstundentag wieder zu durch­brechen. Die Bestimmungen der Gewerbeordnung über die Höchst­arbeitszeit der Arbeiterinnen werden in 169 Betrieben nicht be­achtet. Die Überschreitung der festgelegten Zeit beträgt an den ersten fünf Arbeitstagen fünf Minuten bis zu einer Stund» pro Tag, an Sonnabenden erreicht sie bis zu zwei Stunden und zehn Minuten. Vielfach wird an den ersten fünf Arbeitstagen weniger als 50 Stunden gearbeitet, an Sonnabenden dagegen über die ge­setzlich festgelegte Zeit hinaus. Gefördert wird das Durcheinander durch die zum Teil in der Unsicherheit des Rohftoffmarktes. vor allem des Baumwollmarktes, begründete Zurückhaltung der Käufer. Die Lager der Verbraucher sind vielfach geräumt. Die künftig, Preisgestaltung ist unsicher. Man lebt aus der Hand in den Mund. Das Eingehen Neiner eiliger Aufträge ist die Folge. Diese Tat­sache darf keinesfalls die organisierten Textilarbeiter zum Schweigen bestimmen. Der geringe gesetzliche Schutz unserer Arbeilerinnen muß unter allen Umständen hochgehalten und die Durchführung der gesetzlichen Bestimmungen erzwungen werden. Mit Hilf« der Organisationsleitung der einzelnen Orte muß zu diesem Zwecke die Gewerbeinspeklion mobil gemacht werden. Außer den erwähnten Übertretungen der Gewerbeordnung sind noch 42 Betriebe vor­handen, in welchen an Sonnabenden nach Schluß der Arbeitszeit die Arbeiterinnen daS Reinemachen des Arbeitsraumes besorgen müssen. Nach Hause wird entgegen den gesetzlichen Bestimmungen Arbeit noch in 32 Betrieben mitgegeben. Drei schöne Erfolge brachten die vergangenen Wochen wiederum dem Deutschen Textilarbeiterverband. In Olsnitz   i. V. verein­barten die Organisationsvertreter mit den Färbereibesitzern