Nr. 2
Die Gleichheit
felle sowie Sehnen und Därme, mit denen diese zusammengenäht werden können. Es ist daher kaum anzunehmen, daß das Nähen zu den weiblichen Erfindungen gehört. Anders aber das Weben. Die Frau war zur Herstellung ihrer Kleider wieder auf pflanzliche Stoffe angewiesen. Aus diesen mußten aber große Flächen, wie sie die Tierhäute von selbst darboten, crst künstlich hergestellt werden. Ausgangspunkt dieser Ent wicklungsreihe dürfte der geflochtene Windschirm gewesen sein. Wurde ein solches Geflecht aus dünnerem und schmiegsamerem Material hergestellt, so war es wohl imstande, sich halbwegs den Körperformen anzuschmiegen und so den Anforderungen zu entsprechen, die an eine Bekleidung gestellt wurden. Der Rindenbast von Bäumen, die zähen Halme mancher Gräser, später auch die widerstandsfähigen Fasern von Lein, Hanf, Flachs usw. boten ein treffliches Material. Da aber diese Fasern meist zu kurz waren, um sie einzeln praktisch verwerten zu können, mußten oft mehrere zusammengedreht und dadurch angeſtückelt werden. Zur Weberei trat so die Spinnerei, die bis fast in unsere Zeit das Gebiet der Frauenarbeit war. Heute noch fann man im östlichen und südöstlichen Europa vielfach Frauen mit der Kunkel gehen und auf offener Straße spinnen sehen, und lange Zeit wurden die Weber wegen ihrer weibischen" Arbeit verspottet.
Wir können also feststellen, daß der Beitrag, den die Frau zu den Kulturgütern der Menschheit geleistet hat, wahrlich nicht klein und wertlos ist. Man versuche einen Augenblick, sich die Welt ohne die Errungenschaften vorzustellen, deren erste Entwicklung ausschließlich oder in hohem Maße das Werk der Hände und des Geistes der Frauen gewesen ist, und von all den herrlichen Gütern unserer gepriesenen Kultur bleibt kaum mehr viel übrig. Es kann also doch wohl nicht die angeborene Natur sein, die das Weib hindert, an der Schaffung der höchsten Kulturwerte den tätigsten Anteil zu nehmen. Es war vielmehr der durch Jahrtausende auf ihr lastende furchtbare Druck geistiger weil wirtschaftlicher Abhängigkeit. Jetzt, wo die Arbeit der Frau beginnt, wieder ihr Recht und damit ihre Würde zu erobern, jetzt mehren sich von Tag zu Tag die Anzeichen dafür, daß wir einer Zeit entgegengehen, wo auch die frei gewordene Frau wieder ihren vollen Beitrag leisten wird zu unserer Kultur, die erst dann wirklich ein Allgemeingut sein kann, wenn Mann und Weib in gleicher Weise die wirtschaftlichen und geistigen Fesseln abgeworfen haben, die sie heute binden. Gustav Eckstein .
Zwei Tagungen
bürgerlicher Frauenrechtlerinnen.
I.
In der ersten Hälfte Oktober haben zwei Tagungen bürgerlicher Frauenrechtlerinnen stattgefunden, die besondere Beachtung verdienen, weil sie helles Licht auf die innere Entwicklung und das Wesen der bürgerlichen Frauenbewegung werfen. In Frankfurt a. M. hat am 3. und 4. Oktober die erste Konferenz der liberalen Frauen getagt; in Heidelberg hat vom 6. bis 9. Oftober die neunte Generalversammlung des Bundes deutscher Frauenvereine ihre Arbeiten erledigt. Wer die deutlichen Merkmale inneren sozialen Seins nicht beachtet, dem fönnte es scheinen, als ob ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Tagungen vorhanden sein müsse. In Frankfurt waren Frauenrechtlerinnen zusammengekommen, die politisch arbeiten, kämpfen wollen, die daher die Forderung des Frauenstimmrechts stark betonen und gemeinhin als„ radikale" oder als zum linken Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung gehörend angesprochen werden. Die Heidelberger Tagung vereinigte dagegen Vertreterinnen von Frauen organisationen jedes Charakters und jeder Richtung, unter denen bisher die gemäßigten" Elemente, die Anhängerinnen des rechten Flügels der deutschen Frauenrechtlerinnen bei weitem überwogen und dem„ Bunde " wie seinen wichtigsten Lebensäußerungen das charakteristische Gepräge gaben. In der deutschen Frauenbewegung vollziehen sich jedoch innere Wandlungen, in
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denen sich die Tendenz durchsetzt, von hüben und drüben das Gros der tätigen Frauenrechtlerinnen auf einer mittleren Linie zu vereinigen und ohne die Fühlung mit der äußersten Rechten zu lockern, die äußerste Linke mehr als je zu isolieren.
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Es ist mit Händen zu greifen, daß diese Wandlungen Teilerscheinungen des Prozesses sind, der innerhalb des deutschen Bürgertums überhaupt vor sich geht. Außerlich kündigten sie sich dadurch an, daß die nämlichen liberalen Frauenrechtlerinnen, die in Frankfurt über ihre Arbeit innerhalb der Fortschrittlichen Volks partei berieten, im allgemeinen auch auf der Generalversammlung des Bundes" in den in Betracht kommenden Fragen die Führung hatten. Außerdem standen hier wie da die Frauenrechtlerinnen abseits, die um Frau Cauer und Frau Breitscheid gruppiert die standhaften Überreste des Lintsliberalismus, der bürgerlichen Demokratie vertreten, wie sie in der kleinen„ Demo kratischen Vereinigung " tapfer gegen den rückwärts schreitenden Fortschritt ankämpfen. Als fonsequente Bekennerinnen des Prinzips der Demokratie das auch die volle Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts in sich begreift hatten sie von vornherein ihre Beteiligung an der Konferenz der liberalen Frauen abgelehnt. Frau Cauer begründete das in Nr. 19 der Frauenbewegung" vom 1. Oftober wie folgt:" Diese Frauen stehen ebenfalls fest zum Liberalismus. Jedoch ihre persönlichen sowie sachlichen Grundsäge verbieten es ihnen, für eine Partei einzutreten und in einer Partei mitzuarbeiten, wo ein Teil der führenden und maßgebenden Männer eine schroffe Ablehnung der Frauenforderungen befundet hat und immer wieder von neuem betont. Die Fortschrittliche Volkspartei beweist durch ihre Stellungnahme, daß sie die Aufgaben der Gegenwart nicht versteht, wenn sie einer so großen Bewegung, wie die Frauenbewegung ist, nicht gerecht wird. Sie kann sich daher nicht wundern, wenn eine bedeutende Anzahl politischer Frauen sich fernhält, weil sie vom Liberalismus etwas anderes erwartet, und anderes erwarten muß. Sie sehen nicht die Verkörperung des wahren und entschiedenen Liberalismus in der Fort schrittlichen Volkspartei , so lange dieselbe sich schwankend und unsicher zu wahrhaft liberalen Forderungen verhält. Und das tut sie, und zwar nicht nur in der Frauenfrage.... Wie stellen sich nun die Frauen, die mit der Fortschritt lichen Volkspartei gehen, prinzipiell zu all den Fragen und Problemen, die nicht allein innerhalb der politischen Welt im allgemeinen zur Diskussion stehen, sondern im Liberalismus auch im besonderen noch ausgefochten werden müssen? Wie stehen zum Beispiel diese Frauen zur Wahlrechtsfrage, zum allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrecht auch für die Einzelstaaten und für die Gemeinden? Welche Stellung nehmen sie zur Arbeiterbewegung ein? Wollen sie für das beschränkte Stimmrecht arbeiten, oder unter sich dulden, daß es geschieht? Damit würden sie aber nicht allein ihrer Partei schaden, sondern auch die Grundsätze der Frauenbewegung mißachten."
Wer die Stellung der Fortschrittlichen Volkspartei zur Forde rung der Frauenrechte und im Kampfe gegen die Reaktion fennt, wer da weiß, daß sie in der einen oder anderen Beziehung mur ,, unentwegt"," voll und ganz" in ihrer Halbheit und Schwächlich. keit ist, der konnte auch eins voraussagen: daß die Frankfurter Tagung außerstande war, auf diese Fragen eine Antwort zu geben, die auch nur die Ansprüche der bürgerlichen Demokratie befriedigt hätte. Eine solche Antwort war ein Ding der Unmöglichkeit geworden von dem Augenblick an, wo die liberalen Frauenrechtlerinnen entschlossen waren, entschlossen sein mußten, innerhalb und mit der Fortschrittlichen Volkspartei zusammen zu wirken. Mehr noch als die hervorgehobenen äußeren Umstände fennzeichnen daher Verhandlungen und Beschlüsse beider Tagungen die in Fluß befindliche Entwicklung. Sie standen in einem und dem nämlichen Zeichen und waren von dem gleichen Geiste beherrscht. Der in Frankfurt hoffnungsfreudig angedrehte Faden des Liberalismus- wie ihn die Fortschrittliche Volkspartei praktiziert wurde in Heidelberg fröhlich weitergesponnen. Man könnte die Frankfurter Verhandlungen nicht zu Unrecht als Vorbereitungsarbeiten für die Stellungnahme der General versammlung in der Frage des Gemeindewahlrechts auffassen.