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Die Gleichheit
Den eigentlichen Arbeiten der Konferenz liberaler Frauen zu Frankfurt ging eine glänzende öffentliche Versammlung voraus. Fräulein Dr. Gertrud Bäumer , Helene Langes Schülerin und Nachfolgerin als geistiges Haupt der bürgerlichen Frauenbewegung, sprach dort über„ Die Frauen und die Zukunft des Liberalismus". Ihre Rede war ein Stück Agitation und programmatische Bekundung zugleich, vollendet in der Form, gediegen im Gehalt und erhob sich durch das feste innere Gefüge der Gedankengänge hoch über das landläufige Niveau frauenrechtlerischer Auffassung und Beredsamkeit. Jedoch letzten Endes brach auch die Logik dieses wissenschaftlich geschulten Geistes vor den Konsequenzen einer mutvoll und vorurteilslos zu Ende gedachten liberalen Weltanschauung zusammen, verrammelte auch sie sich den Weg, der durch die hin und her wogenden Ideenströmungen der Gegenwart zur Zukunft führt. Fräulein Bäumer faßt den Liberalismus als Weltanschauung auf, der das Prinzip politischer, gesellschaftlicher Freiheit in sich begreift. Sie stellte dieses Freiheitsprinzip in grundfäßlichen Gegensatz zu dem Autoritätsprinzip der Weltanschauung, die vom Zentrum vertreten wird. Sie grenzte es nach links hin gegen den Sozialismus ab wie sie sich ausdrückte, gegen " die materialistische Geschichtsauffassung, die die Möglichkeit selbständiger idealer Maßstäbe gegenüber den wirtschaftlichen Zuständen bestreitet", nach rechts hin gegen„ einen prinzipien losen Opportunismus, der sich vor allem in den Frauen paragraphen des Programms der Fortschrittlichen Volkspartei offenbart". An den weltanschauungsmäßigen Kern des Liberalismus, wie Fräulein Bäumer ihn versteht, ist die Hoffnung der Frauen, das heißt der bürgerlichen Frauen geheftet. Der Liberalismus als Wirtschaftsauffassung hat im Maschinenzeitalter an Stelle der Forderung schrankenloser Konkurrenz diejenige nach Staatshilfe für die wirtschaftlich Schwachen setzen müssen. So wurde das liberale Prinzip mit dem sozialen verbunden, und der Liberalismus übernahm des weiteren die Aufgabe, das Arbeitssystem des modernen Großbetriebs frei heitlich durchzubilden durch die Verstärkung der Berufsvertretungen in den Schichten der abhängigen Arbeiter und Angestellten". Die„ ursprünglichen fosmopolitischen Neigungen hat der Liberalismus längst überwunden", er anerkennt die Notwendigkeit einer großzügigen, weitblickenden, nationalen Selbsterhaltung". Wie die liberalen Frauen die entschiedenen Trägerinnen des reinen politischen Freiheitsprinzips des Liberalismus sein müssen, so werden sie sich auch als fonsequente Verfechterinnen des sozialen Gedankens im Liberalismus be tätigen; ohne den militärischen Geist um seiner selbst willen zu hegen, werden sie mit der Notwendigkeit nationaler Selbst behauptung rechnen. Den Triumph des Liberalismus erwartet Fräulein Bäumer von der Erziehung des Volkes zum Freiheitsprinzip.
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physischer Spekulation verläßt, wo die Gedanken der aufstrebenden Bourgeoisie leicht beieinander wohnten, fällt sie recht unsanft auf den harten Boden der Wirklichkeit, wo die emanzipierte Bourgeoisie auf Kosten der frondenden Massen ausbeutet, jobbert, herrscht und genießt, aber auch bereits vor dem Ende ihrer Macht zittert. Ihr Liberalismus beginnt spekulativ als Weltanschauung einer jugendfrischen Klasse, die sich mit der Menschheit identifiziert, und endet realpolitisch als Glaubensbekenntnis einer greisenhaften Partei, die den Egoismus einer geschichtlich abwirtschaftenden Minderheit vertritt. Fräulein Bäumers Liberalismus ist Fleisch und Geist vom Fleische und Geiste der bürgerlichen Gesellschaft. Daher kennt er auch weder als Weltanschauung noch als politisches Aftionsprogramm Entwicklungslinien, die über diese Ordnung hinausführen. Das geschichtliche Verhängnis ihrer Klasse muß für Fräulein Bäumer zum Verhängnis der persönlichen Anschauung werden. Indem sie die materialistische Geschichtsauffassung verwirft nicht in der schiefen und rohen Form, wie der vorliegende Bericht das wiedergibt, aber ebenso sicher auch grundsätzlich-, verhängt sie sich die Einsicht, daß der geschichtlich lebendige, entwicklungsfähige Kern der liberalen Weltanschauung im Sozia lismus fortgedeiht, daß der Sozialismus die konsequente Weiterentwicklung des Liberalismus ist, aber damit auch zugleich der Gegensatz zu ihm. In der Folge ist es die Sozialdemokratie, die in scharfer grundsätzlicher Gegnerschaft gegen die sogenannte liberale Partei in Deutschland die Forderungen eines fonsequenten Liberalismus versicht.
Man sieht: es ist der Liberalismus als Weltanschauung, wie sie das Bürgertum in den Zeiten seines geistig- politischen Emanzipationskampfes herausgearbeitet hat, den das Glaubens bekenntnis der bürgerlichen liberalen Frauen auf den Schild erhebt, aber der Liberalismus, an dem der Wandel der Zeiten im guten wie im schlimmen nicht spurlos vorübergegangen ist. Das Maschinenzeitalter" und die Herrschaft der Bourgeoisie, der kapitalistisch ausbeutenden Klassen, die es gebracht hat, haben ihr Recht gefordert und erhalten. Fräulein Bäumer hat ihren Liberalismus mit dem Wohlgeruch konsequenter politischer Demokratie wenigstens dem weiblichen Geschlecht gegenüber - richtiger den bürgerlichen Frauen- parfümiert, sie hat ihn mit den nötigen Tropfen sozialen Oles von gesetzlichem Arbeiter schutz und gesetzlich anerkannten Berufsvertretungen gefalbt. Sie weist aber auch die weltverbrüdernde Geste des„ Seid um schlungen, Millionen" ab, das herrische Gebot der„ nationalen Machtfragen" verwehrt den„ Kuß der ganzen Welt", und wenn sich die Rednerin noch schaudernd von dem Blutgeruch abwendet, der den Militarismus umweht, so reicht sie diesem doch bereits mit verschämtem Lächeln die Millionen, deren er bedarf, um sich zur Niedermezelung des äußeren und inneren Feindes zu rüsten. Sobald Fräulein Bäumer die luftigen Höhen meta
sicher
Wie die Theorie, so die Praxis. Sobald sich Fräulein Bäumer auf dieses Gebiet begibt, verfällt sie dem nämlichen„ prinzipien lofen Opportunismus", dessen sie mit Recht die Fortschrittliche Volkspartei in Sachen der Frauenrechte zeiht. Was anders denn als prinzipienloser Opportunismus ist es, daß sie wohl diesen einen Verrat der Fortschrittlichen Volkspartei am politischen Prinzip des Liberalismus brandmarkt, aber kein Wort des Tadels, ja nicht einmal die Erwähnung dafür hat, daß diese Partei allen brennenden politischen Fragen gegenüber, bei denen die Demokratie gegen die Reaktion steht, den gleichen prinzipienlosen Opportunismus betätigt, daß sie die Fleisch und Blut gewordene Opportunitätspolitik ist? Was anders, wenn sie mit dem zermalmenden Militarismus, der abenteuerlichen räuberischen Weltmachtspolitik fofettiert? Wenn sie als wirt schaftliches Prinzip nicht die Freiheit aller fordert, sondern nur Erleichterung der Sklavenketten, nur ein Stück" Unabhängig keit und Selbständigkeit?„ Der Tod ergreift das Leben!" Der Verfall, der Opportunismus als politisches Zersehungsprodukt des absterbenden bürgerlichen Liberalismus vergiftet die Logit, die Entschlossenheit in Theorie und Tat in der bürgerlichen Frauenbewegung.
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Wie die Dinge liegen, ist es natürlich, daß nur eine einzige Versammlungsteilnehmerin- Frau Dr. Levysohn- energisch Protest gegen den befürworteten Anschluß der libe ralen Frauen an die Fortschrittliche Volkspartei erhob. Mit allen gegen zwei Stimmen gelangte die entsprechende Resolu tion zur Annahme, die noch von Maria Lischnewska , Helene Lange , Alice Salomon und Privatdozent Dr. Ohr empfohlen worden war, nicht ohne daß Fräulein Lischnewsta mit soldatesker Begeisterung für die Vermehrung von Heer und Flotte eingetreten wäre. Die Resolution lautet: Die Mitarbeit in der Fortschrittlichen Volkspartei ist eine Pflicht aller entschieden liberal gesinnten Frauen und eine Notwendigkeit für die Befestigung und Verbreitung der liberalen Weltanschauung und die Stärkung der liberalen Politif. Die Versammlung sieht jedoch in der Anerkennung der staatsbürgerFolge liberaler Grundsäge und erwartet, daß die Mitarbeit lichen Gleichberechtigung der Frauen eine selbstverständliche der Frauen in der Partei zu dieser Anerkennung durch das Parteiprogramm führen wird."
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Geiſt den prinzipienlosen Opportunismus ideologisch verschleiert In der öffentlichen Versammlung hatte die Theorie mit und verklärt. Bei den Beratungen der Konferenz, an denen