Nr. 3
Die Gleichheit
drängt zum Ausbruch. Die schrankenlose Auswucherung durch die Zoll- und Steuerpolitik rüttelt selbst die rückständigsten Schichten auf. Jetzt ist die Möglichkeit da, durch begeisternde, zielflare Agitation diese Massen für unsere Sache zu gewinnen. Es ist noch viel zu tun, auch für den Textilarbeiterverband. Große Scharen Ausgebeuteter gilt es zu organisieren. Drum frisch ans Wert! Unser Weizen blüht! Helene Brandenburg.
Eine Proteftversammlung gegen die Fleischnot fand in Bochum statt. Rednerin war Genossin Ziez- Berlin, die es ausgezeichnet verstand, den anwesenden Frauen und Männern die Schäden des Zollwuchers vor Augen zu führen. Sie entrollte ein Bild der Not und des Elendes, das die Wirtschaftspolitik der Regierung über die Arbeiterschaft bringt. Sie legte die Triebkräfte dieser voltsfeindlichen Politik bloß und zeigte, daß durch die Zölle und Steuern nur die Taschen der Agrarier auf Kosten der großen Masse gefüllt werden sollen. Und wenn die Arbeiter die Belastung ihrer Lebenshaltung durch Erringung höherer Löhne wettzumachen versuchen, das stellte die Referentin fest, so werden sie mit Polizeifäbel und Gummifnüppel niedergeschlagen, und die Maschinengewehre fahren auf, wie die Beispiele von Mansfeld und Moabit lehren. Die Rednerin schloß mit dem Appell an die Versammelten, immer neue Kämpfer für die Sozialdemokratie zu werben und allerorts Protest zu erheben gegen Zollwucher und Polizeiwillkür . Großer Beifall lohnte ihre trefflichen Ausführungen. A. Nemiz.
Bericht von der Frauenkonferenz des westlichen Westfalens. Am 23. Oktober fand in Bochum eine von der Bezirksfommission des westlichen Westfalens einberufene Frauenkonferenz statt. Daran nahmen teil 48 Delegierte des Agitationsbezirkes, der Vorstand der Bezirkskommission und Genossin Zieh als Vertreterin des Parteivorstandes. Auf der Tagesordnung stand: 1. Situationsbericht der Wahlkreise, 2. Vortrag von Genoffin Zietz über„ Die Aufgaben der Frau in der sozialdemokratischen Organisation", 3. Beratung über die Herausgabe einer eigenen Frauenzeitung für das westliche Westfalen. Aus dem Situtationsbericht der verschiedenen Wahlkreise war zu ersehen, daß auch die Frauenbewegung gute Fortschritte gemacht hat, trotz der furzen Zeit ihres Bestehens. Dies ist vor allem dem einigen Zusammenarbeiten von Parteigenossen und genoffinnen zu verdanken. Genossin Zieß gab in ihrem vorzüglichen Referat über„ Die Aufgaben der Frau in der sozialdemokratischen Partei" den Delegierten reiche Anregungen, wie immer mehr Mitarbeiterinnen für unsere Sache herangebildet werden können. Ihre Ausführungen werden uns eine gute Waffe sein bei unserer weiteren Agitationsarbeit. Bei Punkt 3 der Tages ordnung fand eine eingehende Aussprache über die Notwendigkeit einer eigenen, für die weiblichen Mitglieder des Agitationsbezirkes obligatorischen Frauenzeitung statt. Der Plan fand die Zustimmung der Konferenz und der Bezirkskommission, und die Zeitung wird, wenn keine Hindernisse eintreten, vom 1. Januar an erscheinen. Diskutiert wurde ferner über die Herausgabe einer Zeitschrift mit Schnittmustern. Ein betreffender Antrag war auf dem Magde burger Parteitag dem Parteivorstand zur Berücksichtigung überwiesen worden. Die Genossinnen des westlichen Westfalens würden es freudigst begrüßen, wenn der Parteivorstand der Gründung dieser Zeitschrift zustimmt, und sie würden das Unternehmen unterstützen. Genossin Zieh wurde beauftragt, mit allen Kräften für die Verwirklichung des Planes einzutreten. Die Konferenz hat sehr anregend gewirkt. Daher wurde der Wunsch laut, solche Bezirkskonferenzen öfters zu veranstalten. Auch dieser Wunsch fand die Zustimmung der Bezirkskommission. Genosse König betonte in seinem Schlußwort, daß die sozialdemokratischen Frauen im Lande der Kohlenbarone und Großindustriellen mit an der Spitze unserer Bewegung marschieren. Mit einigen anfeuernden Worten aus dem Delegiertenkreis erreichte die Konferenz ihr Ende. Sie wird von großem Nutzen und Wert für unsere weitere Arbeit im Dienste der Sache sein. A. Nemiz, Weitmar .
Bericht der Kinderschuhkommission für Mügeln - Heidenau und Dohna . Die vom achten sächsischen Wahlkreis ins Leben gerufene Kommission wirkt seit neun Monaten mit Erfolg. Ihre Tätigkeit erstreckt sich in der Hauptsache auf die genannten Orte, doch wurden auf Anzeige hin von ihr auch zwei Fälle außerhalb ihres Bereichs in 3schieren und Bonnewitz erledigt. Am häufigsten werden in dieser Gegend Kinder bei der Heimarbeit in der Blumenfabrikation beschäftigt. Nicht selten müssen Kleine, die noch nicht einmal das schulpflichtige Alter erreicht haben, vom frühen Morgen bis zum späten Abend mitverdienen. Trotzdem wurden nur zwei Fälle gefezwidriger Beschäftigung gemeldet. Bei vielen Heimarbeitern ist die Erwerbsarbeit der Kinder schon zur Selbstverständlichkeit geworden. Auch zum Austragen von Frühstück, Milch und Zeitungen wurden Kinder verwendet.
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Vier derartige Fälle gelangten zur Anzeige. In 16 Fällen mußte die Kommission gegen die Mißhandlung von Kindern durch Eltern und Pflegeeltern einschreiten. Vier davon wurden den Gemeindebehörden übergeben. Fürchterliche Bilder des Elends boten sich oft den Kommissionsmitgliedern bei der Ausübung ihres Amtes. So wurde gemeldet, eine Familie in Mügeln behandle ihre Pflegefinder sehr schlecht. Zwei Kommissionsmitglieder untersuchten die Sache. Sie wurden in ein Zimmer gewiesen, das alles andere war als eine menschliche Behausung. Die Kinder im Alter von einem und drei Jahren waren überaus elend und abgemagert. Das ältere von ihnen hatte eine Eiterbeule am Kopfe und das ganze Gesichtchen war blau- und grünfleckig und voll blutiger Grinde. Die Kinder wurden sofort in andere Pflege gebracht. Ein anderer Fall: In G. wohnte eine Familie, die außer fünf gefunden Kindern noch einen gebrechlichen Knaben von sieben Jahren hatte. Das Kind hatte ein krantes Bein und war deshalb schon längere Zeit in einer Heilanstalt gewesen. Man hatte es jedoch ungeheilt wieder nach Hause gebracht. Der Knabe, der der Mutter bei der Arbeit hinderlich war, wurde auf die unbarmherzigste Weise behandelt. Die Frau schlug ihn, gab ihm wenig oder nichts zu essen und ließ ihn auf dem Fußboden schlafen. Trotz seines Leidens mußte er nach der Aussage der Hausbewohner bei strengster Kälte nur mit Hemd, Hose und Strümpfen bekleidet vor dem Hause die Schuhe putzen. Die Nachbarn hatten die Mutter schließlich angezeigt, und so war der Knabe bereits geholt worden, als die Kommission für ihn eintreten wollte. Von den 21 Fällen großen Kinderelendes, die im ganzen der Kommission gemeldet wurden, konnten 14 durch Vorstelligwerden bei den Eltern geregelt werden, in vier Fällen mußten die Gemeindebehörden, einmal die Obervormundschaft eingreifen. Zwei Fälle sind noch in der Schwebe. Die 21 Fälle mögen als fleine Leistung erscheinen. Doch darf man bei ihrer Wertung nicht vergessen, daß die Kommission noch nicht lange besteht, und daß ihre Tätigkeit sich nur auf einen verhällnismäßig fleinen Bezirk mit 15 000 bis 16000 Einwohnern erstreckt. Seit dem 1. Juli ist ihrem Wirken der ganze Bereich des Gewerkschaftskartells Mügeln unterstellt worden. Ihre Aufgabe ist es, auf eine genaue Befolgung des Kinderschutzgesetzes zu achten, Eltern und Arbeitgeber zunächst zu ermahnen und auf die gesetzlichen Bestimmungen aufmerksam zu machen und im Falle der Erfolglosigkeit die Behörden zum Einschreiten zu veranlassen. Ebenso hat sie der Mißhandlung oder Verwahrlosung von Kindern entgegenzutreten. Alle Leserinnen und Leser im Bezirt, denen gesetzwidrige Beschäftigung oder Mißhandlung von Kindern bekannt werden, mögen sich an folgende Adresse wenden: Frau Fanni anni Otto, Mügeln , und Paul Drache, Heidenau .
Von dem Deutschen Sozialdemokratischen Leseklub Paris. Nach 33jährigem Bestehen ihrer Organisation bezogen unsere deutschen Genossen in Paris eigene Vereinsräume, bestehend aus einem 300 Personen fassenden großen Saal für ihre regelmäßigen Sonnabendversammlungen und einem kleineren für 50 Besucher, der ständig den Genossen als Unterrichtsraum, Lese-, Sigungs- und Bibliothekzimmer dient. Die Räume find geschmackvoll und zweckentsprechend eingerichtet. Ein Mitglied der Ordnerkommission ist allabendlich zur Auskunftserteilung anwesend. Einen Arbeitsnachweis besitzt der Klub nicht. Die im Hause befindliche Restauration der sozialistischen Konsumgenossenschaft Maison Commune" liefert gute Speisen und Getränke zu billigen Preisen. In Paris einzig dastehend ist die Abschaffung des Trinkgeldunwesens. Besuche von Museen und anderen Sehenswürdigkeiten finden jeden Sonntag unter Führung eines Sachverständigen statt; gesellige Zusammenkünfte und Ausflüge werden unternommen. Es ist jedem nach Paris kommenden Genossen zu empfehlen, sich an den Deutschen Sozialdemokratischen Leseklub, 49, Rue de Bretagne, zu wenden.
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Politische Rundschau.
Der große Eisenbahnerstreik in Frankreich ist, trotzdem er scheiterte, den herrschenden Klassen in die Glieder gefahren. Nicht, daß dieser Streit, wie die verlogene Bourgeoispresse Frankreichs und die kapitalistische der übrigen Länder dem Ersozialisten Briand nachschwindelte, ein Unternehmen zum Sturz der Herrschaft der Bourgeoisie in Frankreich , eine Verschwörung gegen die bürgerliche Nepublik und das Eigentum gewesen wäre. Er war ein reiner Lohnkampf schlecht bezahlter französischer Eisenbahner; politische Ziele lagen diesen fern. Aber es ist zu verstehen, daß sich die Bourgeoisie auf die streikenden Eisenbahner mit allen ihren Machtmitteln gestürzt hat. Eine fräftige Organisation der Eisenbahner, die imstande ist, den allgemeinen Streif innerhalb weniger Tage auf allen Linien durchzuführen, wäre allerdings eine wuchtige Waffe für die Arbeiter