Nr. 4
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Die Gleichheit
meinden des Hohenwaldes in 240 Familien Fuß gefaßt habe, nachdem sie diese Gegend fast 30 Jahre lang gemieden hatte. Sie sei jedoch schon wieder im Begriff, den Hohenwald zu verlassen und sich anderswo anzusiedeln. Das Knöpfeaufnähen pflegt überhaupt rasch auszutauchen und ebenso rasch wieder zu ver schwinden." Der Bericht meint allerdings, daß diese Arbeit noch zu den harmlosen Hausindustrien gehöre. Er hat hierbei jedoch nicht die Kinderausbeutung im Sinne. Daß die von der Fabritinspektion noch für harmlos angesehene Hausindustrie für die Kinder zu einer Ausbeutung der schlimmsten Art werden kann, lehrt der Bericht der Inspektion selbst. Wir lesen dort:
" Das Daniederliegen der Textilhausindustrie hat dem Knopfaufnähen den Weg in den Hohenwald geebnet. Mancher Webstuhl mußte stillstehen, die Hand, die ihn bedient hatte, ergriff freudig jede andere Gelegenheit zur Erhöhung des geringen Einkommens, und dies besonders da, wo das Mithelfen von Kindern eine Erhöhung des Verdienstes versprach. Weil leicht zu erlernen und auszuführen, wird diese Arbeit von Kindern im frühesten Alter, selbst von solchen, die noch schulpflichtig sind, erledigt. In der Regel wird den Kindern je nach Alter und Leistungsfähigkeit ein bestimmter Arbeitssay zugewiesen, der von dem Rinde fertiggestellt werden muß, ehe es spielen darf. In zwei Familien waren ungefähr folgende Bestimmungen getroffen: Ein vier Jahre altes Rind hatte täglich eine Karte fertigzustellen, ein Kind von sieben Jahren drei, ein achtjähriges fünf, ein zehnjähriges zehn, ein zwölfjähriges dreizehn Karten. Die zum Aufnähen einer Karte( 144 Knöpfe) erforderliche Zeit schwankt je nach Geschicklichkeit und Alter zwi schen einer Viertelstunde und einem halben Tage. Ter Arbeitsverdienst für das Aufnähen einer Karte beträgt 1 bis 2 Pf.(), je nach der Qualität der aufgenähten Knöpfe, da die besseren Sorten zuvor noch ausgesucht werden müssen. Wenn auch den Vorschriften des Kinderschutzgesetzes allgemein nicht Rechnung getragen wurde, so konnte doch in keinem Falle maßlose und nächt liche Ausbeutung der Kinder durch ihre Eltern festgestellt werden; in weitaus den meisten Fällen waren die Eltern durch die Not gezwungen, zu diesem Erwerb zu greifen und ihre Kinder mitanzuspannen; Tagesverdienste von 40 bis 50 Pf. bei Mittätig keit von Vater, Mutter und vier bis fünf Kindern wurden als Wohltat empfunden."
Die in dem letzten Sage liegende Feststellung sollte niemand Veranlassung zu der Behauptung geben, daß milder Sinn das Leitmotiv einer Firma sei, weil sie 100000 Mt. in einem Jahre für Knopfaufnähen aufgewendet hat, also an der Viertel- und Halbtagsarbeit von vier und sechsjährigen Kleinen, wie an der Arbeit schulpflichtiger Kinder unbedingt gut verdient haben muß. An der Tatsache schmachvoller Ausbeutung wird auch nichts geändert, wenn die Not auf dem Hozenwald die Einkehr der Einsicht bei den Bedrängten verhindert und diese selbst um diesen Jammerverdienst betteln läßt. Die schädigende Einwirkung solcher Arbeit auf die Kinder geht schon daraus hervor, daß die Lehrer, wie der Bericht feststellt, darin den Grund geringerer Leistungsfähigkeit in der Schule suchen und eine Einschränkung wünschen. Die Eltern zeigten sich auch ziemlich zugänglich bei den Revisionen und versprachen, fortan die gesetzlichen Bestimmungen einzuhalten, doch ließ sich aus manchen Äußerungen entnehmen, daß die unerlaubte Kinderarbeit nicht aufhören, sondern nur mit größerer Vorsicht weitergeführt werden wird". Mit der angedrohten plötzlichen übersiedlung der Industrie nach Aachen hat es auch seine eigene Bewandtnis. Im ver gangenen Herbst war ein Agent der Firma beim Bezirksamt darum eingekommen, daß das Knöpfeaufnähen für Kinder, die fich noch im Schutzalter befinden, gestattet werden möge. Dadurch hatte das Bezirksamt sich zu einer nochmaligen Bekanntmachung des Kinderschutzgesetzes veranlaßt gesehen. Dem Agenten wurde zur Pflicht gemacht, die Familien auf die gesetzlichen Bestimmungen hinzuweisen. Auch richtete die Firma auf Anregung des Bezirks. amtes ein im gleichen Sinne gehaltenes Schreiben an den Agenten. Diese Vorkommnisse lassen die Firma, für die sich Herr Kommerzienrat Pfeilsticker ins Zeug wirft, in eigentümlichem Lichte erscheinen. Um so bedauerlicher ist es, daß der Minister Freiherr v. Bodman in jener Sitzung der Ersten badischen Kammer nicht das Verdienst der früheren Inspektorin
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hervorhob, sondern Herrn Pfeilsticker beipflichtete, daß die Beamten„ auch nach Verlassen ihrer Stellung über den Inhalt ihrer amtlichen Wahrnehmungen in dieser Weise sich nicht äußern dürfen". Herr v. Bodman hat mit dieser Auffassung Wasser auf die Mühle der Scharfmacher geleitet! So geschehen im t. h. liberalen Musterland Baden.
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Wie können sich unsere Genossinnen am besten bilden?
Auf die Ausführungen der Genossin Wack wit in Nr. 26 der Gleichheit" des vorigen Jahrganges möchte ich einiges erwidern. Ich nehme an, daß Genossin Wackwitz ihre Anregungen auf Erfahrungen stützt, die sie bei der praktischen Arbeit gewonnen hat. Leider muß ich gestehen, zum Teil ganz andere Erfahrungen gemacht zu haben wie sie. Wie Genossin Wackwitz die durch bin auch ich im Osten, alle Teile Deutschlands gewandert ist
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Norden und jetzt im Süden agitatorisch tätig gewesen. In der Frauenbewegung, wie ich von vornherein bemerken will. Daß wir verschiedene Erfahrungen gesammelt haben, mag teils daran liegen, daß eine Frau immer besser einen Einblick in das geistige Leben der Frauen erwirbt als der Mann. Immerhin ist es auch möglich, daß persönliche Ansichten und Eigentümlichkeiten dabei eine Rolle spielen.
Die drei von Genoffin Wackwitz gestellten Fragen sind meines Erachtens richtig, aber mit ihrer Beantwortung bin ich nicht ganz einverstanden. In großen und mittleren Industriestädten muß die Referentenfrage leicht gelöst werden können. Es ist hier Pflicht der Genossen, daß sie den Genofsinnen mit Vorträgen und der gleichen hilfreich zur Seite stehen. Vorträge eignen sich zur Schu lung der Genoffinnen auch deshalb besser als Vorlesungen, weil in ihnen die Persönlichkeit mehr zum Ausdruck kommen kann, und weil sie bei einer leidlich geschickten Anordnung des Stoffes weit eindringlicher wirken als das Vorlesen. Solche Vorträge können nicht honoriert werden, und ich weiß aus Schlesien , SchleswigHolstein und der Rheinpfalz, daß die Genossen stets gern unentgeltlich als Vortragende die Ausbildung der Genossinnen förderten. Schwieriger gestaltet sich die Abhaltung von Vorträgen in länd lichen Industrieorten, wo feine Referenten wohnhaft sind, und wo auch der bloße Zusammenhalt zwischen den Genossinnen schon schwer hält. So sehr es unser Wunsch sein muß, daß auch hier die Genofsinnen systematisch geschult werden, müssen wir diese Orte doch zunächst bei diesen Ausführungen unberücksichtigt lassen. Allerdings meine ich, daß überall dort, wo die ländlichen Industrieorte in der Nähe von größeren Städten liegen, auch die Referentenfrage ohne erheblichen Kostenaufwand gelöst werden kann. Wo dies nicht der Fall ist, da müssen sich die Genossinnen behelfen, so gut es geht. An die Stelle der Belehrung durch andere muß für sie die Selbst beschäftigung und Selbstbelehrung treten.
Die von Genossin Wackwitz vorgeschlagene Art der Unterweisung in den Bildungsabenden halte ich für bedenklich. Es ist äußerst schwierig, den theoretischen Teil unseres Programms in ansprechender und so leicht verständlicher Weise zum Vortrag zu bringen, daß die von unserer Agitation erfaßten Frauen den Ausführungen folgen, sie innerlich bewältigen können. Man vergesse das geistige Niveau der meisten Arbeiterfrauen nicht. Sie kennen vor allem Haushalts und Kindersorgen. An fie müssen wir mit unseren belehrenden Betrachtungen anfnüpfen, wenn wir ein flar zu erfassendes Bild von den gesellschaftlichen Zuständen und Triebfrästen geben wollen. Die
Parteiliteratur muß dabei zur Hilfe herangezogen werden, set
es, daß Lektüre für daheim empfohlen wird, sei es, daß bestimmte Broschüren zur Vorlesung und Erläuterung gelangen. Als geeignet zur Einführung in den Sozialismus würde ich Brackes„ Nieder mit den Sozialdemokraten" ansehen oder„ Ziele und Wege der Sozial demokratie" von A. Bebel. Zweifellos können noch andere und bessere Vorschläge gemacht werden. Unser Parteiverlag in Berlin würde sich ein Verdienst erwerben, wenn er die erwähnten Bro schüren mit zeitgemäßen Anderungen oder Anmerkungen von neuem billig verlegte. Die an einfache Gedankengänge gewöhnte Arbeiterfrau würde sich spielend in den Geist dieser volkstümlichen Schrifts chen einleben. Ich setze voraus, daß dort, wo diese Broschüren vors gelesen und erläutert werden, es kundige Genoffinnen sind, die das tun. Wie das Erklären kann auch gutes Vorlesen durch übung er lernt werden. Ein Sprichwort sagt: Fleiß ist Schweiß. Wo immer ich an Frauenleseabenden teilgenommen habe, wollte meist eine Distussion nicht so recht zustande kommen. Das erklärt sich wohl weniger