Nr. 5

21. Jahrgang

Die Gleichheit

Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen

Mit den Beilagen: Für unsere Mütter und Hausfrauen und Für unsere Kinder

Die Gleichbeit erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Poft vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig. Jabres- Abonnement 2,60 Mart.

Inhaltsverzeichnis.

Um die Demokratie. Tolstoi. Von Rosa Luxemburg  .

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Stuttgart  

5. Dezember 1910

Julie Bebel+ Aus den Erinnerungen einer Krankenschwester. Von Hannah Lewin Dorsch.( Schluß.)- Säuglingsernährung und Säuglingssterblichkeit. III  . Von Dr. A. Lipsius. Eine Wanderung durch die Weltausstellung in Brüffel. II. Von A. Th. Auf dem Wege zur Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen in der Holzindustrie. Bon fk. Zum Streit in der Bielefelder   Wäscheindustrie. Von N. N. Aus der Bewegung: Von der Agitation. Bericht über die Mainzer  Frauenorganisation. Eine Frauenkonferenz für den Regierungsbezirk Magdeburg  . Genoffin Katharine Kellner- Preungesheim+- Politische Rundschau. Von H. B. Gewerkschaftliche Rundschau. Aus der Textilarbeiterbewegung. Von h. j.

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Notizenteil: Dienstbotenfrage. Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.

Verschiedenes. Literarisches.

Um die Demokratie.

Um die Demokratie ist gekämpft worden. Im deutschen  Im deutschen  Reichstag. Das bloße Wo schon besagt, daß die Forderung der Demokratie einer geschlossenen Mehrheit von Feinden be gegnet ist. Das Um und Auf der Redeschlacht hat es noch eindringlichst bestätigt. Die Sozialdemokratie allein war es, die durch ihre Interpellation über das kaiserliche Bekenntnis zum Gottesgnadentum eines persönlichen Regimentes die Fahne der Demokratie vorantrug, und hinter ihr hat sich nur das Fähnlein der Fortschrittlichen Volkspartei   gehalten. Das aber ist bekanntlich nicht aus lauter prinzipienfesten Mannen zu sammengesetzt und umfaßt auf alle Fälle nur die letzten Trümmer des deutschen   Liberalismus, dessen geschichtliche poli­tische Aufgabe es gewesen wäre, das selbstherrliche Gottes­gnadentum durch den demokratischen Parlamentarismus zu ersetzen. Der Verfall dieses Liberalismus oder richtiger seine Abkehr von der schimmernden Jugendideologie der Bourgeoisie zu den realen Geschäften der Massenausplünderung und Massenknebelung herrschender Klassen trat in der Haltung der Nationalliberalen und noch mehr in der des Zentrums un zweideutig zutage. So konnte ein Bethmann Hollweg   das Recht und die Würde des deutschen   Reichstags ohrfeigen, indem er die Königsberger   Proklamation der Theorie von dem aus­erwählten Instrument des Himmels befräftigte. Es gehörte dazu, daß er nebenbei die Bedeutung der Erklärungen leugnete, die sein Vorgänger im Dienste im November 1908 der Volks­vertretung über die künftige Zurückhaltung persönlicher Re­giererei gegeben hatte. Herr Bethmann Hollweg   ist nicht nur dant kaiserlicher Gnade" Reichstanzler, er ist auch der Herr der parlamentarischen Situation. Durch ihn herrscht jene Baarung von modernem Kapital und feudalem Agrariertum, welche er in seiner Person so trefflich repräsentiert, daß ihm die staatsmännische Unfähigkeit eines Gemisches von lang weiligem Schulmeister und enggeistigem Bureaukraten gern vergeben wird.

Mit diesem Ausgang der Verhandlungen hat die Mehrheit des Reichstags wieder einmal bekundet, daß sie die Demokratie, den Parlamentarismus nicht will. Das kann freilich nur eine

Zuschriften an die Redaktion der Gleichheit find zu richten an Frau Klara Zetkin  ( Zundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bei Stuttgart  . Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furtbach- Straße 12.

Enttäuschung für jene Bettler und hoffnungsvolle Toren des politischen Lebens sein, die den journalistischen und parla­mentarischen Theaterdonner gegen das persönliche Regiment ernst genommen haben, der im November 1908 durch die Welt der herrschenden Klassen gerollt ist. Denn wer die Geschichte dieser Klassen zurückverfolgt, die zugleich die Geschichte des modernen Preußen- Deutschlands   ist, der begegnet schon an der Schwelle der politischen Emanzipation unserer Bourgeoisie 1848 dem Kompromiß mit Gottesgnaden- und Funkertum, statt ihrer Überwindung. Das Verhalten des Liberalismus zur Wahlrechts­frage in Preußen, Sachsen   usw. zur durchgreifenden Demo­fratisierung des staatlichen und kommunalen Lebens in anderen ,, engeren Vaterländern" hat diesen Patt stets aufs neue be­siegelt. Und der Ring der rückläufigen Bewegung hat sich da­mit geschlossen, daß auch in dem geeinten Deutschen Reiche die bürgerlichen Klassen von Anfang an darauf verzichteten, Demo­fratie und Parlamentarismus gleich einem rocher de bronze zu errichten, vielmehr Gottesgnadentum und junkerliche Bureau­kratie nebst Militarismus in den Sattel setzten. So ist es nur konsequent, daß die bürgerliche Mehrheit des Reichstags wieder und wieder den Kürassierstiefel des persönlichen Regiments leckt, der gelegentlich auch einmal unsänftiglich nach ihr und nach den Interessen besitzender Schichten der bürgerlichen Gesellschaft tritt. Man erinnere sich der Verlängerung der Legislaturperioden von drei auf fünf Jahre, der Bindung des Budgetrechts des Reichstags in den Marineausgaben; der Indemnität für den grotest- blutigen, kostspieligen und gefährlichen Hunnenfeldzug nach China  , der ohne die vorherige verfassungsmäßige Zu­ftimmung des Reichstags unternommen wurde; die Zertrümme rung der Geschäftsordnung des deutschen   Parlaments während der Kämpfe um den Zollwucher; die Weigerung der Majorität, konstitutionelle Bürgschaften, wie Kanzler- und Ministerverant­wortlichkeit, ja auch nur eine leidlich demokratische parlamenta­rische Geschäftsordnung zu schaffen, die das Recht der Minder­heit wahren würde. Ist nicht erst im vorigen Jahre ein Reichs­fanzlerwechsel gekommen, wie der Dieb in der Nacht, das aber in einer ernsten Situation und während die Volksvertreter wie ungezogene Buben nach Hause geschickt worden waren.

Das unaufhaltsame Vorwärtsdrängen des klassenbewußten Proletariats gegen die Fronfeste der kapitalistischen   Ordnung hat in den besigenden Klassen das Bedürfnis nach einem Gottes­gnadentum ausgelöst, als eines Instrumentes ihres eigenent sehr wirklichen Himmels der Profitmacherei. In diesem ge­schichtlichen Zusammenhang der Dinge und nicht in den persön­lichen Neigungen und Auffassungen des kaiserlichen Redners liegt der letzte und festeste Widerstand gegen den Parlamentaris­mus, die Demokratie. Wie wenig die kronentragende Bered­samkeit der Zeiten Lauf zu hemmen vermag, das lehrt gerade die Geschichte des Königtums aus eigenem Rechte" in Preußen. Als die Geburtswehen der bürgerlichen Gesellschaft den feudalen Staat schüttelten, hatte Gottes   Gnade die Krone einem Manne verliehen, den Mary in" Revolution und Konterrevolution  " also charakterisiert: In dilettantischer Weise hatte er sich mit den Elementen der meisten Wissenschaften bekannt gemacht und