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Die Gleichheit

gung ihres Gatten bedeutend verschärft wurden. Die Unter­nehmer tobten ihren Haß gegen den Umstürzler" an dem Drechslermeister aus, dem sie die Aufträge entzogen. Als Bebel  im Winter 1870/71 mit Liebknecht und Hepner zusammen in eine Untersuchungshaft genommen wurde, die 102 Tage dauerte, mußte ihm seine Frau in das Gefängnis melden, daß auch nicht ein Stück Arbeit in Auftrag gegeben worden sei; es hieß aber den Gehilfen und Lehrling bezahlen, und auch der Lebens­unterhalt wollte bestritten sein. Als sich in den nächsten Jahren die wirtschaftlichen Verhältnisse freundlicher gestalteten, forderte der Kampf für die Überzeugung Bebels Person immer restloser ein, legte er ihm und den Seinen immer größere Opfer auf. An die 22 monatige Festungshaft in Hubertusburg   wegen Hoch­v rrats schloß sich eine Gefängnisstrafe von 9 Monaten. Kaum daß die Nachwehen davon unter zähem Ringen für die wirt­schaftliche Existenz und im leidenschaftlichen Dienste der sozia listischen Bewegung verwunden waren, entfesselte das Sozialisten gesetz seine Schrecken. Der Verhängung des fleinen Belagerungs­zustandes über Leipzig   folgte bald Bebels Ausweisung von da mit ihren moralischen Qualen und materiellen Schädigungen für die Familie. Welch großes Verdienst Frau Julie Bebel  daran zukommt, daß das Existenzschifflein des Gehetzten jenen Stürmen wacker standgehalten hat, daß er selbst frisch und kraft­voll aus ihnen hervorgegangen ist, das darf nie vergessen werden.

Ihre praktische Lebenstüchtigkeit, die im Haushalt Wunder der Finanzkunst verrichtete, kam auch dem Betrieb des jungen Anfängers zugute, der wohl nur dank dieser klugen und tapferen Mithilfe sich ohne die Gefahr geschäftlichen Zusammenbruchs dem politischen Kampfe in dem Umfange widmen konnte, wie es geschah. Ihre sonnige Heiterkeit schuf im Bunde mit nimmer­müden Händen ein schmuckes und trauliches Heim, wo der Many Erquickung und Rast fand, den der Gott seiner über­zeugung noch unbarmherziger zu fieberhafter Tätigkeit spornte als der Sorgen Last. Und ihr Jdealismus tat das Seinige, um dieses Heim über ein fleinbürgerlich beschränktes und im Grunde egoistisches Familienidyll hinauszuheben. Hier waltete nicht bloß die geschickte und liebevolle Hausfrau, die zärtlichste und beglückteste Mutter, hier erwuchs Bebel aus der wissens burstig Fragenden die Genossin seiner Ideale, die mit allen Fasern des eigenen Seins sein Wirken mit erlebte. Mit der Gedankenwelt des Sozialismus flutete das Leben der Allge­meinheit in dieses Heim und eröffnete ihm ausgedehnte Hori­zonte, und ein gütiges Herz war jederzeit bereit, von hier aus Mühseligen und Beladenen Hilfe zu spenden. Auch dann, als die Dürftigkeit und Unsicherheit der eigenen Lage Julie Bebel  mit der ganzen Bürde des Haushaltes und einem reichlichen Anteil am Geschäftsbetrieb belastete und die äußerste Sparsam­feit zu einem Gebot der Notwendigkeit machte, hatte die selbst lose Frau stets Zeit und Mittel für andere übrig. Insbesondere waren es die Familien der befreundeten Parteigenossen, die bei jedem Ungemach auf ihre tatkräftige Freundschaft bauen konnten. Unter den Härten der Zeit zur Vertrauten ihres Mannes herangereift, hatte sie oft genug bespizzelt und drangfaliert, wie es unter dem Sozialistengesetz ihr Los sein mußte- ver­antwortliche Parteigeschäfte zu erledigen, wenn Bebel   lange Wochen von daheim abwesend war. Sie tat das mit so viel flugem Geschick und feinem Taft, daß es jedem Parteigenossen selbstverständlich dünkte, sich mit den anfallenden Angelegen­heiten an sie als an die Berichterstatterin und Stellvertreterin ihres Mannes zu wenden. Ein jeder aber durfte versichert sein, über die Erledigung des Geschäftlichen hinaus für sein persön liches Wohl und Wehe freundliches Verständnis und ein Wort aufrichtiger Teilnahme zu finden. Wir erinnern uns nicht eines einzigen, dem nicht das Auge geleuchtet hätte und der Ton warm geworden wäre, wenn er davon sprach, sich an unseres Augusts Frau" wenden zu müssen.

Nach dem Falle des Sozialistengesetzes find lichte Jahre für Julie Bebel   heraufgezogen. Sie aber ist in ihrem Wesen die gleiche geblieben oder richtiger: ihres Wesens Werte haben sich noch reicher entfaltet. Ihrem Manne war sie nach wie vor die treueste Helferin. Kein Kampf und keine Arbeit hat

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die

sein Leben bewegt, die nicht in ihrem Sein tief und nachhaltig nachgezittert hätten. Neben ihren Hausfrauenpflichten weitfassend und einfordernd genug waren, denn Bebels Haus war gastfreundlich im schönsten Sinne des Wortes- amtierte fie gleichsam als Sekretärin. Sie prüfte, sichtete und ordnete zumal die Korrespondenzen, die zuzeiten in hohen Stößen bei dem einliefen, der als der Fleisch und Blut gewordene Kampf wider alles Unrecht, alle Unterdrückung erschien, und dem das her von allen Seiten Lebenswunde und Hoffnungssehnsüchtige flehend die Hände entgegenstreckten. Und wenn Bebel   durch diese Vorarbeit seiner Julie gar manche Stunde für Kampf und Studium gewonnen hat, so haben wahrlich die ein kluges Wort und eine brüderliche Tat Heischenden nichts dadurch ver­loren, daß auf ihre Wünsche zuerst die milden Augen der ver­törperten Herzensgüte fielen. Wie Augusts großherziger Natur, so war auch Julie Bebel   das Wohltun und Mitteilen ein Bedürfnis, eine Freude, ein Stück selbstverständlicher Praxis sozialistischer Brüderlichkeit, die sie sich inmitten der grausamen kapitalistischen   Gegenwartsgesellschaft auf das Zukunftsreich der erlösten Menschheit vorausnahm. Denn der Sozialismus be deutete in ihrem Leben mehr als eine abstrakte Theorie, die man sich verstandesmäßig anflügelt: ein gemütstiefes Schauen und Glauben, das zur Tat verpflichtet.

Der ereignisreiche Lebensgang an Bebels Seite hatte ihren Blick auch für innere Nöte geschärft und verfeinert. So ent hüllte sich ihm manches geheime seelische Ringen, und viel Herzenspein hat ihre taktvolle Freundschaft tragen helfen, die sich nie ausdrängte, die aber zur Stelle war, wo man ihrer bedurfte. Die Kunst des Verstehens und die noch schwerere des Verzeihens ist dabei Julie Bebel   wie wenigen aus der Seele gequollen. Freilich hatte auch diese Milde ihre Grenzen: Zwei­deutigkeit, Unehrlichkeit, Gemütsroheit und Mangel an Auf­opferungsfähigkeit blieben ihr verhaßt, mochten sie ihr auch noch so funstvoll aufgeschminkt entgegentreten. Gegen sie fand die sonst so Nachsichtige scharfe Worte, denn nicht bloß das Herz, auch der Kopf saß bei ihr auf dem rechten Fleck. Viele waren an ihrem Herd heimisch und erfuhren ihre treue Für sorge, die aus dem Schatze einer Liebe schöpfte, der jenes Zeichen der Echtheit trug, daß er durch Geben reicher und nicht ärmer wurde. Und wenn so der Einfachste und Gedrückteste unge­demütigt und frohen Herzens von ihr gehen konnte, so mußte auch der geistig Hochstehende dankbar empfinden, daß er von ihr empfangen hatte.

Nichts wäre ihr bei ihrem offenen Sinn leichter gewesen, als sich mit den Flittern einer modernen Allerweltsbildung herauszupuzen. Ihr eignete jedoch die wahre Herzensbildung, die jeden leeren Schein verabscheute und den Mut gab, auch den gefeiertsten Erzeugnissen der künstlerischen und geistigen Tagesmode gegenüber zu erklären: Sie gefallen mir nicht"; ich verstehe sie nicht". Die Schlichtheit und Echtheit ihres Wesens haben sie in allen Lagen ihres Lebens auch vor der Bose bewahrt. Mit ebensoviel Stolz wie Bescheidenheit hat sie es stets vermieden, als die Frau ihres Mannes" in der Partei, in der Öffentlichkeit eine Rolle zu spielen. Nur einmal ist sie unserer Erinnerung nach mit in die ersten Reihen ge­treten. Aber wahrhaftig nicht aus eigener Wahl, sondern ihrem guten Herzen und dem Drängen der Genofsinnen gehorchend. Den in der ersten Hälfte der neunziger Jahre in Berlin   ge­gründeten Bildungsverein für Frauen und Mädchen half sic mit aus der Taufe heben und gehörte seinem Vorstand an, um die Existenzbedingungen der Organisation zu erleichtern. So­bald dieses Ziel erreicht schien, zog sie sich von dem Ehren­posten zurück.

Und doch hat es Stunden in Julie Bebels Leben gegeben, wo es ihr ein Ziel aufs innigste zu wünschen dünkte, der sozia­ listischen   Idee selbsttätig zu dienen und fämpfend an der Seite des über alles geliebten Mannes in Reih und Glied zu stehen. Sie gehörte nicht zu denen, die ihr Herz leicht auf die Lippen heben, aber in vertraulichen Augenblicken entglitt ihnen doch die leise Klage, daß es ihr nicht vergönnt gewesen sei, einen höheren Flug zu nehmen und sich einen eigenen Wirkungsfreis