Nr. 5

Die Gleichheit

die Finanzreform mit ihren erheblichen Mehrausgaben die Forderung der Arbeiter auf eine Erhöhung der Löhne ges rechtfertigt erscheine."

Soll der kulturelle Aufstieg der Arbeiterklasse sich weiter voll­ziehen, so genügt es aber nicht, nur einen Ausgleich für die Mehr­leistungen an die Staatskaffe und die Taschen der Junker und Großkapitaliſten zu erhalten. Die rückständigen Verhältnisse vieler Drte schreien förmlich nach einem Ausgleich mit denen vorge­schrittener Bezirke. Der Hol arbeiterverband hat daher die Tarif= verträge in den Orten Bremen , Breslau , Chemnitz , Detmold , Eisenach , Elberfeld , Elbing , Finsterwalde , Forst, Flöha , Hamburg , Helmstedt , Herford , Jena , Keltheim, Kirchheim u. T., Neumünster , Danabrück, Posen, Stralsund , Stuttgart , Swinemünde und Wil­ helmsburg zum Februar 1911 gekündigt.

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Nach den Verträgen dieser 23 Orte arbeiteten seither rund 16000 Holzarbeiter. Trotzdem die Beteiligung weit hinter der an der letztjährigen Tarifbewegung zurückbleibt damals tamen zirka 40 000 Arbeiter in Betracht-, hat die jetzige Aktion kaum ge­ringere Bedeutung als jene. Um so weniger, als sich diese stets wiederkehrenden Erneuerungen des Tarifs zu maßgebenden Etappen im Aufstieg der deutschen Holzarbeiterschaft ausbilden. Der Holz arbeiterverband mit seinen etwa 162 000 Mitgliedern steht ge schlossen hinter den Vertragsorten.

Die Form, in der sich diese großen Lohnbewegungen immer mehr abspielen, zwingt aber in steigendem Maße jeden einzelnen Ar­beiter, sich seiner Berufsorganisation anzuschließen, wenn er einen Einfluß auf die Gestaltung seiner Lohn- und Arbeitsverhältnisse ausüben will. Diese großen Bewegungen erwecken dabei Interesse weit über den Kreis der zunächst Beteiligten hinaus.

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Nach einer Statistik schwanken die Wochenlöhne der Arbeiter und Arbeiterinnen in der Wäscheindustrie zwischen 6,74 Mt. und 22,11 Mt. Der Durchschnittsverdienst von 21 Zuschneidern, die der Organisation Angaben über ihre Löhne machten, betrug 88,50 Mt. pro Monat. Allerdings handelt es sich dabei um jüngere Zu­schneider, die älteren von ihnen verdienen bis zu 150 Mt. und darüber im Monat. Leider halten sie sich der Organisation fern, und die Statistik konnte daher ihr Einkommen nicht erfassen. Für 5913 beschäftigte Arbeiterinnen und Arbeiter stellte sich der Durch schnittslohn pro Woche wie folgt: 1351 verdienten 6,74 f.; 1106 10,57 Mt.; 904 12,60 Mt.; 1253 16,98 Mt.; 360 18 t.; 434 22,11 Mark und 505 darüber. Also 3361 Beschäftigte wurden nur mit 6,74 bis 12,60 Mt. in der Woche entlohnt und bloß 2552 famen über einen Lohn von 12,60 Mt. hinaus. Kein Zweifel, daß ein Umstand von verhängnisvollem Einfluß auf die Arbeitsbedingungen in der Wäscheindustrie gewesen ist. Lange Zeit hat sich die Mehr­zahl der Arbeiterinnen der Gewerkschaft ferngehalten. In der Wäsche­industrie findet ein starker Wechsel der Beschäftigten statt und er, schwert außerordentlich die gewerkschaftliche Erziehung der lohn frondenden Frauen und Mädchen. Die meisten jungen Arbeiterinnen glauben außerdem noch immer, die Organisation habe für sie keinen Zweck, da sie nur einige Jahre erwerbstätig sein und dann heiraten würden. Wie aber gestalten sich die Dinge nach der Verehelichung? Der im allgemeinen unzulängliche Verdienst des Mannes zwingt die Frau, Jahr für Jahr als Heimarbeiterin zu verdienen, damit die Kosten des Haushaltes bestritten werden können. Das geht so lange, bis Krankheit oder Kindersegen den Verdienst immer geringer werden lassen und zuletzt das Aufgeben der Heimarbeit notwendig machen. Leider ist die Lehre dieses Tatbestandes den jungen Mäd­chen und auch den Frauen nicht so leicht beizubringen. Sie ver schließen sich der Erkenntnis, wie bitter not der gewerkschaftliche

Sum Streik in der Bielefelder Wäscheindustrie. Busammenschluß tut. Die unterlassene Pflicht wirkt auf die Arbeits­

Nach der Nähmaschinen-, Fahrrad- und Automobilindustrie ist es die Wäscheindustrie, die in Bielefeld die meisten Arbeiter be­ziehungsweise Arbeiterinnen beschäftigt. Zu den rund 5000 Ar­beiterinnen und 900 Arbeitern, die in den Wäschefabriken schaffen, fommen noch gegen 2000 Heimarbeiterinnen, so daß annähernd 8000 Proletarier in der Wäscheindustrie ihr Brot suchen. Haupt­fonkurrenzort des Gewerbes ist Berlin .

Wie die obigen Zahlen ausweisen, ist es die Frauenarbeit, die bei weitem vorherrscht und den Arbeitsbedingungen ihr Gepräge gibt. Frauenarbeit ist in der Regel schlecht entlohnte, schlecht gestellte Arbeit. Das bestätigen auch die Verhältnisse in der Wäscheindustrie.

Es überwiegen die Arbeiterinnen im Alter von 14 bis 18 Jahren; die Lehrlingszüchterei blüht. Die Anfängerinnen werden durch Lehr­verträge für mindestens zwei Jahre an den Betrieb gebunden. Tatsächlich tritt jedoch an die Etelle gründlicher Ausbildung die Ausbeutung. Die Plätterinnen lernen zum Beispiel nur zwei bis drei Monate. Die Lehrmädchen werden älteren Arbeiterinnen unter­stellt, die meist im Afford beschäftigt sind und die jungen Arbeite­rinnen nach ihrem Ermessen entlohnen. Daß die Lehrverträge purer Schein sind, daß sie nur die hochgradige Ausbeutung jugendlicher Arbeitskräfte sichern und die angelernten Arbeiterinnen an den Be­trieb fesseln sollen damit ja die Konkurrenz nichts aus ihnen herausholen tann das beweisen die folgenden Paragraphen aus einem Lehrvertrag für Plätterinnen: Es heißt da:§ 2. Die ersten acht Wochen der Lehrzeit sind unentgeltlich. Der danach beginnende Verdienst richtet sich nach den geltenden Stücklöhnen.§ 4. Der Lehrling ist der mit seiner Ausbildung beauftragten Person zur Folgiamkeit und Treue, zu Fleiß und anständigem Betragen ver pflichtet." Nur in den ersten acht Wochen ist jemand mit der Aus­bildung der Lehrlinge" beauftragt. In den zwei Jahren, die auf die acht Wochen folgen, arbeiten die Lehrlinge" ohne jede An­leitung, ohne jede sie ausbildende Person".

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Manche Wäschefabrikanten kümmern sich wenig um die gesetz­lichen Bestimmungen über Arbeitszeit und Mitnahme von Arbeit nach Hause. Die Gewerbeinspektion hat daher oft Gelegenheit, ein zuschreiten. Bekanntlich dürfen nach der Gewerbeordnung Arbeite­rinnen, die weniger als zehn Stunden täglich im Betrieb arbeiten, höchstens so viel Arbeit mit nach Hause nehmen, daß dadurch im ganzen eine zehnstündige Arbeitszeit nicht überschritten wird. An Sonnabenden darf überhaupt keine Arbeit mitgenommen werden. Gegen diese Vorschriften wird sehr viel gesündigt. Aus Rücksicht auf die Gesundheit der Arbeiterinnen müßte dem gesteuert werden. Die Krantheitsziffern der Wäschearbeiterinnen beweisen, daß ihre Arbeitszeit eine viel zu lange ist. Die Mitnahme von Arbeit nach Hause würde natürlich sofort bedeutend nachlassen, wenn die Löhne bessere wären. Aber mie feht es tamit aus

bedingungen zurück. In den letzten Jahren ist es nun in dieser Beziehung etwas besser geworden. Die Arbeiterinnen begannen zu sehen, daß die Industriellen namentlich im letzten Jahrzehnt gute Geschäfte gemacht haben. Aus kleinen Betrieben sind große Fabriken geworden; modern eingerichtete Gebäude wurden erstellt. Alles dies ließ darauf schließen, daß die Unternehmer reiche Gewinne ein­gefäckelt hatten. Den Arbeiterinnen kam die Frage nach dem Wo­her dieser Gewinne und auch die richtige Antwort darauf. Des weiteren zwang die steigende Verteuerung des Lebensbedarfs geradezu die Erkenntnis auf, daß die Löhne erhöht werden müßten. Der flotte Geschäftsgang zur Wintersaison ließ bei den Arbeite­rinnen den Gedanken reifen, endlich mit Lohnforderungen an die Unternehmer heranzutreten. Fünf Jahre waren seit der letzten Lohn­ausbesserung vergangen. 1905 hatten die Arbeiterinnen zum ersten mal dank der Organisation nach neunwöchigem Kampfe einen schönen Erfolg erzielt. Mit einer Lohnausbesserung von 8 bis 12 Prozent war eine Verfürzung der Arbeitszeit von 10 auf 912 Stunden durch gesetzt worden. Leider war die Errungenschaft nicht von Bestand. Hunderte von Arbeiterinnen kehrten der Organisation wieder den Rücken, den Unternehmern wurde es in der Folge leicht, die schlechte Konjunktur im Jahre 1908 auszunuzen, um die Löhne auf das frühere Niveau und zum Teil noch tiefer herabzusetzen. Nun sollte die Scharte ausgewegt werden. Der Weg dazu war durch die Er­fahrungen vorgezeichnet: Anschluß an die Organisation. Hunderte von Arbeitern und Arbeiterinnen traten in den letzten Monaten dem Verband der Schneider und Wäschearbeiter bei. Nach vielen Werkstattbesprechungen und Versammlungen erhielt die Ortsver­waltung des Verbandes Anfang Oktober den Auftrag, alles zu tun, um noch in dieser Saison eine Aufbesserung der Löhne und Regelung der Arbeitsverhältnisse durch einen Tarifvertrag herbeizuführen. Am 9. Oftober tagte eine Konferenz, zu der die Arbeiterschaft aller Betriebe ihre Vertreter entsendet hatte. Sie beschloß, daß bei 16 Firmen ein Tarifentwurf eingereicht werden sollte. Als wichtigste Forderungen legte er fest: Für sämtliche Arbeiterinnen den neunstündigen Arbeitstag, tarifliche Festsetzung aller Lohnfäße, Er­höhung aller Affordsäge um 15 Prozent und Lohnzuschlag von 10 Pf. pro Stunde für Überzeitarbeit. Garn und Maschinennadeln find unentgeltlich zu liefern, für Heimarbeiterinnen, wo die Liefe rung nicht erfolgt, ist ein Lohnzuschlag von 5 Prozent zu vergüten. Für die Heimarbeiterinnen außerhalb Bielefelds sind Lieferstellen zu errichten, Botenlohn darf den Abeiterinnen nicht angerechnet werden. Errichtung eines paritätischen Arbeitsnachweises. Der Mindestlohn für Näherinnen beträgt das erste Jahr nach be= endeter Lehrzeit 12 Mt., das zweite Jahr 15 Mt., das dritte Jahr 18 Mt. Für die Plätterinnen beträgt der Mindestlohn die ersten zwei Monate nach Beendigung der Lehrzeit 9 Mt., die nächsten drei Monate 12 Mt., die weiteren vier Monate 15 Mt., alsdann