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Die Gleichheit

tritt der Minimallohn von 18 Mt. pro Woche in Kraft und steigt jährlich um 2 Mt. pro Woche bis zu 24 Mt. Der Mindestlohn für Maschinenplätterinnen soll pro Woche 18 Mt. betragen und mit jedem Jahre um 1 Mt. bis zu 21 Mt. steigen. Stärkerinnen, Wäscherinnen bekommen pro Woche 15 Mt. Mindestlohn, der mit jedem Jahre um 1 Mt. bis zu 18 Mt. erhöht wird. Was die Lehrlingsausbildung anbetrifft, so wurde für Plätterinnen eine Lehrzeit von drei Monaten, für Näherinnen eine solche von einem Jahre verlangt. Die Ausbildung soll durch Lehrmeisterinnen erfolgen, die in Lohn stehen, Lehrgeld darf nicht erhoben werden. Die lernenden Plätterinnen erhalten im ersten Monat keine Ent­schädigung, im zweiten und dritten Monat pro Tag 1 Mt. Die Lehrmädchen in der Näherei arbeiten das erste Vierteljahr ohne Entschädigung, im zweiten bekommen sie 4,50 Mt. wöchentlich, im dritten und vierten 7,50 Mt. Die Materialien sind von der Firma frei zu liefern. Auch für die Zuschneider und Hilfsarbeiter regelt der Tarif die Lehrbedingungen, Arbeitszeit, Löhne, Kündi­gung usw. und erklärt, daß bereits bestehende Vergünstigungen be stehen bleiben. Er enthält außerdem eine Reihe allgemeiner Be­stimmungen. Die Lohnzahlung hat wöchentlich des Freitags zu erfolgen. Das Liefern der Arbeit darf nicht länger als eine halbe Stunde dauern, für jede weitere angefangene Stunde sind 25 Pf. zu vergüten. Ferien sind für sämtliche Arbeiterinnen unter Fortbezahlung des Lohnes zu gewähren: nach einjähriger Be­schäftigung auf die Dauer von drei Tagen, nach drei und mehr­jähriger Tätigkeit auf die Dauer von einer Woche. Die Mitgabe von Arbeit für die im Betrieb beschäftigten Arbeiterinnen ist nicht gestattet. Bei schlechtem Geschäftsgang ist die Arbeit bei den Ar­beiterinnen, Arbeitern und Zuschneidern gleichmäßig zu verteilen, und wenn notwendig soll die Arbeitszeit verkürzt werden, um Ent­lassungen zu vermeiden.

Es kam zu Verhandlungen, und am 20. Oktober erklärte der Verein Bielefelder Wäschefabrikanten folgendes: Der Abschluß von Tarifverträgen vom 1. Oktober 1911 an wird in Aussicht gestellt. Es soll sofort in eine Prüfung derjenigen Wünsche eingetreten werden, die von den Berliner   Wäschefabrikanten ihren Arbeitern gegenüber bereits erfüllt sind. Es wird zugesagt, die in den ein­zelnen Betrieben aufbesserungsbedürftig erscheinenden Löhne einer Revision zu unterziehen. Die Vorarbeiten zur Verwirklichung dieser Zugeständnisse sollen sofort in die Wege geleitet werden.

Den Arbeiterinnen erschien dieses Entgegenkommen" mit Recht nicht zufriedenstellend. Den Hinweis auf die Berliner   Konkurrenz tannten sie als altes Spiel. Die Berliner   Wäschefabrikanten haben umgekehrt unter Hinweis auf die Bielefelder   Konkurrenz immer abgelehnt, höhere Löhne zu zahlen. Die Verschleppung des Tarif­abschlusses auf 1911 soll die Situation für die Unternehmer günstiger gestalten, da im Oktober des nächsten Jahres der Tarif in der Berliner   Wäscheindustrie abläuft und dann sicher von den dortigen Arbeiterinnen ebenfalls Lohnforderungen erhoben werden. Die Bielefelder   Arbeiterinnen wollen aber nicht den Fabrikanten zu­liebe noch ein Jahr bei den traurigen Löhnen vegetieren. Sie be­schlossen daher mit 1559 gegen 5 Stimmen, sofort in den Streif zu treten, und legten am 22. Oktober einmütig die Arbeit nieder. Die Wirkung des Kampfes erhellt daraus, daß die bestreiften Firmen in einem Zirkular ihre Kunden baten, die Lieferzeiten der erteilten Aufträge um die Dauer der Arbeitseinstellung zu ver längern und so durch weitgehende Nachsicht in dem ihnen auf­gezwungenen Kampfe zu unterstützen". Daß Zuschneider, Wasch­meister und Direttricen verschiedener Geschäfte Arbeiterinnen zur Wiederaufnahme der Arbeit zu bewegen suchen, ist eine traurige Begleiterscheinung des bisher ausgezeichnet verlaufenen Ausstandes. Ein Unternehmer hat sich in seiner Bedrängnis darauf besonnen, daß auf Grund der wundervollen Verträge Lehrlinge zur Inne­haltung ihres Vertrags angehalten werden können, und zwar durch die Polizei. Pflichteisrigst hat auch die Polizei die Lehrlinge vorgeladen darunter 22 jährige Lehrmädchen", die sich erst später der Wäscheindustrie zugewandt haben. Nach der Vernehmung eröffnete die hohe Löbliche den Sünderinnen, daß sie, wenn sie nicht gutwillig nach ihrer Arbeitsstelle zurückkehrten, durch die Polizei hingebracht werden würden. Auf sofortigen Einspruch ist die Aus­führung der Androhung jedoch unterblieben. Ein eifriger Geschäfts führer ging in Begleitung eines Schußmanns einem Trupp seiner" Arbeiterinnen nach, denen vorgeschwindelt worden war, die Arbeit würde wieder aufgenommen. Am Fabriktor angekommen, mußte der gute Mann erleben, daß seine" Arbeiterinnen ihm lachend den Rücken lehrten. Sie hatten den Schwindel entdeckt und wollten nicht zu Arbeitswilligen werden.

Die Unternehmer hatten eine Studienkommission" nach Berlin  gesandt, welche die Verhältnisse in der Berliner   Wäscheindustrie

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erforschen sollte. Die abgeordneten Herren haben aber ihre Studien zeit" auch dazu benutt, Berliner   Firmen zur Anfertigung von Streifarbeit zu gewinnen. Solche Betriebe wurden ermittelt, und die Berliner   Arbeiterinnen haben sich dafür bedankt, zu Streif­brecherinnen zu werden. Die Berliner   Wäschearbeiterschaft hat ihre Solidarität mit dem Kampfe in Bielefeld   erklärt.

Die Streifenden haben nach Versammlungen durch zwei impo­sante Massenspaziergänge in Bielefeld   gezeigt, wieviel fleißige Ar­beiterinnen die Fabritanten feiern lassen. Daß die bürgerliche Presse nicht für die Kämpfenden eintritt, braucht wohl nicht besonders er­wähnt zu werden. In der letzten Woche haben die Unternehmer ein neues Mittel entdeckt, die Streikenden über die Zahl der Weiter: arbeitenden im unklaren zu halten und diese vor Belästigungen" zu schüßen. Laut Anschlag in den Fabriken dauert die Arbeitszeit jetzt von 128 Uhr morgens bis 4 Uhr nachmittags, mit stündiger Frühstücks- und stündiger Mittagspause. Diese Neuordnung der Arbeitszeit ist von der Regierungsbehörde genehmigt worden. Als die Streifenden sich bei der Gewerbeinspektion über sie beschwerten, mußte ihnen diese antworten, daß in der Sache ,, alles in Ordnung sei". Man sieht, für die Regierung ist Geschwindigkeit keine Hererei, wenn es sich um Kapitalisten handelt. Die Unternehmer aber tönnen statt der geforderten 9 stündigen sogar die 7% stündige Ar­beitszeit einführen wenn sie wollen! Jm Streit befinden sich gegen 2000 Arbeiterinnen, davon 150 in Orlinghausen und Lage in Lippe  , und etwa 70 Zuschneider; organisiert davon sind über 1650. N. N. Die Stimmung unter den Streifenden ist gut.

Aus der Bewegung.

Von der Agitation. Über das Thema:" Fleischwucher und Arbeiterfrauen" sprach vom 12. bis 15. November Ge­nossin Wurm Berlin   in vier Orten des Kreises Elberfeld  , näm­lich in Elberfeld  , Ronsdorf  , Remscheid   und Barmen. Abgesehen von Ronsdorf  , wo man wohl für einen großen Saal, aber nicht für zahlreiche Beteiligung gesorgt hatte, waren die Ver­sammlungen verhältnismäßig gut besucht, am besten in Rem= scheid am Sonntagnachmittag. Besonders erfreulich war, daß der Besuch, wiederum mit Ausnahme von Ronsdorf  , ganz über­wiegend aus Frauen bestand. In Ronsdorf   scheinen die Arbeiter frauen wohl zu meinen, daß sie Versammlungen nicht mehr nötig hätten? Wenn diese Annahme richtig ist, dann verkennen sie die Situation gründlich. Sie und alle anderen, die etwa so denken, weiblichen und männlichen Geschlechts, würden damit allein be­weisen, wie sehr sie der aktiven Teilnahme an der Bewegung be­dürfen, und besonders auch an den Versammlungen. Genossin Wurm verstand es, ihr Thema in recht geschickter und überzeugen­der Weise zu behandeln, wofür ihr überall lebhafter Beifall zuteil wurde. 63 weibliche Mitglieder wurden in den Versammlungen gewonnen.

In einer öffentlichen Frauenversammlung in Remscheid   sprach Genossin Wurm- Berlin über die Lebensmittelteuerung und die Frauen". Trotzdem in letzter Zeit mehrere große öffentliche Ver­sammlungen am Ort stattfanden, war auch diese außerordentlich gut besucht. Die Referentin fesselte durch ihren Vortrag die An­wesenden, die ihr durch lebhafte Zustimmung und Beifall zu ver stehen gaben, daß sie aus aller Herzen gesprochen hatte. Die Auf­nahme von 26 neuen weiblichen Mitgliedern war ein sichtbares Resultat der Versammlung. Frau Böttcher.

Vom Kampfe gegen die Fleischuot. Größere Aktionen gegen die Fleischnot und gegen die allgemeine Lebensmittelteuerung unter nahmen Ende Oktober der zweite, dritte und vierte Ber liner Wahlkreis. Start besuchte Frauenversammlungen, zu denen vorher eine Flugblattverbreitung stattgefunden hatte, fanden im zweiten Kreise zwei, im dritten Kreise eine und im vierten Kreise sechs statt. Im zweiten Kreise referierten die Genossinnen Schuch und Fahrenwald, im dritten Kreise die Genossin Mittag und im vierten Kreise die Genossinnen Ihrer, Zieh, Weyl, Wurm, Wulff und Zieg. 3irka 400 Neuauf nahmen für Partei und Presse war der greifbare Erfolg der Agitation. Eine besondere Freude bereitet die Tatsache, daß die ganze Agitation, vor allem das fleißige Werben von neuen Mit­kämpferinnen in den Versammlungen, ausschließlich das Werk der Genossinnen ist, die einen Idealismus und eine Arbeitsfreudigkeit zeigen, die volle Anerkennung verdienen.

Auch im Kreise Kottbus   fanden im Oktober vier sehr gut be­suchte Volksversammlungen statt, in denen die Moabit- Affäre" und die Volksauswucherung durch Genoffin Zietz behandelt wurde. In diesem Kreise mit seiner starten weiblichen Textilarbeiterschaft