Nr. 6 Die Gleichheit 9l nossirmen der drei Wahlkreise statt mit dem Thema:„Was bedeutet uns heute Ferdinand Lassalle ?" Genosse Herrmann schilderte als Referent eingangs in vorzüglicher Weise Lassalles Kinderjahre und Jugend. Dann iegte er eingehend, auf geschichtlichem Hintergrund, die harten Kämpfe, das arbeitsreiche Leben Lassalles dar, der bereits als Jüngling 1S4S in den vordersten Reihen der Freiheitskämpfer stand. Seine großartigen Leistungen als Organisator und Führer des deutschen Proletariats zum Klassenkampf fanden ihre Würdigung. Am Schlüsse betonte der Redner, daß der Mann, der zuerst dein Proletariat als Wissender und Führender im Kampfe das Banner des allgemeinen Wahlrechts vorangetragcn hat, uns mit seinem stolzen Mute, seiner unbedingten Hingabe ein leuchtendes Beispiel bleibe. Die zukünftigen Kämpfe werden uns imnier wieder an Ferdinand Lassalle und sein Werk erinnern. Dem Redner wurde reicher Beifall zuteil. Die Versammlung endete nach der Erledigung verschiedener Anfragen und Anträge. Henr. Strobl. Ein Kursus zur Einführung der Arbeiterinnen in die Gewerbeordnung ist in Nürnberg von den Gewerkschaften geschaffen worden. Wie notwendig es ist. die Arbeiterinnen mit den Bestimmungen der Gewerbeordnung vertraut zu machen, besonders mit den Arbeiterschntzvorschriften, das liegt auf der Hand. Die Gewerbeinspektion hat zwar das Amt, die Jnnehaltung der gesetzlichen Bestimmungen zu überwachen, aber es ist bekannt, daß die Zahl der Anfsichtsbeamten bei weitem nicht zu einer Kontrolle aller Betriebe ausreicht. Außerdem übernimmt bei der Inspizierung einer Fabrik oder Werkstätte meist ein Betriebsleiter die Führung, der ein Interesse daran hat, den kontrollierenden Beamten rasch dort vorbeizuführen, wo Anlaß zu Beanstandungen vorliegt. In seiner Gegenwart wagen es die Arbeiterinnen in der Regel nicht, auf die bestehenden Mißstände den Aufsichtsbeamten hinzuweisen, der mit den Einzelheiten des Betriebs nicht so vertraut ist wie sie. Oft melden sie die Lbertretungen erst, wenn sie die betreffende Arbeitsstätte verlassen haben, weil sie fürchteten, bei einer früheren Anzeige die Arbeit zu verlieren. Dadurch schädigen sie sich aber selbst, den» sie leiden ja unter den llbelständen, solange sie in dem Betrieb tätig sind. Jede Arbeiterin sollte daher darauf achten, ob in ihrer Arbeitsstätte Reinlichkeit, Ventilation, Beleuchtung und Schutzvorrichtungen den gesetzlichen Vorschriften, den Anforderungen der Hygiene entsprechen, ob Speiseränme, getrennte Ankleide- und Waschräume für die Geschlechter und eine genügende Anzahl Aborte vorhanden sind. Entdecken sie«inen Verstoß gegen die gesetzlichen Bestimmungen, so müssen sie ihn in ihrem eigenen Interesse und in dem ihrer Arbeitsschwestern sofort der Gewerbeinspektion melden, die für Abhilfe zu sorgen hat. Ohne die Hilfe der Arbeiterinnen kann diese Körperschaft ihre Aufgabe nicht erfüllen. Die Arbeiterinnen sind zur Mitarbeit an der Durchführung der gesetzlichen Vorschriften nur dann befähigt, wenn sie diese genau kennen. Um ihnen das nötige Wissen zu vermitteln, hält die Unterzeichnete in Nürn berg einen Kursus ab, den alle gewerkschaftlich organisierten Arbeiterinnen kostenlos besuchen können. Zur Behandlung steht die Gewerbeordnung mit ihren Unterabteilungen, insbesondere der Teil, der sich auf den Arbeiterinnenschutz bezieht, das Kinderschutzgesetz und das Gewerbegerichtsgesetz. Den Gewerkschaftsvorständen steht das Vorschlagsrecht für die Teilnehmerinnen zu. Arbeiterinnen, die sich an dem Kursus beteiligen wollen, können sich schriftlich oder mündlich melden. Er hat am 24. November begonnen, dauert bis zum April 1911 und findet an jedem zweiten und vierten Donnerstag im Monat abends von 3 bis 10 Uhr im Arbeitersekretariat, Breite Gasse 25/27, statt. Die Teilnehmerinnen werden ersucht, die Verbandsbücher mitzubringe», da eine genaue Statistik über die Teilnehmerinnen geführt wird. Die Veranstaltung eines pichen Kursus empfiehlt sich auch in anderen Orten. Helene Grünberg . Jahresbericht der Genossinnen des vierten sächsische» Wahlkreises. Unsere proletarische Frauenbewegung hat dank eifriger Betätigung der Genossinnen auch im letzten Jahre Fortschritte gemacht. Die Zahl der weiblichen Parteimitglieder ist auf 777 gestiegen. Sowohl die Beteiligung der Frauen an unseren Diskussionsabenden wie ihre Anwesenheit in unseren öffentlichen Versammlungen bekunden lebhaftes Interesse am politischen Leben wie wachsendes Bedürfnis nach tieferer Schulung. Zum Zwecke der Agitation fanden öffentliche Versammlungen statt, in denen die Genossinnen Tietz, Wackwitz, Gradnauer und die Genossen Wolf und Or. Duncker referierten. Zur Behandlung standen folgende Fragen:„Die Preissteigerung der Lebensmittel und ihre Folgen für die Familie",„Die Frau im politischen Kampfe",„Aufklärung der Frauen über Unterleibsleiden" und„Krankheit und Proletarier". Der Schulung der Genossinnen dienten Diskussions- abende in Dresden-Neustadt, Pieschen und Trachen berge , die alle 14 Tage stattfanden. Zur Erörterung gelangten unter anderem die Krankenkassenwahlen, die Alters- und Jnvaliditäts- versicherung, Fragen des Kinderschutzes und der Dienstbotenorganisation und einzelne Gegenwartssorderungen der Sozialdemokratie. Leider war es nicht möglich, in allen Bezirken, namentlich auf dem Lande, solche Diskussionsabende ins Leben zu rufen, doch geht daS Streben der Genossinnen dahin, diese nützlichen Veranstaltungen in immer mehr Orten zur Einführung zu bringen. In Lo schwitz fand an Stelle von Diskussionsabcndcn vierteljährlich eine besondere Frauen Versammlung statt, die jedesmal sehr gut besucht war. Die Genossinnen beteiligten sich fleißig an allen organisatorischen Kleinarbeiten. So an der Flugblattverbreitung gelegentlich der Landtagswahl usw., ihre Beteiligung an den Wahlen zur Ortskrankenkasse war eine sehr erfreuliche. Auch in allen leitenden Körperschaften, denen Frauen angehören, hat sich die weibliche Mitarbeit durchaus bewährt. Kurz überall, wo die Genossinnen auf Posten standen, haben sie ihre volle Pflicht und Schuldigkeit getan. Als Vertranensperson für de» Kreis wurde die Unterzeichnete gewählt, als Stellvertreterin in Dresden-Neustadt Genossin Noack, in Trachenberge Genossin Lehmann und in Lo schwitz Genossin Jentzsch. Die Genossinnen werden alles aufbiete», um durch rührige Agitation, von den Genossen dabei gefördert, immer weitere Kreise des weiblichen Proletariats für den Sozialismus zu erobern und der Parteiorganisation zuzuführen, die Aufgerüttelten aber zu überzeugten Bekennerinnen unserer Ideen zu machen. Ernestine Lutze . Rnna Sachs P. Tie Berliner Genossinnen betrauern den Verlust einer Mitkämpferin, die ein Vierteljahrhundert lang überall dort zu finden war, wo es Arbeit und Kampf im Dienste des proletarischen Befreiungsringens gab. Anna Sachs ist der Proletarierkrankheit erlegen. Es ivar der Verstorbenen nicht an der Wiege gesungen worden, daß sie unter schweren Mühen und Entbehrungen gegen die Pein und den Hunger ankämpfen sollte, welche das Schicksal von Millionen sind. Sie stammte von wohlhabenden Eltern, die jedoch ihren Besitz verloren, weil der Vater, ein herzensguter, vertrauensvoller Mann, als Bürge nach den Gesetzen der bürgerlichen Ordnung gewürgt wurde. Er überlebte den Schiffbruch seiner wirtschaftlichen Existenz nicht lange, und die Mutter hatte nun durch ihre Arbeit für den Unterhalt von sechs Kindern zu sorgen. Das Leben nahm Anna in eine harte Schule. Als das drittälteste Kind mußte sie tüchtig mit zufassen und lernte die Ängste um das tägliche Brot, den Heroismus der Arbeit über die schwache Kraft, das Duldertum des Darbens kennen, kurz die volle Daseinslast erwachsener Armer, Ausgebeuteter, die so viele» kleinen proletarischen Mädchen einen vorzeitigen Ernst auf die Gesichtchen schreibt. Wahrscheinlich legten Überanstrengung und Unterernährung schon damals den Keim zu dem tückischen Leiden, dem sie erlegen ist, denn es hat auch drei ihrer Geschwister vor ihr dahingerafft. Als Blumenarbeiterin erwarb Anna Sachs selbständig ihren Unterhalt und half die jüngeren Geschwister groß ziehen, kaum daß sie der Schule entwachsen war. Ihr Blick war früh für die Schäden der heutigen Ordnung der Dinge und ihre Ursache— die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen— geöffnet worden. Ihre echte Hcrzensgüte und ihr idealer Sinn taten das ihrige, um das kaum sechzehnjährige Mädchen noch unter dem Sozialistengesetz der modernen Arbeiterbewegung zuzuführen. Wenngleich die politische Betätigung der Frauen damals noch auf die schwersten Hindernisse stieß, stellte sich doch Anna Sachs im Kampfe für das Recht ihrer Klasse und ihres Geschlechts in die vordersten Reihen. Sie gehörte zu den Wenigen, welche die ersten Ansätze zu einem festen, planmäßigen politischen Zusammenschluß der Berliner Proletarierinncn schaffe» halfen, und das unter Schwierigkeiten»nd Opfern, die sich die jüngeren Genossinnen kaum recht vorstellen können. Von 1390 bis 1894 saß sie in der Frauenagitationskommission, deren Aufgaben durch die nicht abreißenden Rücken und Tücken der Behörden beträchtlich erschwert wurden, und deren Mitglieder ebensoviel Scharfsinn und kühlen Mut als Zähigkeit und Takt bekunden mußten, um inmitten all der drohenden äußeren und inneren Fähr- lichkeite» eine systematische, sireng grundsätzlich gerichtete Aufklärungsund Sammlungsarbeit betreiben und leiten zu können. Wenn Genossin Sachs mit ihrer persönlichen Betätigung später weniger in den Vordergrund getreten ist als in den Jahren des mühereichen Beginns unserer Frauenbewegung, so hat sie doch nicht aufgehör:, ihr mit ganzer Seele zu dienen. Sie war unter den Milbegründc- rinnen des ersten und des zweiten Frauenwahlvereins in Berlin , trieb eine rastlose persönliche politische wie gewerkschaftliche Werbearbeit, fehlte selten in einer Versammlung und nahm an allen Aktionen der Sozialdemokratie teil, bis die Krankheit sie ans Lager fesselte. Wie für den politischen Aufmarsch der Proletarierinnen,
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21 (19.12.1910) 6
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