92Die GleichheitNr. 6so hat Genossin Sachs auch für die gewerkschaftliche Organisationder Arbeiterinnen ihre beste Kraft eingesetzt. Der Verband derSchneider und Schneiderinnen insbesondere, dem sie sich bald angeschlossen hatte, verdankt ihrem ausdauernden, opferbereiten Wirkennicht wenig.— Soviel Bitteres das Leben einer Enterbten unserergeschiedeneu Genossin gebracht hat, ein Glück hat es ihr nicht vorenthalten. Sie, die in ihrem Bekannten- und Freundeskreise so vielLiebe säte, hat auch Liebe geerntet. Einige Zeit nach dem Hingangder Mutter fand sie in einer Proletarierfamilie ein« wahre zweiteHeimat, eine Gemeinschaft des Lebens und Strebens, die nur derTod gelöst hat. Das Bild der unermüdlichen, hingebungsvollenKämpferin für den Sozialismus wird in dem Herzen derer fortleben, die sie gekannt haben. Es verdient darüber hinaus als leuchtendes Beispiel selbstloser überzeugungstreue von allen festgehalten zuwerden, die der großen Sache des Sozialismus dienen wollen.Trägerinnen des proletarischen Befreiungskampfes von den hohenBürgertugenden einer Anna Sachs machen seine Stärke, seine un-bezwingliche Kraft aus, sie leben in seinem Siege weiter, auch wennsie ungekannt und ungenannt ins Grab sinken.Politische Rundschau.„Kampf gegen die Sozialdemokratie!" Von allen Seitenertönt jetzt dies Feldgeschrei. Es soll die Sammlungsparole fürdie bürgerlichen Parteien bei den Neichstagswahlen werden.„DerKampf gegen die Sozialdemokratie" soll den schwarzblauen Blockvor der Vernichtung bewahren, und dessen Geschäftsführer, derReichskanzler, war eigens von einer höfischen Saujagd zurückgekehrt, um diesen Kampf im Reichstag zu predigen.Am ersten Tage der Etatdebatte fehlte der oberste Beamteder Regierung im Reichstag. Die Abwesenheit von einer Hofjagd war seinerzeit dem Reichskanzler Caprivi verderblich geworden, und um dergleichen Gefahren vorzubeugen, hatte sich derReichskanzler zur Jagd nach Springe begeben und ließ den Reichstag warten. Deutsche Reichskanzler sind eben nur von der Stimmung des Kaisers und nicht von der politischen Situation abhängig. So wurde dem Reichstag am ersten Tage der Etals-beratung wieder einmal deutlich gezeigt, wie gering seine Geltungim politischen Leben des Reiches ist und daß insbesondere daspersönliche Regiment ihn als Null ansieht. Dieser Zustand istebensosehr bedingt durch den Willen des schwarzblauen Blocks, derdie Wirkungen des allgemeinen gleichen Wahlrechts zu fürchtenhat, wie durch die schwächliche Haltung des Liberalismus gegendie absolutistischen Gelüste der Krone. Der bürgerlich« Parlamentarismus nimmt in Deutschland lieber alle Fußtritt« von oben geduldig hi», ehe er sich zu einer Erweiterung und Sicherung derRechte nach unten versteht. Der erste Tag der Etaldebatt« brachtezunächst einige unbeträchtliche Äußerungen des Reichsschatzsekretärs,des Kriegsministers sowie der verbündeten Blauen und Schwarzen.Die Regierungsvertreter suchten die Lage der Reichsfinanzen möglichst rosig zu malen und einen Erfolg der Reichsfinanzreform zubeweisen, beziehungsweise die neue Militärvorlage als ein Mustervon Bescheidenheit und Sparsamkeit hinzustellen. Die Regierungwill den Wählern vor den Wahlen weismachen, daß neue Steuernnicht nötig werden. Von demselben Bestreben waren die Redendes Zentrumsvertreters und des Konservativen durchtränkt— dieAngst vor der Abrechnung verrät sich fast in jedem Satze. Aberder sozialdemokratische Redner Genosse Scheidemann deckte ineiner wuchtigen und schlagkräftigen Rede, die von heißem Zornwider die Volksfeinde durchloht war, diese Spiegelfechtereien restlosauf. Mit festen Strichen zeichnete er ein Bild der deutschen Wirklichkeit, das den ganzen Jammer unserer Zustände auch den blödestenAugen zeigen muß. Genosse Scheidemann gab die richtige Antwort auf die allgemeine Hetze gegen das klassenbewußte Proletariat,in der er zum Angriff, der besten Verteidigungswaffe, überging.Seine Rede enthielt die Ankündigung des kommenden großen Volks-gerichis und klang in dem Appell aus an die Arbeiterklasse undalle Ausgebeuteten der Nation, sich zum Gerichtstag zu rüsten.Tags darauf aber erschien der Kanzler, nachdem er die Gefahrvon höfischen Jagdüberraschungen vorerst beseitigt hatte, und hieltseine große Sammlungs- und Hetzrede gegen die Sozialdemokratie.Seine Rede war mit so viel falschem Pathos getränkt, als diesernüchternen Bureaukralenseele zur Verfügung steht. DemagogischeKniffe, wie sie jedem Reichsverbändler zur Ehre gereichen würden,wurden auch nicht verschmäht. Galt es doch, diesmal die volleZufriedenheit seiner hohen Auftraggeber zu erwerben. Die Junkerhatten in ihren Blättern bemängelt, daß der Kanzler zu wenigjuukerhaft ist— sie möchten einen Draufgänger, der unbeschwertdurch allzuviel Bücherweisheit jeden Wunsch der Großgrundbesitzerohne Zaudern ersüllt und mit dem Ungestüm eines Stieres aufdie Sozialdemokratie losgeht. Der Führer der Konservative», Herrv. Heydebrand, hatte seine gemessenen Befehle erteilt, schleunigstgegen die Sozialdemokratie vorzugehen. Sicher sind die Junler-sorderungen auch dem Kaiser übermittelt worden. Denn dessen Uni-gebung besteht fast ausschließlich aus Angehörigen der regierendenKaste, die ihre höfischen Verbindungen stets jür ihre politische»Zwecke zu nutzen wußte. Der Reichskanzler wußte also, woran erwar und was sein« Pflicht sei. Die Einleitung seiner Rede wareine Verteidigung der Reichsfinanzreform und der Wucherzölle. DasBekenntnis zu diesen beiden Systemen der Ausplünderung der Massenzugunsten der Besitzenden paßt gut zu den Ausführungen, die als Programm die Knebelung der Arbeiterklasse entwickeln. Denn eine Knebelung des kämpfenden Proletanats auf wirtschaftlichem und politischemGebiet, das ist's, was der Kanzler neben der Einigung aller Parteiengegen die Sozialdemokratie an Mitteln gegen den Umsturz vorzuschlagenhat. Weiter als bis zu dem Gedanken von Unterdrückuugsmaßregclnwider die unbequeme Arbeiterbewegung reicht auch die Intelligenzdieses„philosophischen" Bureaukraten und verjunkerten Finanzierssprossen nicht. Während er sich die Pose der Unabhängigkeil vonden Direktiven des Herrn v. Heydebrand gibt und pathetisch dagegen protestiert, daß man ihm Befehle vor versammelter Mannschaft erteile, erklärt er sich in Wirklichkeit bereit, diese Befehlprompt zu befolgen, verheißt er vorbehaltlos die Ausnahmegesetze,die Herr v. Heydebrand namens der Junkerschaft fordert. Der einzigeUnterschied, der ihn von dem Führer der Konservativen trennt, istder, daß Bethmann Hollweg mit dem salbungsvollen Augenausschlagdes Biedermanns die Ausnahmegesetze nicht— Ausnahmegesetzenennt. Er ist nicht so ehrlich wie die Masse der Junker, die es nichtfür nötig hält, ihren Plänen ein Feigenblatt vorzubinden. Und dieserHeuchelei befleißigte er sich aus wohlüberlegten Gründen. Denndem Zentrum, als dem Vertreter eines Vollsteils, der zur Zeit deSKulturkampfes selbst unter einem Ausnahmegesetz gestanden unddaher eine gesunde Abneigung gegen derartige Maßregeln hat,würde es schwer fallen, für ein nacktes Ausnahmegesetz zu stimmen.Das schließt natürlich auf die Dauer nicht aus, daß die Klerikalenfür den Forlbestand des schwarzblauen Blockes, der ihnen die Herrschaft sichert, einen noch viel höheren Preis an Grundsätzen zahlenwerden. Aber das Schwierige der Situation für das Zentrum wirdsehr vermindert, wenn man den Schwarzen Gelegenheit gibt, da?Ausnahmegesetz als ein Stück allgemeinen Rechtes auszugeben.Deshalb kündet der Kanzler keine Ausnahmegesetze an, sondernempfiehlt Verschlechterungen des Strafgesetzbuches und des Strafprozesses, Bestimmungen gegen„Aufwiegelung" und„aufreizenl eTätigkeit", das heißt gegen die sozialdemokratische und gewerkschast-liche Agitation, Bestimmungen zum Schutze der Arbeitswilligen,das heißt eine neue Zuchthausvorlage, und ein schleuniges summarisches Standgerichtsverfahren für Vergehen gegen die öffentlicheOrdnung. Zugleich benutzte der Kanzler die Gelegenheit, um dasvorerst in diesem Punkte aus Rücksicht auf die katholischen Arbeiternoch etwas störrisch« Zentrum auf die Notwendigkeit hinzuweisen,die Entrechtung der Arbeiter in den Krankenkassen zu bewillige».Alledem aber setzte der Kanzler schließlich die Krone aus in seinenAusführungen über die Moabiter Vorgänge. Schon an sich ist eSungeheuerlich, daß der oberste Beamte des Reiches in ein schwebendesGerichtsverfahren eingreift, durch öffentliche Kundgebung daS ll.»teil der Richter beeinflußt. Herr v. Bethmann Hollweg beruft sia,darauf, daß Genosse Scheidcmann die Angelegenheit in seiner Redeangeschnitten habe. Der sozialdemokratische Redner hatte indessennur die Versuche zurückgewiesen, die bei der Beratung des Arbeit--kammergesetzes von konservativer Seite gemacht worden waren, dieMoabiter Ereigniffe gegen die Sozialdemokratie auszuschlachten.Zwischen den beiläufigen Bemerkungen eines Abgeordneten u»öder ausführlichen und in schärfster Weise Partei ergreifenden Kundgebung des höchsten Negierungsvertreters ist zudem ein gewaltigerUnterschied. Aber der Prozeß in Moabit hat der Polizei in dcröffentlichen Meinung schon so sehr geschadet, hat eine solche Meng«von Fällen grober Mißhandlung, skandalöser Brutalisierung friedlicher Passanten enthüllt und wird noch viel mehr aufdecken, daßman in den Regierungsstuben das dringende Bedürfnis empfindet.der Polizei zu Hilfe zu kommen. Die in Moabit tätigen Polizei-ofstziere und-beamten werden noch mitten in den Prozeßverhand-lnngen mit hohen Ordensanszeichnungen bedacht wegen ihrer tapferenund korrekten Haltung bei den Unruhen— Herr v. Jagow soll einebesonders glänzende Dekoration am kommenden Ordensfest erhalten,wie offiziös angekündigt wird. Die Beeinflussung der Richter indiesem Riesenprozeß ist also System, in das die Siede des Kanzlerstrefflich hineinpaßt. Daß er dabei die Beweisaufnahme gänzlichignoriert, daß er unter dem lauten Beifall nicht nur der Junker,