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Die Gleichheit
über die Streifversicherung der Unternehmer liegt eine statistische Zusammenstellung vor. Im Jahre 1910 waren von 115 095 Mitgliedern der Unternehmerverbände, die 3854 680 Arbeiter beschäftigen, 27 100 mit 1952 480 beschäftigten Arbeitern gegen Streitschäden versichert. Nur bei Streits zahlen 18 Verbände, bei Aussperrungen allein 3 Verbände, in beiden Fällen 124 Verbände Entschädigung. Die Organisation des Ausbeutertums muß den Lohnfflaven ohne Unterschied des Geschlechts ein Ansporn sein, den Gewerkschaften zuzuströmen und ihnen als Kämpfer immer mehr von dem großen, verhängnisvollen Heerbann der Gleichgültigen und Stumpfsinnigen zuzuführen, hinter dem der auswuchernde Kapitalismus Schutz findet.
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Das Ende des Streiks in der Bielefelder Wäscheindustrie ist zu verzeichnen. Es kam schließlich doch zu Verhandlungen und zu einer Einigung auf Grund folgender Bestimmungen: Die Arbeitszeit beträgt 9 Stunden wie bisher, Sonnabends 7 Stunden. Eine sofortige Erhöhung der Affordsätze, die feinen ausreichenden Verdienst sichern, ist prinzipiell zugestanden worden, die Höhe soll in Besprechungen der beiden Organisationen festgesetzt werden. Die Parteien erklären sich grundsätzlich damit einverstanden, daß Garn und Nadeln nicht mehr frei geliefert werden; die Betriebe, in denen dies bisher der Fall war, sollen eine einheitlich zu regelnde Geldentschädigung gewähren. Die Vertreter der Arbeiter zogen den Antrag auf Errichtung eines paritätischen Arbeitsnachweiſes zurück, dagegen verpflichteten sich die Fabrikanten, untereinander feine Vereinbarungen zu treffen, welche die Freizügigkeit der Arbeiter beschränken. Die Lehrzeit der Plätterinnen wird auf acht Wochen festgesetzt. Die Plätterinnen sollen sich verpflichten, nach dieser Lehrzeit bei ihren Lehrherren noch ein Jahr und zehn Monate weiterzuarbeiten. Im Falle von Arbeitseinstellungen und AusSperrungen wird um deren Dauer der Vertrag nicht verlängert. Die Lehrzeit der Näherinnen soll ein Jahr betragen. In den ersten sechs Wochen erhält das Lehrmädchen keine Entschädigung. Der Zuschlag für Überzeitarbeit beträgt pro Stunde 10 Pf. Für Zuschneider werden sofort Atfordsätze eingeführt und die bisherigen Monatslöhne bis 1. April 1911 garantiert; günstigere Abmachungen bleiben in Kraft. Betreffs der Lehrbedingungen der Zuschneider wurden nur geringe Zu geständnisse erzielt. Die Lehrlinge, deren Lehrzeit drei Jahre beträgt, erhalten im ersten Jahre 50 Pf., im zweiten Jahre 1 Mr. und im dritten Jahre 1,50 Mt. pro Tag; die Lehrlinge mit zweijähriger Lehrzeit 75 Pf. und 1,25 Mt.; die mit einjähriger Lehrzeit 1 Mt. pro Tag. Hilfsarbeiter und Hilfszuschneider erhalten entsprechende Lohnaufbesserungen. Die Arbeitszeit der Zuschneider beträgt 9 Stunden, Sonnabends 7 Stunden. Für Überstunden gibt es einen Zuschlag von 10 Pf. Am Wochentag vor Ostern, Pfingsten und Weihnachten endet die Arbeitszeit mittags 12 Uhr; an allen übrigen Tagen vor einem Sonn- und Feiertag um 2% Uhr. Es ist nicht gestattet, den im Betrieb beschäftigten Arbeiterinnen noch Arbeit zur Fertigstellung mit nach Hause zu geben. Maßrege lungen dürfen nicht stattfinden, die Einstellung der Arbeiterinnen und Arbeiter erfolgt nach Möglichkeit sofort, und solange die am Streif Beteiligten nicht alle wieder beschäftigt sind, dürfen neue Arbeitsfräste nicht verwendet werden. Die einbehaltenen Löhne sind bei der nächsten Lohnzahlung nach Beendigung des Streits auszuzahlen.
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Zu den Abmachungen nahmen die Streifenden in einer öffentlichen Versammlung Stellung. Nach einem überblick über die Situation empfahlen die Organisationsleiter Zustimmung dazu und Wiederaufnahme der Arbeit. Die Diskussion verlief zum Teil sehr stürmisch und brachte den Unwillen über die geringen Erfolge zum Ausdruck, wenngleich betont wurde, daß aufgeschoben nicht aufgehoben sei. Schließlich stimmten 560 für und 850 gegen die Aufnahme der Arbeit. Da die statutengemäß erforderliche Zweidrittelmehrheit für Weiterführung des Streits nicht vorhanden war, gilt der Kampf als beendet. Die Wiederaufnahme der Arbeit sollte am 12. Dezember erfolgen. Hoffentlich bleiben die Arbeiterinnen trotz des geringen Erfolges der Organisation treu, dann werden auch die Verhandlungen über die Lohnfrage und über die noch zu regelnden Punkte zu annehm baren Ergebnissen führen. Keinesfalls darf es die Arbeiterinnen ver stimmen, daß sie nicht einen vollen Sieg errungen haben. Sie dürfen nicht vergessen, daß das Unternehmertum übermächtig bleibt, solange es von kriecherischen Arbeitern und Handlungsgehilfen unterstützt wird, die Arbeitswillige" werben, und solange es leider noch viele Unorganisierte gibt. Daß die löbliche Polizei durch Schikanierung der Streitposten redlich das Ihrige zur Niederzwingung der kämpfenden Arbeiterschaft getan hat, versteht sich für jeden, der weiß, wofür das Volk diese herrliche Institution mit seinen Steuergroschen erhält. Jedenfalls hat die Bewegung gezeigt, daß einiges Zusammenhalten den Unternehmern Zugeständnisse abzutrohen vermag. Mehr Aufklärung, mehr Einigkeit, und diese Zugeständnisse werden in Zu
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funft größer sein. Deshalb kein Verkriechen in den Schmollwinkel, sondern heraus aus Gleichgültigkeit, Stumpfsinn und Egoismus und hinein in die Organisation.
Notizenteil.
Frauenarbeit auf dem Gebiet der Industrie, des Handels- und Verkehrswesens.
N. N.
Frauen im badischen Eisenbahndienst. Kürzlich ging die Nachricht durch die Presse, die badische Eisenbahnverwaltung wolle die Gehilfinnen aus dem Schalterdienst entfernen. Da man wußte, wie sehr sich die Frauen auf diesem Posten bewährt haben, erschien die Behauptung unglaubwürdig. Es wird jetzt offiziös dazu mitgeteilt: es sei richtig, daß die Gehilfinnen im allgemeinen etwas mehr durch Krankheit dem Dienst entzogen werden als die männlichen Beamten. Das genaue Ver. hältnis sei nicht festzustellen, da beide Beamtenarten in der Krant heitsstatistik der Eisenbahn nicht getrennt geführt werden. Richtig sei ferner, daß die weiblichen Beamten insofern nur beschränkt verwendbar sind, als sie nur im inneren Dienst( Schalter, Bureau) beschäftigt werden können, und daß auch da die Dienſteinteilung oft Schwierigkeiten bereite, weil den weiblichen Beamten nicht gut zugemutet werden könne, den Dienst zur Nachtzeit anzutreten oder zu verlassen. Wo dies nicht zu umgehen ist, werde den Ge hilfinnen von der Verwaltung eine Begleitung gestellt. Im großen und ganzen könne aber gesagt werden, daß die weiblichen Beamten ihre Aufgabe mit demselben Eifer und Pflichtgefühl und auch demselben Erfolg erfüllen wie ihre männlichen Kollegen. Unter diesen Umständen sei nicht anzunehmen, daß die Eisenbahnverwaltung fünftig die den Gehilfinnen zugänglichen Stellen erheblich verringern und dadurch vielen jungen Mädchen die bisherige Verdienstgelegenheit nehmen werde. Die Eisenbahnverwaltung beschäftige mehr als die Hälfte aller Gehilfinnen im Schalterdienst, und zu reinen Schreibgeschäften in den Bureaus würden keine Eisenbahngehilfinnen( mittlere Beamte), sondern untere Beamte( Bureaugehilfinnen und Maschinenschreiberinnen) verwendet.
Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen.
mg.
Weihnachtselend. Wieviel Freude und Genuß, wieviel Arbeit und Elend bringt die Weihnachtszeit! Freude und Genuß den Besitzenden, Arbeit und Elend den Proletarierinnen. Zu den ge quältesten Menschen in der Weihnachtszeit gehören die Hand. Iungsgehilfinnen in den großen Geschäfts- und Warenhäusern. Vor überanstrengung fast zusammenbrechend, bei halbstündiger Tischzeit müssen sie für elenden Lohn bis tief in die Nacht hinein arbeiten, um den Profit der Geschäftsinhaber zu mehren. Wer mit fühlendem Herzen in der jetzigen Zeit furz vor Geschäftsschluß eines dieser Warenhäuser betritt, wird mit Ent rüstung wahrnehmen, wie hier die menschliche Arbeitskraft aus. gesogen wird. Abgespannt, müde, überanstrengt sind die Verkäufe rinnen tätig. Die Hände an die Schläfen gepreßt, rechnen die Rassiererinnen ihre Blocs auf. Der Ropf fann nicht mehr mit, wenn ein junges, meist bleichsüchtiges Mädchen 12 bis 14 Stunden in diesem hastenden Treiben arbeiten muß. Dazu treten noch andere Schädigungen. So husten die meisten Gehilfinnen infolge des Staubes, den sie den Tag über einatmen. Für sie gibt es teine Zeit, Weihnachtseinkäufe zu machen; diese Mädchen arbeiten nur, damit anderen Freuden bereitet werden. Die Damen, die bei ihnen einkaufen, und die schon durch den kurzen Aufenthalt in dem Ges triebe nervös werden, sehen das Elend der Gehilfinnen nicht, ſie sehen nur den Glanz um sich herum und sind entrüstet, wenn sie nicht schnell genug bedient werden. Sie sollten einmal eine Verkäuferin fragen, ob sie sich auf den Geschäftsschluß freut. Stets werden sie die Antwort erhalten, daß sich die Mädchen nicht mehr auf den Beinen halten können, aber trotzdem nach Geschäftsschluß noch die Lager aufräumen müssen. Bei der aufreibenden Tätig feit stehen die Aufsichtsherren und damen, Sklavenvögten gleich, hinter den Angestellten. Man muß beobachtet haben, wie sie herumschnüffeln, die Nervosität der Verkäuferinnen noch vergrößernd, überall etwas bemängelnd, stets kommandierend, ohne selbst Hand anzulegen. Vielleicht ist auch noch der Geschäftsinhaber dabei und treibt selbst sein Personal" an, um aus seinem Schweiß möglichst viel Geld zu münzen. Wie leicht könnte das Arbeitssystem verbessert werden, sogar ohne daß die Geschäftsinhaber und Aktionäre großen Schaden dabei haben würden. Es dürfte nur ein Schichtwechsel eingeführt werden, dann könnten auch verschiedene Geschäfte