Nr. 6.
Die Gleichheit
die gnädigst an die Gehilfinnen verteilten Schmalzstullen sparen. -Diese ausgenuttesten aller Proletarierinnen sind meist Rinder aus Arbeiter und kleinen Beamten- und Handwerkerfamilien. Nach dem sie oft wochen- und monatelang beschäftigungslos waren, werden sie kurz vor Weihnachten angestellt, um am heiligen Abend wieder entlassen zu werden. Fragt fie, ob sie ihrer Klassenlage bewußt, und ob sie gewillt sind, ihre Geschicke selbst in die Hand zu nehmen, indem sie den Schäden in ihrem Berufe entgegenwirken. Nein, sie stehen mit wenigen Ausnahmen abseits von der Organi sation und halten ihre Klassengenossen in den Fabriken für minderwertig. Ihre abhängige Lage, ihr Sklavenleben läßt sie nicht zum Nachdenken kommen, und der Abglanz des Lurus in den Warenhäusern wie der geschäftliche Verkehr mit Angehörigen der wohlhabenden Stände, die doch auf sie nur hochmütig herabsehen, täuscht sie über ihr eigenes Elend. Nur schwer können sie sich zu dem Gedanken durchringen, daß eine Besserung ihrer Lage durch eine firaffe Organisation erreicht werden kann, nur schwer fönnen sie sich daran gewöhnen, Hand in Hand mit der Arbeiterklasse daran zu arbeiten, sich selbst ein menschenwürdiges Leben zu schaffen. So sind sie heute weniger als viele Arbeiter und Arbeiterinnen im stande, ihre Arbeitsbedingungen günstiger zu gestalten.
Angesichts dieser Lage der Dinge richten wir an alle Genossinnen die Bitte: macht eure Einkäufe so früh wie möglich, wenn ihr auch weniger Zeit habt als all die übrigen, die jetzt den Warenhäusern zuströmen. Keine Proletarierin sollte sich unter den rücksichtslosen Käufern befinden, die in letzter Stunde die Qual der Verkäuferinnen vergrößern. Dadurch würde mancher Anknüpfungspunkt geschaffen, um den Gedanken der Organisation unter das Personal der Geschäfts- und Warenhäuser zu tragen. O. H.
Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.
I. K. Die sozialistische Frauenbewegung in Belgien hat in den letzten Monaten wieder einen Aufschwung genommen. Zwar liegt in den wallonischen Landesteilen und in der Hauptstadt Brüssel die Bewegung noch danieder, ja es scheint, daß auch die paar letzten wallonischen Frauengruppen endgültig eingegangen find. In der flämischen Landeshälfte dagegen, wo die prole tarische Frauenbewegung von jeher am stärksten war, hat sie neuerdings bedeutende Fortschritte gemacht. Das flämische Frauenorgan De Stem der Vrouw", das jahrelang im Geiste der bürgerlichen Frauenrechtelei redigiert wurde, erhielt vor etwa einem Jahre einen neuen Redakteur in der Person des Genter Genossen Bouchery. Dieser leitete das Blatt im sozialistischen Sinne, und der Erfolg blieb nicht aus: die Auflage dieser Monatsschrift stieg in einem Jahre von 200 auf 1600 Exemplare. Noch erfreulicher ist die gleich zeitige Ausdehnung der Organisation. Während vor einem Jahre nur noch eine Frauengruppe, und zwar in Gent , bestand, die obendrein schwer um ihre Existenz zu kämpfen hatte, gibt es jetzt in Flämisch- Belgien einen, Verband der sozialistischen Frauenvereine", der 17 Gruppen umfaßt. Davon sind 9 in Gent , die übrigen 8 in der Provinz. Die kleinste Gruppe zählt 14, die stärkste 110 Mitglieder. Die Gesamtzahl der dem Verband angeschlossenen beitrag zahlenden Mitglieder betrug am 31. Oktober d. J. 820. Die Zahl nimmt sich freilich bescheiden genug aus, aber sie bedeutet immerhin gegen früher einen überraschenden Fortschritt. Dieser ist namentlich deshalb bemerkenswert, weil er zeigt, daß die Bewegung sehr wohl gedeihen kann, wenn sie nur im richtigen Sinne geleitet wird, das heißt, wenn sie nicht in dem Kampfe gegen die„ Vorrechte der Männer" ihre Aufgabe erblickt, sondern für die Interessen und Ideale des gesamten Proletariats eintritt. Eine besonders erfreu liche Erscheinung ist es, daß bei der jetzt von den flämischen Frauenorganisationen geführten Agitation gegen die Lebensmittelteuerung an mehreren Orten Arbeiterfrauen als Rednerinnen in einer Weise hervorgetreten sind, die der Bewegung für die Zufunft einen Zuwachs an agitatorischen Kräften in Aussicht stellt, den sie sehr wohl brauchen könnte.
Frauenstimmrecht.
H. M.
Die Einführung eines demokratischen Wahlrechts für beide Geschlechter zur Bremer Bürgerschaft hatte die Sozialdemokratie in einem Antrag gefordert. Er lautete:„ Die Bürger schaft beschließt, für die Wahlen zur Bürgerschaft das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht für alle über 20 Jahre alten Männer und Frauen einzuführen und die Wahlen nach dem Verhältniswahlsystem vorzunehmen. Sie ersucht den Senat, dem Beschluß zuzustimmen." Die Genossen Rhein und Hente be gründeten den Antrag. Zur Forderung des Frauenwahlrechts
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verwies der erstere darauf, daß sie heute auch von liberalen Kreisen erhoben wird. Genosse Henke führte dazu aus:„ Was wir hinsichtlich des Frauenwahlrechts verlangen, besteht bereits in einem Teile Rußlands , in Finnland nämlich.... Als wir vor einigen Jahren das Frauenwahlrecht forderten, wurde uns zugerufen, sie, die Frauen, sollten nur Strümpfe stopfen. Die Verhält nisse sind aber unterdessen andere geworden. Auch die Frau erwacht immer mehr. In dem Maße, in dem die Produktion die Frau aus den Familien herausreißt, in dem Maße erwächst in der Frau immer mehr das Bewußtsein, daß sie nicht nur die Aufgabe hat, Soldaten zu gebären, sondern auch gleiche Rechte haben muß wie die Männer. Da wird selbst in ihren eigenen Reihen eine Gegnerschaft entstehen, die uns zur Seite steht." Die bürgerlichen Mitglieder der Körperschaft fühlten sich nicht einmal zu einem Versuch bemüßigt von einer Ausnahme abgesehen, die Ausführungen der Sozialdemokraten zu widerlegen. Sie brauchten die Macht ihrer Mehrzahl und stimmten den Antrag nieder. Auch nicht ein einziger der sich liberal und freisinnig nennenden Herren ist mit Wort oder Stimme für die Forderungen eingetreten, die das Prinzip der bürgerlichen Demokratie verwirklichen. Spotten ihrer selbst und wissen nicht wie! Und von solchen Jammerseelen erwarten die liberalen Frauen eine Wiedergeburt des liberalen Gedankens", die auch den Frauen volles Bürgerrecht bringen würde.
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Fortschritte der Frauenstimmrechtssache in der Schweiz . Der Züricherische Kantonsrat hat auf Antrag einer Kommission beschlossen, daß vorbehaltlich näherer gefeßlicher Bestimmungen
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den Frauen grundsäßlich das Recht zustehen soll, in alle toms munalen Behörden gewählt zu werden. Der Kommission, die diesen Beschluß faßte, gehören auch sozialdemokratische Kantons räte an, die selbstverständlich für die Neuerung und das Recht der Frauen eingetreten sind. Ob sie die Gelegenheit benutzt haben, zum Rechte der Wählbarkeit auch das Wahlrecht zu fordern, ents zieht sich leider unserer Kenntnis.- Jm Großen Rate zu Bern brachte die sozialdemokratische Fraktion einen Antrag ein, den Gemeinden möge das Recht erteilt werden, den Frauen die Wählbarkeit zu den Schul- und Armenkommissionen zu zuerkennen. Der Regierungsrat wird des weiteren ersucht, über diese fakultative Einführung der Wählbarkeit der Frauen zu den genannten Körperschaften behördlichen Bericht und Antrag einzus bringen. Gelegentlich der Beratung über das Einführungsgesetz zum schweizerischen Zivilgesetzbuch hat sich der Große Rat des Kantons Graubünden mit der Wählbarkeit der Frauen in die Vormundschaftsbehörden beschäftigt. Es wurde betont, daß die Verfassung die Wahl von Frauen nur gestatte, wenn diesen gleichzeitig auch das Stimmrecht verliehen sei. Daraufhin wurde mit großer Mehrheit beschlossen, in das Einführungsgeseh keine Bestimmungen über das Recht des weiblichen Geschlechts aufzu nehmen. Dafür soll aber die gesamte Frauenwahlrechtsfrage bei nächster Gelegenheit grundsätzlich als Frage einer Verfassungsreform behandelt werden.
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Die Einführung eines unbeschränkten Frauenwahlrechts im Staate Washington ( Vereinigte Staaten von Nordamerika ) ist durch eine Urabstimmung der Staatsbürger beschlossen worden. Ist die Verfassungsänderung erst in Kraft getreten, so wird das weibliche Geschlecht in fünf Staaten der nordamerikanischen Union volle staatsbürgerliche Rechte genießen, nämlich in Wyoming , Utah , Idaho , Kolorado und Washington .
Die Zuerkennung eines beschränkten Wahlrechts an die Frauen des Staates Oregon , für welches sich die gesetzgebenden Körperschaften erklärt hatten, ist in der Urabstimmung verworfen worden. Ob die Majorität sich damit gegen eine bloße Erweite rung von Vorrechten der besitzenden Klassen erklärt hat oder gegen die politische Emanzipation des weiblichen Geschlechts, ist aus den vorliegenden Nachrichten nicht zu ersehen.
Die Frau in öffentlichen Aemtern. Frauenarbeit in staatlichen Bureaubetrieben. In der Vers waltung des deutschen Reichstags werden zwei weibliche Be amte eingestellt, und zwar bei der großen Bücherei. Es handelt sich nicht etwa um weibliche Aushilfskräfte, wie solche zur Maschinens schrift, Stenographie usw. Verwendung finden, sondern um ständig angestellte, also etatmäßige Verwaltungsbeamte des literarischen Ressorts. Diese weiblichen Beamten müssen deshalb auch eine ges wisse fachgemäße Vorbildung oder Erfahrung auf dem Gebiet der buchhändlerischen beziehungsweise bibliothekarischen Arbeit besitzen; sie haben in Gemeinschaft mit den akademisch gebildeten Beamten der Reichstagsbibliothek zu arbeiten.
mg.