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Die Gleichheit

heute tagten, eine öffentliche Versammlung stattgefunden habe, die vom Vorstand der Zentralfranten und Begräbnis­tasse für Frauen und Mädchen Deutschlands " einbe rufen worden war. Man schrieb damals 1885, und die Kranken­fasse mußte damals dank dem Sozialistengesetz als Mittel zum Zwecke politischer Betätigung der Genossinnen dienen. Gräfin Guillaume- Schack sprach über die wirtschaftliche und soziale Stellung der Frau". In dem überfüllten Saale waren alle Schichten der Bevölkerung vertreten. Nicht alle Zuhörer waren wohl aus Interesse für die Sache erschienen. Manche tamen, um einmal eine Frau als öffentliche Rednerin zu hören, andere lockte die Gräfin", dritte wieder wollten einmal der Enge ihrer vier Wände entrinnen. Die proletarischen und kleinbürgerlichen Frauen wurden von den herrlichen Worten der Rednerin hingerissen. Mochte diese von den Heimarbeiterinnen Deutschlands , von den Seidenspinnerinnen Lyons, von Schlesiens Weberinnen, von den Reisarbeiterinnen Italiens sprechen, fie tat es mit bewunderungswürdiger Sachkenntnis, die sich auf reiches statistisches Material stützte und durch das wärmste Empfinden belebt wurde. Mit großer Schärfe zeichnete die Red­nerin im Anschluß an die wirtschaftliche Ausbeutung der Prole tarierin die soziale, die politische Rechtlosigkeit der Frau. Manche der Zuhörerinnen, welche die geschilderten Mißstände am eigenen Leibe verspürten, erkannten die Notwendigkeit, für wirtschaftliche und soziale Freiheit zu kämpfen. Es waren meist Arbeiterfrauen und Frauen kleiner Beamten, die die Aufforderung der Referentin zur Gründung eines Vereins beherzigten und durch ihre Unterschrift ihren Beitritt zu einem solchen erklärten. Die Organi­fation tonstituierte sich als Verein zur Vertretung der geistigen und gewerblichen Interessen der Frauen" und zählte bei seiner Gründung 72 Mitglieder. Von ihnen hatten nur die wenigsten einen Schimmer von der sozialistischen Auffassung. Zu diesen wenigen gehörte die noch heute unter den Bremer Genofsinnen tätige Genossin Amalie Holz, die durch das Studium Lassallea­nischer Schriften eine tiefere Einsicht in die sozialen Zusammen­hänge erworben hatte. Da es den zwei Leiterinnen des Vereins noch an Erfahrung mangelte, so wurden sie von zwei Genossen bereitwilligst unterstützt. Obwohl in Bremen nicht wie in anderen Bundesstaaten das Vereinsgesetz die Frauen von den Versamm­lungen der Männer ferngehalten hatte, so bedurften sie doch noch bei ihrer ersten öffentlichen Betätigung besonderer Anleitung und Unterstützung. Das von Genossin Guillaume Schack gegründete Frauenorgan Die Staatsbürgerin" wurde bald verboten, seine Herausgeberin selbst wurde aus Bremen ausgewiesen. Da war es Genoffin Ihrer, die der Bewegung mit Material und Ratschlägen treu zur Seite stand und ihr immer wieder neue Anregungen gab. Viele Mühe und Opfer kostete es, den Verein über Wasser zu halten. Die Frauen der kleinen Beamten kehrten ihm bald den Rücken, auch zeigte sich, daß das kleine Häuflein der Proletarierinnen durch die Erörterung wissenschaftlicher Fragen allein damals nicht zu halten sei. Man mußte sich dazu verstehen, abwechselnd Unterhaltungs­abende zu veranstalten. Als es dann entgegen dem entschiedenen Abraten einiger Genofsinnen zur Gründung eines Gesangvereins fam, war es mit dem Frauenverein aus. Seine letzten Mittel wur­den dem Gesangverein überwiesen. Die wenigen, welche ihren Glauben an die Befreiung der Frau und ihren Kampf für das sozialistische Ideal fest im Herzen trugen, mußten auf die Zeit warten, da es möglich sein werde, die Gleichgültigkeit der Frauen und den Widerstand der Männer zu brechen. Ein kleiner Stamm von Genossinnen blieb der großen Sache in allen Stürmen und Kämpfen treu. Diese Genossinnen wurden durch das Band gemein­famer geistiger Interessen und Tätigkeit zusammengehalten. Sie lasen zusammen das erste Organ der proletarischen Frauen Die Arbeiterin", das Genossin Ihrer gründete, und aus dem nach einem Jahre die Gleichheit" wurde. Das Lesen dieses Blattes wirkte anfeuernd auf den kleinen Kreis und schulte die Kämpfe­rinnen, die bald aufs neue an die Öffentlichkeit traten. Es war nicht leicht, aufzubauen, was zusammengebrochen war, und wenn auch die proletarische Bewegung riesenhafte Fortschritte machte, so sand doch die proletarische Frauenbewegung in Bremen noch lange nicht das nötige Verständnis der großen Masse. Als 1900 auf der Mainzer Frauenkonferenz beschlossen wurde, das System der weib­lichen Vertrauenspersonen auszubauen, da ward auch in Bremen das Amt geschaffen und Genoffin Bosse mit ihm betraut. Von nun an gewann die Frauenbewegung wieder Leben und Kraft. Die Umwälzung des Wirtschaftslebens, die eine immer größere Zunahme der Frauenarbeit mit sich brachte, tat das Ihrige, daß die Bemühungen und Opfer Erfolg hatten. Der Druck der Aus­beutung mit seinem Gefolge wirtschaftlicher und geistiger Nöte öffnet der Frau die Augen über ihre Lage als Arbeiterin und

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Frau. Die Proletarierin erkennt, daß ihr Schicksal mit dem der ganzen Arbeiterklasse verknüpft ist, und daß der Kampf für ihre Befreiung an der Seite ihrer Klassengenossen innerhalb der prole­tarischen Gesamtbewegung als Klassenkampf gegen die kapitalistische Ordnung geführt werden muß. Genossin Bosse schloß mit dem Ausdruck der Überzeugung, daß sich die Arbeiterklasse dank der Mitwirkung der Frauen rasch und sicher dem großen Ziele des Sozialismus nähere. Brausender Beifall belohnte die Rede. Der Frauenchor schloß die würdige Feier durch ihr entsprechende Ge­fänge, wie er sie durch solche eröffnet hatte. Unter dem erhebenden Eindruck der Veranstaltung werden die Genossinnen eifrigst weiter­tämpfen. Hanna Harder.

Politische Rundschau.

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Die Heyrede des Reichskanzlers bei der Etatsberatung im Reichstag ist von allen Feinden der Arbeiterbewegung als die lang­erwartete und stürmisch begehrte Kriegserklärung der Re­gierung gegen die Sozialdemocratie begrüßt worden. Die Presse der Junker und der Industriellen, sowie die Unternehmer­vereinigungen haben die Anregung Bethmann Hollwegs eifrig auf­genommen und haben sich sofort in die Arbeit gestürzt, Material zur Unterstützung der angekündigten Gesetzgebung gegen die Ar­beiterklasse zusammenzutragen. Der Verein deutscher Arbeitgeber verbände in Berlin hat seine Untergruppen sofort aufgefordert, Stoff für eine neue Zuchthausvorlage zu sammeln, indem er auf die gute Konjunktur hinweist, die die Streiffrawalle" in Berlin­Moabit für eine Ausnahmegesetzgebung wider das Proletariat ge schaffen haben. Die Presse der junterlichen und industriellen Reaktio­näre macht nach Kräften Stimmung für die vom Kanzler befür worteten Verschlechterungen des Strafrechtes, des Strafprozesses, des Krankenkassenrechtes. Sie verkündet triumphierend, nachdem sich Bethmann Hollweg auf den Kampf gegen die Sozialdemokratie festgelegt habe, könne keine Rede mehr davon sein, daß die Re gierung beim Arbeitskammergeseh den Beschlüssen der Mehrheit des Reichstags nachgebe und die Einbeziehung der Eisenbahner und die Wählbarkeit der Arbeiterfekretäre in die Kammern akzeptiere. Dabei gerät das Zentrum in die Klemme zwischen seine reaktionären Bundesbrüder und die christlichen Arbeiter und Gewerkschaften. Denn mit Rücksicht auf die letzteren hat es sich notgedrungen für diese Beschlüsse eingesetzt. Ebenso sah sich das Zentrum gezwungen, bei der Beratung der Reichsversicherung die Rechte der Arbeiter noch ein wenig zu respektieren, wenn es auch genug Verschlechte­rungen zugestimmt hat. Nun hat aber der Kanzler die staats­erhaltenden Parteien aufgefordert, die Selbstverwaltungsrechte der Arbeiter in den Krankenkassen zu zertrümmern. Und schon abgesehen von seinen eigenen reaktionären Grundtendenzen muß das Zentrum, um den schwarzblauen Block und mit ihm seine Stellung als einflußs reiche Regierungspartei zu erhalten, an dem Kampfe gegen den Um sturz teilnehmen. Um so mehr, als die Nationalliberalen in dieser Hinsicht alle Wünsche der Regierung zu erfüllen bereit sind und be. geistert dem Rufe des Reichskanzlers zur Sammlung aller bürger­lichen Parteien gegen die Sozialdemokratie zustimmen. Herr Basser­mann hat in zwei Reden in Hannover und Braunschweig deutlich zu erkennen gegeben, daß er mit Freuden bereit ist, den angeblich so starten Gegensatz zum schwarzblauen Block hinter den Kampf gegen die Sozialdemokratie zurücktreten zu lassen. Und um die Selbst­erniedrigung seiner Partei zu verdecken, die bei dieser gemeinsamen Aktion von der Regierung, den Konservativen und dem Zentrum doch nimmermehr als gleichberechtigt anerkannt, sondern nur als Stiefel­puzer geduldet würde, klammert er sich heuchlerisch an die Worte des Reichskanzlers, in denen dieser erklärt, über den Parteien zu stehen. Bereits ist die nationalliberale Könische Zeitung" ein­geschwenkt, die sich vor kurzem noch zu einer gelinden Kritik des Verfahrens der Staatsanwaltschaft im Moabiter Prozeß und des Verhaltens der Polizei bei den Unruhen aufgeschwungen hatte. Nunmehr hat sie nachgewiesen", daß, wenn der Moabiter Prozeß auch keinen juristischen Beweis für die Verantwortlichkeit der Sozialdemokratie an den Unruhen erbringe, doch der Reichs­tanzler das Recht habe, die moralische Witschuld der Sozialdemo fratie zu konstatieren". Wenn sich also der Nationalliberalismus als zuverlässig" im Kampfe gegen den Umsturz erweist, so muß das Zentrum diese Konkurrenz" berücksichtigen und kann es un bequemerweise doch nicht in vollem Maße wegen der Rückwirkung auf die christlichen Gewerkschaften. Die Germania " hat sich beeilt, zu versichern, daß die Zentrumspartei alles tun wird, um die Autorität" zu stärken, aber die Regierung und die Junker wollen positive Taten sehen. Indessen nehmen auch sie Rücksicht auf die schiefe Lage des Zentrums und sind deshalb bereit, das Möglichste

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