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Die Gleichheit
nun selbst„ Kundgebungen", trommeln alle Zentrumsgetreuen zusammen und lassen sich Vertrauensvoten ausstellen. Die christlichen Generale sind in einer verzwickten Lage. Sie haben bekanntlich ihr verräterisches Verhalten an den Arbeitern damit beschönigen wollen, daß sie dem alten Verbande politische Motive für Einleitung der Bewegung unterschoben. Einer ihrer Führer hat aber jetzt in einer Versammlung erklärt, wenn die nationalliberale Partei im Wahlfreis Bochum einen annehmbaren Kandidaten aufstelle und dieser mit Hue in die Stichwahl komme, so seien für diesen„ die schönen Tage von Aranjuez " vorüber. Die Christlichen würden kräftig mit dazu beitragen, daß Hue, dieses übel der Bergarbeiterbewegung, verschwinde. Nette Arbeiterfreunde das! Anstatt dafür zu wirken, daß die Grubensklaven einem klassenbewußten Arbeitervertreter und Kameraden ihre Stimme geben, ziehen sie es vor, einem Schlotjunker oder einer Kreatur der Grubenbarone in den Reichstag zu verhelfen. Nur so weiter, und die christlichen Arbeiter müssen bald erkennen, woran sie mit ihren Führern sind.
In den Zeißer Kinderwagenfabriken bereitet sich eine Lohnbewegung vor. Rund 2000 Arbeiter sind in dem Hauptzentrum dieser Industrie beschäftigt. Die Löhne sind karge; 15 bis 17 Mt. Wochenlohn für Verheiratete sind keine Seltenheit. Die Arbeiter fordern eine Verkürzung der Arbeitszeit von 60 auf 56 Stunden, eine Erhöhung der Stundenlöhne um 5 Pf., Mindestlöhne von 45 Pf. für Arbeiter und 25 Pf. für Arbeiterinnen und 15 Prozent Aufschlag auf alle Akfordpreise.
Die Barbarei des Gesinde rechts wurde in letzter Zeit durch verschiedene Fälle grell beleuchtet. Das an die Leibeigenschaft ge= mahnende Gesetz vom Jahre 1854, das hartnäckigen Ungehorsam oder Widerspenstigkeit gegen die Befehle der Herrschaft bestraft wissen will, gelangt immer noch, unserer Zeit des„ freien Arbeitsvertrags" zum Hohn, zur Anwendung. Besonders typisch ist nachstehender Fall: Ein Landarbeiter hatte bei einem Rittergutsbesitzer das Arbeitsverhältnis gelöst, weil ihm eine Lohnzulage von einigen Pfennigen nicht gewährt wurde. Er erhielt eine Geldstrafe von 15 Mf. und mußte außerdem noch 5 Mt. Gerichtskosten sowie 11 Mt. Zeugengebühren für den Gutsbesitzer zahlen! Schon oft ist von der sozialdemokratischen Fraktion im Reichstag die Abschaffung dieser mittelalterlichen Gesetzesbestimmung gefordert worden, aber Tisher stets vergeblich.
Die Gelben meutern immer wieder. Das ist nur zu natürlich. Schließlich muß auch der verblendetste Proletarier sich über das Ziel der Lebiusschen Politit klar werden. In Augsburg , dem ersten Treibhaus der gelben Werkvereine, war auch in den Schuh fabriken diese Sumpfpflanze aufgepäppelt worden. Die Folge davon machte sich in einem steten Sinten der Löhne bemerkbar. In der größten Schuhfabrit am Orte bestand so eine Art Tarif vertrag. Als jetzt auf vielfaches Drängen der Arbeiter hin der Arbeiterausschuß bei der Direktion wegen geringer Lohnerhöhungen vorstellig wurde, erhielt er eine sehr brüste Abweisung mit den Worten: Sie haben nichts zu fordern, Sie haben nur zu bitten!" Das ist der Dank für Knechtseligkeit. Die schimpfliche Behandlung hat den gelben Arbeitern der Augsburger Schuhindustrie die Augen geöffnet. Sie folgten der Aufforderung, die der Gauleiter des Schuhmacherverbandes gab, und traten in großer Anzahl zu dieser zielflaren Organisation über. So muß es fommen!
Notizenteil.
Dienstbotenfrage.
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Der Kampf der Braunschweiger Behörden gegen den Dienstbotenverein hat wieder zu neuen Polizei- und Justizaktionen geführt. Die Hauptwaffe der hiesigen Behörden in diesem Kampfe besteht bekanntlich darin, uns nach jeder Dienstbotenversammlung, die als gewerkschaftliche Versammlung stattfindet, mit Polizeistrafen zu bedenken wegen angeblicher übertretung des Reichsvereinsgesetzes. So hatte der Dienstbotenverein am letzten Bußtag des vorigen Jahres eine öffentliche Gewerkschaftsversammlung mit dem Thema einberufen:„ Gesindesklaverei und die Rechtlosigkeit der Dienstboten". Auch diese Versammlung sollte politischer Natur gewesen sein und Genossin Topfstedt , die Vorsitzende des Dienstbotenvereins, erhielt ein Strafmandat auf 10 Mt. wegen übertretung der§§ 5, 6 und 18, Absatz 2, des Reichsvereinsgesetzes. Natürlich wurde da gegen Einspruch erhoben und gerichtliche Entscheidung beantragt. Am 5. Januar fand die gerichtliche Verhandlung vor dem hiesigen herzoglichen Schöffengericht statt. Als Belastungszeuge war der die Versammlung überwachende Beamte- Oberwachtmeister Lageserschienen. Genannter Zeuge hatte einige Säße aus dem Referat des Arbeitersekretärs Steinbrecher herausgegriffen und aufgeschrieben,
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die ein Vergehen gegen die oben erwähnten Paragraphen des Reichsvereinsgesetzes erweisen sollten. Genosse Steinbrecher als Zeuge erklärte, daß er ja gar nicht das angekündigte Referat gehalten, sondern wegen Erkrankung der angekündigten Rednerin als Referent eingesprungen sei und über„ Die Bedeutung und Erfolge der Gewerkschaftsbewegung" gesprochen habe. Ausdrücklich habe er in seinem Referat erklärt, die heutige Versammlung sei nicht dazu da, um zu erörtern, wie die Gesindeordnung zu beseitigen sei, sondern um sich klar zu werden, daß ihren Härten auf dem Wege der Organisation gesteuert werden könnte. Der Oberwachtmeister gab denn auch zu, daß Genosse Steinbrecher nicht an die Regierung, den Staat oder den Reichstag die Forderung auf Anderung der Gesindeordnung gestellt, sondern in dem angegebenen Sinne gesprochen habe. Dennoch war der Amtsanwalt und das Gericht anderer Meinung und verwarf den Einspruch, so daß es bei 10 Mt. Geldstrafe eventuell zwei Tage Gefängnis verblieb. In der Urteilsbegründung hieß es, daß das Gericht zu der überzeugung gekommen sei, in der Versammlung wären mehrfach politische Angelegenheiten berührt worden. Es sei die Absicht des Redners gewesen, darauf hinzuwirken, daß die Gesindeordnung nicht nur auf dem Wege des Vertrags, sondern auch auf dem Wege der Gesetzgebung abgeändert werde. Natürlich ist gegen dieses unhaltbare Urteil sofort Berufung eingelegt worden. Das Gericht hat anscheinend noch nicht begriffen, daß der Dienstvertrag ein freier Arbeitsvertrag ist, der durch gemeinschaftliche Abmachungen sehr wohl geändert werden kann. Ohne gesetzgeberische Attion kann die Gesindeordnung außer Kraft gesetzt werden, indem durch die Dienstbotenorganisation mit den Dienstherren Verträge abgeschlossen werden, wie es vielfach schon geschehen ist. Aber gerade deswegen suchen Polizei und Justiz diese Organisation zu vernichten. Doch die hiesige Dienstbotenorganisation, die nunmehr zwei Jahre be steht, blüht und gedeiht und wir haben einen längeren Atem als die herzoglich braunschweigischen Behörden. Wenn die hiesigen aufgeklärten Proletarierinnen auch fernerhin Sorge tragen, die Organisation der Hausangestellten zu stärken, so können wir diesen erneuten Angriffen der Polizei und Justiz mit Ruhe entgegensehen. Rudolf Vogler, Braunschweig .
Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen.
Der Profit vor allem, das ist die Losung der meisten Textilbarone in Treuen . Ganz rücksichtslos gehen hier die profitgierigen Unternehmer mit ihren Lohnsklaven und-sklavinnen um, zumal solange diese noch nicht den Wert der gewerkschaftlichen Organisation erkannt haben. So ist es bei den meisten größeren Textilfirmen des Ortes- Webereien und Stickereien Methode, an den Vorabenden der Festtage solange weiterzuarbeiten wie an den übrigen Werktagen. Die Polizeibehörde gibt jedesmal ihre Erlaubnis dazu. Man hält es aber nicht für notwendig, diese Erlaubnis zeitig genug einzuholen und die überarbeit den Arbeiterinnen vorher bekannt zugeben. Erst am Nachmittag des Tages, an dem weitergearbeitet werden soll, wird die Genehmigung der Polizei dazu nachgesucht. So manche Arbeiterin nimmt aber für die Nachmittage vor Fest tagen kein Vesperbrot mit und schiebt häusliche Arbeiten bis zu dieser Zeit auf, weil sie der Meinung ist, um 4½ Uhr nach Hause zu kommen. Dann heißt es plötzlich in der Fabrik, heute wird bis 6 Uhr gearbeitet. Auf eine Beschwerde bei der Polizei mit Berufung auf§ 139 der Gewerbeordnung, die Bekanntgabe der Überstunden betreffend, erklärte die hohe Löbliche, die angezogene Vorschrift beziehe sich lediglich auf Reinigungsarbeiten, und es läge nur im guten Willen der Unternehmer, die Überstunden vorher be kanntzugeben. Wir meinen, wenn unter der Arbeiterschaft in Treuen eine starte Organisation bestände, so würde dieser gute Wille der Unternehmer flinke Füße bekommen. Arbeiterausschüsse, wie sie die Gewerbeordnung vorschreibt, existieren bei uns nur in einem einzigen Betrieb, und auch da stand der Ausschuß zunächst bloß auf dem Papier. Erst als den in diesem Betriebe Beschäftigten eine neue Arbeitsordnung mit vielen Verschlechterungen aufgezwungen werden sollte, kam es zu Besprechungen unter der Arbeiterschaft der Fabrik und zur Wahl eines Arbeiterausschusses. Bei diesen Zusammenkünften fonnte auch eine Anzahl von Mitgliedern, namentlich unter den Arbeiterinnen, für den Textilarbeiterverband gewonnen werden. Bezeichnend für die Rückständigkeit der Proletarier am Orte ist es, daß zwei Frauen auf Veranlassung ihrer Männer dem Verband wieder den Rücken kehren mußten. Die Männer waren also einsichtsloser wie ihre Frauen, die schwach genug waren, sich zu fügen.„ Es hilft ja doch nichts", ist hier die ständige Redensart aller Gleichgültigen und Schwachmütigen. Nun, wenn auch langsam, so geht es doch vorwärts. Pflicht der weib
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