Nr. 10

Die Gleichheit

angefragt: ob der Frauentag nicht als Konferenz gedacht sei. Oder: ob der Frauentag denn nicht von der Parteiorganisation veranstaltet werde, wenn ja, warum denn die besondere Auf forderung an die Genosfimmen? Von dritter Seite wollte man wissen, ob denn genügend weibliche Referenten vermittelt werden fönnten, wenn an einem Tage überall Versammlungen sein sollen und anderes mehr.

-

Zur Klarstellung möchten wir deshalb folgendes sagent Natürlich ist der Frauentag", wie aus dem oben Gesagten deutlich hervorgeht und was auch in allen bisherigen Publis fationen ausdrücklich betont wurde, eine Veranstaltung der Partei, wie wir, seit dem organisatorischen Zusammenschluß der Genossinnen und Genossen, überhaupt nur Parteiveran ftaltungen zum Zwecke der Frauenagitation und demonstration haben. Mit einer Frauenkonferenz hat der Frauentag" durchaus nichts zu tun, sondern an diesem Tage, am 19. März, follen lediglich überall, im ganzen Reiche Versammlungen fürs Frauenwahlrecht stattfinden, deshalb: Frauentag"; denn um die Sache der Frauen, um ihr Bürgertecht handelt es sich bei diesen Veranstaltungen. Und weil es sich im beson deren um die Sache der Frauen handelt, haben Gleichheit" und Parteizeitungen die Genossinnen nochmals besonders an gespornt, bei dieser Veranstaltung und den dazu nötigen Vor arbeiten ihre ganze Kraft der Organisation zur Verfügung zu stellen, nichts unversucht zu lassen, damit die Aktion um so mehr eine der großen sozialdemokratischen Partei und den mächs tigen Gewerkschaften würdige werde. Es war ferner, namentlich in der Parteipresse, ausdrücklich betont: Es kann uns nicht genügen, daß am 19. März die Genossinnen demonstrieren, sondern durch Flugblattverbreitung die ja wiederum durch die Organisation erfolgt und durch mündliche Agita tion bei den Lauen und Indifferenten müssen diese auf gerüttelt, für die Aktion interessiert werden, damit auch sie zu Trägern der Forderung unozu organisierten Kämpferinnen für sie werden. Diese mündliche Agitation unter den Indiffe renten, seien es Mitarbeiterinnen im Betrieb, feien es Mit bewohnerinnen des Hauses, seien es Bekannte oder Verwandte: das ist eine spezielle Aufgabe unserer Genossinnen, die fie täglich, stündlich, zu jeder Zeit neben jener innerhalb der Organisation erfüllen sollen. Außer der Aufklärung über die grundsägliche Bedeutung und den praktischen Wert des Frauen wahlrechts muß dabei vor allem darauf hingewiesen werden, daß es den Kampf um diese Forderung gilt, der persön liche Opfer fordert. Wenn zum Beispiel lolale Verhältnisse es bedingen, daß schon mittags oder am frühen Nachmittag des 19. März die Versammlungen stattfinden, so müssen die Frauen ihre Hausmutterpflichten zurückstellen und an diesem Tage vor allem ihre Bürgerpflichten erfüllen. Muß auch ein mal das Haus halb aufgeräumt oder flüchtig aufgeräumt bleiben, gibt es auch fein warmes Mittagbrot oder muß das Geschirr vom Mittagessen ungespült bleiben: an diesem Tage ist es in erster Linie Pflicht, die Versammlung zu besuchen, für unser Wahlrecht zu demonstrieren. Wo tteine Kinder sind, die der Beaufsichtigung bedürfen, sollten die Franen sich mit ihren Männern verständigen, daß diese sich ein paar Stunden ganz ihren Baterfreuden hingeben", daß fie die Aufsicht der Kleinen übernehmen. Nur schwere eigene Erkrankung oder die notwendige Pflege eines Schwer tranten ist zulässiger Entschuldigungsgrund für das Fehlen an den 19. Märzversammlungen.

-

Eine mündliche Aufklärung in diesem Sinne, dazu eine Flugblattverbreitung von Haus zu Haus das Flugblatt, das der Parteivorstand dazu herausgibt, und das schon dieser Tage bezogen werden kann, wird den finanzschwachen Kreisen auf Antrag bekanntlich gratis gegeben ist eine glänzende Voragitation, die nicht nur eine wuchtige Demonstration am 19. März gewährleistet, sondern gleichzeitig eine gute Vor­bereitung zur Reichstagswahl darstellt.

"

Nun zu den rednerischen Kräften des Tages". Gewiß ist es gut, wenn soweit wie möglich Frauen reden, da aber die Bahl der Rednerinnen für eine Aftion im ganzen Reiche bei

149

weitem nicht ausreicht, werden natürlich in vielen Versamm lungen Genossen reden müssen, und auch das ist gut. Denn so wie die ganze Aktion eine Aftion der Partei ist, müssen auch die Kräfte der Partei gemeinsam an ihrer Verwirklichung und ihrem Gelingen arbeiten. Haben unsere Genossen in den Parlamenten und den Volksverjammlungen bisher die Forde rung des Frauenwahlrechts vertreten, werden sie es gewiß ebenso gern und ebenso wirksam am 19. März in unseren Versammlungen tun. Das zur Aufklärung. Und nun Ge nossinnen, an die Arbeit! Tut das eure, damit der 19. März eine glänzende Demonstration fürs Frauens wahlrecht, ein stolzes Bekenntnis der Proletarierinnen Luise Ziey. zum Sozialismus werde!

Frauenfrage und Segualverbrechen.

Die spezifischen Sexualverbrechen( Verbrechen geschlechtlicher Art), denen im wesentlichen Mädchen und Frauen zum Opfer fallen, nehmen mit der Entwicklung der kapitalistischen Gesells schaft zu und treten auffälliger als je in die Erscheinung, was allein schon auf die bedeutsame Rolle hinweist, die soziale Um stände hier spielen. Jonen fann deshalb auch nur auf dem Wege entgegengewirkt werden, der zur Überwindung der kapita listischen Gesellschaft führt, die die Grundlage für eine gesunde Entwicklung des einzelnen und für normale Beziehungen zwischen den Geschlechtern, für eine gesunde Befriedigung des sexuellen Trieblebens schafft. Außerordentlich interessant ist es nun, daß der bekannte Kriminalpsychologe Dr. Erich Wulffen zur Be kämpfung der Sexualverbrechen Forderungen aufstellt, die sich fast durchweg mit dem decken, was die proletarische sozialistische Frauenbewegung, das heißt also die Sozialdemokratie, in bezug auf die wirtschaftliche, soziale und politische Stellung des weib lichen Geschlechts erstrebt. Es geschieht dies in Wulffens letztem Wert Der Sexualverbrecher"* und nach eingehenden Unter suchungen eines weitschichtigen Tatsachenmaterials und auf Grund vorliegender wissenschaftlicher Forschungen über die Ulr sachen der Sexualverbrechen. Die Zugeständnisse, zu denen der Verjasser dieses Buches fommt, sind um so beachtungs. werter, als Herr Dr. Wulffen Staatsanwalt in Dresden ist, und man von einem deutschen Staatsanwalt im allgemeinen teine vernünftigen Anschauungen erwartet.

Wulffen ist ein Schüler Wundts, und so erklärt er nach diesem das Wesen der Verbrechen auf Grund der physiologischen Psychologie in Verbindung mit der sozialen Umwelt, das heißt er nimmt für die Werbrecher eine anormale förperlich geistige Veranlagung an, die durch die umgebenden gesellschaftlichen Verhältnisse genährt und entwickelt, in bestimmte Richtungen gedrängt wird. Wir sehen an dieser Stelle von einer tritischen Besprechung des Werkes ab, das in mehr als einem Punfte den Widerspruch herausfordert, sondern beschränken uns dar auf, zu rejerieren. Der Sexualtricb ist nach Wulffen der stärtste der menschlichen Triebe, aber auch das wunderbarste Element, das individuelles, törperliches und psychisches Leben im wahrsten Sinne des Wortes aufbaut, der letzte allgemeine Träger der höchsten geistigen Errungenschaften der ganzen Wenschheit. Die Geschlechts lichfeit bedeutet also nach seiner auf die Spize getriebenen Auf­fassung, die die Begriffe überspannt, nicht nur die Arterhaltung des Menschen im Wege der Fortpflanzung über Hunderttausende von Jahren hinaus, sondern weit mehr. Das echte und beste Menschentum ist nach Wulffens Überzeugung immer Geschlecht lichteit. Die traurigen sozialen Zustände haben aber eine Ent artung des sexuellen Trieblebens erzeugt; der Sexualtrieb wurde durch sie vielfach in falsche Bahnen gelenkt. Die sozialen Bus stände und falschen Sittlichkeitsbegriffe, welche die Geschlecht lichkeit zur Sünde" stempeln, lassen ein ungesundes Sexual leben entstehen und hindern die normale Befriedigung des Ge schlechtstriebs. Der irregeleitete und unterdrüdte Sexualtreb

* Enzyklopädie der modernen Kriminalinit. and VIII: Dr. Grim Wulffen, Der Seruat verbrecher, Preis 18 Mr., gebunden 20 Mi. Verlag Dr. P. Langenscheidt, Berlin - Großlichterfelde. 1910.