Nr. 10

Die Gleichheit

balg. Solch nieberträchtiger Verwüstung der findlichen Gesund heit und gewiffenloser Ausbeutung der jugendlichen Arbeitskraft follte ich auf meinen späteren Streifzügen durch das Land des Trade Unionismus noch oft begegnen, so oft, daß sie mir zum Schlusse gar nicht mehr besonders auffiel. In Cradley Heath aber wußte ich noch nicht, daß in England die Kinderarbeit nicht nur von der großen unaufgeflärten Masse, sondern auch von Trade Unionisten gelitten, wenn nicht gar unterstützt wird. Friz Kummer.

Aus der Bewegung.

Von der Agitation. Gegen den Lebensmittelwucher pro testierten im achten schleswig - Holsteinischen Reichstagswahl­freiß sieben öffentliche Frauenversammlungen, und zwar in Altona , Wandsbeck, Schiffbeck, Sande, Bramfeld , Bad­Oldesloe und Alt- Rahlstedt . Rednerin in allen diesen Ver­sammlungen war Genoffin Klara Weyl - Berlin . In 50 000 Єrem­plaren war das Flugblatt über die Fleischnot, das sich an die Frauen wendet, zugleich mit einer Einladung zu den Versamm lungen verbreitet worden. So war den Versammlungen gut vor­gearbeitet worden, und diese waren auch von Frauen überaus start besucht und brachten der Partei eine große Anzahl neuer An­hänger und der Gleichheit" neue Leserinnen. Besonders hervor. heben wollen wir die imposante Versammlung, die in Altona im Englischen Garten stattfand. Noch nie waren in einer Volts­versammlung foviel Frauen anwesend wie hier. Der geräumige Saal war bis auf den letzten Platz gestopft voll, und Kopf an Kopf lauschten die überwiegend aus Frauen bestehenden 2000 Zuhörer den fesselnden Ausführungen der Rednerin. Die Rednerin ging davon aus, daß Wilhelm II. den Frauen die politische Betätigung verwehre. Demgegenüber entwickelte sie, wie gerade das Regie­rungssystem dieses Kaisers die Notwendigkeit für die proletarischen Frauen, fich am politischen Leben zu beteiligen, noch verstärke. Die Not des Volkes, bedingt in den fapitalistischen Produktionsverhält niffen, wird verschärft durch den staatlich fonzessionierten Lebens­mittelwucher, durch Zölle, Viehsperren und indirekte Steuern. Durch die Wirtschaftspolitik der Regierung wird die Lebenshaltung des arbeitenden Voltes immer tiefer herabgedrückt. Vollwertige Nah­rungsmittel werden durch minderwertige und durch Surrogate vers drängt. Immer mehr Frauen, auch Verheiratete und Mütter, tettet der Zwang der Verhältnisse an das Erwerbsleben. Am schwersten hat heute die Proletarierin zu leiden, gerade wenn sie ihren Pflichten als Hausfrau und Mutter nachkommen will. Durch die Teuerung wird es ihr immer schwerer gemacht, den notwendigsten Lebens bedürfnissen gerecht zu werden. Doch gerade diese Not öffnet den Arbeiterinnen die Augen. Sie sehen, wie Militarismus und Mari­nismus Williarden Mack verschlingen, die die Armsten aufzubringen haben. Sie erkennen die Politik der Regierung, die darin besteht, das Volk ausplündern zu lassen, um die Privilegierten zu mästen. Und sie fühlen ihr Elend noch verschärft durch die politische Recht­lofigkeit der Frau. Aber sie erkennen auch die Notwendigkeit, solche Zustände nicht duldend als gottgegeben hinzunehmen, sondern da gegen zu tämpfen. Diesen Kampf mit allen Mitteln zu führen, diesem Kampfe immer größere Ausdehnung zu geben, ist heilige Pflicht der arbeitenden Frauen. Hoch auf müssen die Flammen der Empörung lodern. Stürmische Rufe der Zustimmung unterbrachen häufig die Rednerin, und brausender Beifall ertönte zum Schlusse. Der Rede schloß sich eine lebhafte Diskussion an, in der die Ge­nofsinnen Steinbach, Brandenburg , Baumann und ein Genosse die Ausführungen der Rednerin noch unterstrichen. Viele der Zuhörer zeichneten sich als Mitglieder für die Partei und Abonnenten für die Gleichheit" ein. Linchen Baumann.

V

Im Auftrag der Parteileitung für das öftliche Westfalen unter­nahm die Unterzeichnete vor Weihnachten 1910 eine große Agita tionstour, die sich auf folgende Orte erstreckte: Harpen , Weitmar , Witten , Herne, Wiemke, Bochum , Henrichenburg, Recklinghausen , Bur, Lünen , Osterfeld Sterkrade, Horst Emscher, Königstelle, Hattingen , Langendreer , Werne Somborn, Laer- Altenbochum, Dortmund , Münster , Hudrade und Deusen. Die Versammlungen sollten insbesondere der Auftlärung der Frauen über wichtige Beitereig nisse dienen: über die schwer lastende Verteuerung des Lebens bedarfes, das persönliche Regiment des Gottesgnadentums, das Berhalten der bürgerlichen Reichstagsmehrheit im allgemeinen und im besonderen des Zentrums. Die Themen der Referate waren entsprechend gewählt, und die Interessen der Frauen, der werk­tätigen Wassen überhaupt fanden eine eingehende Erörterung. So

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wurde der Nachweis erbracht, daß die Proletarierin als Hausfrau, Mutter und Arbeiterin unter der kapitalistischen Ordnung leidet und sich um das politische Leben fümmern muß, das ihre Eristenz und die der Jhrigen entscheidend beeinflußt. Faft überall waren die größten Säle für die Versammlungen gewählt worden, aber das Thema Lebensmittelteuerung zog die Proletarierinnen in solchen Scharen herbei, daß sich meistens die Räumlichkeiten als zu flein erwiesen. So konnten in Dortmund , Münster und Witten viele keinen Einlaß finden, die zur Versammlung gekommen waren. In Herne , Werne , Königstelle, Lünen , Hattingen waren die Lokale mehr als überfüllt. Gegner hatten sich auch ein gefunden, hatten aber offenbar nicht den Mut, sich mit einer Prole­tarierin in eine Diskussion einzulassen. Auf dringende Aufforde rung, ihre Anschauungen zu vertreten, erklärten einige: Ja, was sollen wir denn sagen, es ist leider so, wie es die Rednerin ge schildert hat." Um so mehr arbeitet dagegen die Geistlichkeit gegen die Aufklärung der Massen. Am Tage nach der Versammlung läuft der Pfarrer oder Kaplan von Haus zu Haus, von Wohnung zu Wohnung und fragt: Waren Sie in der Versammlung? Lesen Sie oder Ihr Mann die Dortmunder Arbeiter- Zeitung", das ,, Bochumer Volksblatt"? Gehören Sie dem roten Verband an?" und dergleichen mehr. Wehe dem armen Sünder, der den Mut hat, die Frage zu bejahen! Es wird ihm mit allen Strafen des Himmels und der Hölle gedroht. Meist weicht der Pfaffe nicht vom Platze, ehe er einen Erfolg erzielt hat. Beichtstuhl und Früh messe müssen das Werk vollenden. Entsagung predigt die Kirche der Bevölkerung, die unter Arbeit und Entbehrung zusammenbricht und frühzeitig altert. Es gibt wohl ein anderes Industriegebiet, in dem man so viele Krüppel und Invaliden der Arbeit sieht, wie im Ruhrrevier. In Osterfeld- Sterkrade hatte die Polizei die Handzettel beschlagnahmt, in denen zur Versammlung eingeladen wurde. Aber sie mußten wieder freigegeben werden. Auch ein Flugs blatt von München- Gladbach war als Gegengift verbreitet worden. Doch alle Treibereien waren vergeblich, die Aufklärung und Organisierung der Ausgebeuteten zu hindern. Die Stimmung in den Versammlungen war großartig und der Erfolg für Gewert schaften, Partei und Arbeiterpresse glänzend. Unaushaltsam schreitet unser Wert vorwärts, drängt das Proletariat dem Völkerfrieden entgegen. Marie Wack wit.

Agitation in Baden . Auf Veranlassung des badischen Landes­vorstandes fand Ende November vorigen Jahres eine Agitations tour durch das Großherzogtum statt. Jm Oberland hatte Genoffin Friedländer die Versammlungen übernommen, die durchweg gut besucht waren und auch einen guten organisatorischen Erfolg zeitigten, denn es wurden insgesamt 250 Mitglieder der Partet zugeführt. In Mittelbaden, wo in einer Anzahl Versammlungen Genossin Greifenberg rejerierte, bestand der organisatorische Erfolg in der Gewinnung von girta 150 neuen Mitgliedern. Im Unterland wurde die Agitation von Genossin Ziez ausgeführt, die der Partei 330 neue Mitglieder zuführte. Das Gesamtergebnis dieser Agitation war also die Werbung von 730 neuen Parteimitgliedern, zum größten Teil weiblichen. In den großen Industriezentren, wie Mannheim , Pforzheim und einigen anderen Orten, ist es schon leichter, auch die Frauen für die politische Bewegung zu interessieren und dauernd an sie zu fesseln. Schwerer hält dies dagegen in den übrigen Orten, wo die Frauen noch allzusehr mit ihrem Fühlen und Denten in der Landwirtschaft wurzeln, weil die Industrie jung und schwach ist. Da jedoch unsere Badener Genossen planmäßig und regel mäßig die Aufklärungsarbeit unter den Frauen weiterzubetreiben gedenten, werden wir hoffentlich bald im ganzen Lande eine rege Frauenbewegung bekommen. Die Agitation, von der wir berichten, hat in einer großen Reihe auch flemerer Orte den Grundstein ges legt zu einer weiblichen Mitgliedschaft. Diese Orte werden jetzt weiter bearbeitet durch die rednerisch befähigten Genossinnen im badischen Lande, so zum Beispiel durch Genossin Blase Miannheim, die noch einige weitere Genossinnen mehr zur Seite hat. Auch in Heidelberg , Karlsruhe und Freiburg haben wir recht rührige Ge­noffinnen. Uns liegt es natürlich in erster Linie daran, daß im Interesse der Genossinnen selbst diese organisiert werden, daß sie mit sozialistischem Wissen ausgerüstet ihre Kräfte in den Dienst der Gesamtheit stellen. Allein ebensoviel wie die Genossinnen selbst werden die Organisationen, wird die Presse durch die Aufklärung und den Zusammenschluß der Frauen gewinnen, fintemalen in Baden das Zentrum einer der schlimmsten politischen Gegner ist. Dieses sucht aber seine Macht zu halten und zu stärken durch rücksichtsloje Anwendung eines furchtbaren Gewissenszwanges, den es vor allem den Frauen gegenüber geltend macht. Haben wir die Frauen durch Überzeugung von der Richtigkeit der sozialistischen Anschauungen und der Notwendigkeit des politischen Kampfes für uns gewonnen,