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Die Gleichheit

so ist die Macht der besten Zentrumsagitatoren gebrochen, der fatholischen Geistlichen, soweit diese Macht politischer Natur ist. Die gewonnenen Frauen, ehedem unsere Gegner, werden dann die Förderer unserer Sache. Sie entwickeln sich zu Agitatoren im kleinen: für unsere Presse, die sie zunächst selbst lesen, um dann auch im Freundeskreis für ihre Verbreitung zu wirken; für die Organisation, der sie selbst angehören und für die sie neue Anhänger und Mit­glieder werben; in der Familie, indem sie vor allem die heran­wachsende Jugend mit sozialistischem Geiste erfüllen. So für unsere Sache wirkend, gewinnen sie selbst für ihre geistige, ihre intellektuelle Weiterentwicklung. Aus diesen Gründen freuen wir uns des erzielten Erfolges in Baden, freuen wir uns der Absicht des Landesvorstandes, planmäßig die Agitation unter den Proletarierinnen weiterbetreiben Luise Zieg. zu wollen.

Von den Organisationen. Die Frauenbewegung tritt jetzt auch in Weimar lebhaft in die Erscheinung. Hatten wir doch in der zweiten Januarwoche vier verschiedene Versamminngen. Der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht hatte sich Fräus lein Rosita Schwimmer aus Budapest verschrieben, die über Die ungarische Frauenbewegung" sprach. Dr. Helene Stöcker reserierte am Abend zuvor für den Deutschen Mo­ nistenbund über Die Ehe in Vergangenheit, Gegen wart und Zukunft". Am Tage vorher hatte der Verein Frauenbildung- Frauenstudium seine Versammlung abs gehalten. Aber diese drei Veranstaltungen zusammen hatten sich nicht eines so guten Besuches zu erfreuen wie die Versammlung der weiblichen Mitglieder des sozialdemokratischen Vereins, die am 11. Januar stattfand. Herr Dr. med. Böhm Weimar hatte sich uns in anerkennenswerter Weise zur Verfügung gestellt zu einem Vortrag über Frauenleiden". Weitere lehrreiche Vorträge auf verschiedenen Gebieten sind noch in Aussicht genommen. Schon dieser Grund sollte maßgebend dafür sein, daß die Frauen, die als Gast an unseren Versammlungen teilnehmen, auch die Mitglieds schaft erwerben. Obwohl die Zahl unserer weiblichen Parteimit­glieder bei weitem die Zahl der bürgerlichen Frauenrechtlerinnen übertrifft, die in den einzelnen Vereinen sich organisiert haben, so sind wir doch damit noch nicht zufrieden. Wir möchten die Kerntruppe unserer organisierten Genoffinnen verdoppelt, verzehnfacht sehen. Noch viel mehr Frauen der gewertschaftlich und politisch organisierten Arbeiter sollten sich unserer Organisation anschließen. Um zur Ver wirtlichung dieses Wunsches beizutragen, hatte zu der letzten Frauen versammlung die Agitationskommission der Genossinnen über fünfzig Frauen organisierter Proletarier besondere Einladungen mit der Aufforderung zugeschickt, ihren Beitritt zur Parteiorganisation an zumelden. Leider versuchte der größere Teil der so Eingeladenen mit allerlei faulen Ausreden die Nichtanmeldung zu entschuldigen. Nun, die Agitationskommission wird sich durch diese Erfahrung nicht entmutigen lassen. Sie weiß, daß steter Tropsen den Stein höhlt. Sie wird in ihrer Aufklärungs- und Werbearbeit nicht er­lahmen. Schließlich muß auch im Hirn und Herz der indifferenten Proletarierinnen die Erkenntnis erwachen, daß es ihre Pflicht und ihre Ehre ist, Schulter an Schulter mit den Männern ihrer Klasse für Freiheit und Kultur zu kämpfen.

bt.

Die Frauenagitationsfommission der Parteiorganisation in Offens bach hielt im vergangenen Jahre zehn Eizungen ab und veran staltete vier Versammlungen für die weiblichen Mitglieder und zwei öffentliche Frauenversammlungen. Außerdem nahmen auf seine Beranlassung die Frauen in sieben Bezirksversammlungen Stellung zum Bäckerstreit und Brotboykott, und dank der Tätigteit der Frauen gelang es, vier Wleister zur Bewilligung der Forderungen zu bewegen. In gut besuchten Versammlungen sprachen Genosse. Bruhns über" Sexualprobleme", und Genosse Zimmermann über Freiligrat und Friz Reuter". Genosin B. Selinger und Genossin Gradnauer behandelten Die Stellung der Frau im heutigen Staat". Ein schöner Erfolg war der Lichtbildervortrag der Frau Wartenberg- Altona über:" Frauenkrankheiten, deren Ursachen, Verhütung und Heilung". Über tausend Frauen und Mädchen der Arbeiterklasse waren erschienen. Bei 25 Pf. Eintritt für Nichtmitglieder erzielten wir einen überschuß von 131 Mk. und die Veranstaltung brachte uns 51 neue weibliche Mitglieder. Eine eifrige Tätigkeit entfalteten die Genossinnen bei der Wlaiseier, bei dem Waldsest und der Weihnachtsfeier der Partei. An Zuschuß erhielt die Agitationsiommission 150 Wit. Der Stand der weiblichen Mitglieder hat sich von 265 Ende 1909 auf 325 Ende 1910 gehoben, nur 15 gingen der Parteiorganisation durch Austritt und 4 durch den Tod verloren. Der Monatsbeitrag beträgt 25 Pf., dafür wird die Gleichheit" tostenlos geliefert. Viel Arbeit erwartet die Ges nojinnen im neuen Jahre bei den Wahlen, wenn auch leider noch nicht als Wählerinnen, so doch als Wühlerinnen! Frau Steinhauser.

Nr. 10

Berta Wünsche- Regensburg+ Mit einem traurigen Gang hat für die Regensburger Genofsinnen das vergangene Jahr ab­geschlossen. Am Silvestertag haben sie die treubewährte Genoffin Berta Wünsche zu Grabe getragen. Nach langen qualvollen Leiden ist der Tod als erlösender Freund an die Zweiundvierzig­jährige herangetreten. Schmerzlich empfinden die Genofinnen den Verlust dieser aufopfernden, nimmer ermüdenden Kämpferin für das sozialistische Ideal, die insbesondere sich um die proletarische Frauenbewegung Regensburgs verdient gemacht hat. Jm März 1910 führte Genossin Wünsche den Vorsitz der Frauenversammlung, in der Genossin Jhrer begeisternde Worte über den proletarischen Bes freiungstampf und seine Bedeutung für die Frauen des werktätigen Volkes an uns richtete. Wer hätte damals geahnt, daß uns der Tod so bald diese beiden Streiterinnen für die gute Sache ent­reißen würde! Genossin Wünsche war eine der Gründerinnen des Frauen und Mädchenbildungsvereins, der seinerzeit in Regensburg bestand, und befleidete in ihm all die Jahre hindurch das Amt einer Schriftführerin. Als endlich das zopfige und arbeiterfeindliche bayerische Vereinsgesetz wenigstens dem gleichen Recht für Mann und Weib weichen mußte, zählte sie zu den ersten Genossinnen, die zu dem sozialdemokratischen Verein übertraten. Auf Vorschlag der Genossinnen wurde sie in den Ausschuß der Parteiorganisation ge= wählt. Auch auf diesem Posten erwarb sie sich rasch die Achtung und das Vertrauen aller. Bis die Krankheit ihrem Wollen Fesseln anlegte, betätigte sich Genossin Wünsche in hingebungsvoller Weise bei jeder Arbeit, jeder Veranstaltung der Partei. Ihr aufklärendes Wort hat der Sozialdemokratie manche Anhängerin zugeführt, und viele Feiern sind durch ihre tiefempfundenen Deflamationen ver schönt worden. Ihre sozialistische Überzeugung war fest und flar und blieb ihr ein starter Trost in den unsäglichen Leiden des Krantenbettes. Geistlichen Zuspruch wies sie zurück und verlangte ausdrücklich, daß sie ohne Mitwirkung der Kirche nur von ihren Angehörigen und Gesinnungsgenossen beerdigt werde. Das schlichte und doch feierliche Begräbnis war ihres edlen Charakters und ihrer aufopfernden Tätigkeit würdig. Ein langer Zug von Ge nossinnen und Genossen folgte dem Earg. Am Grabe legte Genosse Liebl im Namen des sozialdemokratischen Vereins einen prächtigen Kranz nieder und schilderte das Wesen der Verstorbenen wie ihre Verdienste um die sozialdemokratische Bewegung. Genoffin Hagen rief ihr tie bewegt den letzten Gruß der dankbaren Genossinnen nach, die einen Lorbeerkranz mit roter Schleife niederlegen ließen, und gelobte für sie, im Geiste der Verstorbenen weiter für die Be freiung der proletarischen Frauen aus den Banden der Geschlechts und Klassensklaverei zu kämpjen. Ein Berg von Blumen häufte sich auf dem Grabe. Nicht nur die tiefgetroffenen Angehörigen der Genossin Wünsche, auch die Genossinnen und Genossen werden ihr ein ehrendes Andenken bewahren. Den Genossinnen insbesondere wird sie ein unvergeßliches Beispiel treuester Pflichterfüllung im Dienste der größten Jdee bleiben, welche die Menschheit bewegt hat: der Befreiung der Arbeiterklasse als Wert der Arbeiterklasse M. H. selbst.

Politische Rundschau.

Der Moabiter Schwurgerichsprozeß hat vollendet, was die Verhandlung vor der Etraffammer begann. Die Lüge von der sozialdemokratischen Revolution ist endgültig abgetan, übrig bleibt die Brandmarcung der Polizei. Von 18 des schweren Auss ruhrs oder des Landfriedensbruchs Angeklagten sind durch den Wahrs spruch der Geschworenen nur vier dieser schweren Delifte, und einer des einfachen Aufruhrs schuldig gesprochen worden. Die anderen find wegen verhältnismäßig harmlojer Straftaten und sechs wegen Übertretungen( groben Unfugs) verurteilt worden, und vier mußten ganz freigesprochen werden. Und den wegen der schweren Vergehen Verurteilten sind durchweg mildernde Umstände bewilligt worden, die selbst die Staatsanwaltschaft befürwortet hatte, das heißt hatte befürworten müssen, um nicht von den Geschworenen bloßgestellt zu werden.

Schon die Tatsache, daß die Anflagebehörde, gewißigt durch die Verhandlung vor der Straffammer, auf jeden Verjuch verzichtete, den Prozeß gegen die Arbeiterbewegung auszubeuten, bedeutete die Niederlage der Regierung und der realtionären Parteien. Die Ergeb nisse der Verhandlung selbst waren im ganzen natürlich dieselben wie vor der Strastammer, doch brachten sie auch einiges Neue, das die Bloßstellung unseres Regierungssystems noch verstärkte. Co war vor allem beachtenswert das Zugeständnis des Kommandeurs der Polizeitruppe in den Unruhetagen von Moabit , des Majors Stlein, daß er seine vor der Straflammer aufgestellte Behauptung, teiner seiner Untergebenen habe Ausschreitungen begangen, nach