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Die Gleichheit

Der Unterhaltsanspruch des Kindes erlischt nicht mit dem Tode des Vaters, auch dann nicht, wenn der Tod vor der Geburt des Kindes erfolgt ist. Das Gesetz räumt aber den Erben das für das Kind nachteilige Recht ein, es mit dem Betrag abzufinden, der ihm als Pflichtteil gebühren würde, wenn es ehelich wäre. Dagegen erlischt der Unterhaltsanspruch natürlich mit dem Tode des Kindes. Die Kosten der Be­Die Kosten der Be­erdigung fallen dem Vater nur zur Last, soweit ihre Bezahlung nicht von den Erben des Kindes zu erlangen ist.

Um das Kind vor nachteiligen Vereinbarungen mit dem Vater in betreff des Unterhaltes zu schützen, schreibt das Gesetz die Genehmigung solcher Vereinbarungen durch das Vormundschaftsgericht vor. Ohne diese Genehmigung haben fie feine Gültigkeit. Das Kind fann auf den zufünftigen Unter­halt nicht unentgeltlich, das heißt ohne Gegenleistung verzichten. Der Unterhaltsanspruch ist weder pfändbar, noch übertrag bar, noch verpfändbar. Ernst Oberholzer, Zürich  .

Für den Schutz der Heimarbeiter.

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Der zweite Heimarbeitertag, der in Berlin   stattgefunden hat, sollte nicht der Auseinandersetzung über das weitschichtige, vielverschlungene Problem der Heimarbeit überhaupt dienen. Sein Zweck war von vornherein ein ganz bestimmter, eng be­grenzter. Die Tagung sollte die gesetzgebenden Gewalten vor­wärts treiben, den zur letzten Erörterung und Beschlußfassung vorliegenden Entwurf eines Heimarbeitsgesetzes zu einem wirk samen Schutz der Heimarbeiter zu gestalten. Entscheidend das für ist vor allem wie unsere Leserinnen wissen, daß Reichstagsmehrheit und Regierung ihren Widerstand gegen eine Lohnregulierung der Heimarbeiter fallen lassen, wie sie durch Lohnämter herbeigeführt wird, die Mindestlöhne fest­setzen. Auch der gesetzlichen Vorschrift von Lohntafeln und Lohn­büchern kommt zu diesem Zwecke Bedeutung zu. Das scharf umriffene Ziel machte es möglich, daß der Heimarbeitertag von Organisationen der verschiedensten Richtungen vorbereitet wor den war, und daß er Vertreter aller politischen Bekenntnisse, aller sozialreformerischen Strömungen vereinigte. Die Kraft feiner Forderungen sollte in der Einmütigkeit liegen, mit der fie von sonst auseinanderstrebenden Elementen erhoben wurden.

Der Kongreß war außerordentlich zahlreich beschickt. Er wies mehr als 350 Teilnehmer auf, darunter nicht wenige Frauen. Alle Hausindustriezweige und alle Gegenden Deutsch  lands waren auf ihm vertreten. Die freien Gewerkschaften, die Hirsch- Dunckerschen Gewerkvereine, der christliche Heimarbeite­rinnenverein, christliche und nationale Arbeiterorganisationen hatten Delegierte entsendet. Eine große Zahl Reichstagsabge ordneter von allen Parteien wohnte der Tagung bei, der Verein für Sozialpolitik hatte die Professoren Schmoller und Herkner, die Gesellschaft für soziale Reform den Staatsminister a. D. von Berlepsch delegiert. Die Reichsregierung und das Reichs amt des Innern, die Ministerien von Preußen, Württemberg und Baden, sowie der Berliner Magistrat ließen sich offiziell vertreten. Ja sogar Delegierte von 18 Unternehmerorganisa­tionen nahmen an dem Kongreß teil.

Das Referat zu der einzigen Frage der Tagesordnung erstattete Professor Dr. Wilbrandt, ein bürgerlicher Sozialreformer, der gerade die Sache der Heimarbeiter seit Jahren mit ebenso viel gründlicher Sachkenntnis als herzlichem Mitgefühl vertritt. Seine Ausführungen bewegten sich in den Bahnen der Reso­lution, die wir bereits in Nr. 9 mitgeteilt haben. Er hob hervor, daß das große Gebiet der Heimarbeit von der Tendenz der sinkenden Löhne beherrscht werde. Höhere Löhne seien der beste Heimarbeiterschutz und die beste Gewerbehygiene. Daß die Ge­setzgebung zur Hebung der Löhne eingreifen könne, habe das Vorgehen der englischen Kolonie Viktoria in Australien   und Englands selbst erwiesen. Eine Lohnregulierung und Lohn hebung in der Heimindustrie liege auch im Interesse der ver­ständigen Arbeitgeber, die sie gegen Schmutzkonkurrenz schütze. Es gelte einen starken Willen zu schaffen, der die Gesetzgebung

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zur Tat beflügle. Eine Organisation sei notwendig, die den Schutz der Heimarbeiter treu verfechte. Dieses rein menschliche Hilfswerk müsse Angehörige aller Parteien, Konfessionen und sozialen Schichten vereinigen. Der Heimarbeitertag bedeute nicht das Ende, vielmehr den Anfang einer entsprechenden Tätigkeit. Die Debatte ließ in endlosem Zuge, grau in grau das herz­zerreißende Heimarbeiterelend vorüberziehen. In der Hauptsache famen Vertreter und Vertreterinnen der Heimarbeiterschaft selbst zum Wort. Aus der Tabak, Holz, Spielwaren-, Glass, Blumen­und Textilindustrie, von der Konfektion, Spitzenklöppelei, Korb­flechterei, Schuhmacherei usw. wurde Vers an Vers zu dem alten Liede gefügt von unmenschlich langer Arbeitszeit, Hunger­löhnen, gesundheitsgefährlicher Beschaffenheit der Arbeitsräume, vom Jammer der Eltern und der Ausbeutung der Kinder. Können die schärfsten Worte vernichtendere Anklage erheben, als die Tatsachen, daß eine sechsköpfige hausindustrielle Weber­familie im sächsischen   Erzgebirge   in der Woche 8 bis 15 Mr. verdient, vorausgesetzt, daß die Kinder fleißig mitspulen; daß die Glasarbeiter des Thüringer Waldes   beim Christbaumschmuck in der Hochsaison 10 bis 12 Mt. wöchentlich erwerben, wenn die Arbeitszeit bis tief in die Nacht verlängert wird und die Kleinen zartesten Alters dabei mithelfen? Bemerkenswert war die häufige Brandmarkung der Schmutzkonkurrenz, die den Heimarbeiterinnen durch bürgerliche Damen gemacht wird, die nicht für ihr Brot, sondern für ihren Lurus, ihr Vergnügen arbeiten. Mit Recht wurde dagegen der Registrierungszwang angerufen. Besondere Beachtung verdienen auch die Ausfüh­rungen des Herrn Drews vom Arbeitgeberverband der Damen­schneiderei. Er erklärte, daß die Bemühungen seiner Organi­sation zur Festsetzung von Mindesttarifen an dem Widerstand der Kaufmannschaft gescheitert seien. Die Gesetzgebung müsse den ausgepreßten Heimarbeitern zu Hilfe kommen, indem sie Mini­maltarife vorschreibte, die der Lohndrückerei eine Grenze setzen. Die Zwischenmeister der Schürzen- und Schuhindustrie hätten sich mit der einschlägigen Auffassung seiner Organisation solidarisch erklärt. Eindringlich befürwortete der frühere Staatsminister v. Berlepsch den gesetzlichen Schutz der Heimarbeiter, der Lohn ämter und Mindestlöhne einbegreift. Deutschland   brauche den angeblichen Sprung ins Dunkle" so wenig zu fürchten, wie er England erschreckt habe. Als unfruchtbare Prinzipienreiterei bezeichnete Herr v. Berlepsch die Auffassung, der Staat dürfe nicht regelnd in die Lohnverhältnisse des elenden und tief beklagenswerten Standes" der Heimarbeiter eingreifen, die sich zurzeit nicht aus eigener Kraft durch eine starke Organisation helfen könnten. Der gesetzliche Schutz müsse erst die Vorbedin­gungen für solche Selbsthilfe schaffen.

Die Lichtseiten" der Hausindustrie wurden unter lebhaftem Protest nur von einigen wenigen Rednern gefeiert, die merk würdigerweise aus Sachsen   kamen, dem Lande der ausgedchn testen Heimindustrie und der allerelendesten Verhältnisse in ihr, wie Professor Wilbrandt in seinem Schlußwort richtig fest­stellte. Besonders tat sich bei dieser märchenhaften Verklärung der Heimarbeit eine Frau Hesse aus Dresden   hervor. Sie warnte vor Lohnämtern, Mindestlöhnen, einseitigen Lohn­tarifen", furz so ziemlich vor aller und jeder Maßregel zum Schutze der Heimarbeiter. Das aber natürlich im Interesse dieser Ausgebeutetsten der Ausgebeuteten und insbesondere ihres Familienlebens. Frau Hesse behauptete dabei, auf Grund eigener Anschauung zu urteilen, sie habe im Verlaufe der letzten zwei Jahre über zweitausend Heimarbeiterinnen über ihre Lage be­fragt. Mit was für Augen mag sie geschaut, mit was für Dhren gehört haben! Die Tagenden nahmen trotz solcher War­nungen" einstimmig die vom Referenten vorgelegte Resolution an.

Kaum daß die Verhandlungen des Heimarbeitertags geschlossen sind, hat das Direktorium der Ausstellung für Gewerbehygiene in Dresden  , oder richtiger haben deren Herren- die sächsische Regierung und das Unternehmertum ein eigentümliches Nachwort zu der Tagung geschrieben. Den Gewerkschaften ist die Beteiligung an der Ausstellung unmöglich gemacht worden aus der Befürchtung heraus, das Heimarbeiterelend könne dann ungeschminkt zum Ausdruck kommen. Sei's drum. Die deutsche