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Die Gleichheit
weckten Frauen zu geschulten, wissenden Genossinnen zu machen und als solche in unseren Reihen festzuhalten. Die Referentin legte eingehend die Umstände dar, die zu diesem Behufe die Anwendung anderer Mittel und Institutionen fordern, als die zur Aufklärung und Organisierung der Männer dienenden. Da die„ Gleichheit" in dieser Nummer einen Artikel von Genossin Gradnauer zu dieser wichtigen Frage veröffentlicht, verzichten wir auf einen überblick über ihr ebenso anregendes als belehrendes Referat. Ihre Ausführungen gipfelten in der Begründung eines systematisch zusammengestellten Programms für die Lese- und Diskussionsabende der Genossinnen, das dem Vorstand des Wahlkreises bereits vorliegt. In der Disfussion nahm zuerst Genosse Rahmann das Wort. Er wendete fich ganz entschieden gegen die Vorschläge der Referentin, weil er Frauendiskussionsabende aus zwei Gründen für überflüssig hält. Nach seiner Meinung gibt es zwischen dem Bildungsstand der Männer und Frauen feinen großen Unterschied. Es fehlt nicht an Männern, die eine große Reihe Fragen, die in öffentlichen Versammlungen behandelt werden, nicht verstehen, und andererseits nicht an Frauen, die auch für schwierigere Themen das richtige Verständnis mitbringen. Genosse Kahmann verlangt, daß die Genossinnen zahlreicher wie bisher die Gruppenversammlungen be= suchen, um sich gleichzeitig mit den Männern weiterzubilden. Ferner warnt er vor den vielen Ausgaben für Referenten und Literatur, die der Ausbau der Diskussionsabende erfordern würde. Auch ist er mit dem Erfolg der Diskussionsabende, wenigstens an vielen Orten, nicht zufrieden. Ebenso setzt er an dem vorgeschlagenen Programm der Referentin mancherlei aus. Der empfohlene Weg zur Schulung der Frauen führt seiner Ansicht nach zu einer„ Gewaltbildung", die zu verwerfen sei. Der Gesamtvorstand sei dafür, daß die Genossinnen mehr die Gruppenversammlungen besuchen, jedoch sollen dort dann und wann besondere Frauenvorträge eingeschoben werden. Genosse Kahmann schließt mit der Aufforderung, die Vorschläge der Referentin abzulehnen. Genosse WeißBotschappel nimmt einen dem Vorredner entgegengesetzten Standpunkt ein. Er hebt hervor, daß die Jugendbewegung, auf die jetzt so viel Wert gelegt wird, eng mit der Frage der Heranziehung und Bildung der Frauen zusammenhängt. Die Jugend, die wir jetzt zu uns rufen, ist proletarischer Nachwuchs und würde schon zu uns gehören, wenn wir sozialistisch gebildete Mütter hätten. Was wir für die Frauen tun, ernten wir bei dem nachwachsenden Geschlecht. Heben wir die Frauen, so heben wir auch die Jugend. Der Redner wünscht die Beibehaltung der Diskussionsabende und tritt durch aus den Vorschlägen der Referentin bei. Er betont, daß über die Bedeutung der Frauenbewegung gründliche Aufklärung in den Reihen der Männer not tut. Viele haben darüber noch die rückständigsten Ansichten. In jeder Gruppen- und Parteiversammlung müßte noch besonders auf die Wichtigkeit der Organisierung der Frauen hingewiesen werden. Genosse Hertwig- Löbtau erklärte sich als Wahlkreisvorstand gegen die Vorschläge der Referentin. Genossin Gradnauer gab ihrer Verwunderung darüber Ausdruck, daß der Vorstand ihren Vorschlägen so viel Widerstand entgegensetze und insbesondere auch der Kostenfrage so große Bedeutung beimesse. Ist man ernstlich entschlossen, die Frauen weiterzubilden, so muß man auch die Konsequenzen ziehen und den Vorschlägen zustimmen. Es soll damit nichts Neues geschaffen, sondern nur in das Vorhandene System gebracht werden. Ist eine oder die andere Vortragsreihe nicht genehm, so kann man sie weglassen. Die Rednerin betonte noch, daß überhaupt im allgemeinen die Männer noch nicht alles Nötige für die Förderung der Frauenorganisation tun. Sie bittet, an den Bildungsabenden festzuhalten. Hierauf erflärte Genosse Hertwig, daß er nach den letzten Ausführungen der Referentin anderer Ansicht geworden sei. Genosse JohnStrießen tritt für Fortführung gut geleiteter Bildungsabende ein. Die von der Referentin vorgeschlagenen Vortragsreihen scheinen ihm jedoch etwas reichlich bemessen, und er schlägt eine Anzahl besonderer Themen für die Frauen vor. Genossin Scheunflug Strießen spricht sich gleichfalls für Beibehaltung der Diskussions abende aus. Durch diese habe sich in ihrem Bezirk die Zahl der die Gruppenversammlungen besuchenden Frauen von 3 bis 4 im Anfang auf 80 gesteigert. Genossin Tauchert seht auseinander, es sei unmöglich, daß Mann und Frau gleichzeitig die Versamm Iungen besuchen, und tritt für Annahme der Vorschläge ein. Bei der Abstimmung wurde die Beibehaltung der Diskussionsabende gegen eine Stimme beschlossen, und die Vorschläge der Genossin Gradnauer wurden einstimmig angenommen. Genossin Wack wit schloß die Versammlung mit anfeuernden Worten, das Gehörte zu beherzigen und die Beschlüsse hochzuhalten. M. W.
In bezug auf die Frauenbildungsabende der Hamburger Genossinnen hat die dortige Parteiorganisation einen bedeutungs
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vollen Beschluß gefaßt. Entsprechend dem Bedürfnis und den Wünschen der Genossinnen nach mehr Bildungsgelegenheiten in dem großen Bereich der drei Hamburger Wahlkreise sollen nunmehr neben dem monatlichen Frauenbildungsabend im Gewerkschaftshaus noch in allen Distritten abwechselnd Bildungsabende für Frauen statt finden. Die beiden ersten Veranstaltungen auf Grund dieses Beschlusses, in Eimsbüttel und in Hamm - Horn, bewiesen durch ihren starken Besuch die offenkundige Notwendigkeit dieser Einrichtung. Nicht bloß organisierte Frauen und Männer waren erschienen, wir konnten vielmehr eine schöne Anzahl von neuen Mitgliedern für die Partei und Leser für die„ Gleichheit" gewinnen. In Eimsbüttel sprach Genosse August Winnig über ,, Die Frauen und der Militaris mus". Er gab einen ausgezeichneten überblick über die Entwicklungs geschichte des Militarismus bis zu seinem jetzigen voltsfeindlichen Charakter. Die Schilderung des heutigen kulturwidrigen Militärsystems gewann noch an Anschaulichkeit durch die Wiedergabe eigener Erlebnisse des Referenten als Soldaten. Hierauf entwickelte der Redner die hohen Aufgaben, die der Frau dem Militarismus gegen über zufallen, trotzdem oder gerade weil die bürgerliche Gesellschaft die Frau bisher geflissentlich vom politischen Leben ferngehalten habe. Pflicht der Proletarierin, der Mutter künftiger Soldaten, ist es, ihre Söhne zu Klassenkämpfern zu erziehen, sie die Barbarei des Militarismus hassen lehren und in ihre Herzen das Ideal der Menschlichkeit einzupflanzen, das im Wesen des Sozialismus begründet ist. Genossin Steinbach trug aus dem kürzlich erschienenen Buche des Referenten„ Preußischer Kommiß" eine ergreifende Episode vor und empfahl allen Anwesenden warm die Anschaffung und die Weiterverbreitung dieses vorzüglichen Buches.
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In Hamm - Horn behandelte Genosse Fr. Bartels das Thema Die Frau und der Sozialismus". Er legte dar, daß es Pflicht der Proletarierinnen ist, sich in den Reihen der Sozialdemokratie am politischen Leben zu beteiligen, und zeigte, wie notwendig diese bes wußte Mitarbeit der Frau am Befreiungswerk des Sozialismus ist. Die klaren Ausführungen des Redners fanden großen Beifall. Zum Schlusse forderte er wie auch die Leiterin des Frauenbildungsabends zu fräftiger Propaganda für den ersten deutschen Frauentag am 19. März auf. Dieser müsse sich in Hamburg zu einer machtvollen Demonstration gestalten.
e. g.
In einer start besuchten Mitgliederversammlung der sozial demokratischen Frauengruppe von Gmünd ( Württemberg ) gab Genossin Schönberger einen Überblick über die Tätigkeit im vers flossenen Jahre. Sie beklagte, daß die Genofsinnen nicht tatkräftiger durch die Genossen unterstützt worden seien, und teilte mit, daß es nunmehr in dieser Hinsicht besser werden würde. Die letzte Parteiversammlung hat einen Genossen mit der ständigen Leitung und Unterstüßung der Frauengruppe beauftragt, der 65 Mitglieder angehören. Die Mitgliederversammlung machte Gebrauch von dem ihr neuerlich zuerkannten Rechte, zwei Genossinnen in den Parteiausschuß zu delegieren, und wählte die Genossinnen Schönberger und Becker. Genosse Kopp erstattete sodann einen Bericht von der Frauenkonferenz in Stuttgart , die im Anschluß an die letzte Landesversammlung stattgefunden hatte. Die Versammlung wurde. mit dem Wunsche geschlossen, daß die nun regelmäßigen Versammlungen auch gut besucht würden. b.
Julie Hensgen, Düren †. Im„ schwarzen" Winkel, wie sie ihre Heimat zu bezeichnen pflegte, ist eine unserer treuesten und. opferfreudigsten Genossinnen gestorben: Julie Heusgen in Düren . Sie ist einer Proletarierkrankheit, der Knochentuberkulose erlegen, nachdem sie jahrelang das schwerste förperliche Leiden erduldet hatte. 1866 als Rind einer Hamburger Schuhmacherfamilie geboren, lernte fie von klein auf die Härte einer proletarischen Existenz kennen. Aber früh schon drang auch die Sonne sozialistischer Erkenntnis in ihr Herz. Ihr Vater gehörte zu den Bekennern des Sozialismus und bot unter dem Ausnahmegesetz manchem Ausgewiesenen Unterschlupf. Durch seinen Meister wurde der junge Schuhmachergesell Heusgen mit den sozialistischen Lehren vertraut, und als er später dessen Töchterlein ins Rheinland heimführte, hatte er eine Kampfesgefährtin von eiserner Willenstraft und nie versagender Begeisterung gewonnen. Das„ gefährliche Paar" leistete in Düren im Dienste der proletarischen Befreiung eine Arbeit, wie sie eifriger und schwerer, aber auch freudiger nicht gedacht werden kann. Es gab keine Arbeit für die Sozialdemokratie, für die Gewerkschaften, die Genossin Heusgen je müde oder unlustig gesunden hätte. Für die große Sache der tämpfenden Arbeiterklasse zu wirken, war ihr Lebensluft und Glück. Jahrelang konzentrierte sich das Leben der Partei in ihrem Heim, ,, dem Revolutionsbureau", wie die Genossen es nannten. Hier fanden Versammlungen mit polizeilicher überwachung statt, März- und Maifeiern, Besprechungen, bis die gerichtliche Kündigung die Familie aus der Wohnung trieb. 17 Jahre lang trug Genossin Heusgen die
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