Nr. 11

Die Gleichheit

Rheinische Zeitung " aus, dabei jede Gelegenheit erspähend, ihren Leserkreis zu erweitern, dem Sozialismus Anhänger zu werben. Als Delegierte des Transportarbeiterverbandes war sie jahrelang im Ge­werkschaftskartell tätig. Die Gewerbeinspektion machte sie auf Miß stände in den Betrieben aufmerksam. Flugblätter verbreiten, agitieren, organisieren galt ihr trotz des tückischen Leidens, das an ihrer Kraft zehrte, für Selbstverständlichkeit. Für die Gleichheit" hat sie manche frische Korrespondenz geschrieben, die der Aufrüttlung der Prole­tarierinnen des Rheinlands dienen sollte. Noch auf dem Kranken­bett verfolgte sie alle Ereignisse des politischen und gewerkschaft lichen Lebens mit leidenschaftlichem Interesse, und als sie zu schwach geworden war, um die Zeitungen lesen zu können, mußte ihr Mann ihr getreulich über die Bewegung Bericht erstatten. Die Bekenner der christlichen Liebe" haben das rote Paar gehaßt, verfolgt, ge= ächtet. Der Boykott" brachte bittere Lebensnot über die Familie, Genoffin Heusgen hat sich mit Hunger und Kummer herumschlagen müssen. Wie tapfer und entsagungsvoll versuchte sie den bösen Gästen zu wehren, denn sie war eine Mutter und Gattin von rührender Besorgnis. Wie stoisch hat sie aber auch für sich Entbehrungen und Herzeleid getragen. Sie betätigte jenes stille Dulder- und Helden­tum, das der sozialdemokratischen Bewegung Kraft und Schwung verleiht. Kranzspenden von den einheimischen und auswärtigen Dr ganisationen bezeugten die hohe Wertschätzung ihres Wirkens und ihres Charakters. Genoffin Heusgens Andenken wird in Ehren bleiben.

Politische Rundschau.

Angst vor den Reichstagswahlen, Furcht vor der Zer­trümmerung des schwarzblauen Blocks und vor der Verstärkung der sozialdemokratischen Frattion im Parlament beherrscht die Re­gierung und die reaktionären Parteien. Voll Verzweiflung warten sie immer noch auf einen Umschwung der Volksstimmung und er­hoffen von einer Verschiebung der Wahlen bis zum äußersten zu­lässigen Termin ein Abflauen des allgemeinen Zornes über die Finanzreform und die sonstigen Glanzleistungen ihrer Politif. So wurde denn in diesen Tagen die Absicht der Regierung laut, die Wahlen erst im Januar oder gar Februar 1912 stattfinden zu lassen. Natürlich ist es nicht ausgeschlossen, daß dieser Plan plötzlich wieder fallen gelassen wird, wenn irgend ein Umstand der regierenden Clique einen früheren Zeitpunkt für die Wahlen günstiger erscheinen läßt. Gegen überrumpelungsversuche muß die Sozialdemokratie ge­rüstet sein, und sie hat ihre Vorbereitungen so zu treffen, daß sie jeden Augenblick mit schlagbereiter Organisation in den Wahlkampf treten fann. Zurzeit ist allerdings die Lage für die Schwarzblauen alles eher denn günstig. Das Verhältnis des Schnapsblocks zu den Nationalliberalen ist sehr gespannt. Im preußischen Abgeordneten­haus kam es dieser Tage zu einer förmlichen Kriegserklärung der Junker gegen die Nationalliberalen, die diese allerdings nicht sehr mutig aufnahmen. Die Wirkungen der Reichsfinanzreform, die Er­folge des Liberalismus gegen die Junker bei den Nachwahlen im Osten haben die Konservativen auss höchste gereizt. Kommt noch dazu, daß die Nationalliberalen es gewagt haben, die einseitige Begünstigung des Junkertums in der Verwaltung, die Tätigkeit der Landräte für die konservative Parteipolitik zu kritisieren, so scharf zu kritisieren, als es ihnen bei ihrer Zwitternatur nur möglich ist. Da verloren die Konservativen die Selbstbeherrschung und be­gannen gegen die ehemaligen Bundesgenossen zu toben, die ihnen doch im Grunde noch so nahe stehen. Der konservative Führer Heydebrand nahm selbst das Wort zu einer gepfefferten Er widerung auf eine Rede des Nationalliberalen Schiffer. Und tags darauf drohte die Konservative Korrespondenz" in einem Aufruf zur Jnangriffnahme der Wahlvorarbeiten den Nationallibe ralen, man werde sie bei Stichwahlen gegen die Sozialdemokratie ihrem Schicksal überlassen. Fast gleichzeitig gab der Nationalliberale Paasche, der bisher immer nur allzuviel für die Junker übrig ge= habt hatte, in einer Versammlung im Rheinland die Parole aus: " Scharf gegen rechts und gegen das Zentrum!" Damit ist freilich bei der Charakterlosigkeit dieser Partei Drehscheibe noch nicht ge­sagt, daß es wirklich so kommen wird, wie andererseits auch die grimmigen Gesichter, die Heydebrand und Genossen den National­liberalen schneiden, vielleicht nur zur Einschüchterung dienen sollen. Die Arbeiterklasse muß sich jedenfalls darüber klar sein, daß die Furcht vor der Sozialdemokratie diesem häuslichen Streite der bürgerlichen Parteien jederzeit ein schnelles Ende machen kann, und daß dieser Zant die Schärfe des Klassenkampfes zwischen Aus­beutern und Ausgebeuteten nicht mildern kann. Die Sozialdemo fratie muß auf alle Fälle zum Kampfe gegen die geschlossene Front der bürgerlichen Parteien gerüstet sein. Und die Regierung wird alles aufbieten, um die streitenden Brüder wieder zu ver­

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söhnen; bereits hat Bethmann Hollweg in seiner Presse verkünden lassen, wie bitter ihn dieser Zwist unter den staatserhaltenden Parteten schmerzt. In einigen Teilen des Reiches techtelmechteln übrigens die lokalen Leitungen der Nationalliberalen munter mit dem Schnapsblock, als ginge sie der erschreckliche Kampf in den Parlamenten nichts an. So ist es offenes Geheimnis, daß in Rheinland- Westfalen Verhandlungen zwischen National­liberalen und Zentrum geführt werden, die auf gegenseitige Stichwahlhilfe gegen die Sozialdemokratie abzielen. Dem Zentrum soll so der Besitz von Köln , Düsseldorf und Essen gesichert und den Nationalliberalen dafür die jetzt in den Händen der Sozial­demokratie befindlichen Mandate von Dortmund , Bochum und Duisburg verschafft werden. Wobei indes die Sozialdemokratie auch noch ein Wort mitzureden hat.

Die Gereiztheit der Junker über die Nationalliberalen ist natür­lich unansehnlich im Vergleich zu dem Haß, der sie wider die Sozial­demokraten beseelt. Im preußischen Abgeordnetenhaus, das fraft der Dreiklassenschmach zustande kommt, regnet es präsidiale Ordnungsrufe, Anpöbelungen und Wortentziehungen über die kleine sozialdemokratische Schar. Doch verliert diese darüber nicht ihren guten Mut und antwortet auf diese Ungerechtigkeiten und Ge­hässigkeiten stets mit erneuten scharfen Vorstößen. Nunmehr sollen neue Maulkörbe für die Vertreter der Arbeiterschaft durch eine Verschlechterung der Geschäftsordnung konstruiert werden, der be treffende Antrag ist bereits an eine Kommission verwiesen. Die Wut der Junker über den Ausgang des Moabiter Prozesses hat sich immer noch nicht gelegt und verrät sich immer wieder in plumpen Ausfällen, in gemeinen Verdächtigungen der Verteidigungszeugen. Und auf die Frage der Sozialdemokraten an den Polizeiminister v. Dallwitz, was er gegen die Polizeibeamten tun werde, die bei den Moabiter Vorfällen schwere Ausschreitungen begangen haben, was er zur Ermittlung der Schuldigen tun werde und was er zu der unerhörten Kaisergeburtstagsrede des Berliner Polizeipräsi denten zu sagen habe, wußte dieser nur in der üblichen nichts­fagenden Bureaukratenweise gegen die Angriffe auf die ehrenwerte Polizei zu protestieren". In der erwähnten Festrede hat Herr v. Jagow frischweg erklärt, daß in Moabit nicht eine einzige Polizeiausschreitung vorgekommen sei, daß die Untersuchung in jedem einzelnen Falle die völlige Schuldlosigkeit der Beamten er­geben habe, und hat dann die Verteidigungszeugen in der gleichen Weise verdächtigt, wie vor ihm bereits der alte Scharfmacher v. Zedlitz. Wie diese Untersuchung geführt worden ist, läßt sich denken. Man hat die verdächtigen Beamten befragt, und da sie jede strafbare Tat bestritten haben, so gelten dem Herrn Polizei­ präsidenten die Aussagen zahlloser glaubwürdigster Zivilzeugen ein­fach für falsch. Ein bequemer Standpunkt, der ihm die unangenehme Pflicht erspart, Schußleute dem Staatsanwalt zu übergeben.

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Auch die unsaubere Spigelwirtschaft der preußischen Polizei wurde im Abgeordnetenhaus von der sozialdemokratischen Fraktion. scharf gegeißelt. Hier wurde Herr v. Dallwitz gesprächig. Er glaubte alle Angriffe wirkungslos machen zu können durch den Hinweis, daß lezzthin Genosse Bebel in seinen im Vorwärts" veröffent­lichten Erinnerungen an den verstorbenen Genossen Singer erzählt hat, wie die Sozialdemokratie zur Zeit des Sozialistengesetzes durch einen Beamten des Berliner Polizeipräsidiums gegen Be­zahlung Nachrichten über die Lockspizelpraktiken der preußischen Polizei erhielt. Woll moralischer Entrüstung erklärte der Chef der preußischen Polizeispiel: Herr August Bebel hat sich also nicht gescheut, staatlich angestellte Beamte zu bestechen und sie zur Un­treue und zur Nichtachtung ihres Diensteides zu verleiten." Unsere Genossen im Hause haben, nachdem ihnen wieder einmal das Wort abgeschnitten war, dem Herrn Polizeiminister in Zwischenrufen und persönlichen Bemerkungen treffend gedient, im Vorwärts" aber gab Genosse Bebel dem Junker im Ministersessel die ge­bührende Antwort. Er stößt die ministerielle Nase derb auf den Unterschied zwischen der Praxis der Polizei und dem Vorgehen der Sozialdemokratie in diesem Falle. Während die politische Polizei mit allen Mitteln der Niedertracht und der Korruption eine An­zahl von Parteigenossen kauste, um sie als Aufreizer und Verräter der eigenen Parteigenossen zu verwenden, wodurch Hunderte von braven Menschen mit ihren Familien in Not und Elend gestürzt wurden, haben Singer und Bebel lediglich die Dienste eines Be­amten angenommen, der sich ihnen unaufgefordert anbot. Sie wären die größten Esel gewesen, die damals der deutsche Voden trug", wenn sie dies Anerbieten abgelehnt hätten, das ihnen die Möglichkeit gab, die teuflischen Anschläge der Firma Bismarck­Buttkamer auf die Arbeiterbewegung zu durchkreuzen. Sie übten einen Aft der Notwehr und Vergeltung gegen das infame Lock­spißeltreiben der Polizei. Genosse Bebel schließt mit den Worten: