172

"

Die Gleichheit

Sie werden daher begreifen, Herr Minister, daß ich für die moralische Entrüstung, mit der Sie glauben, mir und meinen Freunden aus einem Akt der Notwehr einen Strick drehen zu können, nur ein Lächeln und ein Achselzucken habe.

Erst wenn es Ihnen gelingen sollte, Herr Minister, aus der politischen Polizei ein Institut für öffentliche Moral und Wahr­heitsliebe zu machen, fönnte ich Ihre Entrüstung ernst nehmen." Im Reichstag hat das Zentrum wieder einmal das Bedürfnis empfunden, seinen arg ramponierten Ruf durch die Geste der Oppofition etwas aufzubügeln. Es hat wenigstens teilweise bei der Beratung der Strafprozeßordnungsreform, bei der mehrere sozialdemokratische Anträge auf Sicherung der Unabhängigkeit der Richter abgelehnt wurden, für die Bestellung von Laienrichtern in den neu zu errichtenden Berufungsstraftammern gestimmt. Der An­trag ist infolgedessen durchgegangen, obgleich die Regierung ihn für unannehmbar erklärte. Und in der Kommission für die elsaß­lothringische Verfassung ist das Zentrum für die Erhebung des Reichslandes zum selbständigen Bundesstaat eingetreten. Die Reichsregierung hat darauf einen Schreckschuß abgegeben der Staatsfefretär Dr. Delbrück hat die Kommission um Bertagung ihrer Arbeiten ersucht, bis der Bundesrat zu diesem seiner Ansicht nach unannehmbaren Beschluß Stellung genommen habe. Es wird also mit der Zurückziehung der ganzen Vorlage gedroht. Es steht noch sehr dahin, ob das Zentrum dieser Drohung gegenüber fest bleiben wird ebenso wie es durchaus noch nicht sicher ist, daß es auch in der dritten Lesung der Strafprozeßreform auf der Be­fehung der Berufungsstraffammern mit Laien beharren wird.

Beim Marineetat strich der Schnapsblock die Groschen­zulage des hart arbeitenden Heizerpersonals, weil gespart werden muß". Der Staatssekretär der Marine v. Tirpitz leistete sich dabei den für unser herrschendes Regierungssystem bezeichnenden Spruch: Wenn etwas von zuständiger Stelle befohlen wird, dann hört die Unzufriedenheit auf." Beim Marineetat nahm auch Genosse Ledebour Gelegenheit, das Nötige über die Krieger­vereinsrede des Prinzen Heinrich zu sagen. Prinz Heinrich ist wie sein älterer Bruder ein vielbeschäftigter Mensch und als Großadmiral, Sportsmann, Automobilist und Aviatiker tätig. Und gleich seinem älteren Bruder erfaßte auch ihn der Drang zu reden. Diesem Bedürfnis tat er Genüge bei einer Kriegervereinsfeier in einer Rede wider den inneren Feind. Inhaltlich und formal erhob sich diese in nichts über das Niveau der Reden, die man solcher orts und bei solchen Gelegenheiten zu hören gewohnt ist. Und Ge­nosse Ledebour betonte auch, daß die Sozialdemokratie durchaus nicht unglücklich wäre über den Redefluß des Prinzen, wie denn auch die Reden seines Herrn Bruders noch immer als ausgezeichnetes Agitationsmaterial für uns gedient hätten. Immerhin empfahl er aber dem Staatssekretär, für eine ausreichende Beschäftigung des Prinzen bei der Marine zu sorgen.

In Braunschweig hat die Regierung, durch die Wahlrechts­bewegung der Arbeiterschaft gezwungen, eine Wahlreformvorlage eingebracht. Der Arbeiterklasse wird eine gewisse beschränkte Ver­tretung gewährt. Insofern ist die Vorlage ein Zugeständnis. Aber das Klassenwahlrecht, die Garantie der Mehrheit für die Besitzenden wird beibehalten. Gegen dieses elende Machwerk hat die Arbeiter schaft Braunschweigs in einer imposanten Kundgebung am 5. Februar protestiert.

In der internationalen Politit hat sich die Gruppierung der Mächte wieder einmal verschoben. Seit dem Besuch des Zaren in Potsdam hat eine Annäherung Rußlands an Deutschland stattgefunden, die eine Lockerung der französisch- russischen Allianz und des russisch- englischen Einvernehmens mit sich bringt. Ruß­ land hat dadurch die Hände gegen China frei bekommen und be­nutzt diese Gelegenheit, um China mit Krieg zu drohen für den Fall, daß China ihm nicht eine bessere Behandlung im Handels­verkehr zukommen läßt. Inzwischen regt es sich wieder im Innern des russischen Kolosses. Die Studentenbewegung, die mit den Kundgebungen gegen die Todesstrafe aus Anlaß von Tolstois Tod einsetzte, dauert fort und hat größeren Umfang gewonnen. An den meisten Universitäten streikt die große Mehrheit der Studenten und sucht die Fortsetzung der Vorlesungen mit allen Mitteln zu ver­hindern. Die Regierung geht mit großer Brutalität vor, viele Studenten find bereits verhaftet, ausgewiesen oder von der Universität verwiesen.

Der Klassenjustiz Frankreichs ist jetzt der Gewerkschafts­sekretär Durand vorerst entrissen worden. Der Justizminister hat den Prozeß an den Kaffationshof( das oberste Gericht) verwiesen und den Unschuldigen in Freiheit setzen lassen. Die französische Gerechtigkeit arbeitet giso erheblich schneller als die deutsche, die 15 Jahre gebrauchte, um den Justizmord von Essen rückgängig But machen.

H. B.

Gewerkschaftliche Rundschau.

Nr. 11

Die Gewerkschaften haben sich auf dem Gebiet der Gewerbe­hygiene große Verdienste erworben. Das Direktorium der Inter­nationalen Hygieneausstellung, die vom Mai bis Oktober in Dresden stattfinden wird, ließ daher auch an sie eine Einladung zur Beteiligung ergehen. Die Gewerkschaften beschlossen, diesem Rufe Folge zu leisten, denn dadurch war ihnen Gelegenheit ge­geben, zu beweisen, welch fruchtbare Tätigkeit sie neben ihrer Haupt­aufgabe auf sozialem Gebiet entfaltet haben, und vor allem zu zeigen, wie sehr es noch in der deutschen Industrie an einer wirksamen Arbeiterhygiene mangelt. Die Ausstellung sollte- so war geplant die Heimindustrie besonders berücksichtigen. In dem Einladungs­schreiben an die Generalkommission war bemerkt, daß auf die Ver­anschaulichung der Heimindustrie großer Wert gelegt würde. Das Ausstellungskomitee wünschte ausdrücklich eine Beteiligung der Ge­werkschaften an der Gruppe Beruf und Arbeit", damit zur An­schauung komme, welchen gesundheitlichen Schädigungen die Ar­beiter in den verschiedenen Berufen ausgesetzt sind und welche hygienischen Einrichtungen geschaffen werden können, um ihnen zu begegnen. Zu diesem Zwecke sollten auch Gegenstände ausgestellt werden, die die verschiedenen Techniken und das Milieu darstellen, in dem gearbeitet wird. So zum Beispiel Photographien von Fabrik­räumen, Werkstätten, Arbeitsplätzen, Apparaten und Maschinen, ferner Arbeiter bei ihrer Beschäftigung usw. Eine besondere Heim­arbeitausstellung sollte durch die Gewerkschaften veranstaltet werden. Die Generalfommission hatte bereits mit dem Ausstellungskomitee alles Nähere vereinbart über den besonderen Platz im Ausstellungs gelände, Playmiete usw. Plöglich gab es Stockungen und allerlei Schwierigkeiten bei den weiteren Verhandlungen. Ein Vertreter des sächsischen Ministeriums schwitzte Bedenken, daß die von den Zentral­verbänden veranstaltete Ausstellung tendenziös" werden könnte. Um das zu vermeiden, müßte die Ausstellung- so hieß es mit den Unternehmern gemeinsam arrangiert werden. Wie erklärt sich die Wendung? Die Unternehmer waren in der Zwischenzeit am Werke gewesen. Sie hatten in den Handelskammern und in ihren Organisationen mobil dawider gemacht, daß das Ausstellungs­fomitee den Gewerkschaften entgegengekommen" fei. Sie verlangten nicht mehr und nicht weniger, als daß auch die Lichtseiten der Heimindustrie" zur Darstellung kommen müßten. Der Verband sächsischer Industrieller hatte sich in einer Eingabe an das Mini­sterium gegen unsere Gewerkschaften als Veranstalter der Aus­stellung gewandt. Nach ihm müßte eine Aufnahmejury gebildet werden, die die Gewähr böte, daß Licht- und Schattenseiten der Heimindustrie auf der Ausstellung gleicherweise gezeigt würden. Die Generalfommission als Unterhändler der Verbände erklärte, daß es ihr völlig fernliege, die Ausstellung tendenziös zu gestalten, daß sie aber zurückweisen müsse, die Ausstellung von der Kontrolle durch die Unternehmer abhängig zu machen. Als es offenbar wurde, daß das Direktorium der Ausstellung sich diese Wünsche der Unter­nehmer zu eigen machte, formulierte sie den Vermittlungsvorschlag, einige bekannte Sozialreformer, wie Professor Dr. Francke und Staatsminister a. D. v. Berlepfch, als Schiedsrichter über die Zu lassung der Ausstellungsobjekte beschließen zu lassen. Aber selbst dieser Vorschlag wurde vom Direktorium abgelehnt mit der Be­gründung, diese Sozialreformer, schwebten in der Luft und kämen mit den Füßen nicht auf den Erdboden". Des weiteren wurde be­tont, daß die Hygieneausstellung von der Regierung subventioniert werde und zum Teil auch von den Industriellen abhängig sei. Das Direktorium sei daher gezwungen, die Wünsche jener Seite zu be­achten. Damit ist die Sache für die Gewerkschaften erledigt. Die Generalfommission hat in dieser Angelegenheit ein sehr weites Ent­gegenkommen gezeigt. Noch weiter zu gehen, verbot die Selbst achtung und hätte auch den Wert der Ausstellung völlig hinfällig gemacht. Dabei muß noch beachtet werden, daß die Ausstellung in der von den Gewerkschaften gedachten Form nur ein mildes Bild von den hygienischen Gefahren und Schäden unserer Industrie ge­geben hätte. Es wäre ihr gar nicht möglich gewesen, diese in ihrer ganzen Kraßheit zum Ausdruck zu bringen. Die photographische Darstellung irgend eines erbärmlichen Arbeitsraumes oder die Vor­führung des Heimarbeiters beim Schaffen in der heimischen Wohn­hölle kann ja nie die volle Anschauung der furchtbaren Wirklichkeit geben. Die ganze Milieustimmung fehlt und damit der wahre Ein­blick in die unhygienischen und sozial zerrütteten Zustände des Heim arbeiterlebens. Die Affäre hat aber in drastischer Weise dargetan, wie abhängig von den Scharfmachern die Regierung ist, die doch über den Parteien zu schweben behauptet.

Wie alle Anschläge gegen die Arbeiterbewegung zuschanden werden, das hat das Wiederaufnahmeverfahren im Effener Meineids­