Nr. 11

Die Gleichheit

prozeß gezeigt. Das harte und falsche Urteil des Jahres 1895 follte damals nicht nur unsere unschuldigen Genossen strafen, son­dern auch dem Bergarbeiterverband einen tödlichen Schlag versetzen. Mit den verurteilten meineidigen" Führern wollte die Klassenjuftig auch die Organisation treffen. Wie frohlockte damals die Scharf macherpresse über das Urteil, das seine Spige gegen den Verband und die Partei kehrte. Trotzdem hat die Partei, die 1895 nur ge­ringe Bedeutung im Ruhrbecken besaß, nun dort drei Reichstags mandate erobert. Und der Bergarbeiterverband, bei dem im Jahre des Justizmordes die Ausgaben noch die Einnahmen überwogen, hatte fchon im darauffolgenden Jahre einen überschuß in seiner Kasse. Heute verfügt er über ein stattliches Vermögen und zählt einen gewaltigen Mitgliederstand in seinen Kampfreihen.

Die Lohnbewegung der Bergarbeiter im Ruhrrevier ist vorläufig zum Stillstand gekommen. Die meisten Zechen haben natürlich die Forderungen ihrer Grubensklaven abgelehnt oder doch nur ganz geringfügige Sugeständnisse gemacht. In einer Delegierten­konferenz, die das verräterische Vorgehen der Christlichen   brand­martte, befchloffen die drei an der Bewegung beteiligten Verbände, von einem Ausstand für jetzt abzusehen, aber die Bewegung zu ge­legener Zeit wieder aufzunehmen.

Im Buchdruckgewerbe steht in diesem Jahre eine Tarifs bewegung bevor. Die Berliner   Buchdrucker haben bereits in start besuchter Versammlung als Hauptforderungen 20 Prozent Lohn ausschlag und Einführung der stündigen Arbeitszeit aufgestellt.

Zurzeit sind im Schneidergewerbe in etwa 50 Orten die Tarife für die Herrenschneiderei gekündigt. Bei den Tarifs schlichtungsinstitutionen, welche der Vertrag vorsieht, ist auf einen gütlichen Ausgleich zu rechnen.

Die Differenzen der Rohglasschleifer in der Oberpfalz   zu schlichten, ist auch dem Regierungsvertreter nicht gelungen. Die Unternehmer hatten pro Stunde einen halben Pfennig Lohnzulage zugestanden, dafür sollte aber ein Tarif auf 3 Jahre abgeschlossen werden. Die Arbeiter bedankten sich dafür. Vorläufig haben die Schleifer auf Anraten des Verbandsvorsitzenden und des Regierungs­vertreters die Arbeit noch nicht niedergelegt, doch wird es wohl zum Streit fommen.

Einen schönen Erfolg kann der Zentralverband der Hand­lungsgehilfen buchen, eine Organisation, die auf schwierigem Boden arbeitet und sich mit besonders unangenehmen Gegnern herumschlagen muß. Bei den Kaufmannsgerichtswahlen in Berlin  , bei denen ein scharfer Kampf entbrannt war, erhielten die Deutschnationalen 49 Mandate, 8 weniger als bisher, der Zentralverband eroberte 40 Mandate, 16 mehr als er inne hatte, der Verein Deutscher   Kaufleute verlor 8 Mandate, die übrigen Mandate verteilen sich auf die Listen von 9 weiteren Einzelgruppen.

Jm Kampfe wider die Arbeiterbewegung, die sich offen als international bekennt, nahm unser Unternehmertum von jeher gern bas Maul voll mit nationalen Phrasen, und strahlend hob sich von der Vaterlandslosigkeit" der Sozialdemokratie der Patriotismus deutscher   Kapitalisten ab. Es ist längst bekannt, daß diese Vater landsliebe jederzeit vor dem Interesse des Profits in die Knie sintt. Das deutsche   Unternehmertum schwingt sich aber auch zur Praris ber internationalen Solidarität aller Ausbeuter auf, wie das Vor­gehen der Bauunternehmer beweist. Sie haben dem französischen  Bauunternehmerverband folgenden Vertrag angeboten:

" Zwischen der Föderation der französischen   Bauunter­nehmer und dem Deutschen   Arbeitgeberverband für das Baugewerbe wird folgende Vereinbarung getroffen: 1. Die ver­tragschließenden Parteien verpflichten sich, teinen Ar­beiter des fartellierten Landes einzustellen. 2. Wenn in einer der vertragschließenden Organisationen ein Streit oder eine Aussperrung vorauszusehen ist, so verpflichtet sich die betreffende Organisation, die Leitung der anderen davon zu unterrichten, unter Angabe der Orte, die von dem Streit oder der Aussperrung be­troffen werden tönnen. Falls ein allgemeiner Streit oder eine Generalaussperrung in einem der vertragschließen den Länder ausbricht, so werden alle Arbeiter des be­treffenden Landes, die im Freundesland() arbeiten, so fort entlassen. Sobald ein Streit oder eine Aussperrung aus­gebrochen ist, muß die Leitung der betroffenen Organisation sofort der anderen Organisation Mitteilung machen und gleichzeitig alpha­betisch geordnete Listen mit den Namen der streifenden oder aus­gesperrten Arbeiter, ihrem Geburtstag oder Geburtsort einsenden. Diese Listen müffen in genügender Anzahl zugestellt werden, damit fie alle Mitglieder erhalten können. Die Beendigung eines Streifs oder einer Aussperrung ist ebenfalls mitzuteilen. 3. Die Leitungen der vertragschließenden Organisationen verpflichten sich, alle Maß nahmen zu treffen, damit ihre Mitglieder so schnell wie möglich

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diese Listen erhalten, um zu verhindern, daß streifende Arbeiter Beschäftigung finden. Sie müssen ebenfalls darüber wachen, daß Arbeiter, die etwa schon Stellung gefunden haben, sofort wieder entlassen werden. 4. Die vertragschließenden Parteien verpflichten sich, sich gegenseitig nach Möglichkeit zu unterstützen und die Ein­stellung von nichtstreifenden Arbeitern zu erleichtern. Die Maß­nahmen der Arbeitsnachweise der befreundeten Organisationen find zu respektieren und nach Möglichkeit zu unterstützen. Dieser Vertrag ist zwischen den Zentralleitungen der vertragschließenden Parteien abgeschlossen, unter Vorbehalt etwaiger Abänderungen durch ihre Generalversammlungen."

Die französischen   Unternehmer haben die Vereinbarung für dies mal noch zurückgewiesen. Paris   war dafür, aber die Provinz da­gegen. Der Bund ist also nur daran gescheitert, daß es die klein­bürgerlichen französischen   Bauunternehmer in der Provinz noch zu ehrlich mit ihrem Patriotismus halten. Aber wie lange noch?# Aus der Textilarbeiterbewegung. Die deutschen Textilarbeiter müssen das Elend der Krisis austosten bis auf die Neige. Mehr als drei Jahre leidet nun die Arbeiterschaft mit furzer Unter­brechung unter Verdienstrückgang und Arbeitslosigkeit, und noch immer scheint Besserung nicht in Aussicht zu stehen. Das Hungern geht weiter, und das Hungern setzte ein mit dem ersten Tage, an welchem die Produktion eingeschränkt wurde. Achtlos geht die ge­sättigte Gesellschaft vorüber an den Opfern ihrer überlebten Bro duktionsweise. Der Drang der Geschäfte läßt feine Zeit zum Um­schauen, und die Wunden des Hungers darf man nicht schauen auf offener Straße. Im Verborgenen nur, in abgeschlossenen Winkeln proletarischer Quartiere wird das Brennen und Bluten der Wunden verspürt. Mittellos, ohne Reserven, zurückgelegt in der Zeit flotter Beschäftigung, trat der Proletarier in die Zeit der Krisis. Trotz höheren Geldlohns war schon in der Hochkonjunktur seine Lebens­lage infolge einer verbrecherischen Raubpolitik der Herrschenden schlechter geworden. Unermeßliche Reichtümer hatte er geschaffen er hatte sie erschaffen für andere. Und diese anderen, fie fönnen nun die Tage der Krise überstehen, ohne die furchtbaren Schmerzen des Mangels am Leibe empfinden zu müssen. Die Reserven sichern noch immer Dividende. Wie groß die von den Arbeitern ge= schaffenen Werte sind, beweist ein Blick auf die Baumwollspinne­reien Sachsens  .

Sachfen hat 52 Baumwollspinnereien exklusive der Spinnereien für Vigogne, 14 Spinnereien werden als Aktiengesellschaften be­trieben. Diese 14 Attienschaften, von denen einige erst in den letzten Jahren gegründet wurden und demzufolge zunächst nur wenig Rein­gewinn machen konnten, haben ein Aktienkapital von 20700000 Mt. Dieses Kapital brachte für die Jahre 1905 bis 1909 13 255 175 Mt. Gewinn. Sie zahlten weiter 2151575 Mt. Tantieme an Direktoren und Aufsichtsräte. Das gibt zusammen einen Jahresdurchschnitts­ertrag von 3081380 Mt. und entspricht einer Verzinsung des Kapitals von 14,8 Prozent. Damit ist der Gewinn noch nicht er­schöpft. Es kommen hierzu hohe Abschreibungen und Rücklagen zu besonderen Fonds. Diese Fonds( Spezialrefervefonds, Dividenden sonds usw.) betrugen 1909 4507 801 Mr. Auf die Spindel berechnet, ergibt sich ein Gewinn von 3,48 Mt. In Sachfen laufen auf reiner Baumwolle 1592763 Spindeln. Den Durchschnittsspindelertrag der Aktiengesellschaften zugrunde gelegt, ergibt sich für die sächsischen Baumwollspinnereien ein jährlicher Durchschnittsreingewinn von 5542815,24 Rt. Das sind außerordentlich hohe Profite. Dabei sind die schlechten Jahre 1908 und 1909 mit eingerechnet. Und neben den Baumwollspinnereien gibt es noch Branchen, die gleich gut profperieren, so die Kammgarnspinnereien und webereien, es gibt Branchen, welche noch mehr Gewinn ergeben, wie die Tüllfabri­tation usw.

Die Scheuern der Unternehmer sind gefüllt, nur der Arbeiter darbt. Dabei benutzt man noch die Not der Zeit, um dem Prole­tarier zu beweisen, daß seine Flügel beschnitten sind. Es regnet Strafen und Lohnabzüge. Ein Weber in Reichenberg i. Schl. hatte ein Stück gewebt, der Lohn betrug 1,17 Mf., die Strafe aber 1,30 Mt. Er mußte 13 Pf. zulegen. Ein anderer wurde mit 5 Mt. gestraft. In einer Fabrik Seidenbergs bei Görlitz   bekommen die Arbeiter, wenn sie 25 Jahre dort beschäftigt sind, aus einem Fonds 500 Mt. Es ist selbstverständlich längst verdienter Lohn. Eine alte Arbeiterin hat 25 Jahre lang ihre beste Kraft dort verbraucht. Sie freut sich, im Januar die 500 Mt. zu bekommen. Im Dezember wird sie ohne Grund entlassen. Einen Blick in die Strafwerkstatt des Werkmeisters einer Seidefabrit läßt ein in unseren Händen be­findliches Strafbuch tun. Da heißt es unterm 6. März: Kolb, Johann, zwei Leinen kaputt gemacht durch Faulheit, 50 Pf." Am 15. Februar: Kopp, Ludwig, schreibt alles falsch auf, 50 Pf." Am 12. Januar: Häderlin, Georg, Faulheit und streitet immerwährend, 50 Pf."