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Die Gleichheit
in Mary Wollstonecraft ihre theoretische Begründerin gefunden, in den Kämpfen um das allgemeine Wahlrecht zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts ihre Blutzenginnen. Während der großen französischen Revolution forderte die reichbegabte Olympe de Gouges in einer hinreißenden Rhapsodie der naturrechtlichen Ideologie für die Frauen volles Bürgerrecht als Menschenrecht. Sie und Rose Lacombe organisierten die Frauen, auf daß sie als geschlossene Macht die Gesetzgebung, das brandende Meer der politischen Ereignisse zu beeinflussen und ihr eigenes Recht zu erkämpfen vermöchten. Die ersten politischen Frauenvereine blühten empor, umschlossen zumal in Paris bald Tausende von Mitgliedern und suchten mit leidenschaftlichem Ungestüm wenn auch mit unsicher tastender, ungeschickter Hand das geschichtliche Tagesgetriebe einzugreifen.
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In Deutschland dagegen ertönte damals aus der Frauenwelt selbst kein lauter, zorn- und gerechtigkeitsbebender Ruf nach der politischen Emanzipation des weiblichen Geschlechts. Und das obgleich es am Ausgang des achtzehnten und zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts nicht an hochragenden Frauengestalten fehlte, die, von den freiheitlichen Ideen der flassischen Kunst und Philosophie jener Zeit genährt, Religion, Ehe, Familie usw. vor den Richterstuhl ihrer Vernunft zogen und in ihrem persönlichen Leben wie in ihren literarischen Be fenntnissen allen sozialen Bindungen das Recht des Weibes als Recht der Individualität entgegenstellten. Es ist bezeichnend, daß die bedeutendste und reisste dieser Frauen, die geistreiche Rahel, sich gleichsam nur im stillen Kämmerlein für die volle Gleichstellung ihres Geschlechts aussprach. Die Berechtigung der Forderung hat sie bereits 1819 in die Worte gefaßt:„ Es ist Menschenunkunde, wenn die Leute sich einbilden, unser Geist sei anders und zu anderen Bedürfnissen konstituiert, und wir könnten ganz von des Mannes oder des Sohnes Existenz mitzehren." Rahels vielseitige Bildung und Geistesschärfe verleugnete sich auch darin nicht, daß die Lehre Saint- Simons, welche die Gleichberechtigung der Geschlechter verkündete, eine tiefe und nachhaltige Wirkung auf sie ausübte. 1832 bezeichnete fie in einem Briefe an Heinrich Heine den utopischen Sozialismus des genialen Franzosen als das neue, groß erfundene Instrument, welches die große alte Wunde, die Geschichte der Menschen auf der Erde, endlich berührt". Sein Ziel war das ihre:„ Die Erde verschönern: mein altes Thema. Freiheit zu jeder menschlichen Entwicklung: ebenso."
Die Forderung der Gleichwertung und Gleichstellung der Geschlechter, ein hervorstechender Charakterzug des utopischen Sozialismus, erklingt in Deutschland erst zu der Losung vollen Bürgerrechts für die Frauen, als die revolutionäre Flutwelle anschwillt, die sich 1848 donnernd gegen die feudale Ordnung erhebt. Revolutionäre Zeiten bringen den Frauen zum Bewußt-sein, daß das Heim teine in sich abgeschlossene Welt ist, in deren Frieden sicher hausen wäre; es gleicht höchstens einem Gemach innerhalb des großen Baues der Gesellschaft. Wenn dieser Bau in seinen Fugen kracht, wenn seine Balken zu bersten drohen, wenn die lohenden Flammen durch seine Mauern rasen: dann empfinden auch die Frauen die gesellschaftlichen Zusammenhänge, die des einzelnen Los im Guten und Schlimmen mit dem Geschick einer Gesamtheit, die die Familie mit dem Staate verbinden. Und mit ihrer und der Ihrigen Abhängigkeit von den gesellschaftlichen Gewalten erkennen sie das schreiende Unrecht, daß ihnen das politische Recht und damit Macht mangelt, diese Gewalten zu lenten und zu gestalten. Deshalb hat die Revolution allzeit die Frauen als Kämpferinnen in die Ge schichte eingeführt, deshalb haben die bürgerlichen Revolutionen den sonst Stummen die Zunge gelöst und den Mut der Recht begehrenden verliehen. In der gärenden, brausenden Zeit des Vormärzen, als der Feuertrunk revolutionärer Ideen in dem Blute der jungen deutschen Bourgeoisie rumorte, begannen auch die Frauen das Recht und die Pflicht zu heischen, als Vollbürgerinnen das Gemeinwohl zu fördern. 1844 wurde in Robert Blums Vaterlandsblättern" die Frage aufgeworfen: Haben auch die Frauen ein Recht zur Teilnahme an den Interessen des Staates?"„ Ein sächsisches Mädchen" bejahte die Frage in
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einem Artikel, der in dem Sake fulminierte:" Die Teilnahme an den Interessen des Staates ist nicht allein ein Recht, sie ist eine Pflicht der Frauen." Das sächsische Mädchen, das dem Sehnen der fortgeschrittensten ihres Geschlechts Ausdruck gab, war Luise Otto , eine Begründerin der bürgerlichen Frauens bewegung und bis an ihr Ende eine treue Bekennerin der Demokratie, für die sie in ihrer Jugend gekämpft und gelitten hat. Die Ereignisse bewahrheiteten ihr Wort:„ Wenn die Zeiten gewaltsam laut werden, so kann es nicht fehlen, daß auch die Frauen ihre Stimme vernehmen und ihr gehorchen."
Die Frauen werden hervorragende Trägerinnen der deutschfatholischen Bewegung, in der ein Teil der bürgerlichen Revolutionsbestrebungen Leben und Gestalt gewinnt. Sie gründen zur Förderung dieser Bewegung eigene Vereine, find aber auch in den deutsch - katholischen Gemeinden vollberechtigte Mitglieder. Ronge ruft die Frauen auf, auch sie müßten ihr Teil am Kampf der Weltgeschichte fordern". Malwida v. Meysenbug, die große Jdealistin, der Besten eine, vertritt wie andere ihr Gleichgesinnte die Auffassung: Wie könnte ein Volt sich selbst regenerieren und frei werden, wenn seine eine Hälfte ausgeschlossen wäre von der sorgfältigen, allseitigen Vorbereitung, welche die wahre Freiheit für das Volk ebensowohl wie für die Individuen verlangt." In Hamburg entsteht um den Preis großer Opfer eine Hochschule für Frauen, die dieser Vorbereitungsarbeit dienen soll. Frauen treten in wachsender Zahl in die eigentliche politische Bewegung ein. In Sachsen und anderwärts folgen sie in der Kammer mit leidenschaftlicher Aufmerksamkeit den Verhandlungen, sie sind die begeisterten Teilnehmerinnen der politischen Feste, ihr schwärmerischer Enthusiasmus für die Sache der Demokratie befeuert die Dichter und ist unzweifelhaft von Einfluß auf die revolutionäre Lyrik der Zeit. Ausschüsse und Organisationen der Frauen zur Unterstützung der Freiheitsbestrebungen, später zur Unterstützung der revolutionären Kämpfer sprießen in großer Zahl empor. Eine Frau ruft den Frauen zu:„ ein Schwert in Myrthen zu tragen," wenn die Männer feige sünd'gen durch Zagen an dem Geist der Zeit." Frauenblicke tauchen in die Abgründe des sozialen Elends hinab, das die bedrängte zünftige Produktion und der sich reckende Kapitalismus über die Massen bringen und nicht zuletzt gerade über die Frauen des werktätigen Volkes. Luise Otto wird zur mutigen, nimmer verstummenden Sachwalterin der Spitzenklöpplerinnen und anderen Arbeiterinnen bei der sächsischen Regierung, vor der Öffentlichkeit. Ihre Losung vollen Bürgerrechts für die Frau paart sich mit ihrem Verlangen nach einer nationalen " Organisation der Arbeit", die auch der Lebensnotwendigkeit ihres Geschlechts gerecht wird, eine Forderung, die den Geist des utopistischen Sozialismus atmet. Frauen verfechten die Freiheitsforderungen literarisch, sie fehlen auch dort nicht, wo es zu revolutionärem Kampfe zwischen den absolutistischen Staatsgewalten und den politisch entrechteten Volksmassen kommt, und wie zu Heldinnen, so werden sie zu Märtyrerinnen ihrer demokratischen überzeugung. Die bürgerliche Revolutionszeit ruft die erste politische Frauenzeitung Deutsch lands ins Leben, die Luise Otto 1849 mit dem stolzen Motto erscheinen läßt:„ Dem Reich der Freiheit werb' ich Bürgerinnen", und die 1852 als ein Opfer der Reaktion fällt, die dem Verrat des Bürgertums an der Revolution auf dem Fuße folgte. Der furze Sieg der Demokratie über den Absolutismus im März 1848 ist auch Frauenwerk gewesen, und mit dem Proletariat zusammen sind die Frauen von der Bourgeoisie um ihr Recht betrogen worden.
Die Geschichte des Kampfes für das politische Bürgerrecht des weiblichen Geschlechts lenkt zwingend den Blick auf den politischen Verfall der deutschen Bourgeoisie. Hoffnungsfreudig muß er sich der Klasse zuwenden, die aus der Nacht und Not der Fabriken ins Licht der Geschichte emporsteigt. Ein neuer Märzenfrühling des demokratischen Gedankens ist angebrochen. Das klaffenbewußte Proletariat trägt ihm unter Führung der Sozialdemokratie das Banner voran, auf dem auch die Forde rung vollen Bürgerrechts für das Weib prangt. Der 19. März besiegelt das Bündnis, das im Ringen für das volle Necht