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Die Gleichheit

Unterhalt geben, der nach einem Leben voll schwerer Arbeit und fargen Lohnes nichts mehr erwerben kann. Wenn Herr Dr. Weymann und die Geistlichen, denen er seine Vorträge hält, hierbei mitwirken, so bewahren sie die fittlichen Anschau ungen der Arbeiterklasse nicht nur vor den großen Gefahren", die die jetzigen Einrichtungen der Arbeiterversicherung mit sich bringen, sondern sie helfen auch dazu, daß der Staat sich durch von ihm geschaffene Einrichtungen mehr als bisher seiner hilfs bedürftigen Mitglieder annimmt". Nach den Motiven des ersten Entwurfs zum Unfallversicherungsgesetz ist das eine Pflicht der Humanität und des Christentums, von denen die staatlichen Einrichtungen durchdrungen sein sollen".

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Der geplanten Hinterbliebenenversicherung tut eine sehr er­hebliche Erhöhung ihrer Leistungen not, wenn sie dem Gcifte der Humanität und des Christentums entsprechen soll. Ge­schieht das nicht, so wird so wenig an dem skandalösen Zustand geändert, daß die Hinterbliebenen eines durch einen Unfall Ge­töteten auf Grund des gewerblichen Unfallversicherungsgesetzes einigermaßen versorgt sind, während die Hinterbliebenen eines nach langer Krankheit Gestorbenen leer ausgehen, dessen Pflege vielleicht den letzten Spargroschen aufgezehrt und das letzte entbehrliche Stück ins Pfandhaus hat wandern lassen. Es ist tief beschämend, daß die Arbeiterversicherung der Gattin und Mutter auch nur den Vergleich nahelegt zwischen der Unter­ftügung für sich und ihre Kinder nach dem plötzlichen Tode des Gatten infolge eines Betriebsunfalls eine Unterstützung, die nicht immer ausreicht, aber doch ins Gewicht fällt und der absoluten Unversorgtheit, wenn der Tod des Ernährers durch eine Krankheit herbeigeführt ist. Ob dieser Stand der Dinge dem Geiste des Christentums entspricht, möchten wir bezweifeln. Wäre es ein Wunder, wenn in Momenten der Verzweiflung beim Anblick ihrer hungernden Kinder einer Witwe der Ge danke kommt, daß es besser gewesen sein würde, der Mann wäre bei seiner Arbeit einem Unglück zum Opfer gefallen, statt nach langer Krankheit zu sterben? Die Forderung der Sozial demokratie nach ausreichender Fürsorge für die Hinterbliebenen von Arbeitern, ganz gleich, ob der Tod des Ernährers durch einen Betriebsunfall oder im natürlichen Verlauf der Dinge eingetreten ist, entspricht sicher dem Christentum mehr als die Einrichtungen des" chriftlichen Staates". Johannes Heiden.

Frauenwahlrecht oder Damenwahlrecht?

Sollen wir als Kämpferinnen für das Recht des gesamten weiblichen Geschlechts unter allen Umständen das allgemeine Frauenwahlrecht fordern oder uns vielmehr darauf beschränken, das Frauenwahlrecht zu verlangen unter den gleichen Bedin gungen, wie es die Männer befizen? Die Frage ist wichtig, und die Antwort fann für jeden, der auf dem Boden der sozia­ listischen   Erkenntnis steht ob Weib, ob Mann-, gar nicht zweifelhaft sein. Im Gegensatz zu den bürgerlichen Frauen rechtlerinnen müssen wir Sozialisten betonen, daß wir das all­gemeine Frauenwahlrecht heischen und das Damenwahlrecht als eine Machtstärkung der Besitzenden und eine Schädigung der Arbeiterklasse zurückweisen.

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Wir dürfen die Frage des Frauenwahlrechts nicht für sich allein, losgelöst von den gesellschaftlichen Zusammenhängen be trachten. Wir müssen sie prüfen, wie sie sich in einer Klassen­gesellschaft darstellt, die von dem Gegensatz zwischen ausbeuten dem Kapital und ausgebeuteter Arbeit beherrscht wird. Tun wir das, so zeigt sich flar, daß hier nicht bloß eine Frage der Tattit vorliegt, sondern eine solche des Prinzips, die von ein­schneidender Bedeutung für die Praxis des Klassenkampfes ist. Die Besitzenden haben einen sehr regen Klasseninstinkt, ein klares und festes Klassenbewußtsein, die Proletarier müffen erst zu diesem Klassenbewußtsein erzogen werden. Als Klaffe unter stützen die Kapitalisten in unseren Tagen teine Reform, die ihre Macht untergräbt. Leider können wir das gleiche nicht Leider können wir das gleiche nicht immer von den Proletarierinnen sagen. In England zum Bei spiel haben Vertreter der Arbeiter die sogenannte Versöhnungs­

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bill" befürwortet, obgleich diese nur etwa einem Zehntel der großjährigen Frauen das politische Wahlrecht gebracht hätte und darunter wiederum nur ganz wenigen Proletarierinnen. Die Bedingungen, an die der Besitz des Wahlrechts gelnüpft sein sollte, waren in der Hauptsache auf den Vorteil der besitzenden Klassen zugeschnitten. Ihre Wirkung mußte die sein, die er­drückende Mehrzahl der Arbeiterinnen und Arbeiterfrauen nach wie vor rechtlos zu belassen. Der Stimmzettel in der Hand der reichen Damen aber hätte lediglich einer Machtstärkung der besitzenden Klassen gedient und wäre ein Mittel zur Befestigung ihrer Herrschaft geworden.

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Nichts ist törichter als die Behauptung, daß alle Frauen die gleichen sozialen Interessen haben, und daß daher die reichen Damen als Frauen mittels ihrer Stimmzettel Reformen zugunsten der Arbeiterklasse oder auch nur zugunsten der Arbeiterinnen und Arbeiterfrauen unterstützen würden. Die Proletarierinnen dürfen sich durch solches Gerede nicht täuschen lassen. Die Frauen der besitzenden Klassen gebrauchen genau so wie die Männer ihre politischen Rechte im Interesse eben dieser Klassen, so wie sie es verstehen. Ich weiß das aus persönlicher Erfahrung, weil meine Heimat Kolorado   in den Vereinigten Staaten  - ein Land ist, wo das allgemeine Wahlrecht aller Groß­jährigen ohne Unterschied des Geschlechts besteht. Gewiß, daß die Frauen die Neigung haben, sich bei ihren politischen Ent scheidungen durch sentimentale Erwägungen leiten zu lassen. Jedoch nur so lange, als ihre ökonomischen Klasseninteressen nicht auf dem Spiele stehen. Sobald es in der Politik um Dollars und Cents geht, stimmen und handeln die reichen Damen genau so klassenbewußt wie die reichen Herren. Diese Damen rufen zum Schutze ihres Eigentums" so rasch nach der be­waffneten Macht, welche Streifende niederknallen soll, wie die Herren Kapitalisten das zu tun pflegen. Die deutschen Genos­finnen haben sicherlich seinerzeit von dem furchtbaren Gruben­unglück zu Cherry im Staate Illinois   gehört, bei welchen 485 Bechenproletarier lebendig begraben wurden. Die Frauen der. Verschütteten sammelten sich um die Grube und flehten die Wertbeamten an, sofort nachforschen zu lassen, ob Anzeichen dafür vorhanden seien, daß vielleicht manche der Berunglückten noch lebten, beziehungsweise sofort mit Rettungsversuchen zu beginnen. Man kann sich die herzzerreißenden Szenen vorstellen, die sich dabei abspielten. Zu den Minenbefizern, deren Profit­gier einen großen Teil der Schuld an dem entsetzlichen Un

glück trug, gehören auch Frauen. Mit eigenen Ohren hörte ich, daß in dem geschilderten Augenblick eine dieser Damen  - die Besitzerin vieler Grubenaftien- ausrief: Diese Weiber machen sich der Ruhestörung schuldig, wir werden das Militär requi­rieren und ihnen lehren, wie sie sich zu benehmen haben." Die reiche Aktionärin wußte sehr genau, daß die Grubengesellschaft für die Katastrophe hastbar gemacht werden sollte. Es kam ihr daher darauf an, durch das Einschreiten von Militär der sogenannten öffentlichen Meinung mit der Vorstellung gruselig zu machen, die Frauen der Kohlengräber stürzten die heilige kapitalistische Ordnung um. Die Armsten! Sie dachten in dem Augenblick nur daran, daß die Einfahrt zu den Schachten ge­öffnet und versucht werden solle, noch lebende Opfer des Un­glücks aus ihrem Grabe zu befreien. Als in Kolorado   die in der Western Federation of Miners( Verband der Bergarbeiter des Westens) organisierten Lohnsklaven des Grubenkapitals streiften und der Gouverneur des Staates gegen sie Militär nach Cripple Creek und Telluride   schickte, hat auch nicht eine einzige Gattin eines Grubenherrn ihre Stimme gegen das blutige Unrecht erhoben, das den Arbeitern dadurch angetan wurde.

Die Proletaricrinnen haben ein gemeinsames Klasseninter esse, das sie mit den Männern des Proletariats verbündet, und das ist mächtiger, zwingender als ihre Zugehörigkeit zu dem weiblichen Geschlecht. Sie bedürfen ihrer vollen politischen Gleichberechtigung vor allem, um gegen die besitzenden Klassen zu kämpfen und die Befreiung der Arbeiterklaffe zu erringen. Der Kampf für das Recht des Proletariats gilt auch dem Recht, der Befreiung des gesamten weiblichen Geschlechts. Wer sich zum Sozialismus bekennt, der muß daher auch für das allge­