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Die Gleichheit
Das Streitbrechervermittlungsgeschäft treibt sonderbare Blüten. Eine berühmte Streifbrecherlieferungsfirma empfiehlt ihre Ware nach Art der Geheimmittellieferanten in besonderen Prospetten und ergeht sich dabei auch in schwülstigen Anpreisungen, wie sie in solchen Rellamen üblich sind. Internationaler Arbeitsnachweis, größtes Bureau Deutschlands für Streifangelegenheiten, so nennt sich diese Firma und bezeichnet als Spezialität ihres Betriebs: Beschaffung von Arbeitswilligen bei Lohnlämpfen. In marktschreierischer Weise versichert sie, daß fie innerhalb acht Tagen 8000 Leute stellen und auf telephonischen Anruf jede gewünschte Zahl vermitteln könne, daß sie in zwei Jahren bei 40 größeren Streits 5000 Hingebrüder nachgewiesen habe usw. Abgedruckte Dantesschreiben von Unternehmern sollen als Referenzen und als Beweise dafür dienen, daß der Apparat zur Niederzwingung, meuternder" Lohnsflaven vorzüglich funktioniert. Das Unternehmen beleuchtet nicht bloß die niederträchtige Sache, der es dient, sondern dadurch auch das Wesen des Kapitalismus selbst. Wie den Unternehmern jedes Mittel recht ist, die Ausgebeuteten daniederzuhalten, so gibt es unter der ihnen heiligen Ordnung auch kein " Geschäft", das nicht des Profits wegen nach dem Grundsatz unternommen würde:„ Geld stinkt nicht." Eine Hand wäscht die andere bei dem sauberen Geschäft der Streitbrecherlieferung. So ist zum Beispiel bekannt geworden, daß ein großer Betrieb der Metallindustrie eine von Streit bedrohte Gasanstalt auf eine Firma für Streifbrecherlieferung aufmerksam machte. Mit der Ausbreitung und dem Erstarken der Gewerkschaften wird natürlich die Suppe für Biedermänner der Art versalzen. Auch ihre Brüder im Geiste, die Gelben, eilen trotz aller Unterstützung durch die Unternehmer von Niederlage zu Niederlage. In Magdeburg , einer ihrer Hochburgen, ist eine Massenflucht aus dem Wertverein der Gelben auf dem Grusonwert eingetreten. Und auch die Magdeburger Straßenbahngesellschaft hatte mit der Gründung eines gelben Vereins wenig Glück. Letzten Endes wird durch solche Manöver der Scharfmacher nur dem Organisationsgedanken und der Arbeiterbewegung vorgearbeitet. Es leben unsere Freunde, die Feinde!# Aus der Textilarbeiterbewegung. Ein für die Weiterentwick lung der Textilarbeiterbewegung in Reuß a. 2. bedeutungsvoller Kampf wurde am Sonnabend mit Erfolg für die Arbeiter zum Abschluß gebracht. In Greiz befindet sich eine Filiale der großen Färberei und Appreturanstalt Georg Schleber. Das Hauptgeschäft ist in Reichenbach i. V. Die Firma gehört zu den bedeutendsten und gut rentierenden der Branche. Sie wurde 1847 gegründet und hat seit 1891 die Form einer Aktiengesellschaft. Die Attien sind im Besitz der Familie Schleber . Trotz ausgezeichneter Rentabilität war die Entlohnung der Arbeiter bisher eine elende. Organisationsbestrebungen der 2000 beschäftigten Proletarier wurden von den Kommerzienräten Schleber nicht geduldet. Viele Arbeiter mußten im Laufe der Jahre das Verbrechen solcher Bestrebungen mit Hunger büßen. Schleber war Herr im Hause". Der Textilarbeiterverband konnte lange gegen diesen Herrenstandpunkt nicht auffommen. Trotz alledem wurden unausgesetzt die Schleberschen Arbeiter auf die Möglichkeit einer Befferung durch gemeinsames Handeln hingewiesen, und schließ lich tam auch dieser Stein ins Rollen, mitgeschoben durch zunehmende Verschlechterung der Arbeiterlage infolge der Wucherpolitik der Regierung. Überstunden sind bei der Firma Schleber an der Tagesordnung. Vor etwa vierzehn Tagen verweigerte nun die Arbeiterschaft ganz plöglich jede Überstunde. Eine Woche verging. Da tam ein Anschlag des Herrn Schleber, wonach der Lohnfaz für jede Überstunde um weitere 5 Pf. erhöht werden sollte. Er betrug nun je nach der Lohntlaffe 30, 83 und 35 Pf. Die Arbeiter verweigerten aber auch jetzt noch jede Überstunde. Sie verlangten nun die Erhöhung der Stundenlöhne überhaupt um 3 Pf. Am 28. Februar wurde eine Lohnkommission vorstellig. Nach alter Gewohnheit wurde sie vom Kommerzienrat turzerhand abgewiesen. Und siehe da: die zum großen Teil nicht organisierten Arbeiter antworteten mit Streif. 800 Personen, darunter 300 weibliche, legten die Arbeit nieder. Die Kommission wurde wiederum vorstellig, Herr Schleber wies sie wiederum ab. Der erste Bürgermeister von Greiz ist mit Schleber verwandt, dafür übernahm der zweite die Vermittlerrolle. Der Herr Kommerzienrat lehnte auch jetzt Verhandlungen ab.„ Alle Arbeiter, die heute früh zur Arbeit in seiner Fabrit nicht angetreten seien, wären entlassen und daher nicht mehr seine Arbeiter." Die 800 Streifenden waren im Taglohn schaffende Arbeiter. Nun kamen auch die Affordarbeiter in Bewegung. Diese verhandelten mit Schleber für die Taglöhner. Herr Schleber wollte jetzt zulegen, aber nur den jenigen, die„ würdig wären". Die Arbeiter lehnten das ihrerseits ab. Herr Schleber merkte: Es geht nicht mehr wie sonst immer. Die Gärung war zu groß. Am 3. März machte er der Affordarbeiterfommission folgendes Zugeständnis:
Nr. 12
" Von den Forderungen der Arbeiterschaft sind wir bereit, fol gendes zu bewilligen: Es wird der Mindestlohn, der bisher 2,40 Mt. war, auf 2,55 Mt. erhöht, der von 2,50 Mt. auf 2,65 Mt. Selbstverständlich bekommen Arbeiter, die noch nicht sechs Monate im Betriebe sind, 10 Prozent weniger. Die Überstundenlöhne sollen sein, wie bereits am 24. Februar bewilligt, für die Lohntlasse bis 2,20 Mt. 30 Pf., bis 2,40 Mt. 33 Pf., über 2,40 Mt. 35 Pf. Färberei und Appreturanstalten Georg Schleber, Aktiengesellschaft. G. Schleber."
Schon diese Zugeständnisse zeigen, wie elend die Löhne sind. Trotz alledem war es ein Aft der Klugheit und durch die Situation geboten, den Kampf jetzt abzubrechen. Die Arbeiter haben das einstimmig beschlossen. Zum erstenmal stand Schleber eine geschlossene Arbeiterschaft als Ganzes gegenüber. Die Arbeiter haben die Möglichkeit des Erfolges gesehen. Der Gedanke der Organisation wird die Röpfe mehr als bisher beherrschen und die elenden Löhne müſſen, wenn dem Gedanken die Tat folgt, allmählich sich bessern. Daß der christliche Textilarbeiterverband, wie seinerzeit in Forst, auch hier wieder jene treffend als„ Salunkenpolitit" bezeichnete Taftil ein schlug, die Arbeiter zum Weiterkämpfen zu veranlassen, sei nebenbei bemerkt. Die Christen" verbreiteten am Tage des Streifabbruchs ein Flugblatt mit den Worten:„ Haltet aus! Das ist die Parole. Selten kann die Situation so günstig sein wie gerade jetzt." Geholfen hat es den braven Christen nichts. Die Arbeiter handelten einmütig entsprechend dem Nate des Deutschen Textilarbeiter verbandes.
h. j.
In der Holzindustrie ist der 1. März und damit der endgültige Ablauf einer Reihe von Tarifverträgen herangelommen, ohne daß bis dahin deren Erneuerung zustande gekommen wäre. In Liegnis haben die Arbeitgeber die von den Verbandsvorständen beider Parteien beschlossene Verlängerung der Verträge bis zum 1. März nicht einmal anerkannt, und bereits am 18. Februar wurden dort die Bautischler ausgesperrt. Auch die Arbeitgeber in Forst und in Kelkheim fündigten ihren Arbeitern zum 4. März, nachträglich haben sie jedoch das Arbeitsverhältnis für die Dauer der schwebenden Verhandlungen verlängert. Die Arbeiter waren zwar in vielen Orten äußerst ungehalten über die Verzögerung der Vertragsverhandlungen durch die Arbeitgeber, haben aber trotzdem die Vereinbarungen ihres Verbandevorstandes überall respektiert. Erst am 1. März, als bei Eintritt des Ablauftermins immer noch keine Einigung erzielt worden war, traten die Holzarbeiter der meisten Betriebe in Bremen sowie einiger Werkstätten in Chemnitz und Breslau in den Ausstand. Die zentrale Verhandlungsfommission beider Parteien, die seit dem 23. Februar in Berlin versammelt ist, hat nun den einzelnen Orten den Wunsch übermittelt, daß bis zum Abschluß ihrer Verhandlungen weitere Streits und Aussperrungen nicht eintreten möchten. Die gegenwärtig in Berlin stattfindenden Einigungsverhandlungen haben sich bisher noch als wenig fruchtbringend erwiesen und drohten bereits mehrmals zu scheitern. Bei Abschluß dieses Berichts sind erst wenige Orte zu einem endgültigen Ergebnis gelangt, doch hat es den Anschein, als ob sich für die meisten Orte eine friedliche Verständigung erzielen ließe. Jedenfalls tann schon in der nächsten Nummer über den Ausgang sämtlicher Tarifverhandlungen berichtet werden. Die Verhandlungen vor der Kommission in Berlin gehen in der Weise vor sich, daß die geladenen Parteien der einzelnen Orte ihre Forderungen in bezug auf die Arbeitszeit begründen und die Erklärung abgeben, sich einem Schiedsspruch der Kommission unterwerfen zu wollen. Diese Erklärung liegt inzwischen von allen Orten mit Ausnahme von Liegnig vor, aus welchem Orte überhaupt keine Bertreter zur Verhandlung erschie nen sind, da sich die dortigen Arbeitgeber ihrem Zentralvorstand nicht fügen wollen. Über die Lohnhöhe und die sonstigen Bestim mungen der neuen Tarifverträge verhandeln die örtlichen Organi fationen unter sich und die Frage der Lohnerhöhung ist bisher nur in Ausnahmefällen der zentralen Kommission überwiesen worden. In Hamburg , wo die Unternehmer dem Arbeitgeberschutzverband nicht mehr angehören, sondern eine lolale Organisation besitzen, ist eine Verständigung über einen neuen Vertrag bis jetzt auch noch fk, nicht erreicht worden.
Aus der Gewerkschaftsbewegung in Russisch- Polen. Von einer außerordentlich interessanten Lohnbewegung ist zu melden. Ju allen größeren Städten Russisch - Polens , mit Ausnahme von Warschau - so in Lodz , Dombrowa , Ezenstochau, Zawierce, Sosnowice und Bendzin, ruht seit Anfang Februar die Arbeit in den Apotheken. Die Stehkragenproletarier" des Apothekergewerbes, vom Lehrling bis zum Provisor, haben geschlossen den Kampf um jene besseren Arbeitsbedingungen aufgenommen, welche fie 1905, im herrlichen Jahre der Revolution, errungen hatten, die