Nr. 12

Die Gleichheit

Frauenwahlrechts entgegenzustellen. Erst als im Storthing alle entsprechenden Anträge und Aftionen vergeblich blieben, stimmten auch die sozialdemokratischen Abgeordneten der Einführung des beschränkten Frauenwahlrechts zu. Zweitens aber, und das ist sehr wesentlich, hatte dieses Zenfuswahlrecht trotz seiner Unvollkommen heit denn doch ein weit demokratischeres Gesicht als alle die vers schiedenen Limited Bills", die das englische Parlament beschäftigt haben, die letzte Versöhnungsbill" einbegriffen. Das Wahlrecht war an tein hohes Einkommen gebunden 400 Kronen in den Städten, 300 auf dem Lande- und wurde durch die Bestimmung erweitert, daß auch das versteuerte Einkommen des Ehemanns der Ehefrau zugute zu rechnen sei. In der Folge erhielt über die Hälfte aller großjährigen Frauen Norwegens mehr als 300000 von zirka 550000- zunächst 1901 ihr Bürgerrecht in der Gemeinde, dann 1907 zum Storthing. Das ist denn doch immerhin eine andere Abschlagszahlung auf das Recht des gesamten weiblichen Geschlechts, als sie die plutokratische, mittelalterlich verzopfte Versöhnungs bill" gewähren wollte, die nur gegen ein Zehntel der großjährigen Engländerinnen die politische Gleichberechtigung gebracht hätte. Drittens endlich hat Norwegen im Gegensatz zu England feinen hochentwickelten fapitalistischen Klassenstaat, dafür aber eine starte fleinbürgerliche und fleinbäuerliche Demokratie. Daher durfte man erwarten, daß bei dem andauernden Drängen der arbeitenden Bevölkerung und zumal der arbeitenden Frauen selbst ein so ge­staltetes beschränktes Frauenwahlrecht bald durch ein allgemeines abgelöst werden mußte. An diesem Drängen haben es aber weder die Arbeiterpartei noch innerhalb ihrer Reihen die Genossinnen fehlen lassen. Insbesondere hat der Frauenverband der Sozial­demokratischen Arbeiterpartei eine unablässige Agitation für das allgemeine Frauenwahlrecht unter die Massen getragen. Zahllose Versammlungen, Demonstrationen hat er der Forderung dienstbar gemacht, u. a. auch alljährlich den großen Freiheitstag der Norweger, den 17. Mai. Die sozialdemokratische Agitation hat das allgemeine Frauenwahlrecht zu einer Forderung der Massen gemacht, so daß auch eine bürgerliche Partei sich veranlaßt sah, sie in ihr Programm aufzunehmen. Wohl oder übel mußte das Storthing 1910 das be­schränkte Frauenwahlrecht in der Gemeinde in das allgemeine ver wandeln, die gleiche Reform für das politische Frauenwahlrecht ist nur eine Frage der Zeit. In England, wo die beiden Parteien des großen Besitzes, die Konservativen und die Liberalen, die politische Macht halten, die ihnen von keiner kraftvollen fleinbürgerlichen Demokratie und keiner zielbewußten starken proletarischen Klassen tampfpartei streitig gemacht wird, trägt das Damenwahlrecht nicht bloß von vornherein einen reaktionären Charakter, sondern die Ent­wicklung der Dinge muß ganz anders verlaufen. Von anderen Ländern mit weit fortgeschrittener kapitalistischer Entwicklung gilt das gleiche. Das Damenwahlrecht würde hier vor allem als Mittel zur Machtstärkung der besitzenden Klassen und als Bollwerk gegen das allgemeine Frauenwahirecht dienen.

In Norwegen haben die Frauen mit dem Wahlrecht zugleich auch die Wählbarkeit erhalten. Bei den Storthingwahlen hatte die Sozialdemokratie zwei weibliche Kandidatinnen aufgestellt, die jedoch nicht durchgingen, ebensowenig wie die Kandidatinnen anderer Par teien. Nur als Stellvertreterin für den liberalen Abgeordneten Bratlie in Christiania wurde eine Frau gewählt: die Lehrerin Bogstad. Sie hat nun Aussicht, dieses Frühjahr im Parlament Sitz und Stimme zu erhalten, weil Herr Bratlie als höherer Militär­beamter durch häufige Dienstreifen in der Ausübung seines Man dats behindert ist. Letzten Herbst wurden 12 Genoffinnen in die Gemeindevertretungen gewählt. Soweit Frauen in die Gemeinde­räte, in die Verwaltung des Schul- und Armenwesens eingezogen find, haben sie sich durch ihre Leistungen als ebenbürtige Mits arbeiterinnen der Männer bewährt. Auch die Ausübung des Wahl­rechts durch die Frauen und ihr ernstes Interesse an den kommunalen und politischen Angelegenheiten bekunden, daß die norwegischen Frauen reis " für ihr volles Bürgerrecht sind. Die organisierten sozialdemokratischen Frauen wirken besonders für Reformen zu­gunsten der unehelichen und unversorgten Kinder, der Mütter und Säuglinge, der Volksbildung, die hauswirtschaftliche Erziehung der Mädchen einbegriffen, der Ehe- beziehungsweise Scheidungsgesetz­gebung usw.; sie tämpfen für die Verkürzung der Arbeitszeit, die Abschaffung der Nachtarbeit für Frauen, all das zusammen mit der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Mit ihr vereint führen sie auch den Kampf für die Umwandlung des beschränkten politischen Frauenwahlrechts in ein allgemeines. Sie wissen, daß ihnen der Sieg werden muß.

I. K. Ueber die Beteiligung der finnländischen Frauen au den Wahlen und die Zahl der weiblichen Parlamentsmit glieder verdanken wir Genossin Pärssinen die nachstehenden

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Angaben. Bei den Wahlen des Jahres 1909 wurden in den 16 Wahlkreisen Finnlands insgesamt 1305 093 Wahlberechtigte gezählt, darunter 623 205 Männer und 681 888 Frauen. Davon gebrauchten ihr Wahlrecht zusammen 852 051. Es gingen 439 296 Männer zur Urne, das ist 70,5 Prozent der männlichen Wahlberechtigten, und 412 755 Frauen, das ist 60,5 Prozent der weiblichen Wahlberech tigten. Die Zahl der Frauen, die ihr Wahlrecht ausübten, hatte bei der Wahl 1908 eine Kleinigkeit weniger betragen: 60,4 Pro­zent. In allen 16 Wahlkreisen blieb die Zahl der wählenden Frauen hinter derjenigen der wählenden Männer zurück, immerhin haben aber sogar in dem Kreise Lappmarken der von allen die geringste Wahlbeteiligung beider Geschlechter aufwies- 1909 statt 22,8 Prozent der weiblichen Wahlberechtigten wie 1908 deren 26,2 Prozent ihren Stimmzettel abgegeben. In den vier größeren Städten Finnlands stellte sich die Wahlbeteiligung wie folgt:

Männer

Frauen

1909

1909

1908

Helsingfors . Abo Tammerfors Viborg.

.

63,1

59,5

59,7

66,0

66,0

62,5

67,2

59,0

57,0

56,5

47,4

47,1

Der Gebrauch des Stimmzettels durch die Frauen hat also in allen großen Städten zugenommen, mit Ausnahme Helsingfors , wo er aber immerhin der Wahlbeteiligung der Männer nahekommt, und hat sie in Abo erreicht. Betrachtet man die Wahlbeteiligung in den einzelnen Gemeinden, so war sie hier und da außerordentlich stark und hoch über dem allgemeinen Durchschnitt überhaupt, der über 65 Pro­zent betrug. Das sozialdemokratische Organ Työmies" schrieb dazu am 2. Dezember 1909: Die Furcht, daß die Frau sich bei uns an den Wahlen nicht beteiligen werde, ist durch die Statistik als völlig hinfällig erwiesen. Die Statistit zeigt im Gegenteil, daß die Frauen sich in einigen Gemeinden noch lebhafter als die Männer an den Wahlen beteiligt haben. Dort, wo die Männer als Fischer und Schiffer ihrem Erwerb nachgehen, war die Beteiligung der Frauen viel größer. Die sommerliche Arbeit hielt die Männer den Urnen fern. In Wordöö gaben 48,9 Prozent Männer und 73,4 Prozent Frauen ihre Stimme ab, in Lumporlanni 65,1 Prozent Männer und 81,5 Prozent Frauen, in Westenfjörd 94 Prozent Frauen und 91,5 Prozent Männer." über die Wahlen seit 1909 fonnten wir leider keinen statistischen Überblick erhalten.

Frauen gehörten, beziehungsweise gehören als Abgeordnete der verschiedenen Parteien dem Landtag an:

Sozialdemokraten. Altinnen. Jungfinnen Schweden Kleinbauern.

1907 1908 1909 1910 1911

9

13

12

10

9

.

6

.

.

6

4

2

1

2

2

1

2

1

.

1

2

4

3

3

1

1

21

Summa 19 24

-

17 14

Weibliche Landtagsabgeordnete der Sozialdemokratie sind die Genossinnen: Anni Huotari, Jda Aalle, Hulda Salmi, Alma Jokinen, Hilda Herrala, Mimmi Kanerwo, Helena Natanen( neu erwählt), Anni Savolainen, Hilja Pärssinen. Ihre Kandidaturen zogen die beiden Genoffinnen zurück: Miina Sillanpää , die Organisatorin der Dienstboten, und die Sekretärin des Arbeiterinnenbundes, Aura Kiiskinen. Dadurch gingen den Frauen zwei Size in der Voltsvertretung ver­loren, denn beide Genofsinnen wären sicher gewählt worden. Unter den weiblichen Abgeordneten der Partei sind nur drei, die seit 1907 allen Volksvertretungen angehört haben, und zwar die Genofsinnen Pärssinen, Kanerwo und alle, die auch in der Partei bereits über zehn Jahre tätig gewesen sind. Die bürgerlichen Frauen scheinen fich müde aus dem Parlament zurückzuziehen. Natürlich unter stüßen sie die bürgerlichen Männer im Rampie gegen die Sozial­demokratie. Übrigens scheint es, daß augenblicklich der Vogelschuy im Vordergrund ihrer politischen Arbeit steht. Wie es heißt, planen sie eine Eingabe an die Volksvertretung, um ein Einfuhrverbot gegen Vogelflügel und bälge als Hutschmuck zu erlangen. Bei aller Gegnerschaft wider das Massenmorden, die Ausrottung der Vögel infolge der Modenarrheit, ein sonderbar anmutendes Ziel politischer Energie im Augenblic, wo der russische Zarismus Finn lands politische Freiheiten würgen will. Bekanntlich war die wider­rechtliche Auflösung des finnischen Landtags im Herbst 1910 eine Episode in dem Kampfe für das Recht des Landes. Ihr folgten im Januar dieses Jahres Neuwahlen, welche die Partei in der alten Stärke in den fünften finnischen Landtag zurückgebracht haben, der am 1. Februar zusammengetreten ist. Unter den 200 Abgeord­neten gibt es