Nr. 15

Die Gleichheit

am 1. Mai von den gesetzgebenden Gewalten den Achtstunden­tag und eine durchgreifende Sozialreform fordert. Es begehrt damit auch gleiches Recht und wirksamen Schutz für die Haus­angestellten. Dort, wo die Massen der kämpfenden proletarischen Frauen und Männer fich sammeln, ertönt der Ruf: Fort mit der Gesindeordnung! Her mit der Koalitionsfreiheit, dem gesetz­lichen Schutz, der Reichsversicherung für die Hausangestellten. Helene Grünberg  .

Aus der Bewegung.

Von der Agitation. In Nr. 11 der Gleichheit" wurde von der Bewegung berichtet, die sich gegen die drohende Milchverteuerung in Frankfurt   a. M. vorbereitete. Der Kampf ist jetzt aufs heftigste entbrannt. Unsere Protestversammlungen vom 30. Januar haben ges zeigt, daß ein entschiedenes Handeln der Konsumenten notwendig ist, um die geplante neue Schröpfung zu verhindern. Vor zwei Jahren gelang es den Herren von der Landwirtschaft verhältnismäßig leicht, ihren Willen durchzusetzen, aber heuer liegt die Sache wesent lich anders. Der Steuer- und Zollwucher fordert den schärfsten Widerstand des arbeitenden Volkes gegen weitere Belastung heraus. Die Händlerschaft von Frankfurt   und Umgebung ging in ihrer Mehrheit vor zwei Jahren mit den Agrariern, um sich mit ihnen in die Beute zu teilen. Diesmal hat sie sich mit den Konsumenten verbunden, und zwar ist dies das Verdienst der sozialdemokratischen Parteileitung und des Gewerkschaftskartells. Die Händler wissen, daß eine weitere Preissteigerung den Verbrauch der Milch in den meisten Familien herabsetzen, ja in manchen ganz verbieten muß. Die Agrarier nennen es zwar eine maßlose übertreibung angesichts des Preises und des Nährwerts der Milch", daß wir in einem Flugblatt die Tatsache feststellten, die Milch werde immer mehr als Medizin, denn als Nahrungsmittel verwandt. Aber nicht nur die Frauen, auch die Ärzte wissen es, daß der magere Geld­beutel der Arbeiter den notwendigen Verbrauch von Milch selbst in den Fällen nicht gestattet, in denen diefe als Heilmittel ver­schrieben wird. Die Händler verweigern die Abnahme der seit dem 1. April verteuerten Milch und beziehen gemeinschaftlich große Mengen aus dem Ausland und den entfernteren Gegenden Deutsch­ lands  . Die Konsumenten schränken den Milchverbrauch ein, damit für Kranke und Säuglinge genügend Vorrat bleibt, und boykottieren alle Molkereiprodukte, um den Agrariern die sogenannte Streif milch" nicht in anderer Form abzukaufen. Sie werden auch die Berechnung der Herren zuschanden machen, daß manche Proletarierin zum Osterfeste gern einen fleinen Kuchen bäckt und daher Butter usw. haben muß. Am 1. Mai, nach errungenem Siege, wird den Proletarierinnen, die sich das leisten" können, ein Kuchen viel besser als zu Ostern schmecken. In einem Flugblatt mühen sich die Agrarier mit dem Nachweis, daß die Verteuerung der Milch ge= recht und billig sei. Da lassen sie die gestiegenen Löhne in der Landwirtschaft aufmarschieren, von denen niemand nichts weiß", dann die Verteuerung der Lebensmittel, die in der Hauptsache durch und für die Herren geschaffen wurde, die sanitärpolizeilichen Vor­schriften, die das Panschen nicht gestatten, die Lasten der Sozial­gesetzgebung usw. Zum Schluß berufen sie sich auf die gestiegenen Viehpreise und vergessen zu sagen, wer denn diese in den großen Sädel steckt. Daß sich die arbeitende Bevölkerung Frankfurts   nicht mir nichts dir nichts eine weitere Ausplünderung gefallen lassen wird, bezeugten Versammlungen, die sich neuerlich mit der Milchfrage beschäftigten. Diese Veranstaltungen lenkten auch bereits das Interesse der Frauen auf die kommenden Reichstagswahlen. Darüber referierte Genossin Greifenberg  . In den Versamm lungen wurden über hundert Mitglieder für die Partei, meist Frauen, und Abonnenten für die Parteipresse gewonnen. Der Frauentag hat uns an die sechzig neue weibliche Mitglieder gebracht. Die tätigen Genossinnen sind rührig dabei, die Hausagitation vor­zubereiten, die sie nach Ostern durchführen wollen. Mit Freuden fönnen wir fonstatieren, daß die proletarische Frauenbewegung in Frankfurt  , die bisher im allgemeinen etwas schwerfällig vorwärts­schritt, einen fräftigen Aufschwung nimmt. Sophie Ennenbaek.

Über die Forderung des Frauenwahlrechts sprach Genossin Hennig- Leipzig im März in verschiedenen Orten. In der gut­besuchten Mitgliederversammlung in Seestewitz am 18. März schloß sich an den Vortrag eine lebhafte Diskussion. In Leipzig  - Oft er örterte Genoffin Hennig die Frage in dem Diskussionsabend für Frauen, in Stünz- Leipzig in dem allgemeinen Diskussionsabend. Am 19. März sprach sie in einer Versammlung zu Grimma  , deren Besuch zwar gut war, jedoch noch weit besser hätte sein tönnen. Immerhin wurden in Grimma   22 Mitglieder in die Partei auf

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genommen. Es hätte nichts geschadet, wenn die einzelnen Wahl­kreise die zum Frauentag herausgegebene Frauenwahlrechtszeitung in viel größerer Zahl verbreitet hätten. Gar mancher Ort hat nicht ein einziges Erxemplar dieser wertvollen Agitationsschrift erhalten. Überall zeigte sich, daß die Frauen lebhaften Anteil am politischen Leben nehmen und sich besonders für die Forderung des Frauen­fiimmrechts interessieren. Wir wollen dafür sorgen, daß diese Teil­nahme an der Bewegung rege bleibt und immer größere Schichten proletarischer Frauen erfaßt. A. Hg.

Mitte März fanden im Wahlkreis Friedberg- Büdingen eine Anzahl Frauenversammlungen statt, in denen Genossin Fried­länder Berlin über das Thema Die Lebensmittelteuerung und die Stellung der Frauen zu den Reichstagswahlen" referierte. Obs wohl wir bei Wahlen in diesem Kreise stets gute Resultate erzielen, läßt hier die politische Organisation zu wünschen übrig. Wir haben es in diesem Kreise mit vorwiegend fleinbäuerlicher Bevölkerung zu tun, der ja der Organisationsgedanke ferner liegt als den Ar­beitern. Ist die Organisierung der Männer schon schwer, so noch schwerer die der Frauen. Ihre Beschäftigung ist die Hauswirt­schaft und das Bestellen des eigenen Grund und Bodens; nur hin und wieder arbeiten sie bei einem größeren Bauern im Tagelohn. Bisher gehörten den einzelnen Wahlvereinen feine weiblichen Mit­glieder an. Der Versuch der Parteileitung, durch Frauenverfamm­lungen solche in den Orten zu gewinnen, wo ein fester Stamm männlicher Mitglieder besteht, gelang über Erwarten gut. Die Frauen folgten überall in großer Zahl dem Rufe der Partei zu den Versammlungen. Es war in fast allen Orten das erste Mal, daß eine Frau referierte. Darauf ist es wohl auch zurückzuführen, daß an den Versammlungen viele Angehörige der bürgerlichen Klassen teilnahmen, auch Pfarrer und Lehrer, von denen allerdings feiner das Wort ergriff. Die Vortragende sprach so einfach wie nur möglich und gewann durch ihre Ausführungen überall zahl­reiche Frauen für die Sache der Sozialdemokratie. Jm Dorf Stein­bach wurden von 150 Anwesenden 35 in die Partei aufgenommen, in Rodheim   von 250 Personen 38, in Holzhausen 46 von 400; in Vilbel   war die Versammlung schlecht besucht, doch traten von den 130 Anwesenden 44 der Organisation bei. In allen Orten, wo Versammlungen stattfanden, ward der Anfang mit der Frauen­organisation gemacht. Hoffentlich gelingt es, die neugeworbenen Genossinnen festzuhalten, damit durch sie unter der weiblichen länd­lichen Bevölkerung persönliche Agitation getrieben wird.

r. f.

In einer Anzahl Orten Thüringens  , unter anderen in Weida  , Jena  , Burgau  , Lichtenhain  , Apolda  , Gotha  , Frauen­reuth, Zeulenroda  , Ruhla  , Erfurt  , veranstalteten die Bildungs­ausschüsse der Partei Lichtbildervorträge für Frauen. Genossin Wartenberg- Altona sprach über Das Wirtschaftsleben der Gegen­wart mit seinen ungeheuren Schäden für die Volksgesundheit". Alle Versammlungen waren sehr gut besucht, mit großer Aufmerksamkeit verfolgten die Frauen die Ausführungen der Referentin. In klarer und überzeugender Weise wies sie nach, daß das kapitalistische Wirtschaftssystem mehr und mehr Frauen zur Erwerbstätigkeit zwingt, sie schlecht entlohnt und ihre Gesundheit ruiniert. In immer größerem Umfange treten Frauenkrankheiten auf, an denen zwar die fozialen Verhältnisse die Hauptschuld tragen, für die aber auch alte Vorurteile und mangelnde Aufklärung mit verantwortlich sind. Ge nossin Wartenberg erörterte in diesem Zusammenhang auch die Frage der sexuellen Aufklärung der Jugend. Im zweiten Teil ihres Vortrags zeigte sie an guten Lichtbildern den weiblichen Körper im gesunden und franken Zustande, wobei sie besonders auf die Schäden hinwies, die das Korsett hervorruft. Daß die Frauen nach Aufklärung über Gesundheitsfragen verlangen, bewies überall ihre starke Beteiligung an den Veranstaltungen. In Erfurt   waren über 800 Frauen an­wesend, eine Zahl, die dort wohl noch keine andere Frauenversamm­lung erreicht hat. Die Veranstaltungen boten Gelegenheit, zahl­reiche Frauen in die Partei aufzunehmen, in Lichtenhain   wurden ihr die ersten weiblichen Mitglieder zugeführt. E. P., Jena  .

Bericht der Kinderschutzkommission Leipzig  . Verhältnismäßig wenig Beschwerden liefen bei der Kinderschutzkommission der Ge­noffinnen im vergangenen Tätigkeitsjahr ein. Zum Teil mag das daran liegen, daß das Adressenverzeichnis der Mitglieder der Kom­mission leider mehrere Monate in der Leipziger Volkszeitung  " nicht erschien. Die Kommission griff in zehn Fällen ein, in denen Kinder vor Beginn des Schulunterrichts Milch und Zeitungen austragen mußten. Gegen einen Bäckermeister, dessen eigene Kinder das Frühstück vor Schulbeginn austragen, konnte nicht vor gegangen werden, weil bei der Verwendung eigener Kinder das Gesetz versagt. Solange das jetzige mangelhafte Kinderschutzgesetz gilt, ließe sich in ähnlichen Fällen nur etwas erreichen, wenn die Schulbehörden gegen die Tätigkeit der Kinder Einspruch erheben