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Die Gleichheit

daß die Abstimmung gegen das Arsenal entschied. In der ganzen Union haben die Frauen eine rührige Tätigkeit zur Vertreibung fozialistischer Literatur entfaltet. Drei lokale Frauenfomitees allein haben über 45 000 Stück Flugschriften unter die Massen gebracht. Das einsichtsvolle und opferfreudige Wirken der Genossinnen hat viel dazu beigetragen, daß das alte Vorurteil gegen die Partei arbeit der Frauen durch eine hohe Wertschäzung ersetzt worden ist. So geht die Partei immer eifriger daran, der sozialistischen Frauenbewegung die Wege zu ebnen.

I. K. Fortschritte des Verbandes der sozialdemokratischen Frauenklubs in Holland verzeichnet der Jahresbericht dieser Or ganisation für 1910. Dem Verband sind jetzt 20 Einzelvereine an­geschlossen, mit mehreren noch isolierten Klubs steht er in reger Verbindung. In Orten, wo eine Organisation der sozialdemo fratischen Arbeiterpartei, jedoch kein sozialdemokratischer Frauen­flub besteht, suchten die Genossinnen durch Vertrauenspersonen die sozialistischen Jdeen unter die Proletarierinnen zu tragen. Die Auflage der Proletarischen Vrouw" ist von 1650 auf 2250 ge­stiegen. Der Verband hat im verflossenen Jahre mit voller Kraft im Dienste der Wahlrechtsbewegung gearbeitet. Er ließ sich an­gelegen sein, die arbeitenden Frauen davon zu überzeugen, daß sie des allgemeinen, gleichen Wahlrechts so dringend bedürfen wie die Männer, daß sie daher für seine Eroberung fämpfen müssen. Er nugte dabei die Gelegenheit zur Aufklärung über das arbeiter­feindliche, reaktionäre Wesen eines beschränkten Damenwahlrechts und zeigte den Proletarierinnen, daß ihr Platz nicht an der Seite der Frauenrechtlerinnen sein fann, denen eine solche Verhöhnung des Bürgerrechts aller genügen würde, sondern in den Reihen der fozialdemokratischen Arbeiterpartei. Auch für andere sozialdemo kratische Forderungen und Aktionen suchte der Verband das Ver­ständnis der proletarischen Frauen zu wecken. Das Zusammen arbeiten der Genossinnen mit der Partei ist daher immer besser und fester geworden, und diese hoffen, daß die vorteilhafte Ent wicklung noch weiter gefördert wird, wenn der Parteitag dem An­trag des Verbandes zustimmt, diesem eine besondere Vertretung zu den Parteifongressen und finanzielle Unterstügung zu gewähren.

Frauenstimmrecht.

Für das allgemeine Wahlrecht der großjährigen Männer und Frauen in Elsaß- Lothringen führt die Sozialdemokratie im Reichstag wie bei ihrer Agitation im Reichsland den Kampf weiter. Reine einzige bürgerliche Partei hat sich wie sie für das volle Bürgerrecht des weiblichen Geschlechts erklärt. Dagegen hat der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht in Straß burg, Kolmar und Metz öffentliche Versammlungen veranstaltet, die zur elsaß - lothringischen Verfassungsfrage Stellung nahmen. Zur Annahme gelangte eine Resolution, die für das Reichsland volles Selbstverwaltungsrecht fordert, wie das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht für Männer und Frauen.

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Der Kampf für das beschränkte Frauenwahlrecht in Eug. land ist wieder lebhafter entbrannt. Der Zufall des Loses hat entschieden, daß bereits am 5. Mai im Parlament eine Frauen wahlrechtsbill zur Verhandlung gelangt, die von Sir George Kemp eingebracht worden ist. Sie ist noch undemokratischer, reaktionärer als selbst die berüchtigte Versöhnungsbill"; erlangte fie Gesetzes fraft, so würde nur eine winzige Minderheit des weiblichen Ges schlechts politisches Bürgerrecht erhalten. Dieses soll nur solchen Frauen zuerkannt werden, die selbständige Haushaltungsvorstände find. Auf Grund dieser Bestimmung würden neben einer kleinen Zahl lediger und verwitweter Frauen nur solche verheiratete wahlberechtigt werden, die auf ihren eigenen Namen einen zweiten Haushalt außer halb des Wahlkreises unterhalten, in- dem ihr Ehegatte stimmberech tigt ist. Bekanntlich hat die am Ruder befindliche liberale Regies rung erklärt, nur ein Frauenwahlrecht auf breiter demokratischer Basis annehmen zu wollen. Es wird sich nun zeigen, ob im Parla ment eine Mehrheit den Willen hat, die vorliegende Karikatur des Frauenwahlrechts so auszugestalten, daß eine solche Basis geschaffen wird. Die Frauenrechtlerinnen entfalten eine rührige Tätigkeit, die nach wie vor dem Frauenwahlrecht" allein gilt. Am 23. März fand in der großen Albert Hall unter Führung der Sozialen und politischen Frauenunion" ein Massenmeeting statt, das wie die früheren Demonstrationen einen glänzenden Verlauf nahm. Die Sammlung zugunsten der frauenrechtlerischen Kriegskasse ergab in taum einer halben Stunde 6000 Pfund, 120000 Mark; dieser hohe Betrag wirft ein helles Streiflicht darauf, aus welchen Bevölke rungsschichten sich die Vorkämpferinnen für das Damenwahlrecht hauptsächlich rekrutieren. Für den 17. Juni ist eine weitere Riesen­

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demonstration der Frauenrechtlerinnen geplant. Um für ihre Fordes rung zu agitieren und einen Druck auf die Regierung auszuüben, find die Damen auf ein neues Mittel verfallen: die Weigerung, sich in die Listen der alle zehn Jahre erfolgenden Volkszählung eintragen zu lassen, die am 2. April stattgefunden hat. Zahlreiche Frauenrechtlerinnen verließen an diesem Tage ihre Wohnung, um Unterkunft bei Gesinnungsgenoffinnen zu suchen, welche die Zäh lungslisten unausgefüllt mit Vermerken zurückschickten wie: Reine Stimme, fein Zensus" oder: Die Frauen zählen im Staate nicht mit, fie lehnen es ab, sich zählen zu lassen." Auf die Weigerung steht eine Geldbuße von 100 Mark oder Gefängnis. Eine größere Schar Frauenrechtlerinnen entzog sich der Zählung dadurch, daß fie auf dem Trafalgar Square promenierte, bis der Zählungs. termin vorüber war.

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Verschiedenes.

Die Flucht vor der Mutterschaft in Frankreich . Die Justiz der Bourgeoisrepublik bekommt manchmal selten allerdings­Moralanfälle, in denen sie auch die Angehörigen der herrschenden Klasse nicht schont. So haben die Gerichte in der letzten Zeit eine Aktion gegen die Kindesabtreibung unternommen, die bekanntlich in Frankreich im weitesten Umfang praktiziert wird. In Paris tst ein Student aus reichem Hause verhaftet worden, der bei seiner Geliebten den verbotenen Eingriff vornehmen ließ, sowie der Medi ziner, der dies für 50 Fr. besorgte. Für die herrschenden Anschaus ungen ist es charakteristisch, daß der Mediziner, der anscheinend solche Operationen wiederholt ausgeführt hat, im übrigen den besten Ruf befigt und einer der begabtesten Studenten der Fakultät ist. Ein noch größeres Aufsehen erregte die Verbaftung eines angesehenen Arztes in Biarritz , der als Adjunkt des Bürgermeisters auch in der lokalen Politik eine führende Rolle innehatte. Eine Reihe von Frauen hat schon eingestanden, daß er bei ihnen die Fruchtabtreibung vor­genommen hat.- Der, Matin" veröffentlicht Gutachten medizinischer Autoritäten, die darauf hinweisen, daß entgegen einer vielvers breiteten Meinung die Abtreibung, auch wenn sie von kunst­verständigen Händen ausgeführt werde, immer noch eine lebens. gefährliche Operation bleibe und überaus häufig dauernde Stö rungen der Gesundheit zur Folge habe. Die Sitte der Abtreibung hat in Frankreich außerordentlich zugenommen, auf 100 Schwanger schaften entfallen heute 30 bis 40 Abtreibungen! Jezt hat sich sogar auch der Erzbischof von Paris mit dieser Frage beschäftigt. In einem Rundschreiben an den Klerus seiner Diözese befiehlt er die Untersuchung der Ursachen des fortschreitenden Sinkens der Ges burtenziffern und den Kampf der Priester gegen den Neu- Malthusia­nismus. Ob wohl Leute, die das Keuschheitsgelübde abgelegt haben, die befugten Streiter gegen die gewollte Kinderlosigkeit sind, das scheint uns fraglich, ganz abgesehen von den erbaulichen Fragen, die von eifrigen Priestern im Beichtstuhl an Frauen und Mädchen gerichtet werden können. In der Aktion der Bourgeoisie gegen die Fruchtabtreibung steckt natürlich neben der Moralheuchelei auch ein Klasseninteresse. Solange die Vorbeugung und die Abtreibung vor nehmlich in den Familien der ländlichen und städtischen Eigentümer herrschend waren, haben die Schützer der Sitte und der Volks­gesundheit geschwiegen. Nunmehr aber, da sie auch im Proletariat um sich greift, den für die Industrie nötigen Nachwuchs an Ar­beitern gefährdet und die Verstärkung der Militärmacht unmöglich macht, holt die Entrüstung zur strafrechtlichen Vergeltung aus. Darum aber bleibt es doch unbestritten, daß die gewohnheitsmäßige Abtreibung eine eminente Gefahr für die Gesundheit und Zukunft der Rasse darstellt, und darum ist die neomalthusianische Propa ganda, wie sie von vielen insurrektionellen" Sozialisten und Re­volutionärsyndikalisten betrieben wird, ebenso antisozial wie anti­revolutionär. Die Guerre Sociale" könnte selbst recht haben, wenn sie erklärt, daß es in Frankreich keinen Studenten der Medizin gebe, der noch keine Abtreibung ausgeführt hätte, und sicher hat das Blatt recht, wenn es sagt, daß die Hebammen seit ein paar Jahr­zehnten hauptsächlich von ihr leben; aber darin liegt keine Recht­fertigung der Abtreibung. Die sich ernst gebärdende sozialrevo­lutionäre" Rechtfertigung der Fruchtabtreibung wie Anpreisung und Feilbietung von Präservativen, die in französischen Arbeiter treisen im Schwange steht, ist als sozialpolitisches Rezept von der selben Qualität wie das feudaltonservative Hohnwort vom Eimer talten Wassers" zum Schuße gegen den Kinderreichtum und das von ihm in der kapitalistischen Gesellschaft verursachte Familien­elend.

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O. P.

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart .

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