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Die Gleichheit
Nr. 18
Die jahrelange Lehre liegt in den meisten Fällen mehr im Interesse der Jnnungsmeister als in dem der jungen Arbeiter. Auf der Grüudungsversammlung des Verbandes für handwerksmäßige und fachgewerbliche Ausbildung sagte deshalb auch der Vertreter der Generalkommission, daß unsere Töchter uns zu schade sind, als daß wir auch für sie die mehrjährige Lehre in der Art fordern, wie sie heute der Lehrling durchmachen muß. Wir wissen, diese Lehre ist recht oft gleichbedeutend mit Lehr- lingszüchterei und Lehrlingsausbeutung. Doch weiter. Selbst wenn eine mehrjährige praktische Lehrzeit mit der theoretischen Fachausbildung Hand in Hand gehen soll, ist sie nicht für alle Fälle notwendig. Kann zum Beispiel der in der Broschüre erwähnten Arbeiterin in einer Baumwollspinnerei die als nützlich bezeichnete„Kenntnis des Produktionsgcbiets der Baumwolle, der Handelsverhältnisse und der hundertfachen Formen, in denen dieses Rohprodukt im Dienste der Menschheit erscheint", für ihre Arbeit wirklich praktischen Nutzen bringen? Die Kenntnis dieser Dinge, die sich natürlich nicht in drei bis vier Wochen aneignen läßt, zu deren Erwerbung vielmehr Jahre gehören, ist zur Verrichtung der mechanischen Tätigkeit der Spinnerei nicht erforderlich. Um sich als Spinnerin beruflich tüchtig auszubilden, und nur als solche, dazu braucht die Proletarierin wirklich keine mehrjährige Lehrzeit durchzumachen. Ebensowenig ist dies der Fall bei der ebenfalls als Beispiel erwähnten Arbeiterin in einer Fischkonservenfabrik. Ihr soll die„Kenntnis des Reichtums des Meeres, der Entwicklung des deutschen Fischfanges, die Bedeutung der Seefische als Volksnahrungsmittel" die mechanische Arbeit vergessen machen! Daher wird auch für diese Arbeiterin eine mehrjährige Lehre in einer Fischkonservenfabrik gefordert! Wer das wirtschaftliche Leben kennt, greift sich erstaunt an den Kopf, wenn er derartige Ansichten liest. In welcher Welt müssen die Vertreter solcher Anschauungen leben! Gewiß kann bei der Spinnerin und der Arbeiterin in einer Fischkonservenfabrik wie überhaupt bei allen Arbeiterinnen und Arbeitern, die mechanische Arbeit verrichten müssen, weil sie unentbehrlich ist, die Kenntnis der verschiedensten Dinge und vor allem die Entwicklung der geistigen Fähigkeiten durch Unterricht und Lektüre usw. der Abstunipfung des Geistes durch die rein mechanische Tätigkeit entgegenwirken. Hierbei kommt es jedoch gar nicht darauf an, ob der Gegenstand des Interesses eng mit dem Beruf zusammenhängt. Damit sich die Arbeiterinnen aber Kenntnisse aneignen können, müssen Vorbedingungen vorhanden sein, die nicht nur durch die mechanische Tätigkeit bei der Erwerbsarbeit verloren gehen, deren Fehlen vielmehr auf Rechnung der kapitalistischen Ausbeutung und der Klassenherrschaft der Besitzenden gesetzt werden müssen. Es seien nur die elenden Schul- und Bildungsverhältnisse der besitzlosen Bevölkerung erwähnt und die sonstigen Übel der proletarischen Klassenlage, wie sie in den Verhältnissen der Arbeiterfamilie zum Ausdruck kommen. Die mehrjährige Lehre ist nicht das Allheilmittel für die jammervolle Lage der Arbeiterinnen, nicht einmal ein Hilfsmittel. Fräulein Lischnewska und die Vertreter des genannten Verbandes aber setzen die weitestgehenden Hoffnungen auf sie. Nach ihrer Ausfassung wird sie zum Beispiel auch die Fluktuation in der Arbeiterschaft aus der Welt schaffen! Die guten Leute haben keine Ahnung davon, daß diese Fluktuation solange existieren wird, als die gegenwärtige Produktionsmethode besteht, die die Saisonarbeit, die Perioden wirtschaftlicher Hochkonjunktur und ihr Gegenteil, die Krisen, schafft. Trotzdem ist sie heute schon erheblich eingeschränkt, jedoch keineswegs im Zusammenhang mit einer langjährigen Lehrzeit, sondern nur dort, wo die Arbeitsbedingungen durch die Macht der gewerkschaftlichen Organisationen sich verbessert haben. Dank diesem Umstand haben wir ganze Gruppen ungelernter Arbeiter und Arbeiterinnen, die ihre Tätigkeit als Lebensberuf auffassen und selbst dann, wenn sie ihren Arbeitsplatz wechseln, in gleichen Betrieben wieder Stellung suchen. (Schluß folgt.)
Von einem anderen Lande. Liebe Arbeitsschwester! Vielleicht bist du gerade heut unzufrieden mit deinem Lose. Es lehnt sich etwas in dir auf wider das Schicksal, das dich in eine Klasse setzte, der die Lebensgüter so karg zugeteilt sind.„Warum gehöre ich zu den Habenichtsen? Könnte ich nicht ebensogut reich und glücklich sein wie die Tochter meines Arbeitgebers?" So fragst du und findest keine befriedigende Antwort darauf. Glücklich sein möchtest du? Komm', Liebe, vergiß einmal alles, was dich drückt und folge mir! Ich führe dich in ein Land, wo die Wiesen voll bunter Blumen stehen, wo dir der Wind schmeichelnd die Wange streift, wo er dich neckisch an den Haaren zupst, wo er dich kräftig rüttelt und schüttelt, und du stehst da, stolz und froh und lachst des launigen Gesellen: „Komme was kommen mag, In mir ist lichter Tag, Schaue voll Zuversicht Der Zukunft entgegen, Und ich verzage nicht, Trotz Sturm und Regen." Der Wind braust über dich hinweg, des Staunens vollz die Bäume rings flüstern sich kopfschüttelnd leise zu, und Freund Star- may reißt verwundert seine Augen auf: er weiß so gar nicht, was er von alledem halten soll.„Es ist alles so verändert," spricht er zu seiner Getreuen;„gehe doch etwas kundschaften, vielleicht erfährst du vom Gevatter Spatz, was los ist." Die jungen Stare im Nest sperren neugierig ihre Schnäbel auf, auch sie möchten wissen, was es denn eigentlich gibt, daß die ganze Nachbarschaft so erregt ist. Doch Geduld, es heißt warten.— Indessen streichst du dir die Haare aus der Stirne, deine Augen leuchten, stolz und sicher ist dein Gang, du bist ein Mensch geworden. Kein Seufzer entrang sich deinen Lippen, als du des Morgens erwachtest; froh verließest du dein Lager. Du brauchst ja nicht mehr eilenden Laufes die Fabrik aufsuchen, wo du dann über die Arbeit gebeugt saßest, zehn Stunden und mehr noch, die dir eine Ewigkeit dünkten. Gedenkst du noch des herrlichen Frühlingsmorgens? Die Kastanien bluten und der Flieder duftete so süß. So schön war die Welt! Du vergaßest das Ziel, dem du mechanisch zustrebtest, wie alle Tage. Du atmetest den Lenz. Du kamst an dem düsteren Gefängnis vorbei, die Tür stand offen, ein Sträfling, bewacht von einem Ausseher, machte sich etwas daran zu schaffen. Dich schauerte. Da steht nun Mensch gegen Mensch, einer des anderen Feind. Was tatest du im grauen Kittel, daß man dich hinter Kerkermauern einschloß? Tränen traten dir ins Auge, und heißer Groll stieg in dir auf. Endlich standest du vor deiner Arbeitsstätte, schweigend und freudlos begannest du dein Werk. Wärest denn nicht auch du eine Gefangene? Dein Blick schweifte durch den Saal, fragend und suchend, ob sie, die wie du in der Fron gefesselt waren, wohl dasselbe fühlten wie du? Deine Nachbarin da, sie ist noch jung, und doch steht ihr der Harm auf dem Gesicht. Was mag sie wohl denken? Möchte sie doch über ihr Los als Unfreie nachdenken und alle die anderen mit. Du versankst in Sinnen und achtest nicht, was rings um dich vorging. Doch siehe, als du wieder aufschautest, da lag es wie ein Ahnen auf allen Gesichtern, war es der Frühling, der den Glanz dorthin zauberte? Was war es, man schaute einander an, staunend anfangs, dann erkennend und wiffend. Es trat der Meister herein, auch er fühlte eine geheimnisvolle Kraft, die die Seelen miteinander verband. Drohend ließ er seine finsteren Augen von Antlitz zu Antlitz schweifen. Doch niemand war, der das seinige schuldig gesenkt hätte, alle standen und lauschten auf ein fernes Etwas. Hörtet ihr den Freiheitsruf, wer trug ihn zu euch? Plötzlich faßtest ihr euch an den Händen und zogt von bannen. Und aus all den finsteren Fabriktoren kamen sie geströmt, die bisher Unfteien, in ruhiger Ordnung schritten sie durch die Stadt, und immer größer und gewaltiger wurde ihr Zug.<Än anderer Zug kam euch entgegen. Lauter junge Männer in bunten Röcken mit blinkenden Knöpfen, Mordgewehre an der Seite. Die sollten euch zwingen. Laut hallte es aus euren Reihen:„Unsere Brüder, unsere Söhne ihr, gebt Raum!" Und es schallte zurück:„An eurer Seite ist unser Platz, sollen wir unsere Brüder töten?" Allgewaltig wurden die Rufe, klein war das Häuslein derer, die zähneknirschend und ohnmächtig von bannen zogen. Gedenkst du des Tages? Ein neues Leben begann mit ihm. Fast jede Arbeitsstatt wurde umgestaltet, gesund und heiter gemacht. Gesund und fröhlich war die Arbeit. Jeder war nach Gaben und Neigung tätig. Jeder fand einen Platz, wo er mit Freuden schaffte. Jede Arbeit wurde geachtet, denn jede war wertvoll. Das Notwendige wurde mit dem Schönen verbunden. Jeder einzelne stellte seine beste Kraft in den Dienst aller, und am allgemeinen Wohl hatte jeder seinen Teil. Es gab